Sten Nadolnys Ullsteinroman, der zum 100-jährigen Jubiläum der Presse- und Verlegerdynastie in eben jenem Ullstein-Verlag erschien, macht es dem Leser nicht leicht. Schon der Publikationsort gibt dem dicken Buch den Anhauch von Auftragswerk und lässt den Leser fragen, ob von einem solchen Buch...
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Sten Nadolnys Ullsteinroman, der zum 100-jährigen Jubiläum der Presse- und Verlegerdynastie in eben jenem Ullstein-Verlag erschien, macht es dem Leser nicht leicht. Schon der Publikationsort gibt dem dicken Buch den Anhauch von Auftragswerk und lässt den Leser fragen, ob von einem solchen Buch über den rasanten Aufstieg eines Verlagsimperiums und seinen durch die Nationalsozialisten brutal erzwungenen Fall denn auch Kritisches zu hören sei. Aber: Hat Nadolny überhaupt ein Buch über den Werdegang einer Berliner Dynastie geschrieben? Und, wenn ja: Warum bedient er sich hierzu eigentlich der Form eines Romans? Wäre da ein Sachbuch nicht viel sinnvoller gewesen? Man muss die Frage wohl in zwei Richtungen beantworten: Wer Nadolnys Buch in die Hand nimmt, um möglichst viel über das in Vertriebsfragen revolutionäre Presse-Unternehmen einer jüdischen Familie zu erfahren, das aus dem Kapital zweier Papierhändler-Generationen erwuchs und bei dem schließlich fünf Brüder zentrale Funktionen des Hauses übernahmen, wird vom Ullsteinroman sicher etwas enttäuscht. Wer aber einfach einen unterhaltsamen, psychologisch tief gezeichneten Familienroman mit realem, historisch überaus interessant geschildertem Hintergrund sucht, der die eine oder andere wahre Anekdote und Geschichte über das wahre Schicksal der Ullsteins bereithält, der wird von Nadolny bestens bedient. Am Anfang des Ullsteinromans sitzt der junge Leopold Ullstein, später der "Stammvater" des Hauses, am Ufer und sieht zu, wie Pegnitz und Rednitz an einer Flussgablung ineinander fließen. Meisterlich beschreibt Nadolny, wie der Knabe Leopold, schon ganz der hinterfragende Geschäftsmann, hinter die "Naturgesetze" der Vermischung beider Flüsse in der Tiefe zu kommen sucht. Bei der Mixtur von Dichtung und Wahrheit hingegen lässt uns der Autor nicht in die Karten schauen. Gerade dies aber ist der ganz eigenwillige Reiz dieses tiefgründigen Buchs. --Stefan Kellerer
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