In Jostein Gaarders erstmals ausdrücklich für das erwachsene Publikum geschriebenem Roman Der Geschichtenverkäufer hat der Protagonist, Petter Spinnemann, schon von frühester Jugend an Angst vor der eigenen Fantasie. Bereits als Kindergartengänger hält er die Fäden seiner Umwelt -- besonders die...
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In Jostein Gaarders erstmals ausdrücklich für das erwachsene Publikum geschriebenem Roman Der Geschichtenverkäufer hat der Protagonist, Petter Spinnemann, schon von frühester Jugend an Angst vor der eigenen Fantasie. Bereits als Kindergartengänger hält er die Fäden seiner Umwelt -- besonders die der Kinder -- in der Hand, und ist doch nie ganz glücklich dabei: "Ich bestimmte, was sie machten und sagten. Sie wussten das nicht und die Kindergärtnerinnen auch nicht, aber wenn ich Fieber hatte und zu Hause bleiben musste, passierte im Kindergarten rein gar nichts. Die Kinder zogen ihre Overalls aus und an, an und aus. Ich beneidete sie kein bisschen. Ich glaube, sie aßen nicht einmal ihr Pausenbrot". Dabei droht die Einbildungskraft, die ein kleines, "Meter" genanntes Männchen mit Bambusstock streng überwacht, ihren Schöpfer beizeiten selbst zu überrollen: "Das Fantasieren war leicht, es war wie ein Tanz auf dünnem Eis. Ich drehte ausgefeilte Pirouetten auf einer schwachen Eishaut über vielen Tausend Faden Tiefe. Und unter der Oberfläche lag immer etwas Kaltes und Finstres auf der Lauer". Dieses "Finstre und Kalte" holt den Helden im Verlauf der Handlung schließlich ein. Inzwischen ist er ein gefragter Ideengeber geworden, ein "Geschichtenverkäufer", der weniger begnadete Autoren mit spannenden, interessanten oder auch anrührenden Plots versorgt. Nun aber scheint die Tätigkeit dieser "Spinne", die die klebrigen Fäden des Literaturbetriebs gezogen hat, durch journalistische Recherche endgültig aufzufliegen. Der Autor wird zum Opfer seiner eigenen Geschichten. Und sein Leben scheint ernsthaft in Gefahr. In Der Geschichtenverkäufer des 50-jährigen norwegischen Autors Gaarder (Sofies Welt) erzählt Petter endlich einmal seine eigene, "biografische" Geschichte. Aber auch da verwischen Dichtung und Wahrheit, "erinnerte Wirklichkeit" und "erinnerte Fantasie" immer wieder. Herausgekommen ist ein spannendes Buch, das sich nur oberflächlich als Kritik am Literaturbetrieb lesen lässt. Unter der Oberfläche des Eises aber ist Der Geschichtenverkäufer ein philosophisch tiefsinniger Roman auch über Identitätsstiftung und die Kraft der Imagination. --Stefan Kellerer
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