Langsam wird der Vergleich müßig. Kaum tauchen auf dem Buchcover irgendwelche sakralen Bauelemente auf, wandert der Blick durch düsteren Kreuzgang -, gibt’s Unruhe unter den Kathedralenliebhabern. Aha, ein neuerlicher Versuch, Die Säulen der Erde, diesen Everest unter den historischen Romanen, zu...
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Langsam wird der Vergleich müßig. Kaum tauchen auf dem Buchcover irgendwelche sakralen Bauelemente auf, wandert der Blick durch düsteren Kreuzgang -, gibt’s Unruhe unter den Kathedralenliebhabern. Aha, ein neuerlicher Versuch, Die Säulen der Erde, diesen Everest unter den historischen Romanen, zu toppen. Der katalanische Anwalt Ildefonso Falcones kann einem schon Leid tun. An solch gnadenlosem Maßstab gemessen zu werden, erinnert schon eher an sportliche, denn literarische Kategorien. Und verstellt den Blick aufs Schöne und Wesentlliche. Fünf Jahre ließ der Mann sein Herzblut in die Entstehung von Barcelonas imposantestem Sakralbau fließen. Heraus kam ein dicht und streng erzähltes Werk, das Kataloniens dunkelste Zeit förmlich mit Licht durchflutet - und dabei sehr gut auf eigenen Säulen ruhen kann! Dachten auch die Käuferscharen, die den mühevollen Weg eines Vaters und seines Sohnes in die Freiheit wie ein katalanisches Heldenepos bejubelten. Man versteht, warum. Die Bedeutung des Wortes ‚Leibeigenschaft’ wird im beklemmendem Eingangskapitel brutal bebildert. Mitten in die schlichte Hochzeitsfeier des Gutsherren Bernat Estanyol mit Francesca platzen der Lehnsherr Llorenç de Bellera und seine Ritter. Das nun eingeforderte „Recht der ersten Nacht“ war im katalanischen Rechtswesen des 14. Jahrhunderts fest verankert. Als der Feudalherr und seine feixenden Spießgesellen die Brautleute und das Gehöft johlend verlassen, ist eine gerade geschlossene Ehe in ihren Grundfesten zerstört. Ein Jahr später entflieht Bernat mit Arnau, seinem neugeborenen Sohn, dem Joch des furchtbaren Adligen. Barcelona heißt das Ziel. Hier, in der aufstrebenden Metropole, winkt die Freiheit. Und ihr mächtiges Symbol ist gerade im Werden! In dem ehrfurchtgebietenden Gotteshaus Santa María del Mar, erbaut in der Rekordzeit von 55 Jahren und 1384 vollendet, manifestiert Falcones seinen Freiheitsbegriff. In diesem „vom Volk für das Volk“ errichteten Monument, wächst Arnau vom schlichten „Bastaixos“, dem Lastenträger, der die Steine aus den Bergen zur Kathedrale heranschleppt, zu einem der hochrangigsten Bürger Barcelonas empor. Es irrt nun, wer glaubt, das Leid habe damit ein Ende. Auf ein Leid anderer Art verweist der Klappentext: Der praktizierende Anwalt Falcones sei ausgewiesener Fachmann in der Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Kataloniens. Vielleicht eine Erklärung für die zuweilen quälend liebevolle Akribie, mit der Falcones die wahrhaftig nicht unkomplizierte politische Gemengelage der katalanisch-aragonesischen Historie ausbreitet, während sein Figurentableau ein durchaus kräftigeres Farbenspiel vertragen hätte. Was das Buch dennoch auszeichnet, kennzeichnet auch seinen Hauptschauplatz. Gleich diesem Meisterwerk katalanischer Gotik, ist es von unaufdringlicher und spröder Schönheit. -- Ravi Unger
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