Mit der Frage nach polnischen Schriftstellern kann man selbst belesene Zeitgenossen in Verlegenheit bringen. Das muss sich ändern, zum Beispiel wegen solcher Bücher wie Mercedes Benz, das neben einer poetisch-zarten Liebes- und Familiengeschichte aufschlussreiche Einblicke in die Befindlichkeit...
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Mit der Frage nach polnischen Schriftstellern kann man selbst belesene Zeitgenossen in Verlegenheit bringen. Das muss sich ändern, zum Beispiel wegen solcher Bücher wie Mercedes Benz, das neben einer poetisch-zarten Liebes- und Familiengeschichte aufschlussreiche Einblicke in die Befindlichkeit unserer östlichen Nachbarn bietet. Pawel, der Erzähler, nimmt Unterricht beim deutlich jüngeren Fräulein Ciwle, der mutmaßlich schönsten Fahrlehrerin von Danzig. Ihr kleiner Fiat wird unversehens zur Zeitmaschine, denn während Pawel sich durch die "grässlich verstopfte Stadt" lotsen lässt, gibt er Anekdoten aus seiner autoverrückten Familie zum Besten: Wie Großvater Karol dank einer Verkettung unglücklicher Umstände glücklich in den Hafen der Ehe einlief; wie er mit seinem Mercedes 170 jede Ballon-Jagd gewann; wie er das gute Stück schließlich an die Rote Armee verlor. Und wie der Vater jahrelang lieber Bus als Trabbi oder Syrenka fuhr, bis es für einen aufgemöbelten Mercedes -- nach 1945 ein Skandal ("Gestapo, Gestapo!") -- reichte. Genial beiläufig erzählt Huelle so die wechselhafte Geschichte Polens im 20. Jahrhundert, von der ahnungsvollen Idylle vor 1939 ("das wiedergewonnene Chaos"), der Leidenszeit unter Nazis und Kommunisten und der Ernüchterung über die postsozialistischen Zustände, wo die "Arithmetik des bloßen Gewinns, reingewaschen vom Schmutz überflüssiger Ideen" herrscht. Man flüchtet also ins kleine Glück, hofft -- vorsätzlich naiv -- auf die "Kommunion des Wortes, die die Menschen jenseits von Geschlecht, Politik und Herkunft verbindet" -- durchaus unter Einwirkung mehr oder weniger legaler Drogen. Süchtig werden kann man auch nach dieser ganz eigenen Prosa, die mit erstaunlich eingängigen Endlos-Sätzen das Geplänkel zwischen Pawel und der Ciwle ebenso überzeugend inszeniert wie den sozialkritischen Blick auf ostmitteleuropäische Verhältnisse. Der schlanke Roman ist eine meisterhafte Geschichtslektion ohne moralischen Zeigefinger und nicht zuletzt eine berührende Hommage an Bohumil Hrabal, den tschechischen "Erzähler, vor dem ich verstummen muss". Aber zum Glück erst nach 160 Seiten! --Patrick Fischer
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