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review 2018-05-03 08:06
Schrittweiser Abstieg ins Dunkel
Ich will dich nicht töten - Dan Wells,Jürgen Langowski

Dan Wells wollte High Fantasy-Autor werden. Er schrieb jahrelang Bücher und Kurzgeschichten, ohne sich selbst als Vertreter des Horror-Genres zu verstehen, obwohl all seine Werke einen düsteren Unterton enthielten. Wir verdanken es Brandon Sanderson, dass Wells dieser Düsternis eines Tages nachgab. Ja, DER Brandon Sanderson. Sie sind befreundet, führen gemeinsam den Podcast „Writing Excuses“ und leben beide in Utah. Es wundert mich etwas, dass Wells bisher nicht auf die naheliegende Option zurückgriff, um High Fantasy und Düsternis zu verbinden: Grimdark. Allerdings wäre er in diesem Subgenre vielleicht niemals veröffentlicht worden und ich könnte euch nicht vom dritten Band der „John Cleaver“-Reihe, „Ich will dich nicht töten“, berichten, also war seine Entscheidung für Horrorliteratur möglicherweise Schicksal.

 

Wie provoziert man eine Dämonin? Man erklärt ihr am Telefon, dass man zwei ihrer Freunde umgebracht hat. Seit John Niemand anrief und sie herausforderte, nach Clayton zu kommen, lauert er darauf, dass sie sich zeigt. Er ist im Nachteil – er hat keine Ahnung, wie sie aussieht oder über welche Kräfte sie verfügt. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als ihren ersten Zug auszuharren. John wartet auf eine Leiche. Als das erste Opfer gefunden wird, kann er es kaum glauben: der ermordete Pfarrer trägt die unverwechselbare Handschrift des Handlangers, eines berüchtigten Serienmörders. John ist überzeugt, dass Niemand die Handlangerin ist und der spektakuläre Mord eine Botschaft für ihn war. Fieberhaft beginnt er, Beweise zu analysieren, um ihre Identität aufzudecken. Von Ehrgeiz erfüllt ist er blind für den riskanten Pfad, den er einschlägt und ignoriert die Warnzeichen, dass er die Menschen, die ihm am meisten bedeuten, in Gefahr bringt…

 

In der Rezension zum letzten Band „Mr. Monster“ habe ich mich beschwert, dass dieser nicht genug Abwechslung bietet. Dieses spezielle Schräubchen hat Dan Wells eindeutig nachjustiert. „Ich will dich nicht töten“ ist meiner Meinung nach deutlich spannender als der Vorgänger, weil der Protagonist mit neuen Rahmenbedingungen konfrontiert wird. Nicht, dass sich an der Dämonenjagd, mit der ich mich erfolgreich arrangiert habe, etwas geändert hätte. Nein, John ist noch immer fleißig dabei, die dämonische Brut vom Antlitz der Erde zu tilgen. Bisher war er dabei jedoch allein. Im dritten Band erhält er Unterstützung von Marci, ein Mädchen aus seiner Schule, die einen kleinen Narren an ihm gefressen hat. Ich mochte ihre Dynamik und die Entwicklung ihrer Beziehung sehr, weil dadurch eine Seite an John zum Vorschein tritt, die ich ihm nicht zugetraut hätte. John kann ein Freund sein. Er bewerkstelligt einen nahezu normalen Umgang mit Marci – ein enormer Fortschritt, bedenkt man seine lang anhaltende Besessenheit von Brooke. Was ist an Marci anders? Nun – alles. Marci initiiert ihre Freundschaft. Sie war nie Teil seiner düsteren Fantasien, wodurch John nicht in die Verlegenheit gerät, seine Vorstellung von ihr mit der Realität in Einklang bringen zu müssen. Sie behandelt ihn offen und tolerant, lässt sich nicht einschüchtern. Daher kann John ebenfalls ein gewisses Maß an Offenheit zulassen, was für ihn ungemein wichtig ist, um den Druck, sich verstellen und anpassen zu müssen, zu lindern. Bei ihr kann er loslassen, sich entspannen. Das freut mich für ihn und ich mochte Marci auf Anhieb. Ich wünschte nur, ihr positiver Einfluss hätte weitreichendere Folgen. Ich kann mich nicht dazu durchringen, John zu mögen. Ich finde ihn nicht unsympathisch und es tauchen durchaus Momente auf, in denen ihm mein Herz zufliegt. Meist dann, wenn er intensiv mit sich selbst kämpft und schier übermenschliche Kraft aufbringt, um ein guter Mensch zu sein. Nichtsdestotrotz sind seine Gedanken häufig lebensverachtend und grausam, worüber ich nicht hinwegsehen kann. Als er die Dämonin Niemand herausforderte, wusste er, dass im Zuge seiner Jagd Menschen sterben würden. Obwohl er versucht, Gutes zu tun, ist sein Verhalten moralisch im besten Fall grenzwertig, im schlimmsten Fall skrupellos. Außerdem verlagert er in „Ich will dich nicht töten“ all seine negativen Emotionen auf die Jagd, was – natürlich – in eine alles beherrschende Obsession mündet, die wie eine Mauer zwischen uns stand. Es ist erstaunlich, wie gut seine Strategie für ihn funktioniert, denn er wird nicht mehr von Gewaltfantasien gequält und erwähnt keine Albträume, doch deshalb ist diese noch lange nicht gesund. Beim Lesen empfand ich starkes Gehetztsein, das nicht mir selbst entstammte oder durch eine dichte Handlung entstand. Das Gefühl kam von John. Die Dämonenjagd mutiert langsam zu seinem Lebensinhalt, für den er bereit ist, gefährlich viele Grenzen zu überschreiten. Seine Entwicklung bereitet mir Unbehagen. Ich fürchte, dass er am Ende genau das werden wird, was er so vehement zu vermeiden versucht: ein Serienmörder. Dass seine Opfer (bisher) Dämonen sind, ist nur sekundär von Bedeutung. Was zählt, ist, dass er seinen pathologischen Trieb auslebt. Was wird er tun, wenn keine Dämonen mehr da sind?

 

Meiner Ansicht nach sind die „John Cleaver“-Romane keine Horrorliteratur. Für mich sind sie mystische Thriller, denn sie bespielen die Ängste der Leser_innen maximal am Rande. Dan Wells konzentriert sich auf die Ausarbeitung seines Protagonisten, indem er John regelmäßig vor neue Herausforderungen stellt und dessen Reaktionen erforscht. Obwohl ich seine Entwicklung mit Sorge betrachte und zu zweifeln beginne, ob die Reihe ein Happy End haben kann, verstehe und teile ich Wells‘ Faszination für seinen Hauptcharakter. Ich möchte herausfinden, welche Hürden er in den Folgebänden überwinden muss und wie sich diese auf seine Persönlichkeit auswirken. Ich wappne mich für seinen schrittweisen Abstieg ins Dunkel, aber ich möchte dabei sein. „Ich will dich nicht töten“ öffnete eine beunruhigende Tür – doch da sie einmal offen ist, werde ich an Johns Seite auch hindurchgehen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/05/03/dan-wells-ich-will-dich-nicht-toeten
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review 2017-07-25 11:07
Ein ganzes Universum des Verbrechens
Neid: Thriller (Opcop-Gruppe, Band 3) - Arne Dahl

Der schwedische Autor Arne Dahl heißt eigentlich Jan Lennert Arnald. Ich vermute, dass er ein weiches Pseudonym nutzt, weil er seine schriftstellerische Tätigkeit von seiner Arbeit als Literaturwissenschaftler für die Schwedische Akademie, die jährlich den Nobelpreis für Literatur vergibt, trennen will. Aktuell gehört Arnald nicht zum Nobelkomitee und ich konnte leider nicht herausfinden, ob er in der Vergangenheit mit der Auswahl der Preisträger betraut war, aber die Vorstellung ist schon ziemlich cool.
Sein Pseudonym Arne Dahl, das meiner Ansicht nach übrigens wesentlich einprägsamer ist als Jan Lennert Arnald, kenne ich als Autor der politischen Thriller-Reihe „Opcop“, auf die mich mein Vater 2015 aufmerksam machte. Vom dritten Band „Neid“ erwartete ich erneut eine spannende, extrem intelligente Handlung voller politischer Implikationen.

 

Einem dänischen Wissenschaftler wird in Stockholm auf offener Straße die Kehle durchgeschnitten. Der Mord gleicht einer Hinrichtung, brutal, provokant und inszeniert. Der wichtigste Zeuge floh unbemerkt vom Tatort: ein rumänischer Bettler, der das Smartphone des Toten an sich nahm und jetzt im Besitz hochsensibler Daten ist, die ihn ebenfalls das Leben kosten könnten. Leider will der europäischen Operativeinheit Opcop niemand verraten, an welchem geheimen, brisanten Projekt der Wissenschaftler zuletzt arbeitete. Der verschwundene Rumäne ist ihre beste Spur, da Opcop bereits mit Hochdruck gegen die Bettlermafia und den europäischen Menschenhandel ermittelt.
Währenddessen wird die französische EU-Parlamentarierin Marianne Baillard mit kompromittierenden Fotos erpresst und bedroht. Sie plant, einen Gesetzesentwurf auf den Weg zu bringen, der ganz Europa verändern würde. Wer würde über Leichen gehen, um sie aufzuhalten?
Irgendwie sind beide Fälle miteinander verbunden. Nun liegt es bei der Opcop-Gruppe, herauszufinden, welche Parallelen bestehen, bevor weitere Menschen sterben.

 

Ich lese politische Thriller sehr gerne, insgesamt aber eher selten, weil die behandelten Themen meist viel Aufmerksamkeit erfordern und recht bedrückend sind. Wenn ich dann schon in der Stimmung bin und zu einem Buch dieser Sparte greife, sollte es mindestens so gut sein wie „Neid“ von Arne Dahl. Sein politisch-wirtschaftliches Verständnis ist unerreicht. Seine Kenntnis krimineller Machenschaften auf internationaler Ebene ist beeindruckend und beunruhigend. Er versäumt nie, mir das wahre Wesen der Welt vor Augen zu führen und mich die Prozesse hinter den Kulissen der realen, globalen Politik zu lehren. Ich bewundere ihn zutiefst, weil seine Romane stets in der Wirklichkeit verankert sind. Namen wie Viktor Orbán, Geert Wilders und Nicolas Sarkozy sind aus den Nachrichten bekannt. „Neid“ bietet meinem Empfinden nach weniger handfeste Action als die Vorgänger „Gier“ und „Zorn“, ist jedoch nicht minder spannend. Der beschriebene Fall ist äußerst verschachtelt; ich musste mir die verschiedenen Komponenten mental wiederholt vorbeten, um zu verstehen, wie alles zusammenhängt. Die komplexe Kombination unterschiedlicher Themen öffnet ein ganzes Universum des Verbrechens, das bei der Diskriminierung und Vertreibung der Roma beginnt, Menschenrechtsverletzungen wie Menschenhandel als Lappalie betrachtet und es sich schlussendlich im komplizierten Feld der Umweltpolitik bequem macht. Die geballte kriminelle Energie, die dieser Thriller darstellt, die Bereitschaft, Menschen schlimmstenfalls wie Vieh, bestenfalls wie Schachfiguren zu behandeln, überzeugte mich erneut davon, dass ich in der Politik niemals bestehen könnte. Zu wissen, wie schlecht unsere Welt ist und nur sehr wenig dagegen unternehmen zu können, würde mich enttäuschen, desillusionieren, zerstören. Meine Güte, es gibt da draußen Menschen, die dafür bezahlt werden, rechts-konservative Parteien dahingehend zu beraten, wie sie rechtsradikale Wähler_innen erreichen und für sich gewinnen können. Natürlich sollte mich das nicht überraschen, aber ich komme einfach nicht darüber hinweg. Es ist schockierend widerwärtig. Ich könnte so nicht leben. Ich könnte nicht leben wie Marianne Baillard, die bis zur totalen Erschöpfung gegen die Schattenspieler, die die EU klammheimlich übernommen haben, kämpft und doch nur minimale Unterstützung erhält. Sie tut das Richtige und wie wird es ihr gedankt? Mit Erpressung und Drohungen. In „Neid“ ist die Französin die bescheidene Heldin neben der Opcop-Gruppe, deren Mitglieder ohnehin einmalig und ehrfurchtgebietend klug sind. Durch sie vermittelt Arne Dahl ein scharfsinniges Bild der EU. Aus ihren Worten, die mich tief berührten, hörte ich die Stimme des Autors heraus, der mit schmerzhafter Klarheit erfasst, was die EU heutzutage ist und wie sie eigentlich sein sollte. Wie konnte aus einem Friedensprojekt für ein besseres, grenzübergreifendes Miteinander ein Sklavenschiff der Wirtschaft werden?

 

Falls ihr euch in die Gefilde politischer Thriller wagen möchtet, kann ich euch nur wärmstens empfehlen, es mit Arne Dahls „Opcop“-Reihe zu versuchen. Greift nicht zu Fitzek. Dahl ist meiner Meinung nach einfach besser. Er erforscht die Schattenseiten der Gesellschaft, ohne zu verwirren, sich in seinen eigenen Handlungsfäden zu verheddern oder allzu viel Wissen vorauszusetzen, leistet fundierte, solide Recherchearbeit, integriert zahlreiche, individuelle, sympathische Figuren, an denen sich die Leser_innen orientieren können und konzipiert darüber hinaus nervenaufreibende Spannungsbögen, die an die Seiten fesseln. Er liefert das berühmte Gesamtpaket. Mich stimulierte „Neid“ wieder einmal intensiv; ich habe über viele Punkte gegrübelt und kam letztendlich zu einem Ergebnis: solange es Menschen wie Arne Dahl gibt, die die Schlechtigkeit unserer Welt erkennen und mutig darüber schreiben, ist der Traum eines vereinten, gerechten, friedlichen Europa noch nicht ausgeträumt.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/07/25/arne-dahl-neid
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