Kann es Thriller geben, die in keiner Weise langweilig sind, die man auf jeder Seite mit Genuss liest – und denen doch die elementarste Zutat eines Thrillers fehlt, nämlich Spannung? Wer glaubt, das ginge nicht, der lese dieses Buch. Der Meister des Justizthrillers greift nach zuletzt ein paar...
show more
Kann es Thriller geben, die in keiner Weise langweilig sind, die man auf jeder Seite mit Genuss liest – und denen doch die elementarste Zutat eines Thrillers fehlt, nämlich Spannung? Wer glaubt, das ginge nicht, der lese dieses Buch. Der Meister des Justizthrillers greift nach zuletzt ein paar eher mauen Romanen auf sein Erfolgsrezept zurück, nach dem die meisten seiner Bücher gestrickt waren, nicht zuletzt die Megaseller (und späteren Kino-Blockbuster) Die Firma und Die Akte: Ein engagierter, unerfahrener Jurist, der an das Funktionieren des Justizsystems glaubt, gerät in Konflikt mit einer mächtigen Organisation, die hinter einer Fassade von Rechtsstaatlichkeit und Rechtschaffenheit in kriminelle Machenschaften verstrickt und von Korruption durchdrungen ist. Hier ist es der brillante Jurastudent Kyle McAvoy, der kurz vor dem Studienabschluss steht und seine Bilderbuchkarriere zunächst, ganz political correct, in einer wohltätigen Non-Profit-Organisation beginnen lassen will. Doch eine dubiose Organisation tritt in Person des sinistren Bennie Wright in sein Leben, erpresst ihn mit einer längst vergessen geglaubten Jugendsünde und zwingt ihn, in Amerikas größte Anwaltskanzlei einzutreten, Scully & Pershing. Dort wird gerade ein riesiger Prozess zwischen zwei Kontrahenten der Rüstungsindustrie vorbereitet, in den auch die US-Regierung involviert ist, und Kyle soll Firmengeheimnisse ausspionieren und seinen Erpressern zuspielen. Der Roman ist, wie schon angedeutet, eigentümlich: Eine echte, „klassische“ Spannung kommt nicht auf; man hat bis weit über die Mitte des Romans das Gefühl, noch im „Aufgalopp“ festzustecken, nämlich in Kyles Rekrutierung durch die Erpresser. Und dann, wenn es sozusagen endlich losgeht, Kyle sich also in wirklich kriminelle Handlungen verstrickt, ist das Buch auch fast schon rum, es macht kurz „puff“, und die Auflösung hinterlässt mehr Fragezeichen als Antworten. Auf der Ebene der Haupthandlung ist der Roman also – wenn auch routiniert geschrieben – eher unbefriedigend, fast schon ein Flop. Doch die Subplots machen das Buch stark: Die Inneneinsichten in die unbarmherzige Welt einer Wallstreet-Großkanzlei etwa, in der die Junganwälte mit 20-Stunden-Tagen und 7-Tage-Wochen schnell ihrer Illusionen beraubt werden, sind faszinierend, ebenso die – wenn auch nur angedeuteten – Verstrickungen der US-Behörden mit der Rüstungsindustrie. So hat man hier – so paradox das klingt – tatsächlich ein Buch vor sich, dessen eigentliche Handlung nicht in die Gänge kommt und schief konstruiert ist, das gleichzeitig aber doch ein echter Pageturner ist, den man nicht aus der Hand legen kann. -- Christoph Nettersheim
show less