Tristan da Cunha ist eine Insel und eine recht kleine dazu. Sie liegt im Südatlantik, wurde vor knapp 500 Jahren entdeckt und nur einmal im Jahr wird sie von einem Postschiff angefahren. 300 Tage im Jahr ist dort das Wetter einfach schlecht. Trotzdem hat es der österreichische Autor Raoul Schrott...
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Tristan da Cunha ist eine Insel und eine recht kleine dazu. Sie liegt im Südatlantik, wurde vor knapp 500 Jahren entdeckt und nur einmal im Jahr wird sie von einem Postschiff angefahren. 300 Tage im Jahr ist dort das Wetter einfach schlecht. Trotzdem hat es der österreichische Autor Raoul Schrott geschafft, einen voluminösen und noch dazu spannenden Roman von über 700 Seiten über diesen verlorenen Flecken zu schreiben. Tristan da Cunha ist nämlich für Schrott nicht nur eine Insel, weit ab von allem anderen, sondern auch ein Ort der Sehnsucht, ein Fluchtpunkt vor dem Rest der Welt. Sein Hang zu abgelegenen Orten zeigte sich schon in seinem ersten Roman Finis Terrae oder in seiner Erzählung Die Wüste Lop Nor. Die Bewohner der Insel sind eigentlich Engländer, doch durch ihre Abgeschlossenheit mussten sie ein ganz eigenes soziales Beziehungssystem entwickeln, lebten und leben gewissermaßen einen utopischen Gesellschaftsentwurf mit allen Brüchen und Widersprüchen in der Praxis. Für einen Schriftsteller wie Schrott ist so etwas natürlich ein ideales Versuchslaboratorium, um nicht nur die Geschichte der Insel und deren Bewohner, sondern eigentlich die Geschichte der Menschen, ihrer Träume und Sehnsüchte der letzten 500 Jahre zu erzählen. Den Rahmen bildet die Geschichte von Noomi Morholt, einer Polarforscherin, die in ihrer einsamen Station im Eis eine Kiste öffnet, die verschiedene Dokumente und Bücher über Tristan da Cunha enthält. Darin finden sich die Aufzeichnungen des Funkers und Kartografen Christian Reval, die Forschungsberichte des Briefmarkenhändlers Mark Thomson und schließlich Briefe, die der anglikanische Priester Edwin Heron Dodgson, der auf Tristan da Cunha lebte, an seinen Bruder Lewis Carroll geschrieben hat. Schrott verflechtet und verknüpft nun überaus kunstvoll und geschickt diese vier gegensätzlichen Lebensläufe und schafft es dadurch die nötige Plastizität für sein ausuferndes Panorama zu erreichen. Viel hat Raoul Schrott in seinen Roman gepackt und man versteht, dass die Recherche zu seinem Buch lange gedauert hat und sehr intensiv war. Man erfährt etwas über Nautik, das Nordlicht, Kirchengeschichte, die viktorianische Zeit, Postwesen, Funk, Philatelie, Vulkanologie, Botanik, Geophysik oder die Geschichte der Antarktis, um nur einige der Themen zu erwähnen. Ein Roman für den man sich Zeit nehmen muss, aber das gerne tut. --Tobias Hierl
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