Grimmig dreinblickende Männer tragen Bomberjacken mit dem Aufdruck „Deutschland“ in Frakturschrift. So sehen die Fußballfans aus, zu denen Günther Wallraff in den Zug steigt – und zwar als Schwarzer verkleidet. Zügig erleben Leser, warum der Enthüllungsjournalist nur kurze Zeit später „noch nie...
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Grimmig dreinblickende Männer tragen Bomberjacken mit dem Aufdruck „Deutschland“ in Frakturschrift. So sehen die Fußballfans aus, zu denen Günther Wallraff in den Zug steigt – und zwar als Schwarzer verkleidet. Zügig erleben Leser, warum der Enthüllungsjournalist nur kurze Zeit später „noch nie so innige Gefühle für Polizeibeamte“ hegte. Um zu erfahren, wie sich „von oben angeheizter Rassismus im Alltag bemerkbar macht“, geht Günther Wallraff wieder verdeckt auf Recherche. Seine Erlebnisse auf der Straße, in Kneipen oder Vereinen untermauern, wie Schwarzen hierzulande immer wieder ein normales Leben verwehrt wird. Wallraff spricht dabei von einer „modernen Spielart des Rassismus“, die die Würde von Menschen nur achtet, solange sie auf Distanz bleiben. Wallraffs Erlebnisse als verkleideter Schwarzer sind der Aufmacher des Buches. Zeitgleich machte der mutige Mahner diese Legende im Zeit-Magazin publik. Weitere Recherchen hatte Wallraff bereits vorher im selben Medium etappenweise offenbart. Im Vergleich zu früher sind die Resultate seiner Arbeit jedoch weniger spektakuläre Enthüllungen, vielmehr die Dokumentation bestehender Missstände. Denn dass das Leben als Obdachloser bei Minustemperaturen hart ist, wussten wir bereits. Des Weiteren lernen Leser, wie Callagenten in einem schleichenden Prozess zu routinierten Betrügern werden, dass für Lidl keine großen Brötchen gebacken werden – oder dass in Küchen und im Servicebereich teils verdammt lange Schichten gefahren werden. Zudem deckt das verkörperte schlechte Gewissen der Nation auf, wie verkaufswillige Unternehmer mittels skrupelloser Paragraphenreiter gegen eigene Mitarbeiter vorgehen. Eine zusätzliche Bahn-Doku stammt noch aus Zeiten von Hartmut Mehdorn. Ideen zu den Recherchen kamen teils von Hilfe suchenden Landsleuten, und ein Paar Mal wurde der „verdeckte Ermittler“ erkannt. Dennoch trägt Wallraffs Arbeit gestern wie heute dazu bei, Licht in die dunklen Ecken unserer Gesellschaft zu bringen. Trotz zu erwartender hoher Verkaufszahlen wird Aus der schönen neuen Welt allerdings nicht an den Millionenerfolg von Ganz unten aus den achtziger Jahren herankommen – weniger, weil Wallraff an Schlagkraft eingebüßt hat, vielmehr, weil wir in den letzten zwanzig Jahren viele Illusionen verloren haben, wozu der mutige Journalist immer wieder entscheidend beigetragen hat. – Herwig Slezak
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