Manchmal rastet Luster förmlich aus: zum Beispiel dann, wenn man sich über ihn, den Schwarzen, und seine Freunde von der Musikband „The Freaks“ lustig macht. Aber er tut es auf eine nur unterschwellig aggressive, entlarvende Art und Weise, im „Duell der Zungen“. So ist es auch diesmal, als Luster...
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Manchmal rastet Luster förmlich aus: zum Beispiel dann, wenn man sich über ihn, den Schwarzen, und seine Freunde von der Musikband „The Freaks“ lustig macht. Aber er tut es auf eine nur unterschwellig aggressive, entlarvende Art und Weise, im „Duell der Zungen“. So ist es auch diesmal, als Luster den coolen Schönling am Nebentisch vor seinen Freunden blamiert, indem er immer, wenn der Schönling etwas erwidern will, eine Karte aus der Hosentasche zieht, auf der genau das steht, was der Schönling gerade sagen will. Indem er dem Schönling seine banale Biografie herunterbetet, seinen gewöhnlichen Musikgeschmack vor Augen führt, seine alberne Zukunft prophezeit. Am Ende muss der Schönling von seinen Freunden getröstet werden. Und der Leser weiß: der Schönling hat ein ganz und gar berechenbares Allerweltsalltagsleben. Und Luster und seine Freunde, die Freaks, eben nicht. Joey Goebels Romandebüt Vincent war ein sensationeller Überraschungserfolg. Vielleicht ist das der Grund, warum der 26-jährige US-Autor und Leadsänger der Punkrockband „The Mullets beschlossen hat, sein erstes Werk, ein Drehbuch, zum Roman Freaks umzubauen. In der Anlage merkt man dies dem Buch noch an: ständige, durch Kapitelüberschriften angekündigte Perspektivwechsel und ein Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren sorgen dafür, dass die Spannung beim Lesen gehalten wird. Auch wirkt mancher Dialog, als sei er direkt Quentin Tarantinos Pulp Fiction entsprungen. Aber Goebel hat an der „Literarisierung“ seines Debüts gearbeitet und viel von der Psychologie seiner eigenwilligen Figuren in innere Monologe wandern lassen. Das ist dem Roman gut bekommen. Freaks ist eine rasante, politisch inkorrekte und dabei noch überaus musikalische Achterbahnfahrt durch das Leben einer 80-jährigen, ständig jünger werdenden Altersheiminsassin mit Sex-Pistols-T-Shirt an der Gitarre, einer bildhübschen Rollstuhlfahrerin namens Aurora an den Drums, einer 8-jährigen, nur oberflächlich süßen Göre am Bass, einem irakischen Ex-Soldaten auf der Suche nach seinem einstigen, von ihm verwundeten Gegner am Keybord und Luster, dem philosophierenden Afroamerikaner, als Sänger. „Worte bringen es manchmal nicht rüber“, heißt es in Goebels polyphonem Roman: „oder nie“. Letzteres kann man nach der Lektüre dieses fulminanten Buchs getrost bestreiten. Freaks bringt fast alles rüber. Und das ist mehr, als man von den meisten zeitgenössischen Romanen behaupten kann. --Thomas Köster
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