Es gibt nicht viele Bücher, die Wissen vermitteln, Emotionen transportieren und das Bewusstsein erweitern können. Dank der Leseprobe von vorablesen.de bin ich jedoch auf einen Schatz gestoßen, ein gewaltiges Buch, das eigentlich in keiner Rezension so eingefangen werden kann, wie es ihm ebenbürtig wäre.
Kurzinfos zum Buch
Veröffentlicht: 7. März 2013
Verlag: Krüger
Seitenzahl: 336
ISBN: 3810508535
Preis: 18.99 Euro (Geb. Ausgabe)
Darum geht es:
Carolina de Robertis zeichnet in Perla das Portrait einer jungen Frau, die Teil einer Geschichte eines Landes ist, gezeichnet von Mord, Unrecht und Finsternis. Die Diktatur in Argentinien, die zwischen 1976 und 1983 vielen Menschen das Leben, Familie und Glück nahm, berührt auch Perlas Identität. Sie glaubt die Geschichten über die Desaparecidos – die Verschwundenen – nicht. Bis sich eines Abends alles verändert.
Meine Bewertung:
„Manche Dinge kann der Verstand allein nicht fassen.
Also hör, wenn du kannst, mit deinem ganzen Sein zu.”
Carolina de Robertis: Perla, S. 11
Ich stürzte in die Geschichte, wie der junge nasse Mann in Perlas Wohnung. Und während sie sich zuerst mit einem Messer vor dem scheuen Eindringling zu wehren gedachte, konnte ich nicht glauben, was ich las. Auch Perla war sich dieses Geschehnisses nicht sicher: Ist der Mann, der aus Wasser zu sein scheint, wirklich echt? Doch auch am nächsten Tag noch wartete er in der Wohnung auf sie, während Perla – die perfekte Tochter und perfekte Musterstudentin der Psychologie in der Uni von Buenos Aires – den Freudschen Traumtheorien folgte. Was verbindet diese bodenständige, gut behütet aufgewachsene junge Frau mit dem nassen Mann in ihrem Wohnzimmer?
Man begibt sich auf die Reise in eines der dunkelsten Kapitel der argentinischen Geschichte. Es geht um die Militärdiktatur, die bis 1983 das Land erstarren ließ. Der sogenannte Prozess der Nationalen Reorganisation – kurz: el proceso – kostete tausenden politischen Gegnern der Regierungsgewalt das Leben. Über 30.000 Menschen verschwanden einfach – zurück blieb die Unwissenheit, verzweifelte Frauen und Männer, die ihre Partner, ihre Söhne, ihre Töchter und Freunde verloren; Verzweiflung, Wut, Trauer und Abscheu. Protestbewegungen waren so gefährlich wie versteckt. Am bekanntesten waren die Zusammenkünfte der Madres auf dem Plaza del Mayo – den Müttern, die um ihre Söhne trauerten. Bedeckt mit weißen Kopftüchern umrundeten sie den Platz im Zentrum von Buenos Aires stumm und stillschweigend.
Der geschichtliche Hintergrund dieses Buches verspricht eine emotional beschwerliche Reise. Tatsächlich habe ich selten ein Buch gelesen, das so überwältigend, so lebendig ist. Sprachgewaltig in leisen Worten, die manchmal wie kleine Tröpfchen, manchmal wie ein ganzer Schwall Wasser aus den Seiten quellen. Trotz der rührenden, traurigen, entsetzlichen Geschichte, verbirgt es so viel Leben und Farbigkeit. Hat man einmal damit angefangen, lässt es einen nicht mehr los. Man ist gefangen zwischen den Zeilen, treibt auf den Worten dahin. Wird von Abscheulichkeiten hinabgezogen. Strampelnd kehrt man aus den Tiefen wieder hervor und sieht das strahlende Licht der Sonne, des Lebens, des Glücks durch die Wasseroberfläche perlen, die man gleich erreicht hat.
„Wir plünderten das Bücherregal ihrer Eltern, zogen Bände heraus, lasen und teilten uns gegenseitig unsere Funde mit. Wir bauten uns Festungen um uns, mit Büchern aus Mauersteinen. (…) Ich verstand oft nicht, was die Worte bedeuten sollten (…). Den Geschmack der Worte zu kosten, war genug.“
Carolina de Robertis: Perla, S. 56f
Fazit:
Dieses Buch zu lesen, lohnt sich aus vielerlei Gründen. Ich habe viel gelernt, über die argentinische Geschichte, über das Lebensgefühl in der Hauptstadt, über die südamerikanische Mentalität. Ich war berührt, ergriffen und gefesselt. Vor allem die Sprachgewalt ist es, die das Buch so wunderbar macht. Mal laut, mal leise erzählt die Autorin von ihrer Protagonistin, die es auf dieser Welt – vielleicht nicht in dieser Form – aber auf sehr ähnliche Weise ganz oft gibt. Man kann die Großartigkeit dieser Geschichte kaum in Worte fassen.
Dieser Roman hat mein Herz auf den Kopf gestellt.