In früheren Zeiten hätte Kirrick den nahenden Frühling mit lautem Gesang begrüßt. Doch nun hat sich das Land verdüstert. Ein Schreckensregime herrscht und alle seine Mitsänger sind tot. Schockiert hatte er zuletzt mitansehen müssen, wie ein Killerkommando seine Lebensgefährtin Celine buchstäblich...
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In früheren Zeiten hätte Kirrick den nahenden Frühling mit lautem Gesang begrüßt. Doch nun hat sich das Land verdüstert. Ein Schreckensregime herrscht und alle seine Mitsänger sind tot. Schockiert hatte er zuletzt mitansehen müssen, wie ein Killerkommando seine Lebensgefährtin Celine buchstäblich in Stücke riss. Nun lauern sie auf Kirrick, der einsam und frierend auf seinem Ast verharrt, geschützt vom dichten Laub. Der geringste Piepser wäre verräterisch. Kirrick, das Rotkehlchen, das letzte seiner Art in Vogelland hat beschlossen, den verzweifelten Kampf gegen die Elstern und ihre schwarze Verwandtschaft, die Rabenvögel, aufzunehmen. Oje, oje! Schon nach wenigen Zeilen netzen Tränen das Auge und der volle Bambi-Effekt schlägt zu. Sie sollten bei der Lektüre unbedingt ausreichend Papiertaschentücher bereitlegen, derart gnadenlos lässt Clive Woddall sein Drama aus Vogelland auf höchster Rührstufe laufen. Was einst als Gutenacht-Fortsetzungsgeschichte für Woodalls Sohn gedacht war (wie die Verlagswerbung suggeriert), ist nichts weniger als ein Volltreffer im selten gewordenen Genre der Tierfabel. Ähnlichkeiten mit Jonathan Livingston Seagull und Watership Down sind unübersehbar und man darf gespannt sein, welchen Anschlag Disney auf unsere Tränendrüsen plant. Nachdem der verzweifelte Kirrick Traska und seiner Elsterngang entkommen konnte, beginnt sein langer und beschwerlicher Flug nach Norden. Der entscheidende Tipp stammt von Anisse, einem Haubentaucherweibchen, das Kirrick den Weg in den Uralten Wald weist. Hier, in der krummen Tanne lebt Tomar, der greise Waldkauz. Selbst unter seinesgleichen gilt der gefiederte Schrat als ungewöhnlich weise. Kirrick ahnt, nur mit Tomars Weisheit kann er den Völkermord unter den Singvögeln stoppen. Der Krieg der Piepmätze beginnt. Der große böse Slyekin, eine Art Darth Vader unter den Schwarzgefiederten, sieht sich bald einer seltsamen Streitmacht gegenüber. Seriöse Tierschützer werden schäumen angesichts des Gut-Böse-Schemas in der Tierwelt. Zartfühlendere Naturen wiederum dürften die Brutalität der Tötungsszenen gar nicht kindgerecht finden. Eines aber ist klar: Nach dieser unverblümten Parabel auf Völkermord und Terrorregime wird man beim nächsten Spaziergang um das neue Feindbild Krähe und Elster garantiert einen weiten Bogen machen. --Ravi Unger
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