E.T.A. Hoffmann: Das Leben eines skeptischen Phantasten
"Es kann aber auch seyn, sprach der Student Anselmus zu sich selbst, dass der superfeine starke Magenliqueur, den ich bey dem Monsieur Conradi etwas begierig genossen, alle die tollen Phantasmata geschaffen, die mich vor der Hausthüre des Archivarius Lindhorst ängstigten." (Der goldene Topf) In...
show more
"Es kann aber auch seyn, sprach der Student Anselmus zu sich selbst, dass der superfeine starke Magenliqueur, den ich bey dem Monsieur Conradi etwas begierig genossen, alle die tollen Phantasmata geschaffen, die mich vor der Hausthüre des Archivarius Lindhorst ängstigten." (Der goldene Topf) In Königsberg wird am 24. Januar 1776 Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann geboren. Jahre später wird er aus Bewunderung für den großen Komponisten seinen dritten Namen durch "Amadeus" ersetzen. Es schließt sich auf wundersame Weise der Kreis, als der französische Komponist Jacques Offenbach die Oper Hoffmanns Erzählungen komponiert, die mehrere Geschichten Hoffmanns als Vorlage nutzt und den Autor selbst als Hauptfigur auf die Bühne bringt. Auch E.T.A. Hoffmann ist Theaterkomponist. Musiklehrer. Zeichner. Kammergerichtsrat. Sein wahres Talent zeigt sich aber in der Dichtung. Er wächst auf in der Blüte der Romantik: "Wir konstruieren die Welt aus den Formen unseres Geistes". Auch Hoffmann kehrt sich ab vom Rationalismus, dem bürgerlichen Alltag, findet Zuflucht in Phantasie und Wunder, irgendwo zwischen märchenhafter "Gothic Novel" (Der goldene Topf, 1814) und bizarren Phantasmata (Die Elixiere des Teufels, 1815). Sie prägen seine Erzählungen, machen ihn zum bis heute bekanntesten und einflussreichsten deutschsprachigen Erzähler des Phantastischen. "Grusel-Romancier" nennen ihn die Kritiker, "Klassiker der Schauerliteratur" die Fans. In seiner wohl unheimlichsten Erzählung, "Der Sandmann" aus Nachtstücke (1817) lässt Hoffmann die schöne, aber mechanische Olympia von einem Uhrwerk getrieben tanzen und singen -- es ist eine der ersten Robotergeschichten der SF. Hoffmann selbst weiß schon früh um seine Berufung. So schreibt er 1776 einem Freund: "Noch nie war mein Herz fürs Gute empfänglicher, und höhere Gefühle schwellten noch nie meine Brust mehr empor... Platte Geister haben keinen Sinn für höchste Anspannung und nennen es Abspannung... das Mottengeschmeiß, was mich zuweilen umgibt, hält mich für dumm..., indessen noch nie warf ich meine Perlen vor die Säue, und ich fühle, dass ich einigen Wert habe." Trotzdem: Auf dem Höhepunkt seines Ruhmes angelangt, von Freunden und Bewunderern als Wunderkind geschätzt, fragt er sich, ob das wirklich alles gewesen sein sollte. Denn Hoffmann bemerkt bald, dass die Bewunderung, "die man ihm zollte, so dünn und kraftlos ist, wie der Tee, der bei diesen Geselligkeiten gereicht zu werden pflegt", schreibt Rüdiger Safranski in seiner eindrucksvollen Biographie, für die er dementsprechend auch den Untertitel Das Leben eines skeptischen Phantasten gewählt hat. Safranski geht mit analytischer Akribie dem wechselvollen Leben und Wirken Hoffmanns auf den Grund. Er schildert die Geburt, die Scheidung der Eltern, die Jugendjahre bei Mutter und Großmutter, das juristische Examen und die Arbeit als Regierungsrat in Posen. Er beschreibt die Hochzeit mit Maria Thekla Michaeline Rorer-Trzcinska, die Strafversetzung nach Plock/Weichsel (wegen Karikaturen "auf die Stützen der städtischen Gesellschaft"), die nachfolgende Arbeitslosigkeit und die Tätigkeit als Kapellmeister, als Kritiker der "Allgemeinen Musikalischen Zeitung", Theaterkomponist und Musiklehrer. Einfühlsam nähert sich Safranski Hoffmanns Liebe zur Gesangsschülerin Julia Mark und der Katastrophe, in der die Leidenschaft beider mündet. Er notiert die ersten Gehversuche Hoffmanns in der Literatur, die Verschärfung des innenpolitischen Klimas und die daraus erwachsenden Schwierigkeiten, die Hoffmann und seine Dichtung bis zum Tod 1822 begleiten. Wem die Lektüre über 534 Seiten zu analytisch ist: die Biographie von Safranski gibt es auch als gekürztes Audiobook mit 2 Kassetten oder 3 CDs. --Marcel Feige
show less