Die Tagebücher von Kurt Cobain erscheinen fast zeitgleich mit der neuen Biografie von Charles R. Cross. Im Original Journals betitelt, handelt es sich um Auszüge aus 23 handgeschriebenen Notizbüchern mit Briefen, die er meist nicht abschickte (auch nicht die an Courtney Love), Songtext-Entwürfe,...
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Die Tagebücher von Kurt Cobain erscheinen fast zeitgleich mit der neuen Biografie von Charles R. Cross. Im Original Journals betitelt, handelt es sich um Auszüge aus 23 handgeschriebenen Notizbüchern mit Briefen, die er meist nicht abschickte (auch nicht die an Courtney Love), Songtext-Entwürfe, Gedankensplitter, Skizzen, Zeichnungen und Comics, aber auch so Banales wie eine Stichwortliste mit Verkehrszeichen und -regeln für lange Fahrten zum Konzert. Dabei entsteht auch eine kleine Chronik der Grunge-Szene. Die deutsche Ausgabe ist gekürzt, um Faksimile und Übersetzung gegenüber zu stellen. Und die ist den Herausgebern und Übersetzern Clara Drexler und Harald Hellmann ebenso gelungen wie die ergänzenden Randbemerkungen zum Verständnis der Notizen. Viel erhellend Neues kommt nicht zu Tage, die Spannung entsteht eher durch den Gucklocheffekt des Lesers, und das Puzzle, das sich bei jedem zu einem anderen Gesamtbild fügt. Dass auch Nirvana bis zum Durchbruch 1991 mit Nevermind wie alle Anfänger um Auftritte und Demos betteln musste, ist ebenso bekannt wie Kurt Cobains problematische Beziehung zu seinen geschiedenen Eltern. Auch, dass er keine hohe Meinung von sich hatte und sich andererseits völlig überschätzte wie viele unsichere Künstler mit wenig Selbstwertgefühl. Früh bastelte er an seinem Image, oft mit bissiger Selbstironie, etwa bei einer selbst verfassten Konzertkritik über Nirvana. Mit seiner künstlerischen Intelligenz schien er ebensowenig klar zu kommen wie später mit dem großen Erfolg. Er sorgte sich um sein Töchterchen, und wie er die jahrelangen, undefinierbaren Magenschmerzen, die manisch-depressiven Phasen und Selbstmordgedanken los werden konnte. Dass die Witwe Courtney Love aus persönlichen Interessen die Textpassagen selektiert hat, ist eine gängige Vorgehensweise bei Künstlernachlässen. Womöglich erledigt sich dieses Problem in Zukunft von selbst, weil die heutige Musikergeneration dank SMS, E-Mail und Palmbook neben virtuellen Spuren allenfalls noch verblichene Faxe, aber keine dicke, edle Kladde hinterlässt. --Ingeborg Schober
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