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review 2019-06-04 09:46
Das wahre Abenteuer ist Vasjas Wachstum
The Winter of the Witch - Katherine Arden

Nach dem College lebte die Autorin Katherine Arden drei Jahre in Vermont und zwei Jahre in Moskau. Kein Wunder, dass sie irgendwann genug von kalten Temperaturen hatte. Sie zog nach Hawaii, arbeitete auf einer Farm und wohnte in einem Zelt am Strand. Eine Farm weiter lebte ein 5-jähriges Mädchen. Sie hieß Vasilisa und war der letzte Funken Inspiration, der Arden fehlte, um endlich das Buch zu schreiben, das ihr im Kopf herumspukte. Dort, unter Palmen, entwickelte sie die Idee für die „Winternight Trilogy“ – die Ironie blieb ihr sicher nicht verborgen. Die ersten beiden Bände „The Bear and the Nightingale“ und „The Girl in the Tower” erschienen 2017 recht kurz nacheinander. Auf das Finale „The Winter of the Witch“ mussten Leser_innen, mich eingeschlossen, länger warten. Es erschien im Januar 2019.

 

Der Bär ist frei. Alle Mühen, die Vasja auf sich nahm, um seinen Einfluss auf die Sterblichen zu schwächen, sind vergebens, solange seine Einflüsterungen die Herzen der Menschen verführen. Er muss wieder angekettet werden, bevor er seine finsteren Pläne in die Tat umsetzen kann. Allein wird es Vasja nicht gelingen. Erneut braucht sie die Hilfe des Winterkönigs. Leider zahlte Morozko einen hohen Preis dafür, dass er Vasjas Leben rettete – erst in dem Flammenmeer, das Moskau zu verschlingen drohte, dann vor dem wütenden Mob, der sie als Hexe brennen sehen wollte. Er wurde im süßen Vergessen seiner Vergangenheit eingesperrt. Vasja muss ihn erwecken. Ihre Magie öffnet ihr die Pforte zu einem Ort, an dem weder Zeit noch Raum existieren. In Mitternacht lüftet sie das Geheimnis ihrer Wurzeln und findet unerwartete Verbündete. Doch ihr größter Kampf steht ihr noch bevor. Das Schicksal ihres Volkes ruht auf ihren Schultern. Wird sie sich dieser Bürde als würdig erweisen?

 

Ich lernte Vasilisa Petrovna am Tag ihrer Geburt kennen. Ich sah sie aufwachsen; von einem frechen, ungestümen Mädchen zu einer leidenschaftlichen, mutigen jungen Frau reifen. In „The Winter of the Witch“ überschreitet diese junge Frau die Schwelle zum Erwachsensein. Diese persönliche Entwicklung der Protagonistin ist meiner Ansicht nach das wahre Abenteuer der „Winternight Trilogy“. All die Magie, all die Prüfungen, die Vasja meistern musste, dienten als Meilensteine, die sie auf die Ereignisse des finalen Bandes der Trilogie vorbereiteten und sie letztendlich dazu befähigen, sich selbst zu akzeptieren und ihrer Rolle als Heldin gerecht zu werden. Deshalb empfinde ich „The Winter of the Witch“ als würdigen Abschluss ihrer Geschichte. Es ist ein düsteres Finale, das Vasja ihrer kindlichen Unschuld beraubt, sie allerdings auch lehrt, das Wesen der Welt anzunehmen und zu verstehen, dass Dualität eine simplifizierende Illusion ist. Die Realität besteht aus Grautönen und Ambivalenz lebt in uns allen. Gut und Böse bedingen einander. Diese Wechselwirkung verkörpern der Bär und der Winterkönig. Einzeln erscheinen sie wie gegensätzliche Pole – doch zusammen ergänzen sie sich. Sie sind eins, die zwei Gesichter der Menschheit: Chaos und Zerstörung, Güte und Liebe. Darum erzeugen beide Märchengestalten eine Resonanz in Vasja. Um ihre Identität zu entwickeln und ihr Volk zu schützen, muss sie beide Facetten als Teil ihrer selbst umarmen. Erkennt ihr, wie viel philosophische Tiefe folglich in „The Winter of the Witch“ verborgen ist? Der Trilogieabschluss qualifiziert sich erneut zweifellos als Märchen. Katherine Arden überzeugte mich mit der bezaubernden, träumerischen Atmosphäre des Buches, die sich vor allem in Mitternacht entfaltet. Mitternacht ist das atemberaubende Reich der Lady Mitternacht, ein magisches, beängstigendes Land, in dem Morozko in einer Blase der Vergangenheit gefangen ist. Vasja muss ihn finden und seine Erinnerungen entzünden. Es überraschte mich, dass sie während dieser Mission beiläufig das Geheimnis ihrer Herkunft lüftet. Ich hatte angenommen, dass dies der Kern des dritten Bandes sein würde. Ich kämpfte etwas mit der daraus resultierenden enttäuschten Erwartungshaltung, bin mittlerweile jedoch der Meinung, dass ihre Wurzeln absichtlich eine kleine Rolle spielen. Vasja ist wie sie ist aufgrund ihrer Erfahrungen, nicht aufgrund ihrer Vorfahren. Ardens Entscheidung, ihre Wurzeln lediglich als Nebenhandlungslinie zu thematisieren, unterstützt den Fokus auf ihre Entwicklung. So sehr mich Vasjas Wachstum begeistert, ich muss gestehen, dass der inhaltliche Verlauf von „The Winter of the Witch“ nicht mehr dieselbe mühelose Eleganz aufweist wie die Vorgängerbände. Ich fand es unruhig getaktet; es ist ein ständiges Hin und Her, in dem die Protagonistin von A nach B und wieder zurück reist. Dennoch mochte ich den Höhepunkt, die finale Schlacht, die ein wundervolles Symbol für das zukünftig vereinte Russland darstellt – in spiritueller wie in physischer Hinsicht.

 

Direkt nach der Lektüre von „The Winter of the Witch“ stellte ich widerstrebend fest, dass ich nicht denselben Zauber empfunden hatte. Ich schämte mich fast ein bisschen. Ich vermutete erst, es läge daran, dass ich Katherine Ardens Setting bereits kannte und wenig Raum für Überraschungen übriggeblieben war. Nun habe ich das Buch fröhlich seziert und entwickelte eine andere Theorie. Ich glaube, das Finale der „Winternight Trilogy“ konnte gar nicht denselben Zauber erzeugen. In diesem Buch geht es um das endgültige Erwachsenwerden der Protagonistin. Erwachsen zu sein bedeutet, kindliche Fantasien hinter sich zu lassen und die Welt so zu sehen, wie sie ist, sich Verpflichtungen zu stellen und das Richtige zu tun. Zauber hat da keinen Platz. Ich denke, das ist es, was Katherine Arden illustrieren wollte: die Verluste und Gewinne des Heranwachsens. Daher habe ich meine Bewertung von „The Winter of the Witch“ nachträglich hochgestuft. Arden mag mich nicht mehr im gleichen Maße bezaubert haben, doch dafür zeigte sie mir ihr ganzes Talent als Autorin. Sie schenkte mir ein fabelhaftes, reifes Buch voller Weisheit.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/06/04/katherine-arden-the-winter-of-the-witch
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review 2018-10-14 07:17
Tierische Zaungäste bei Vertreibung und Folter
Regen in Moskau - Zsuzsa Selyem

Dieser außergewöhnliche, recht gute und sehr kurze Roman von Zsuzsa Selyem handelt von der Vertreibung und Folter der ungarisch-stämmigen, ehemals wohlhabenden rumänischen Familie Beczásy vom zweiten Weltkrieg bis zum Jahr 1989. Leider hat die Geschichte für mich persönlich nicht ganz so gut funktioniert, da ich aus mangelnden historischen Kenntnissen des Landes und der Lage die vielen indirekten und vagen Andeutungen nicht alle verstehen konnte. Ein Kenner dieser geschichtlichen Hintergründe würde aber sicher begeistert sein. Fast könnte man meinen, die Zensur säße der Autorin noch immer im Nacken, so verklausuliert werden die historischen Ereignisse kommentiert und im Roman angesprochen.

 

Selbstverständlich habe ich mich redlich bemüht, meine Wissenslücken über Google und Wikipedia aufzufüllen, dennoch wurde ich bei vielen dieser indirekten Verweise und Allegorien einfach nicht fündig. So wird beispielsweise auch die Geschichte und die Gerüchte über Ana Pauker, die angeblich ihren Ehemann auf dem Gewissen hat, im Web auch nicht näher erläutert, obwohl natürlich Hinweise existieren. Wie literarisch verklausuliert die historischen Ereignisse im Roman beschrieben werden, zeigt folgendes Beispiel von Tschernobyl, das zumindest jeder in meiner Generation im deutschsprachigen Kulturkreis aus dem Gedächtnis ohne zu Hilfenahme von Lexika identifizieren kann.

Noch ein bisschen Knattern, Melodie, satter Sprecher, dass sowjetisches Atomkraftwerk fertig ist, soi-disant eine Errungenschaft, das sagt der sozialistische Sprecher. Erbärmlich jeden Errungenschaft, für ein paar Jahre Natur besiegt, dann hat sie alles zurückgenommen, dabei sterben Kinder von Strahlung, schicken sie heldenhafte Liquidatoren hin, auch sie sterben von Strahlung …
(Die Orthografiefehler sind der Rolle der Figur geschuldet und passen in diesem Fall punktgenau.)

 

Jetzt stellt Euch mal die Situation vor, die historischen Ereignisse und deren Ablauf überhaupt nicht genau zu kennen, und keine Erläuterungen oder klare Anhaltspunkte zu bekommen, welches Ereignis denn gemeint ist, dann wisst Ihr, wie ich mich oft gefühlt habe. Als wäre ich in einer Community, in der alle dieselben Bücher gelesen haben, von denen ich keinen blassen Schimmer habe. Alle reden in Andeutungen und ich verstehe meist nur Bahnhof. Fast ist es, wie einen Nostradamus-Text zu interpretieren, man könnte auch etwas ganz anderes herauslesen. Im Klappentext – und nur dort – werden die politischen Fakten aber so glasklar angesprochen, dass man auch als deutschsprachiger Leser zumindest weiß, was gemeint ist. Ihr könnt Euch meine Überforderung mit diesem Werk nun ungefähr ein bisschen vorstellen, die aber nichts über die Güte des Textes aussagt.

 

Im Gegenteil, manchmal konnte ich diesen außergewöhnlichen Stil richtig genießen. Ein weiterer innovativer interessanter Ansatz der Autorin ist der Umstand, dass die Geschichte der Familie Beczásy von Schleiereulen, Amseln, Bäumen, Hunden, Katzen, Schmeißfliegen, Eichhörnchen … erzählt wird. In jedem Kapitel erzählt ein anderes anwesendes Tier bzw. Lebewesen die Geschichte der Familie, bringt somit die Familienchronik voran und analysiert so en passant auch die anwesenden Menschen ethnologisch inklusive der politischen Situation. Am ärgsten war die Szene mit den Bettwanzen, die die Folter von Beczásy durch die Securitate kommentieren, das ist nicht nur innovativ, sondern schafft auch zudem noch einen notwendigen Abstand zum Protagonisten, um das Grausame besser ertragen zu können. Die letzte Szene mit dem Eichhörnchenzirkus ist eine der abgedrehtesten Allegorien, die ich jemals gelesen habe und soll möglicherweise – aber vielleicht missinterpretiere ich ja auch – den Tod des Diktators Nicolae Ceaușescu darstellen.

 

Fazit: Ein guter innovativer Roman, der für mich auf Grund meiner dürftigen Kenntnisse der historisch-politischen Fakten einfach ein bisschen zu wenig funktioniert hat. Ich bin mir sicher, Kenner des Landes und der Geschichte werden restlos begeistert sein. z.B. Peter Nádas, der den Roman sehr lobt und die persönlichen Visionen der Autorin als „unsere fürchterliche gemeinsame Geschichte“ bezeichnet. Trotzdem war der Roman auch für mich nicht unspannend und herausfordernd. Ich bin froh, dass ich auch manchmal ein Werk aus einem kleinen Verlag rezipieren darf, das völlig abseits des literarischen Mainstream agiert.

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review 2017-12-21 13:50
Scharade in Moskau
The Girl in the Tower - Katherine Arden

Von Trauer überwältigt flieht Vasja vom Hof ihres Vaters. Sie möchte ihre Zukunft selbst bestimmen, sehnt sich nach Abenteuern. Begleitet von ihrem treuen Hengst Solovey streift sie durch die Wälder, sucht nach einem erfüllenden Leben. Um nicht aufzufallen, verkleidet sie sich verbotenerweise als Mann. Als Vasja drei entführte Mädchen aus den Händen räuberischer Tartaren befreit und mit ihnen in ein Kloster flüchtet, ahnt sie nicht, dass ihrer Verkleidung eine harte Probe bevorsteht. Denn im Kloster trifft sie auf ihren älteren Bruder Sasha, der an der Seite des Großfürsten von Moskau nach eben jener Räuberbande fahndet, der Vasja die Mädchen entriss. Der Großfürst ist vom Mut des furchtlosen jungen „Mannes“ begeistert. Unbekümmert lädt er Vasja nach Moskau ein und bringt sie damit in eine gefährliche Zwickmühle: sie kann sich nicht als Frau offenbaren, die Einladung aber keinesfalls ablehnen. Wird ihre Täuschung enttarnt, riskiert sie nicht nur ihr Leben, sondern auch Sashas. In Moskau angekommen, verschlägt es Vasja schier die Sprache. Doch schon bald erkennt sie, dass sich hinter der prunkvollen Fassade eine Schlangengrube politischer Intrigen verbirgt. Und die größte Bedrohung ist übernatürlichen Ursprungs…

 

„The Bear and the Nightingale” hätte wunderbar als Einzelband funktioniert. Das Ende bietet genau die richtige Mischung aus offen und geschlossen, sodass Katherine Arden frei entscheiden konnte, ob sie die Geschichte weiterführt oder es den Leser_innen überlässt, zu spekulieren, was als nächstes geschieht. Ich glaube, was sie letztendlich dazu bewog, den Nachfolger „The Girl in the Tower“ zu schreiben und eine Trilogie zu forcieren, war ihre eigene Neugier. Sie wollte wissen, wie es mit ihrer Protagonistin Vasja weitergeht. Sie wollte die Limitationen ihres Universums erforschen, das einzigartig lebendig mit der slawischen Folklore verbunden ist. Im ersten Band konnte sie viele Sagengestalten nicht involvieren, weil der inhaltliche Rahmen dies nicht zuließ – ohne Fortsetzung hätte sie ganz darauf verzichten müssen. Das erschien ihr offenbar inakzeptabel, was mich als Leserin natürlich sehr freut. „The Girl in the Tower“ taucht noch tiefer in die russische Mythologie ein. Neben den entzückenden Hausgeistern stellt Katherine Arden bedeutende Märchenfiguren vor, die sich erst aufgrund der Öffnung des Horizonts ihrer Geschichte homogen in diese einfügen, ohne sie zu dominieren. Vasjas Welt ist gewachsen. Sie verließ den väterlichen Hof, wagt sich in die Weite des Landes hinaus, das eines Tages „Russland“ heißen wird und begibt sich auf die Suche nach ihrer Identität. War „The Bear and the Nightingale“ eine 16 Jahre umspannende, beherrschte Schilderung von Vasjas Kindheit und Jugend, zieht das Tempo in „The Girl in the Tower“ nun deutlich an. Arden packt eine ordentliche Schippe Action drauf und erhöht den Spannungsbogen mit rasanten Verfolgungsjagden, Kämpfen, Intrigen und Vasjas riskanter Tarnung als Mann. Trotz dessen wirkt die Handlung niemals gehetzt oder überhastet, weil die Autorin die inhärenten Konflikte ihrer Geschichte weiterhin eingehend ergründet. Vasjas Konflikt mit den Normen der Gesellschaft tritt explizit in den Vordergrund. Sie widerspricht der damaligen Vorstellung einer demütigen, gottesfürchtigen und vor allem unsichtbaren Frau; ihre couragierten Taten werden nur akzeptiert, weil sie sich als Mann ausgibt. Ich habe mich über die Ungerechtigkeit dieses Rollenbilds fürchterlich geärgert, obwohl es selbstverständlich der Realität des 14. Jahrhunderts entspricht. Ich konnte mich mit Vasjas hilfloser Zerrissenheit voll identifizieren, fand allerdings auch die Perspektive ihrer Geschwister Sasha und Olga sehr interessant. Es fällt ihnen schwer, die kaum zu zügelnde Wildheit ihrer Schwester zu tolerieren. Sie bewundern Vasjas Talente widerwillig, zum Beispiel ihren beeindruckend realistisch dargestellten sensiblen Umgang mit Pferden, doch sie können nicht damit umgehen, dass Vasja alle Konventionen verweigert. Ich konnte ihre Empörung zum Teil verstehen, denn freilich bringt Vasjas sorglose Hitzköpfigkeit sie alle durch ihre Nähe zum Großfürsten in Gefahr. Leider hatte ich Schwierigkeiten, Moskau im 14. Jahrhundert zu visualisieren. Während Arden ihre Leser_innen erneut mit traumhaft atmosphärischen Beschreibungen der Wildnis verwöhnt, wollte sich bei mir einfach kein konstantes Bild der Stadt einstellen. Es flackerte. Nichtsdestotrotz habe ich durch die Lektüre abermals viel gelernt. Mir war nicht bewusst, dass es sich bei Großfürst Dmitrii Ivanovich um eine reale historische Persönlichkeit handelt und er der erste Regent war, der sich gegen die Herrschaft der Mongolen über Moskau auflehnte. Katherine Arden kombiniert diese explosive politische Situation mit einer übernatürlichen Bedrohung, wodurch „The Girl in the Tower“ reifer als der Vorgänger wirkt.

 

Ich kann das Finale der „Winternight Trilogy“ kaum erwarten. So viele ungeklärte Fragen warten darauf, beantwortet zu werden. Vasjas Wurzeln liegen noch immer im Dunkeln, ebenso wie die Rolle des Winterkönigs. Wieso erwählte er ausgerechnet Vasja? Ich vermute, dass sein Interesse an ihr mit dem Geheimnis ihrer Familie mütterlicherseits zusammenhängt. Laut Goodreads wird der dritte Band „The Winter of the Witch“ heißen und im August 2018 erscheinen. Ich werde mich gedulden müssen. Vielleicht nutze ich die Wartezeit, um meine Kenntnisse der russischen Geschichte aufzupolieren. Katherine Arden weckt in mir eine beharrliche Neugier hinsichtlich dieses weiten, mysteriösen Landes, das auf eine bewegte Vergangenheit zurückblickt. Ihre Faszination ist ansteckend. Ich habe Lust, Russland von einer ganz neuen Seite zu entdecken, in seiner magischen, leidenschaftlichen Mythologie zu versinken. Ich möchte das Russland kennenlernen, das Katherine Arden so liebevoll porträtiert: Vasjas Russland.

 

Vielen Dank an den Verlag Ebury Publishing und Netgalley für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars im Austausch für eine ehrliche Rezension!

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review 2017-03-12 11:07
Spannend und äußerst lehrreich
Agent 6 - Tom Rob Smith

Tom Rob Smith ist vermutlich der Begründer meiner Vorliebe für politische Thriller. Sein Debüt „Kind 44“ trat in mein Leben, als ich längst genug hatte von ewig gleichen Psychothrillern. Die Geschichte des Agenten Leo Demidow, der versucht, in einem System Serienmorde aufzuklären, in dem es offiziell keine Verbrechen gab, faszinierte mich ungemein, weil der Fall eine dominante politische Ebene hat. Ich lernte viel über die stalinistische Sowjetunion, über die ich bis dahin fast gar nichts wusste. Der Fortsetzung „Kolyma“ verdanke ich mein Wissen über Gulags. Ich kann nicht erklären, warum es Jahre brauchte, bis ich das Finale der Trilogie las. Es schien einfach nie der richtige Moment zu sein.

 

Moskau 1950: der amerikanische Sänger Jesse Austin ist als Freund des Kommunismus vom sowjetischen Regime in die Stadt eingeladen. Die Geheimpolizei hat alle Hände voll zu tun, die Makel eines fehlerhaften Systems zu verschleiern. Beinahe ruiniert der Agent Leo Demidow die gesamte Mission. Lediglich die schnelle Auffassungsgabe einer jungen Lehrerin rettet die riskante Situation. Der Besuch wird ein Erfolg.
15 Jahre später fliegen Leos Frau Raisa und ihre beiden Töchter in die USA. Die Reise ist eine propagandistische Sensation. Ein gemeinsames Konzert in New York soll die Welt von der Harmonie zwischen USA und UdSSR überzeugen. Während öffentlich Einigkeit zelebriert wird, entfaltet sich im Hintergrund eine gefährliche Intrige. In ihrem Mittelpunkt stehen Jesse Austin, das alternde Gesangstalent – und Leos Familie. Der Auftritt eskaliert zur Katastrophe. Leos Leben wird binnen eines Wimpernschlags zerstört. In tiefer Trauer schwört Leo, die Verantwortlichen zu finden. Es ist der Beginn einer jahrelangen Suche nach Rache, die ihn von Russland über Afghanistan bis nach New York führt, stets auf der Spur des Mannes, der ihm alles nahm, was ihm je etwas bedeutete: Agent 6.

 

Während meiner Recherchen für die Rezension zu „Agent 6“ stieß ich auf ein interessantes Interview des Süddeutsche Zeitung Magazins mit dem Autor Tom Rob Smith. Er offenbart darin eine erstaunliche Beziehung zu seinen Figuren: „Ich setze meine Figuren unter Druck und sehe ihnen dann zu, wie sie leiden und sich allmählich verändern. Sobald eine Figur unter Druck steht, kann ich mit ihr glaubhaft machen, was ich will”. Diese Einstellung ist radikal, als Thriller-Autor aber sicher unverzichtbar. Denke ich an den Protagonisten Leo, sehe ich den Wahrheitsgehalt in Smith‘ Worten. Es sind definitiv Drucksituationen, die ihn in allen drei Bänden verändern. „Agent 6“ schließt den Kreis seines Entwicklungsprozesses. Die Ereignisse des dritten Bandes lassen ihn zu einer Persönlichkeit degenerieren, die dem Leo vom Beginn der Trilogie sehr ähnlich ist. Am Ende seiner Geschichte ist er wieder der Mann, mit dem alles angefangen hat: kaltblütig und skrupellos. Ich finde das bemerkenswert, weil Tom Rob Smith eindrucksvoll illustriert, dass man die Vergangenheit noch so tief vergraben kann, unter den richtigen Umständen holt sie einen trotzdem ein. Leo kann nicht leugnen, wer und was er ist. Für seine Familie kehrte er dem System, in dessen Namen er folterte und mordete, den Rücken. Doch als jenes System seine Familie zerstört, fällt Leo in alte Verhaltensmuster zurück, weil er glaubt, nichts mehr zu verlieren zu haben. Sein Rachedurst kostet ihn 15 Jahre, folglich umspannt das Buch insgesamt knapp 31 Jahre. Ich fand die daraus resultierenden großen Zeitsprünge schwierig, da ich mir selbst ausmalen musste, wie Leo die vergangene Zeit verbrachte und mich an die plötzlich älteren Versionen seiner Figur gewöhnen musste. Ich begriff nicht so recht, worauf die Geschichte hinauslaufen sollte, denn der namensgebende Agent 6 taucht den Großteil des Buches nicht einmal als Randnotiz auf. Ich war ungeduldig und hatte das Gefühl, der Autor käme nicht zu Potte. Mittlerweile verstehe ich jedoch, dass es Smith primär nicht um die Suche nach Agent 6 ging, sondern um die Darstellung des geschichtlichen Rahmens. Der letzte bedeutende Zeitraffer katapultierte mich nach Afghanistan im Jahre 1980. Leo arbeitet als sowjetischer Berater für das kommunistische Regime in Kabul. Ich wusste bis dato nicht, dass die UdSSR damals versuchte, den Kommunismus in Afghanistan zu etablieren. Mir war vage bewusst, dass „die Russen“ irgendwann einmal Krieg in Afghanistan geführt haben, doch die Details dieses Konflikts waren mir unbekannt. Eine gravierende Wissenslücke, die Tom Rob Smith mit hervorragend recherchierten Fakten füllte. Die Gräueltaten der Besetzung erschütterten mich. Es ist erschreckend, wie viel Blut im Namen einer Ideologie vergossen wurde. Der Ost-West-Konflikt wurde auf dem Rücken der afghanischen Bevölkerung geführt; während die Rote Armee ins Land einmarschierte, versorgten die USA oppositionelle Mudschaheddin-Gruppen mit Waffen und schürten die Gewalt. Die Bezeichnung „Kalter Krieg“ ist ein verharmlosender, makabrer, schlechter Scherz.

 

„Agent 6“ erweitert den Fokus der „Leo Demidow“-Trilogie. Während sich die Vorgänger auf innenpolitische Strukturen konzentrierten, ist das Finale auf die Außenpolitik der UdSSR ausgerichtet. Tom Rob Smith zeigt die schmutzigen, blutigen Exzesse des Ost-West-Konflikts. Dieser propagandistisch geprägte Krieg kostete Millionen Menschen das Leben – nicht nur diejenigen, die in Kampfgebieten fielen, sondern auch diejenigen, die zwischen die Fronten der Geheimdienste gerieten. Menschen wie Leos Familie. Daher fand ich „Agent 6“ sowohl spannend als auch äußerst lehrreich, obwohl ich der Meinung bin, dass dieser dritte Band Leos tragische Geschichte beendet, ohne sie tatsächlich abzuschließen. Das Ende des Finales ist offen gestaltet, sodass die Leser_innen nie erfahren, wie es dem Protagonisten ergeht, nachdem die Handlung abbricht. Ich hoffe, dass er ein Happy End erleben durfte, sehe angesichts seiner Taten allerdings schwarz für ihn. Vielleicht verdient Leo das auch gar nicht. Er ist kein Held. Er ist ein Killer.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/03/12/tom-rob-smith-agent-6
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review 2015-12-28 12:08
Auf Kuehner Reise
Auf kühner Reise: Von Moskau in den Kaukasus - Ella Maillart

This is another book by Ella Maillart about her travels to the far flung places of the earth whose names sound like she made them up for a children's bedtime story.

 

I read Auf Kuehner Reise (tr. "Daring Travels" - it may also have been published as "Ausser Kurs", i.e. "Off Course"), which was originally published in French as Parmi la jeunesse russe (tr. "Amongst Russian Youth"), in the German translation. Unfortunately, this is another book that has never been translated widely (but, IMO, really should have been). There are probably several reasons for the lack of interest: 

 

First off, this book is basically Maillart's first book. She always travelled and was fond of adventure but it was not until her return from Russia in 1930 that she was persuaded to write about her experiences. 

 

Second, the trip and the book were really quite audacious: As a Swiss national, Maillart had difficulties obtaining a visa for the trip. Switzerland had not recognised the Soviet Union politically and relations between western states and the Stalinist country were rather tense.  

When she finally does get permission to travel in the SU, she is under no illusion that what ever she writes may endanger her trip and also the people supporting her whilst travelling. There is a scene in the book where she alludes to being followed by a member of state security. She quickly dismisses the scene but I could not help wondering how closely she had been watched or had had similar encounters that have not made it into her book.

She also thinly disguises the identity of the people she meets. For example, Moscow in 1930 was severely lacking accommodation - Maillart could not afford to stay in hotels (and at any rate would have preferred to stay with locals) and finds lodgings with Countess Tolstoy (daughter-in-law of Leo), who is a friend of a friend. She never mentions her outright, tho. And only refers to her as Madam T. or Frau K. (depending on which edition you read). So, she is quite aware from the outset that if she chose to write anything political, it might have consequences for herself and the people around her.

 

As a result she wrote down her observations with little criticism of what she saw and little judgement. She does compare some of the ways and attitude she observes to her experiences in Germany or Switzerland but, generally leaves out any in depth valuation of which one is better etc. 

 

The non-political tone of the book led to a rejection by western readers when the book was published in 1932. I assume that readers expected to have their the rumors and stories about the grim realities of Stalinist Russia confirmed and were disappointed by a book that spent a lot of time talking about the attitudes of the state towards building a future by providing education and opportunities for its youth. What Maillart also describes - but does not spell out - is how the Stalinist regime colonizes the country and bit by bit eradicates differences between its people and destroys true individuality. Again, she does not analyse this within this book but it is present in her observations. (She is more vocal about it in her later book The Cruel Way.)

 

What was also fascinating about the way Maillart wrote this book was the way she used her observations to tell about the ideas she favoured, like the emergence of women into the work place and by extension a more equal society or the promotion of education for people of all walks of life.   

Maillart was not naive enough to believe or promote the communist idea in her book. Far from it. Communists do not get many favourable mentions in the book at all. She mostly focuses on the discussions she has with the young people that she travels with and the people she meets on the road. However, this being her first book, I guess people would not have grasped that Maillart herself was the most staunch supporters of freedom and individuality. 

 

As for the trip itself, the book is divided in to two parts: Maillart starts off with a short stay in Moscow - which made for fascinating reading because there are so few first-hand accounts that I have read of westerners travelling there during Stalin's reign. 

  

The second part of the book, describes her trip from Moscow to the Caucasus - more specifically Svanetia, which I had not heard of and which really does sound like a fairy tale place.

 

Svanetia, in northern Georgia, at the time of her trip (1930) was a very remote place. Not only is it surrounded by the highest mountains in Europe, but at the time, there were hardly any transportation links or any means of communication, or facilities which would have been commonplace in other parts of eastern Europe - such as plumbing, reliable water supply, not to mention electricity or heating systems - apparently some houses were still constructed without chimneys providing no ventilation for fires inside the house (and making heating them difficult).

 

It really must have been a fascinating experience. 

By comparison, only 9 years later, Maillart would describe a trip across Persia and Afghanistan, which was made possible by the relative ease with which she and her companion were able to find food and lodgings and source parts and petrol for their car.

The trip in what is now Georgia was much less sophisticated.

 

She describes how people would watch a film at an improvised cinema, and believing it to be real, would check behind the screen to find the actors; how the radio was such a novelty still that people could not believe it was possible for it to transmit in real time; how people were only slowly adjusting to the change in times and customs.

 

For me the second part of the book was even more enjoyable than the first. For one it showed a part of the world at a time when no one else wrote about, at a time that must have been both wondrous and frightening at the same time. 

At the same time, the book shows Maillart at a point, a seminal point, in her life where she makes a choice to abandon Europe to become a traveller. She shares some of her motivations in the book and we also get to see some of the guts it would take for her to make the decision as it is quite clear that she'd not choose (or have the means to choose) travelling in comfort. 

 

But then, if she could hike across the Causcasus with a severe leg injury (a dog bit a chunk out of her) and no medical help, what else was there to stop her?

 

So, this was only the first of her many extraordinary adventures

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