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review 2018-12-11 08:55
Sechs Jahre aus dem Leben einer Ü30 Single-Frau
Mein Geburtstag Und Andere Katastrophen - Merrill Markoe,Ursula Walther

Ich habe keine Ahnung, wie es „Mein Geburtstag und andere Katastrophen“ von Merrill Markoe in mein Bücherregal geschafft hat. Das Buch passt so gar nicht in mein Beuteschema, daher vermute ich, dass es irgendwann einmal Gegenstand einer Rettungsmission war. In meiner Teenagerzeit habe ich häufig Bücher mitgenommen, die andernfalls auf dem Müll gelandet wären, unabhängig vom Inhalt. Das heißt, ich besitze dieses Buch schon sehr, sehr lange. In den letzten Jahren zweifelte ich daran, ob ich es jemals lesen würde, aber die heutige Rezension beweist, dass jedes Buch seine Zeit hat. Selbst ein Chic-Lit-Roman, der meinem Geschmack eigentlich widerspricht.

 

Wie ist es nur möglich, dass jedes Jahr gleich verläuft? Es kann doch nicht sein, dass man als erwachsene Frau von 36 Jahren ständig dieselben Fehler wiederholt und sich von den spitzen Kommentaren nörgelnder Eltern, gutmeinenden Ratschlägen ahnungsloser Freundinnen und verwirrenden Signalen kryptischer Männer langsam in den Wahnsinn treiben lässt. Etwas muss sich ändern! Eine neue Tradition muss her: einmal im Jahr, am Geburtstag, einen Brief an sich selbst zu verfassen, das Jahr Revue passieren zu lassen und sich daran zu erinnern, was man alles nicht mehr tun wollte, klingt wie eine gute Idee. Bestandsaufnahme und Vorsatzsammlung in einem. Dummerweise ist es gar nicht so leicht, sich zu ändern. Katastrophen scheren sich nicht um gute Vorsätze. Da helfen nur noch entschlossenes Krisenmanagement und der feste Glauben daran, dass irgendwann alles besser wird. Wird es doch, oder?

 

Die verzweifelte Stimme meines moralischen Gewissens hofft inständig, dass Merrill Markoe „Mein Geburtstag und andere Katastrophen“ ironisch meinte. Das Buch enthält so viele sexistische Klischees, dass ich unbedingt an eine absichtliche Überspitzung glauben muss. Ich möchte nicht in Betracht ziehen, dass diese Parade platter Vorurteile über Frauen, Männer und Beziehungen ernst gemeint ist. Ich muss an eine spottende Kritik glauben, an eine bewusste Überzeichnung. Andernfalls müsste ich mich nämlich dafür schämen, dass ich das Buch mochte. Ja, oh Wunder, ich fand es gut. Es ist natürlich kein literarisches Meisterwerk, doch unterhaltsam, amüsant und kurzweilig. Halb handelt es sich um einen Briefroman, halb um einen Tagebuchroman, denn die Protagonistin schreibt sich selbst einmal im Jahr an ihrem Geburtstag einen Brief, in dem sie das vergangene Jahr zusammenfasst und Verhaltensvorsätze für das nächste Jahr aufstellt. Ihr Name bleibt unbekannt, weil sie keine Anrede verwendet und dank der strikten Ich-Perspektive ihrer Briefe keine Notwendigkeit besteht, ihn zu nennen. Über sechs Jahre, von ihrem 36. bis zu ihrem 42. Geburtstag, durfte ich sie durch die Irrungen und Wirrungen ihres Lebens begleiten. Mir gefiel diese Struktur sehr gut; das Buch las sich flott und angenehm, weil ich nicht gezwungen war, jedes Jahr im Detail zu erleben, sondern bloß eine knappe Rekapitulation ihrer Highlights geboten bekam. Leider sind diese Highlights meist negativ, was mich animierte, über mich selbst nachzudenken. Der Frau passiert selten etwas Gutes. Hauptsächlich berichtet sie von ihrer katastrophalen Beziehung zu ihren Eltern und ihren unglücklichen Männergeschichten. Hin und wieder spielen ihre Freundinnen eine Rolle, die ihr mit wohlgesinnten, aber häufig umnachteten Ratschlägen zur Seite stehen, wodurch klar wird, dass sie ebenso blauäugig und einsam sind wie sie selbst. Vereinzelt erwähnt sie ihren Job als Kunstlehrerin an einer High-School, mit dem sie zufrieden ist, über den sie sich allerdings kaum zu definieren scheint. Ich konnte mich überhaupt nicht mit ihr identifizieren. Wir haben nichts gemeinsam. Sie verkörpert jedes Vorurteil, das jemals über Frauen jenseits der 30 formuliert wurde: sie hadert mit ihrem Aussehen, kann sich nicht gegen ihre Eltern durchsetzen, überanalysiert männliches Benehmen, hört eher auf ihre Freundinnen als auf ihre Intuition, manövriert sich wiederholt in ungesunde Liebschaften und hält an einer unrealistischen Erwartungshaltung an sich selbst und ihren Lebensentwurf fest. Obwohl sie weiß, was sie falsch macht, ist sie unfähig, ihre eigenen destruktiven Verhaltensmuster zu durchbrechen und sich aus ihren dysfunktionalen Beziehungen zu befreien. Sie tat mir leid und ihre Konzentration auf die negativen Aspekte ihres Lebens erschien mir tragisch. Dennoch fand ich „Mein Geburtstag und andere Katastrophen“ lustig. Was sagt es über mich aus, dass mich das klägliche Leben einer bedauernswerten Ü30 Single-Frau erheiterte? Der betont witzige Erzählstil hatte natürlich seinen Anteil daran – die Leser_innen sollen lachen. Eine gewisse Schadenfreude spielte zugegeben sicher auch mit rein. Aber ich glaube, der Hauptgrund ist der parodierende, karikierende Tenor des Buches. Ich konnte die Schilderungen der Protagonistin nicht ernstnehmen. Niemand ist so offensichtlich ein wandelndes Klischee. Mit dieser Überzeugung kann ich mein Gewissen beruhigen und deshalb fühle ich mich nicht schlecht, weil ich „Mein Geburtstag und andere Katastrophen“ mochte.

 

Offenbar muss ich in meinem Bücherhirn eine neue Kategorie gründen: akzeptable Chic-Lit. „Mein Geburtstag und andere Katastrophen“ lehrte mich, dass ich in diesem Genre durchaus fündig werden kann, obwohl ich vermutlich nicht beginnen werde, gezielt nach entsprechender Literatur zu suchen. Als erfrischende, unkomplizierte Lektüre für Zwischendurch, die mir nichts abverlangte, war Merrill Markoes Brief-Tagebuchroman definitiv passend und amüsierte mich mühelos. Ich denke, der Unterschied zu Büchern wie „P.S. Ich liebe Dich“ besteht darin, dass Markoe völlig auf kitschiges Melodram verzichtete. Sie bringt ihre Leser_innen lieber zum Lachen als zum Weinen. Das kam mir eindeutig entgegen. Es zahlt sich eben aus, manchmal außerhalb meiner Komfortzone zu lesen. Wieder was über mich gelernt.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/12/11/merrill-markoe-mein-geburtstag-und-andere-katastrophen
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review 2015-12-11 10:22
Intelligent und voller Überraschungen
Nebelmacher - Bernhard Trecksel

Bernhard Trecksel ist ein neues Gesicht in der deutschen Fantasy. Laut den Angaben von Random House entdeckte er sein Talent zum Geschichtenerzählen durch all die Zeit, die er mit Fantasy-Rollenspielen verbrachte. Schade nur, dass seine Biografie diesbezüglich nicht genauer ist, denn ich wette, es würde so einige Leser_innen interessieren, über welche Art Rollenspiel wir hier sprechen. Ich tippe auf die Spielleitung bei Pen-&-Paper-Rollenspielen, schließlich sagt Trecksel über sich selbst, er sei ein absoluter Geek.
„Nebelmacher“ ist sein erster Roman, den ich über das Bloggerportal von Random House als Rezensionsexemplar erhalten habe.

 

Als kleiner Junge stellte Clach sein Leben in den Dienst der dunklen Göttin. Heute ist er ihr ergebenster Diener und tötet, wen immer man ihm aufträgt zu töten. Er ist der Totenkaiser, der Nebelmacher, der erfolgreichste Assassine aller Zeiten, der nicht nur die Körper, sondern auch die Seelen seiner Opfer auslöscht. In letzter Zeit glaubt Clach jedoch, ein Muster hinter seinen Aufträgen zu erkennen. Seine Ziele werden strategisch und systematisch ausgewählt, verbinden sich zu einem größeren Gesamtbild. Clach beginnt zu hinterfragen und stößt auf eine ungeheuerliche Verschwörung, der er unwissend in die Hände spielte. Es kümmert ihn nicht, dass er auf seiner Suche nach Antworten selbst zum Gejagten wird, verfolgt von einem alten Bekannten und einem neuen Feind.
Im Nebel läuft man leicht Gefahr, die Orientierung zu verlieren. Wird Clach einen Weg aus dem Morast voller Geheimnissen und Intrigen finden, ohne sich in ihm zu verirren?

 

„Nebelmacher“ ist definitiv der erste Band eines Mehrteilers, obwohl noch nichts über eine Fortsetzung bekannt ist. Damit habe ich vor dem Lesen nicht gerechnet, kann es aber nach der Lektüre voll und ganz nachvollziehen. Bernhard Trecksels Geschichte ist sehr fein verästelt und vereint zahlreiche Akteure und Komponenten. Es wundert mich nicht, dass er diese nicht innerhalb von 500 Seiten zu einem Abschluss bringen konnte oder wollte. Viele Fragen bleiben offen und ungeklärt, weit mehr, als ich erwartet hätte. Tatsächlich habe ich die meisten Antworten gar nicht aus der Geschichte selbst erhalten, sondern aus kurzen Abschnitten vor den Kapiteln, in die Trecksel wichtige Hintergrundinformationen verpackte und ohne die die Handlung nur sehr schwer zu verstehen ist. Selbst mit diesen Infos fand ich es kniffelig, in das Geschehen hineinzufinden. „Nebelmacher“ ist kein Buch, das sich einfach so weg liest, es ist fordernd. Auch an Trecksels Schreibstil musste ich mich erst gewöhnen, weil dieser äußerst kunstvoll ist. Die sprachlichen Blüten des Buches sind ein starker Gegensatz zu einigen sehr gewalttätigen Szenen. Ich kann mich immer noch nicht entscheiden, ob ich diesen Kontrast mochte oder nicht. Einerseits gefiel mir die Diskrepanz zwischen Erzähltem und Erzählweise, doch andererseits irritierte mich die ungeheure Wucht dieser Szenen, weil ich nicht verstanden habe, wieso Trecksel diese exzessive Gewalt für nötig hielt. Vielleicht glaube er, seine Geschichte geriete ohne all das Blut zu trocken und verstandesbasiert – sollte das so sein, muss ich ihm vehement widersprechen. Mich beeindruckte die intelligente Konstruktion seiner Welt, vor allem das umfangreiche religiöse System, das sehr greifbar mit der Realität der Figuren verbunden ist. Allerdings ist mir noch nicht ganz klar, wie Clachs Assassinen-Orden da hineinpasst, denn anscheinend verfolgen sie mit der Verehrung der dunklen Göttin einen Glaubensweg, der abseits der Norm liegt. Insgesamt hätte ich gern mehr über die Assassinen erfahren, die Trecksel als sehr mächtig und einflussreich beschreibt. Ich bin jedoch optimistisch, dass ich in den Folgebänden weiterführende Einblicke erhalten werde.
Clach selbst ist nur einer der vier Charaktere, die in der Geschichte eine tragende Rolle spielen und deren Perspektive die Leser_innen einnehmen. Ich fand die Mischung der Figuren unheimlich interessant. Ich denke, zumindest in diesem Punkt hat sich Trecksel eindeutig von seinen Erfahrungen beim Rollenspiel inspirieren lassen, weil sie alle sehr unterschiedlich sind. Erstaunlicherweise ließ er sie jedoch nicht an einem Strang ziehen, wie es sonst in Fantasy-Romanen üblich ist. Sie bilden nicht die altbekannte Heldengruppe, die sich auf eine Quest begibt, sondern stehen einzeln für individuelle Ziele. Daher ordne ich „Nebelmacher“ eher der Low Fantasy als der High Fantasy zu.

 

Ich empfand „Nebelmacher“ als ein intelligentes Buch voller Überraschungen. Das Lesen war anders, als ich erwartet hatte, was aber auch daran lag, dass der Klappentext irreführend ist. Es gab keinerlei Hinweise darauf, dass Clachs Aufträge nicht von der Göttin sanktioniert gewesen wären. Dieses… nun ja, sagen wir mal Missverständnis verzeihe ich allerdings gern, denn nach dem Schreiben der Inhaltsangabe kann ich nachvollziehen, dass es nicht ganz einfach ist, die Handlung des Buches sinnvoll zusammenzufassen. Ich freue mich darauf, Bernhard Trecksels Schaffen weiterzuverfolgen. Ich wünsche ihm, dass er in Zukunft etwas Vertrauen in seine Erzählkunst entwickelt und nicht mehr auf allzu brutale Szenen zurückgreifen muss. Seine Geschichte ist auch ohne blutige Sturzbäche faszinierend.
„Nebelmacher“ ist kein Einstiegsbuch in die Fantasy. Es ist eine Lektüre für Fans des Genres, die bereits Erfahrung mit struktureller Komplexität haben, sich mutig einem komplizierten, religiösen Konflikt stellen möchten und Freude an einem kunstvollen Schreibstil haben. Trifft diese Beschreibung auf euch zu, könnt ihr euch gemeinsam mit Clach, Morven, Ormgair und Greskegard auf eine Reise durch eine Welt voller Nebel begeben – wenn ihr euch traut.

 

Vielen Dank an das Bloggerportal von Random House für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars!

 

Anmerkung: Nach dem Schreiben der Rezension habe ich herausgefunden, dass eine Fortsetzung bereits geplant ist. Diese wird voraussichtlich „Nebelgänger“ heißen und am 19. September 2016 bei blanvalet erscheinen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/12/11/bernhard-trecksel-nebelmacher
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