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review 2019-07-17 10:14
Druidische Dreieinigkeit
Shattered - Kevin Hearne

Angehenden Schriftsteller_innen wird oft geraten, das Buch zu schreiben, das sie selbst lesen möchten. Kevin Hearne, Autor der „Iron Druid Chronicles“, nahm sich diesen Ratschlag zu Herzen. Er begann die Reihe um den Eisernen Druiden Atticus, weil er Urban Fantasy – Romane lesen wollte, die sich mit dem irischen Göttergeschlecht der Túatha Dé Danann beschäftigen und keine fand. In dieser Marktlücke sah er seine Chance, denn das Pantheon ist bezüglich seiner Rollenverteilung im europäischen Raum einzigartig: es verzichtet auf patriarchalische Strukturen. Hinsichtlich Einigkeit und Harmonie unterscheiden sich die irischen Götter und Göttinnen hingegen nicht von anderen Pantheons: sie zanken sich mit Inbrunst, was Atticus im siebten Band „Shattered“ schmerzhaft am eigenen Leib erfährt.

 

Er hätte es wissen müssen. Ein Geschenk der Morrigan, ha! Als Atticus O’Sullivan erkennt, wen die Göttin auf einer Zeitinsel konservierte, entgleisen ihm alle Gesichtszüge. Es handelt sich um seinen alten Lehrmeister. Owen Kennedy war bereits vor 2.000 Jahren ein griesgrämiger Stinkstiefel – Atticus hat so eine Ahnung, dass ihm die Anpassung an die Moderne gar nicht schmecken wird. Während er Owen die Vorzüge von Toiletten, Handys und der englischen Sprache beizubringen und gleichzeitig die Verschwörung in Tír na nÓg aufzudecken versucht, stellt sich Granuaile in Indien einem sensiblen Kapitel ihrer Vergangenheit. Ihr Vater ist vom Geist eines bösen Hexers besessen und läuft Amok. Mithilfe von Laksha muss sie einen Exorzismus an einem Mann durchführen, den sie eigentlich nur aus Briefen und Postkarten kennt. Zu spät begreift sie, dass sie in eine Falle tappt. Ragnarök rückt unaufhaltsam näher und Loki ist nicht dafür bekannt, fair zu kämpfen…

 

Uiuiui, was ist denn in Kevin Hearne gefahren? Da mausert sich jemand langsam, aber sicher zu einem richtig guten Schriftsteller! Ich bin entzückt! Es freut mich sehr, sein Wachstum als Autor zu beobachten. Urban Fantasy eignet sich nicht unbedingt dazu, mit schriftstellerischer Finesse zu glänzen, weil sie als reine Unterhaltungsliteratur oft einfach nicht den Rahmen für tiefgründige Betrachtungen liefert, doch mit „Shattered“ gelang es Hearne, ein neues Niveau zu erreichen. Der siebte Band der „Iron Druid Chronicles“ fühlte sich für mich geerdet und ausgeglichen an, obwohl die Handlung erneut actionreich ist und Hearne nun sogar mit drei Perspektiven jongliert, die in parallel verlaufende Erzählstränge münden. Neben Atticus und Granuaile erhält Owen, Atticus‘ alter Mentor, die Gelegenheit, seine Sichtweise zu ergänzen, was ich sagenhaft spannend fand. Nicht nur bietet er Einblicke in Atticus‘ Vergangenheit sowie seine Ausbildung, er vermittelt darüber hinaus eine einzigartige, faszinierende Einschätzung der modernen Gesellschaft. Ich dachte viel darüber nach, ob er die Jahrtausende jemals überbrücken und sich anpassen kann. Sollte er diese Herausforderung meistern, dann nur dank seines gradlinigen Dickkopfs und seiner Bereitschaft zur Selbstkritik. Die Dreiteilung gefiel mir somit sehr gut, weil sie die Geschichte um eine Facette erweitert, die ich nicht erwartet habe. Die Drei ist im druidischen Glauben eine magische Zahl, deren Macht sich ebenfalls aus der Einheit der Figuren ablesen lässt. Sie bieten sehr unterschiedliche Blickwinkel, die die verschiedenen Phasen im druidischen Leben symbolisieren. Während Owen Erfahrung und Weisheit des fortgeschrittenen Alters personifiziert, erleben wir Atticus in der Blüte seiner Jahre und Granuaile als junge Druidin, die einsieht, dass ihr Dienst für Gaia trotz allen Vorteilen immense Opfer fordert. Sie bilden eine Dreieinigkeit. Meinem Empfinden nach lassen erst Owen und Granuaile die Geschichte harmonisch schwingen. Atticus brauchte Gegengewichte. Ihre distinktiven, individuellen Stimmen bereichern „Shattered“ und ermöglichen es Kevin Hearne, sich auf der weiten Spielwiese seiner alternativen Realität voll auszutoben. Ich liebe es, dass er die gesamte magisch verbundene Welt als Bühne nutzt, in jedem Band mehr oder weniger exotische Länder und Kulturen besucht und ich dadurch immer etwas Neues über Religionen lerne. Dieses Mal traf ich indische und japanische Göttinnen, trank mit Jesus in Montana Tequila und lernte Yetis im Himalaya kennen. Cool, oder was? Hearne betont außerdem noch einmal den menschlichen Glauben als zentrale Kraft seines mythologischen Systems, wodurch sich einige vergangene Ereignisse relativieren. Göttliche können physisch sterben, solange auf Erden jemand an sie glaubt, bleiben sie metaphysisch jedoch quicklebendig und können sich nach Belieben manifestieren. In Zusammenhang mit Ragnarök verspricht das interessant zu werden, denn die Menschen wissen nichts von der drohenden Apokalypse und werden nicht plötzlich aufhören, an göttliche Entitäten zu glauben. Da fragt man sich doch, wie viel Erfolg Loki überhaupt haben kann.

 

Für mich war „Shattered“ emotional wieder ebenso einnehmend wie die ersten Bände der „Iron Druid Chronicles“. Die Handlung ist aufregend, erschien mir allerdings deutlich kontrollierter und weniger chaotisch. Ich glaube, dass Kevin Hearne sich langsam auf das Finale der Reihe vorbereitet und deswegen einige offene Baustellen abarbeitet, zum Beispiel die Verschwörung in Tír na nÓg, die sich im siebten Band endlich aufklärt. Vielleicht wurde ihm klar, dass er die Konflikte der Geschichte eingrenzen muss, um sie befriedigend abschließen zu können und entschied aus demselben Grund, Atticus außer Granuaile auch Owen zur Seite zu stellen. Die beiden stützen und festigen ihn. Ich hatte den Eindruck, dass sie ihn nach zahllosen schlechten Entscheidungen wieder auf den rechten Weg führen. Zu dritt haben sie meiner Meinung nach eine echte Chance, Loki die Stirn zu bieten und Ragnarök aufzuhalten. Offenbar ist die Rettung der Welt eine Aufgabe, für die es mehr als einen Helden braucht. Es braucht ein Trio.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/07/17/kevin-hearne-shattered
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review 2019-03-06 09:09
Lauf, Atticus, lauf!
Hunted - Kevin Hearne

„Hunted“ ist in der Benennung der Reihe „The Iron Druid Chronicles“ von Kevin Hearne ein kleiner Hickser. Die Titel der ersten drei Bände enthalten alle den Anfangsbuchstaben „H“ („Hounded“, „Hexed“ und „Hammered“), Band vier und fünf das „T“ („Tricked“ und „Trapped“) und die letzten drei Bände das „S“ („Shattered“, Staked und „Scourged“). Der Symmetrie zuliebe hätte der sechste Band eigentlich ebenfalls einen Titel mit einem „T“ tragen müssen. Tatsächlich sollte er ursprünglich „Tracked“ heißen. Letztendlich entschieden Hearne und sein Verlag jedoch, dass „Hunted“ die inhaltlichen Entwicklungen besser widerspiegelte, da „to track“ eben nicht nur „jemanden verfolgen“ bedeutet, sondern auch „jemanden beobachten/überwachen“. Ein nachvollziehbarer Einwand, denn was in „Hunted“ passiert, ist definitiv keine Überwachung. Es ist eine Jagd.

 

Atticus, Granuaile und Oberon sind auf der Flucht. Atticus‘ Entscheidung, den Gott Bacchus aus dem Verkehr zu ziehen, kam im griechisch-römischen Pantheon nicht gut an. Jetzt sind ihnen gleich zwei Jagdgöttinnen auf den Fersen: Artemis und Diana. Atticus würde gerne einfach in Tír na nÓg Däumchen drehen, bis sie sich beruhigt haben, aber das ist nicht möglich. Die Portale zur irischen Ebene wurden blockiert. Stinkt nach einer Verschwörung. Ohne die Hilfe der Morrigan, die ihnen einen Vorsprung verschaffte, wären sie niemals entkommen. Sie riet ihm, sich quer über Europa bis zum englischen Windsor Forest durchzuschlagen, das Hoheitsgebiet von Herne dem Jäger. Es ist ihr letztes Geschenk an ihn. Atticus, Granuaile und Oberon nehmen die Beine in die Hand. Doch die wilde Jagd ist nicht ihr einziges Problem. Ragnarök rückt näher. Atticus muss all seine grauen Zellen anstrengen, will er die Griechen und Römer austricksen, bevor Loki das Universum in Brand steckt. Irgendwelche Vorschläge?

 

Verrückt. Obwohl ich nach der Lektüre des letzten Bandes „Trapped“ bemängelte, dass mich Atticus‘ ständiger Krisentango nervt und ich mir lautstark Abwechslung wünschte, gefiel mir „Hunted“ erstaunlich gut. Trotz des Jagdmotivs. Oder gerade deswegen. Die aufregende Flucht vor den griechisch-römischen Göttinnen der Jagd ist die eine große Baustelle des sechsten Bandes der „Iron Druid Chronicles“. Natürlich ist die drohende Apokalypse in Form von Ragnarök weiterhin präsent – Loki und Hel lassen sich schwer ignorieren – und Atticus vermutet, dass ihm irgendjemand in Tír na nÓg bösgewillt ist, weil niemand unbemerkt die Portale dorthin schließen kann, aber hauptsächlich läuft er um sein Leben. Dadurch wirkte „Hunted“ wesentlich fokussierter als „Trapped“, denn Atticus hat schlicht keine Zeit, die vielen kleineren Brände zu löschen, die er sich im Verlauf der Reihe einbrockte. Artemis und Diana sind furchteinflößende Gegnerinnen, die seine gesamte Aufmerksamkeit und all seine geistige Beweglichkeit einfordern. Im Grunde sind sie unsterblich. Sie sind zwar verwundbar und können vorübergehend besiegt werden, doch kaum ist man sie los, erstehen sie der Mythologie entsprechend schon wieder auf. Ich fühlte mich während der Lektüre oft hoffnungslos und zweifelte mehrfach daran, dass Atticus, Granuaile und Oberon sie überlisten können. Mir unterlief der Fehler, Atticus‘ Intelligenz zu unterschätzen. Durch seine witzigen Sprüche und seine lässige Persönlichkeit vergaß ich, wie clever er ist. Er ist ein Fuchs. Ich wäre niemals darauf gekommen, dass hinter seinem Zwist mit dem griechisch-römischen Pantheon eine größere Verschwörung stecken könnte und war verblüfft, was er sich alles einfallen lässt, um Artemis und Diana kaltzustellen. Er konnte einige der Sympathiepunkte, die er im letzten Band einbüßte, wieder wettmachen. Ein entscheidender Faktor dafür war eine gesteigerte emotionale Verbindlichkeit, die ich als echten Fortschritt empfand. In den letzten Bänden fehlte mir Atticus‘ Bewusstsein für den Schaden, den er (unabsichtlich) anrichtete. In „Hunted“ hatte ich das Gefühl, dass er sich den Konsequenzen seines Handelns erstmals stellt. Das betraf nicht nur Ragnarök, sondern auch seine Beziehung zur Morrigan. Ihr Opfer erschüttert ihn. Natürlich erhält er auf seiner Flucht durch Europa kaum Gelegenheit, sich mit seinen Gefühlen für sie auseinander zu setzen, aber Kevin Hearne vermittelt einen klaren Eindruck dessen, was er empfindet. Das gefiel mir, ebenso wie die überraschenden Kapitel aus Granuailes Ich-Perspektive, die mein positives Bild von ihr bestätigten. Hearne gelang der Stimmenunterschied zwischen ihr und Atticus, er sollte ihn allerdings noch verfeinern. Die ehrlichen Einblicke in das Innenleben der beiden entschädigten mich beinahe für die mittelmäßige Umsetzung der Europareise. Schon klar, die drei müssen rennen, Sightseeing ist nicht drin. Dennoch fand ich die geringe Interaktion mit dem Setting, diese wenig aussagekräftige Abfolge distinktiver Landschaften, schwach. Eine spannende Verfolgungsjagd vor einer leider zu blassen Kulisse.

 

Es wird ernst in den „Iron Druid Chronicles“. Ich sehe in „Hunted“ den etwas verspäteten Beginn der neuen Handlungslinie, die mir für „Trapped“ versprochen wurde. Die Situation gewann für Atticus, Granuaile und Oberon an Dringlichkeit, die Phase des Versteckens und Herumalberns ist vorbei. Ich spürte jetzt den Zeitsprung von 12 Jahren, der sich bereits im Vorgänger hätte bemerkbar machen müssen. Die Flucht vor den Jagdgöttinnen weckt Atticus unsanft auf. Er kriegt endlich seinen Hintern hoch, bereitet sich auf Ragnarök vor und schließt zum Wohle des Universums ungewöhnliche Allianzen. Zeit wurde es. Ich verzeihe Kevin Hearne die Verzögerung, einerseits aus Sympathie, andererseits aus dem festen Glauben heraus, dass er Atticus nun auf den rechten Weg führt und ihn mal was richtig machen lässt. Zu lange betrieb er lediglich Schadensbegrenzung. Er muss ein echter Held werden. Leicht wird das nicht. Aber wann war die Rettung des Universums jemals leicht?

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/03/06/kevin-hearne-hunted
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