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review 2020-06-24 09:24
Auf der Suche nach sechs Tagebuchseiten
Astas Tagebuch - Barbara Vine

Ich bin ja seit meiner Autorinnenchallenge ein ausgewiesener Fan von Barbara Vine, die eigentlich Ruth Rendell heißt (beziehungsweise hieß, denn sie ist 2015 verstorben) und die ihre psychologischen Thriller unter diesem Pseudonym verfasste. Die Geschichte – von Thriller war für mich diesmal keine Spur – plätscherte mir aber dann viel zu gemächlich, zu breit ausgewalzt und lang andauernd, gleichsam in Form eines englischen Weinbergschneckenrennens dahin (die gibt’s wirklich, guckt Ihr hier). Bedauerlicherweise kam dabei dann auch öfter Langeweile auf und das ist für mich die erste und zentrale literarische Todsünde.

 

Dabei ist der Roman in gewohnt sprachlicher Qualität und auch prinzipiell vom Plot her ausgezeichnet konzipiert. Ann Eastbruck erbt beim Tod ihrer Tante Swanney, die sehr erfolgreich als Herausgeberin die Tagebücher ihrer Mutter Asta verlegt hat, sowohl den Familienbesitz, als auch noch nicht veröffentlichte Werke. Von der Gegenwart aus wird in Rückblenden sowohl das Leben der Großmutter Asta, die aus Dänemark nach England emigrierte und einige Anpassungsschwierigkeiten hatte, als auch die ganze Geschichte von Swanney aufgerollt. Dabei mischen sich vor allem drei Handlungsebenen und Zeitstränge: die Originaleinträge aus Astas Tagebuch, Erzählungen über Swanneys Leben und Erinnerungen von Ann zu diesem Thema und zu guter Letzt auch noch die Recherche von Ann in der Gegenwart. Somit wird die ganze Familienbiografie von den Urgroßeltern seit dem Jahr 1905 bis in die Gegenwart episch sehr breit ausgewalzt.

 

Als zentrale Szene des Romans und eigentliches Thema gilt die Identitätssuche von Astas Lieblingstochter Swanney, die durch einen sehr beleidigenden anonymen Brief darauf aufmerksam gemacht wird, dass sie möglicherweise nicht die leibliche Tochter ihrer Mutter sein könnte. Asta schweigt zu den Vorhaltungen und bohrenden Fragen ihrer Tochter und ergeht sich in nebulöser Hinhaltetaktik, Ausweichmanövern und genervten Nicht-Antworten, da sie überhaupt nicht verstehen will, warum Swanney, die sich im bereits im reifen Alter von etwa 50 Jahren befindet, unbedingt ihre Wurzeln kennenlernen will. Swanney ist verzweifelt, als ihr das Fundament ihrer Herkunft entzogen wird. Als ihre Mutter stirbt, sucht sie nach Hinweisen für ihre brennende Lebensfrage und entdeckt die Tagebücher, die sie nach dem Tod ihres Mannes und im fortgeschrittenen Alter noch zur erfolgreichen Herausgeberin machen. Leider fehlen im Tagebuch ungefähr sechs Seiten, die irgendjemand herausgerissen hat. Ann spekuliert, dass es Swanney war, die ihre wahre Herkunft nicht ertragen konnte, aber es könnte auch Asta gewesen sein.

 

Ann macht sich nach dem Tod ihrer Tante erneut auf die bereits erkaltete Spur der ungesicherten Herkunft. Dabei stellen sich viele ungelöste Fragen: Ist Swanney möglicherweise die ungefähr zum Zeitpunkt ihrer Geburt verschwundene Edith Roper und hat Alfred Roper Ediths Mutter umgebracht? Wohin ist Edith verschwunden, lebt sie, oder ist sie auch tot und die Leiche wurde gut beseitigt? Oder hatte Asta gar keine Fehlgeburt, Swanney ist tatsächlich ihre Tochter und sie hat den anonymen Brief selbst geschrieben? Wer hat den Brief überhaupt geschrieben? Diese Fragen werden in mühevoller Kleinarbeit rekonstruiert und leider mit viel zu viel ausladendem Familientratsch und für die Haupthandlung unnötigen biografischen Gschichtln garniert.

 

Das Ende, das bedauerlicherweise erst nach diesem elendslangen, mehr als fünfhundert Seiten dauernden Plot mit der gesamten, in fast allen Petitessen geschilderten Familienchronik in Sicht ist, überrascht auf den letzten Seiten doch sehr, denn die wahre Geschichte von Astas Tochter ist völlig anders, als die Familienmitglieder bisher geglaubt haben. Als die vermissten Seiten endlich zufällig in der Gegenwart auftauchen, dreht sich die Handlung noch einmal und im Plot kommt erstmals Spannung auf. Diese Wendung kommt aber für die Schnecke viel zu spät, sie ist schon so erschöpft und genervt, dass sie es nicht mehr genießen kann.

 

Fazit: Eine zu langatmige, zu episch breite Familiengeschichte mit zu viel unnötigem Beiwerk, der eine Kürzung von mindestens zweihundert Seiten und eine Konzentration auf die Haupthandlung, nämlich Swanneys Herkunft, gutgetan hätte. Der Roman ist zwar prinzipiell gut, aber ich hätte gerne bitte viel weniger davon.

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review 2020-06-14 12:48
Angst frisst Leben
Wurfschatten - Simone Lappert

Dieser Roman hat mich von der ersten Szene an sofort gepackt, nie mehr losgelassen und schwer begeistert. Ich könnte ein Liebeslied schreiben über die Verbindung zwischen mir und solchen Liebesgeschichten, wie sie auch die Autorin erzählt, die uns zwar sehr viel über Beziehungen beibringen, aber keinen Funken Romantikgefasel aufweisen, denn ich bin eine inbrünstige Romantikhasserin.

 

Die Autorin wirft die Leser*innen mitten in eine ausgewachsene, super detailliert und extrem realistisch geschilderte Panikattacke der Protagonistin Ada. Ich weiß, wie sich das anfühlt und wovon sie redet, denn ich hatte meine erste mit 22 Jahren an einem Sonntag auf der Autobahn zwischen Ausfahrt Asten und Linz von Wien kommend, fahrend mit 140km/h und Pink Floyds „Shine one you crazy diamond“ im Radiorecorder.

 

Ada ist eine begabte junge Schauspielerin, die ihr Leben aufgrund ihrer Ängste eher schlecht als recht auf die Reihe bekommt. Durch ihre Panik, die sie davon abhält, beruflich richtig durchzustarten, ihre aufwendigen Rituale, die sie gegen die aufkommende Angst durchspielt und die Vertuschung ihrer Defizite vor ihren besten Freunden, hat sie permanent Geldprobleme, weil sie einerseits zu wenig Geld verdient und sie andererseits auch zu viel Geld ausgeben muss, um irgendwie die Angst niederzukämpfen und Normalität vorzuspielen.

Ada schloss die Augen. Da war sie wieder diese Taucherglocke aus trübem Glas, die sie vom Tag trennte und das Atmen schwer machte. Dieses taumelige Gefühl, wie manche es haben, wenn sie aus dem Tiefschlaf gerissen werden und die Bilder im Kopf noch stärker sind als das, was die müden Augen wahrnehmen. Ada hob ihre rechte Hand auf Brusthöhe, hielt sie einen Moment so und schaute sie an: Die Hand zitterte. Und wenn die Hand jetzt schon zitterte, dann würde es nicht mehr lnage dauern, bis die Taucherglocke ihr den Kopf unter Wasser drückte, tief in ihr eigenes Angstwasser hinein.

Durch diesen Teufelskreis schuldet sie ihrem Vermieter Matuschek nun mehrere Monatsmieten. Dieser Matuschek ist auch ein ganz liebevoll geschilderter Charakter, ganz gegensätzlich zu einem Miethai bringt er für die Kalamitäten der jungen Ada doch sehr viel Verständnis auf und er versichert ihr, dass er sich eine Kompromisslösung einfallen lässt, die für beide Seiten erträglich sein wird. Dann passiert etwas, das sich Ada nie hätte träumen lassen, völlig konsterniert stellt sie fest, dass Matuschek seinen Enkel Juri in ihrer Wohnung – respektive in Ihrem ritualisierten Angstzimmer – einquartiert hat.

 

Ada fühlt sich völlig überrumpelt, in ihrem Leben gestört und ihre Privatsphäre gekapert. Doch Juri stört auch intensiv ihre Angst. Welche Analogie! Er ist ja auch in ihrem Panikzimmer eingezogen, in dem sie alle ihre potenziellen Ängste aufgeklebt hat, indem er es ganz unkompliziert in Besitz nimmt, es mit seiner eigenen Persönlichkeit füllt, die Zettel einfach von der Wand nimmt und diese wegwirft. Sonst ist er ein äußerst angenehmer Wohngemeinschaftsgenosse, sensibel, freigiebig, etwas still und nicht übergriffig, einer, mit dem man leicht auskommen kann, weil er nicht stört und auch sonst eher leise ist. Nach und nach nähert sich Ada einerseits Juri an, andererseits will sie aus der Situation flüchten, indem sie sich in einer anderen Stadt, nämlich in München, für ein Engagement bewerben will. Leider schlägt die Panik wieder zu und vernichtet sowohl ihren beruflichen Aufstieg als auch ihren Umzug.

 

Nach und nach nähern die beiden sich immer weiter an, in wundervollen, total unkitschigen Szenen wird eine Freundschaft geschildert, die sich recht gemächlich in eine zart aufkeimende Liebe verwandelt: nächtelange Gespräche, Ada bringt Juri das Fahrradfahren bei und wie man Schlaflosigkeit bekämpft, Juri bringt Ada bei, wie man einen Fehlkauf rückgängig machen kann und das Geld zurückbekommt, Ada bemerkt erste Eifersuchtsgefühle, als sie eine Affäre Juris in der Wohnung kennenlernt, Juri begleitet Ada ins Krankenhaus, als sie eine Panikattacke bekommt und ahnt somit als erste Person ihres Lebens etwas von Adas enormen Problemen. Das ist dann auch der Punkt, an dem Ada Juri zurückstößt, da er ihr zu nahe gekommen ist. Nach noch ein paar Wendungen, Missverständnissen und Problemen gibt es auch noch ein ganz leises, wundervolles aber eben unromantisches Happy End – eigentlich ja nur einen kleinen Neuanfang, sonst wärs ja wieder kitschig, denn dieses „Liebe heilt alles“-Gewäsch hasse ich ja noch inbrünstiger als die romantische Gefühlsduselei. Den erwähnten Neuanfang gibt es übrigens nicht nur für Juri und Ada sondern auch für Adas Freundin Maria und dem Opa Matuschek, der in die rassige Maria schon ewig verschossen war, auch seine Angst überwunden und endlich einen Vorstoß gewagt hat, die Initiative zu ergreifen.

 

Fazit: Eine grandiose leise Geschichte über Ängste, Probleme, Nähe, Freundschaft, Liebe und den Mut, alle Hindernisse überwinden zu wollen.

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review 2020-06-04 17:02
Handlungsstränge völlig losgelöst und in Quarantäne
Was wir voneinander wissen - Jessie Greengrass

So überhaupt nicht erfreut war ich von diesem durch renommierte britische Literaturpreise ausgezeichneten Werk. In all den Szenen, Geschichten, Zeilen und Seiten verspürte ich nicht mal irgendwie und zu irgendeinem Zeitpunkt annähernd einen Funken von lauwarm. Für mich fehlten der Flow, der Zusammenhang der stilistischen Mittel und die Konsistenz des Romans.

Dabei sind das Hauptthema und der Haupterzählungsstrang der Geschichte doch ganz mein Metier. Eine verkopfte, überanalytische und -ängstliche Protagonistin erzählt ziemlich detailliert von ihren Sorgen, Phobien und auch in Rückblenden von ihrem Leben. Das sind normalerweise Geschichten, die ich sehr mag, aber diese war in der Umsetzung einfach für mich überhaupt nicht adäquat.

 

 

Das beginnt damit, dass die zu Beginn von der Autorin präsentierte Sprachfabulierkunst und einfühlsame Beschreibung von Ereignissen mit jeder weiteren Seite so exzessiv und inflationär zelebriert werden, dass sie für mich in eine richtiggehende Überperformance im Methaphernschwängern der Szenen ausartet. Zuviel Blumiges und mit unzähligen Adjektiven Beschreibendes ist eine stilistische Überdosis, die ein gut gewürztes Werk ins Giftige abgleiten lässt. (Huch jetzt habe ichs auch gerade getan )

 

Zurück zur Handlung: Die Hauptdarstellerin hat Angst, ihren Kinderwunsch zu verwirklichen und erinnert sich an den tragischen Tod ihrer Mutter, der in einer gut geschilderten Sterbeszene beschrieben wird. Zudem existiert – völlig von der Handlung losgekoppelt – der Biografie-Erzählstrang des Wissenschaftlers Röntgen, der überhaupt keinen Bezug zur eigentlichen Story aufweist, er wirkt wie ein unangenehmer Fremdkörper im Buch. Bevor die Leserschaft schon fast das ganze Leben von Röntgen erfahren hat, kommt kein irgendwie gearteter Konnex zwischen der Protagonistin und der Biografie des Wissenschaftlers auf. Erst auf Seite 61 wird erstmals erwähnt, was die Autorin uns offenbar mit diesem extrem schwachen Bezug sagen will. Die Ich-Erzählerin hat vor einem MRT Panik und lenkt sich mit dem Lesen der Geschichte von Röntgen vor dieser Angst ab. Das war es aber schon mit den Wissenschaftsbezügen zur Protagonistin, der erste eingestreute Handlungsstrang ist so steif wie die geröntgten Knochen. (uups I did it again)

 

Im zweiten Teil der Rückblenden mit einer weiteren drübergestreuselten Lebensgeschichte von Sigmund Freud bleibt diese wieder ein Fremdkörper im Roman. Zugegeben, die Beziehung von Freud zu seiner Tochter Anna könnte marginal etwas mit der Familiengeschichte der Hauptfigur zu tun haben, aber die Gemeinsamkeiten werden nur nebeneinandergestellt, weder verzahnt noch in Bezug zueinander gesetzt. Nie reflektiert die Autorin, was ihre eingefügten Biografien denn so mit den geschilderten Figuren zu tun haben könnten. Den Kontext muss sich der Leser selbst aus den Fingern saugen. Das irritierte mich zunehmend, denn ich habe Probleme damit, wenn ich mir aus unzusammenhängenden Versatzstücken selbst eine Geschichte zusammenbasteln muss. Das ist für mich Aufgabe des Autors und Erzählers und kann zumindest für mich, als literarische Realistin, nicht komplett an die Leserschaft outgesourct werden. Mitdenken ja, aber nicht ohne jeden Hinweis. Denn dann bleiben die servierten Häppchen total unverbunden.

 

Was ich mir letztendlich zusammengereimt habe, ist folgendes: Die selbstbestimmte autonome Mutter-Kind-Beziehung seitens des Kindes, wie sie in der Familie der Ich-Erzählerin gelebt und in Rückblenden geschildert wird, steht im Gegensatz zur symbiotischen Eltern-Kind-Beziehung, die Freud zu seiner Tochter Anna pflegte und die die Entwicklung von Anna Freud zu einer selbständigen Persönlichkeit verhinderte. Die Protagonistin sorgt sich neben all ihren anderen Ängsten um die Erziehung ihrer Tochter und schildert ihre Probleme mit dem Loslassen des Kleinkindes, um ihm die in der Familie übliche Autonomie einzuräumen. Dieses Thema wird auch in der Psychologie und in der Pädagogik kontrovers diskutiert, vor allem heutzutage in der Ausprägung Helikoptereltern. Doch ich habe nicht mal den Hauch eines Fingerzeigs, ob ich richtig liege, denn die Autorin versagt mir ja sogar den Hinweis, ob die Großmutter der Protagonistin als Psychotherapeutin den Theorien Freuds, Jungs oder einer anderen Schule folgte. Aber wie gesagt, ich habe keine Ahnung, ob ich auf der richtigen Spur bin.

 

Im dritten Abschnitt ist die Hauptfigur erneut schwanger und leidet sehr unter den körperlichen Einschränkungen. Die analoge Wissenschaftsbiografie dazu ist jene der Anatomen und Gebrüder Hunter. Es tut mir leid, aber in diesem Teil des Romans hatte ich dann schon die Lust verloren, mir irgendeinen Bezug zum Leben der Protagonistin an den Haaren herbeizuziehen, aus den Fingern zu saugen und zusammenzufantasieren.

 

Versteht mich nicht falsch, das Leben einer Familie zu zeigen und dann in Einschüben von Wissenschaftlerbiografien darzulegen, was die Protagonisten von den berühmten Intellektuellen, ihren Thesen und ihrem Leben lernen können, fände ich ein äußerst charmantes Konzept, inhaltlich wie stilistisch. Eigentlich war das auch exakt jener Roman, den ich beim Lesen des Klappentextes erwartet hätte. Wenn in der Geschichte aber keine Brücke und keine Verbindung zwischen den Handlungssträngen, zwischen Wissenschaft und Fiktion geschlagen werden, bleibt das Ganze sinn- und leblos – nebeneinander gereihte, sich nicht tangierende Fremdkörper oder eben auch zwei getrennt voneinander erzählte Geschichten, die in einem Buch einfach nicht zusammenpassen. Und das war dann lesetechnisch und auch intellektuell extrem unbefriedigend für mich.

 

Fazit: Überhaupt nicht mein Roman!

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review 2020-05-29 08:14
Surreal und zu Meta
Die neue Scheherazade - Lilian Faschinger

Ohje dieser Roman von Lilian Faschinger befand sich so gar nicht in meiner Komfortzone. Die Protagonistin Scheherazade Hedwig Moser, halb Kärnterin halb eine andere Mischung aus Perserin und Kurdin sitzt auf ihrer Couch, spinitisert so in Gedanken dahin, erzählt ihre Familiengeschichte und kommt vom Hundertsten ins Tausendste. So weit, so gut, normalerweise ein Konzept mit dem ich sehr gut etwas anfangen kann. Hat mir Doch schon ein weiterer Roman von Faschinger Magdalena Sünderin, der ähnlich angelegt ist, ausnehmend gut gefallen.

Bedauerlicherweise sind die Parallelen aber für mich nicht deutlich, beziehungsweise könnte es sein, dass die Autorin in diesem Roman, ihrem Debüt, noch ein bisschen üben musste, beziehungsweise sich vergallopiert hat und sich nicht zentrieren konnte. Mir kam die ganze Geschichte so surreal vor wie ein schräger Film Noir mit derart vielen mystischen Elementen aus tausendundeiner Nacht, dass es für mich nur wirre Hirngespinste und Kopfgeburten eines sprunghaften Geistes ergab. Ich mag ja schräg und surreal sehr, aber schräg, surreal, mystisch und wirr ist mir dann viel zuviel. So etwas kannte ich bisher nur von Osteuropäischen Autorinnen: Renata Šerelytė,
Gabriela Adameșteanu und  Zsuzsa Selyem  pflegen auch so einen Erzählstil. Der ist eben wie gesagt, sehr viel weiter von meiner Komfortzone entfernt, als es mir lieb ist und ich habe dann immer keine Ahnung, welchen Sinn die Geschichte ergeben soll. Da stehe ich einfach zu sehr mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität, dass mir so etwas gefallen könnte, da wird mir schwindelig.

Um den Stil zu untermauern, werde ich Euch wieder einmal eine der komischsten Szenen (nicht im Sinne von witzig sondern im Sinne von verwirrend und strange) schildern.

Eine Schauspielerin zerrt in einem Film von Polanski einen Embryo in einem Sack durch die Kärtnerstraße, der von Schritt zu schritt weiter wächst und immer größer wird.  Die Protagonistin trifft die Mimin in einem Wiener-Cafe mit dem Sack, der mittlerweile schon 20 Kilogramm wiegt und den sie zur Probe für den Film durch die Gegend zerrt, um ihre Fitness und Bereitschaft für die Rolle zu demonstrieren und zu üben. Die beiden Frauen unterhalten an der Bar ein bisschen miteinander. Dann trifft Polanski in Person im Cafe ein und es kommt raus, dass die Schauspielerin als 14-jähriges Mädchen Polanski bei einer Orgie kennengelernt und sich beim Sex in ihn verliebt hat. Seitdem ist sie ihm hörig und will alles für ihn tun, aber Polanski ist diese aufopfernde Ergebenheit etwas peinlich, zumindest vor der Protagonistin. Schnitt nächste surreale Szene, die irgendetwas mit der Tante der Hauptfigur zu tun hat. Irre!!!

Dann hat mich auch noch etwas sehr geärgert, aber vielleicht habe ich etwas missverstanden. Eigentlich schätze ich die Autorin als sehr feministisch ein, aber diese Vergewaltigungsfantasien mit Clint Eastwood kann ich überhaupt nicht verstehen. Soll das Ironie sein, oder was zum Teufel ist denn das? Zu so einer Aussage fehlt mir das Abstraktionsvermögen.



"Es war eine formvollendete, professionelle Vergewaltigung. [...]
Hätte ich gewußt, wie schön eine Vergewaltigung sein kann, Inquistor, dann hätte ich mich schon vorher in Situationen begeben, die eine solche ermöglicht hätten. Ich wäre spätabends durch Straßenunterführungen gegangen, wo meine Schritte gehallt hätten, wo die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unhold auf mich gewartet hätte, sehr hoch gewesen wäre. Ich wäre per Anhalter durch die Mandschurei gefahren [...]
Lassen Sie mich fortfahren.: Clint und ich ritten also langsam weiter, in den Feldern Stellen mit niedergedrückten Maispflanzen hinterlassend. Er erzählte mir aus seinem abenteuerlichen Leben; er gestand, schon mit dreizehn Jahren zum ersten Mal eine Frau vergewaltigt zu haben und ermutigt durch deutliche Anzeichen von Entzücken seitens der Frau, bei diesem Steckenpferd geblieben zu sein.
[...]Daß jede Frau sich nach einer gekonnten Vergewaltigung sehnt, darf man als gegeben annehmen. Mich schmerzt nichts mehr als von ihren Freunden, ihren Ehemännern, ihren Liebhabern nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit und Konzequenz behandelte, zimperliche Frauen sehen zu müssen."



Mir ist das einfach viel zu Meta und vielleicht brauche ich eine Enigma-Maschine, um das ganze zu entschlüsseln, vor allem, weil die vergewaltigte Protagonistin dann auch noch völlig fasziniert und verliebt mit Clint zusammenbleiben möchte, was nur bis zu diesem Zeitpunkt funktioniert, bis sich Clint in eine ganz biedere Frau aus ihrem Dorf verliebt und ein braver, treuer spießiger Ehemann wird.

Fazit: So surreal und Meta von Meta, dass ich es nicht verstanden habe. Vielleicht kann mir mal jemand mit Hang zu solcher Literatur verklickern, worum es geht, was das aussagen will und wohin das führen soll.

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review 2020-05-29 06:15
Schmeck mein Blut
Und wie wir hassen! - Lydia Haider

Wie kann frau an das Thema Hass im Netz herangehen? Da kann zum Beispiel seitenlang über die Hassbotschaften, denen Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, vor allem digital permanent ausgesetzt sind, lamentiert und anschließend analysiert werden, warum die Situation eben so ist, wie sie ist. Oder frau wählt eine innovative Herangehensweise wie die Herausgeberin Lydia Haider, die sich ein sehr spannendes, neues Konzept für ihr Buch vorgenommen hat, indem sie einmal ausnahmsweise Frauen eine Bühne bietet, all ihren Hass in die Welt hinauszukotzen. Das kann natürlich auch in die Hose gehen, indem das Ganze vom Niveau sehr primitiv und tief angelegt ist, aber wenn für die 15 geplanten Hetzreden ganz kluge, kompetente und des Schreibens mächtige Künstlerinnen für so ein Projekt eingeladen werden, schaut die Sache schon wieder völlig anders aus. Deshalb meine ich und sage es ganz unverblümt, dieses Hassbuch hat die Welt auf jeden Fall dringend gebraucht.

 

Lydia Haider sagte selbst in einem Interview zu diesem Buchkonzept:

Die Hassrede ist vor einigen Jahren zu einer meiner schreiberischen „Spezialitäten“ geworden – seit damals schwebte mir auch vor, hierzu ebenso befähigte Frauen mit deren Hassreden in einem Buch oder bei Veranstaltungen zu versammeln. […]
Obwohl das etwas ist, von dem die Rechte und vor allem Männer glauben, dieser Bereich würde ihnen gehören. Nur ist das nicht so. Und nun gibt es Widerstand aus allen erdenklichen Richtungen.
[…] Es liegt mir fern, den Sinn des Hassens allgemein zu bewerten. In der Literatur, in meinen Texten widme ich mich dem Hass, da er in der Gegenwart überpräsent und zeitgleich in die falschen Hände geraten ist. Was so im Zentrum der Gesellschaft steht und die Menschen so bewegt – in eine sichtlich falsche Richtung – muss aufgegriffen, zigfach umgearbeitet und das Ruder damit herumgerissen werden.

Deshalb legte Lydia Haider den Hass in die Hände von schriftstellerischen und feministischen Kapazundern wie Raphaela Edelbauer, Sibylle Berg, Gertraud Klemm, Stefanie Sargnagel und viele andere mehr und forderte sie auf, eine Hetzrede zu verfassen. Jede dieser Künstlerinnen ging völlig anders mit der gestellten Aufgabe um und das ist wirklich extrem spannend.

Das Buch bietet eine größtmögliche Bandbreite an Hass auf höchstem Niveau: Übertriebenes und/oder ins Ironische Gebrochenes genauso wie erzählende Texte, aber auch Ernsthaftes. Ohne Grenzen, ohne Themenbegrenzungen, ohne Machogesten.

Am besten haben mir fünf Herangehensweisen an das Thema gefallen.

Da schmettert beispielsweise Sophia Süßmilch, eine deutsche Multimediakünstlerin, der Leserschaft eine vollständige Liste aller Dinge, die sie hasst, gar köstlich ironisch aufbereitet, entgegen. Das geht von Salzburg über Frankfurt über Yoga, BHs, Hoden, Achtsamkeit, Psychoanalyse, Doppelnamen, Kartoffeln, After Eight, gekippte Fenster, Pizza Hawaii, dreckige Lichtschalter bis hin zu Kindern.

Ich hasse Salzburg.
Wenn ein wirklich schlechter LSD-Trip und die schlimmste Winterdepression, die du dir vorstellen kannst, miteinander ein Kind bekommen würden, es würde Salzburg dabei herauskommen, das Disneyland für Heimatkundler.

Ich hasse Gesellschaftsspiele.
Bumsen mit starken Regelschmerzen, die Steuererklärung machen, einen nassen Sandsack die Treppe hochtragen, Babys beim Schreien zuhören, nach Salzburg zum Sterben fahren … All das ist im Zweifelsfall sinnvoller und macht wesentlich mehr Spaß als Brettspiele.

Oder Raphaela Edelbauer schrieb vor 7 Jahren an eine Literaturjury eine Rede, warum und wie sie sich nicht dem Fräuleinwunder-Diktat, dem sich junge Autorinnen zu unterwerfen haben, wenn sie erfolgreich sein und Preise gewinnen wollen, unterordnen kann. Nun hat sie es ja irgendwie trotzdem in den Hauptpavillon der Frankfurter Buchmesse geschafft und ein paar Preise eingeheimst. Deshalb richtet sie uns am Ende dafür eine Entschuldigung aus und kann sich nicht erklären, wie das zugegangen ist.

 

Sibylle Berg schreibt eine gruselig verstörende Geschichte über ihren Sohn, der sich von einem lieben Kind durch den Fußball und die Gesellschaft, in die er sich auf dem Fußballplatz begeben hat, zu einer Person entwickelt, die sie nicht mal mehr als ihr Kind akzeptieren kann.

 

Die Rechtsextremismusexpertin, Literatur- und Politikwissenschaflerin Judith Goetz kotzt sich in ihrem Pamphlet über Männerbünde und schlagende Studentenverbindungen aus. Das ist auch extrem köstlich und Hass auf höchstem Niveau. Die Schriftstellerin Gertraud Klemm schildert sehr humorvoll vier Zumutungen, die ihr so in ihrem Leben widerfahren sind, beziehungsweise permanent auftreten.

 

Bei so einer Vielfalt an Zugängen zu diesem Thema gibt es natürlich auch Passagen, die mir nicht ganz so gut gefallen haben. Für mich persönlich, die mit Lyrik nicht so viel am Hut hat, waren es beispielsweise die Gedichte der Aktionskünstlerin Ebow, aber so hat natürlich jeder andere ganz spezifische Vorlieben. Genau das ist jedoch das Schöne an diesem Werk: die Breite und Variationen des literarischen Angebots zu diesem Thema.

 

Ach ja, sehr hilfreich waren die Kurzbiografien am Ende des Buches, die mir mehr über jene Autorinnen verrieten, die ich bis dato noch nicht gekannt habe. Sehr wohltuend habe ich auch empfunden, dass sich die Herausgeberin Lydia Haider ganz bewusst nicht in den Vordergrund ihres eigenen Buches gedrängelt hat, indem sie außer dem kurzen Vorwort in Form einer Hassrede keinen weiteren eigenen Beitrag verfasst hat. Sie tritt nach hinten und gibt die Bühne frei für ihre hochgeschätzten Kolleginnen.

 

Fazit: Leseempfehlung! Ein wichtiges, notwendiges Buch für JederMann (in dem Fall auch Frauen mitgemeint ;-) ). Hassvariationen und -pamphlete von klugen Frauen auf höchstem literarischen und mitunter satirischen Niveau. Für Männer manchmal vielleicht ein bisschen schmerzhaft, aber auch sehr witzig, auf jeden Fall aber extrem interessant. Schaut Euch mal an, wie intelligente Frauen, die auch noch zu schreiben vermögen, diese Domäne zu interpretieren wissen.

 

P.S.: Der schräge Titel meiner Rezension Schmeck mein Blut sollte eigentlich ursprünglich der Titel dieses Buches sein, aber er wurde in der Annahme verworfen, dass dem Literaturestablishment so viel noch nicht zumutbar sei. Probieren wir mal, ob er bei uns als Literaturfreaks ankommt.

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