Beginnend mit dem nunmehrigen Klassiker Mitternachtskinder, der zum "Booker of Bookers" gewählt wurde, gefolgt von Scham und Schande, Die satanischen Verse und dem triumphalen Des Mauren letzter Seufzer, hat sich Salman Rushdie als einer der bezwingendsten Geschichtenerzähler der...
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Beginnend mit dem nunmehrigen Klassiker Mitternachtskinder, der zum "Booker of Bookers" gewählt wurde, gefolgt von Scham und Schande, Die satanischen Verse und dem triumphalen Des Mauren letzter Seufzer, hat sich Salman Rushdie als einer der bezwingendsten Geschichtenerzähler der Gegenwartsliteratur etabliert. Alle Erzählungen von Rushdie durchläuft der Glaube, daß wir ohne die demokratische, respektlose und subversive Verspieltheit von Geschichten unseren Sinn für Menschlichkeit und Identität verlieren und in den Alptraum der Geschichte, die seine Romane so kraftvoll anklagen, versinken würden. Die Verfolgung dieses Glaubens hat natürlich eine bleibende Wirkung auf Rushdie selbst hinterlassen, angefangen mit der gewalttätigen Reaktion auf seine Anklage gegen die Politik Pakistans in Scham und Schande bis hin zur Reaktion der islamischen Fundamentalisten auf Die satanischen Verse, auf die Rushdies Reaktion letztlich die zutiefst bewegende Studie der religiösen und kulturellen Toleranz in Des Mauren letzter Seufzer war. Mit Der Boden unter ihren Füßen plündert Salman Rushdie einmal mehr die Gründungsmythen und -geschichten des Ostens und des Westens, aus denen er eine erstaunliche Parabel über die Tatsache kreiert, daß -- wie der Titel andeutet -- sogar der Boden unter unseren Füßen nicht so stabil ist, wie wir zuweilen glauben möchten. Rushdie war schon immer von der Gegenwartskultur und insbesondere vom Kino fasziniert, was am glänzendsten in Scham und Schande und in seinen Sachbüchern heraufbeschworen wurde. In Der Boden unter ihren Füßen taucht Rushdie tief in die Welt des Rock'n Roll ein -- und zwar so erfolgreich, daß eines der Nebenprodukte des Romans die Verwendung von Rushdie-Texten durch die Rockband U2 war. Vina Apsara, eine amerikanische Proletin griechischer Herkunft, und Ormus Cama, der anglophile Sohn eines desillusionierten Rechtsanwaltes aus Bombay, lernen sich im Bombay der fünfziger Jahre kennen und schaffen damit eine der verwickeltsten, jedoch dauerhaftesten Rockpartnerschaften, die sich über die nächsten 40 Jahre erstrecken sollte. Mit Rushdies üblichem atemberaubenden Elan entfaltet sich die Geschichte ihrer Familien und ihrer Vergangenheit, während sich die von Umeed Merchant alias Rai geschilderte Erzählung aufbaut, seines Zeichens Fotograf und gelegentlicher Liebhaber Vinas. Er beschreibt die immer wieder aufgenommene Beziehung zwischen Vina und Ormus, während er von einem Unruheherd zum nächsten durch die Welt reist, wo er Aufruhre und Greueltaten fotografiert, bevor er das ultimativ letzte Bild von Vina schießt, die vom Erdbeben verschlungen wird. Dieses Bild eröffnet das Buch und kehrt im Verlauf des Romans immer wieder -- wie die Gitarrenriffs, die das Baby Ormus spielt, als es dem Mutterleib entsteigt. Indem er die Mythen der klassischen Geschichte ausschlachtet, bietet der Roman eine Neufassung der Sage von Orpheus, des größten aller Musiker, und seiner verlorenen Gattin Eurydike. Übernommen aus dem alten Griechenland und auf Umwegen über Indien in die postmoderne Welt des Rock'n Roll geworfen, spinnt Rushdie daraus eine zauberhafte Erzählung über die Verschmelzung von Ost und West, im Lied wie Roman, während die Geschichte durch die Welt eilt. Von einer herrlich komischen Darstellung von London in den Swinging Sixties bis hin zum Sex, Drugs and Rock 'n' Roll im New York der Siebziger, wird Rushdies Geschichte, ehrgeiziger denn je zuvor, zusammengehalten durch das Liebesdreieck Vina, Ormus und Rai und dessen abschließende tragische Auflösung, während die Erde in einer letzten ironischen Wendung unter ihren Füßen bebt. Mit Der Boden unter ihren Füßen befindet sich Rushdie auf der Höhe seiner Schaffenskraft, mit der er Liebe, Verlust, Emigration, Vertreibung und die seismischen Auswirkungen von kulturellen Unterschieden untersucht. Wie es eines der Lieder, die Rushdie in seine Geschichte spinnt, ausdrückt: "I know it's only rock 'n' roll, but I like it." --Jerry Brotton "Musik, Liebe und Tod", so beschreibt Salman Rushdie das Thema seines Romans. In den fünfziger Jahren begegnen sich in Bombay drei junge Menschen, die ein Leben lang nicht voneinander lassen können. Da ist zum einen der junge Ormus, bei dessen Geburt sein Zwillingsbruder tot zur Welt kommt und der aus Schmerz viele Jahre seiner Kindheit die Musik, die in ihm steckt, verschlossen hält. Es bedarf der jungen, durchtriebenen, aber wunderschönen Vina, die mit ihrer bezaubernden Stimme seine Musik zum Klingen bringt und die Jahre später bei einem Erdbeben verschluckt werden soll. Die Liebesgeschichte der beiden, die den Orpheus-Mythos aufgreift, wird von Rai, dem Fotografen, erzählt, der sich nichts sehnlicher als die Liebe Vinas wünscht. Und es ist nicht irgendein Tag, an dem Vina stirbt -- es ist der 14. Februar 1989. Zum einen der Tag der Liebenden, der Valentinstag, zum anderen der Tag, der für Rushdie ein symbolisches Datum ist. An diesem Tag wurde die Fatwa über ihn ausgesprochen. Der Boden unter ihren Füßen sträubt sich dagegen, in eine kurze Rezension gepackt zu werden. Die Poesie, die dieses Buch enthält, Rushdies überbordende Phantasie, seine profunden Kenntnisse der indischen und antiken Mythologie, seine magische Erzählkraft, die bilderreiche Sprache und, nicht zu vergessen, die Musik, läßt sich kaum zwischen zwei Buchdeckeln auf weniger als siebenhundert (!) Seiten bannen. Ein Buch, das man sich einfach gönnen muß, denn es gibt derzeit keinen vergleichbaren Romancier. --Manuela Haselberger
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