Nichts passiert ohne Grund, heißt es. Die Vorstellung, dass gar eine Mordtat ohne Motiv begangen werden könnte, muss daher als besonderer Affront gegen das rationalistische Weltbild empfunden werden. Diese Erfahrung macht der unbescholtene Journalist und Gerichtsreporter Jan Rufus Haigerer, der...
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Nichts passiert ohne Grund, heißt es. Die Vorstellung, dass gar eine Mordtat ohne Motiv begangen werden könnte, muss daher als besonderer Affront gegen das rationalistische Weltbild empfunden werden. Diese Erfahrung macht der unbescholtene Journalist und Gerichtsreporter Jan Rufus Haigerer, der eines Abends scheinbar wahllos einen Menschen niederschießt, um sich gleich darauf geständig in die Hände der Justiz zu begeben. Dort will man ihn allerdings auf Grund seines liebenswerten Charakters als Mörder partout nicht in Frage kommen lassen. Sein offensichtlicher Wille zur Sühne wird durch das unerbittliche Wohlwollen der Mitmenschen auf eine harte Probe gestellt. Der Journalist und Autor Daniel Glattauer, selbst erfahrener Gerichtsberichterstatter, schildert in seinem neuen Roman mit viel Wissen, Einfühlungsvermögen und einer gehörigen Portion Sarkasmus das Gerichtsdrama eines geständigen Mörders, der wegen seiner Unbescholtenheit und des Fehlens eines ersichtlichen Tatmotivs wider Willen zur Unschuld verurteilt erscheint. Höchst amüsiert verfolgt man seine verzweifelten Versuche, im immer grotesker werdenden Verhandlungsverlauf als geständiger Mörder endlich ernst genommen und bestraft zu werden. Glattauer schildert die Justizwelt mit jenem scharfen Blick für skurrile Alltagsdetails, den er auch mit seiner Kolumnensammlung Die Ameisenzählung bewiesen hat. Er lässt dabei seinen Protagonisten den eigenen Fall in einem präzisen, pointierten Stil erzählen, der durch formelhafte Wiederholungen manchmal den suggestiven Charme einer Litanei entwickelt. Dank dieser sprachlichen Qualitäten wird man auch über den auf die Folter spannenden Umstand hinweggetröstet, dass natürlich alles auf die Frage nach dem Warum des Mordes hinausläuft. Was zuerst als etwas schematisches Romankonzept erscheinen mag, erweist sich im Nachhinein als durchaus durchtriebenes Vexierspiel mit verschiedenen motivischen Aspekten. Seine "größte Stärke und Schwäche", so der Protagonist über sich selbst, sei es, "Erwartungen zu erfüllen". Die gespannten Erwartungen an die Auflösung der Warum-Frage werden von Glattauer schließlich auf originelle, selbstironische Weise, wenn auch etwas zu gründlich erfüllt, sodass man am Ende fast bedauert, sagen zu können: keine weiteren Fragen. --Mathis Zojer
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