Knapp 100 Titel hat Joseph von Westphalen in seinem "Roman-Soundtrack" (zu den Harry von Duckwitz-Romanen Im diplomatischen Dienst, Das schöne Leben und Die bösen Frauen) in genialer Weise zusammengestellt. Jazzperlen der 20er bis 40er Jahre, die demjenigen Hörer, der Ohren hat zu hören, einen...
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Knapp 100 Titel hat Joseph von Westphalen in seinem "Roman-Soundtrack" (zu den Harry von Duckwitz-Romanen Im diplomatischen Dienst, Das schöne Leben und Die bösen Frauen) in genialer Weise zusammengestellt. Jazzperlen der 20er bis 40er Jahre, die demjenigen Hörer, der Ohren hat zu hören, einen umfassenden Eindruck vermitteln von den elementaren Themen und Stimmungen des Jazz -- von bitter und schmerzerfüllt über unverblümt sinnlich-erotisch bis zum hemmungslos wilden Toben. Bekanntes steht neben Wiederentdecktem, ländlich-robustes Schrammeln neben den anspruchsvollen Klängen kunstvoll gestopfter Blasinstrumente. Westphalen mag keine Trends, er sucht nach dem Authentischen, nach der Substanz in der Musik. Und Achtung: Dies ist keine Kuscheljazz-Sammlung mit Bigband-Brei und Dixie-Seligkeit! Oder wie Westphalen in einem Interview sagt: "Wie gute Rockmusik ist guter Jazz eher hart. Nichts darf süß sein. Schmachtende Nummern müssen bitter sein. In erster Linie war die Jazzmusik zum Toben da (...) (und) zielte auf den Unterleib." Die Stichworte zum jeweils (nach Westphalens Interpretation) angemessenen Tanzstil beschränken sich demnach auch nicht auf Tanzschul-Repertoire, sondern kommen direkter zur Sache: Da ist von wirbelnden Knien die Rede, von Bewegungen, die rasch, rau, derb, explosiv und buschtrommelig sind, aber auch von solchen, die eher gleitend, ziehend, raumgreifend, oder "nicht unflott-ölig" sind. Und -- natürlich! -- sind auch genügend fein trauernde, weich wiegende, schleppende, depressiv sich windende Stücke dabei für die gepflegte nachmitternächtliche Melancholie. Das beiliegende taschenbuchdicke Booklet gibt Hintergrundinfos zu den Stücken und Künstlern, allerdings nicht in Form eines geordneten Künstlerlexikons; das würde auch gar nicht zum restlichen Duktus passen. Stattdessen macht es anekdotenhaft Lust auf eigenes Nachforschen und regt zum individuellen Beschäftigen mit der Musik an. Jeder, der eine CD-Anlage zu Hause stehen hat und sich für einigermaßen aufgeschlossen und interessiert hält, dem Selbstironie und Sinn für Individualität nicht fremd sind und der seine Beine oder zumindest die Fingerspitzen noch trommelnd auf und ab bewegen kann, sollte diese 4 CDs mit Stolz sein Eigen nennen können. Und alle anderen eigentlich auch. --Kathrin Rüstig
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