Dieser ambitionierte Erstlingsroman des Filmemachers Lars Pettersson wurde von der Schwedischen Krimiakedemie im Jahr 2012 als "Bestes Krimidebüt" ausgezeichnet. Da bin ich natürlich mit hohen Erwartungen an das Buch herangegangen! Und was soll ich sagen - ich bin beeindruckt, denn dieser Krimi ist wirklich etwas Außergewöhnliches.
Das liegt zum einen schon am Schauplatz, denn die Geschichte ist in Nordnorwegen in der Gegend rund um Kautokeino angesiedelt. Dort gehört die Bevölkerung noch überwiegend dem indigenen Volk der Samen an und lebt hauptsächlich von der Rentierzucht. Viele Familien leben nach althergebrachten Werten und tragen nicht nur zu besonderen Anlässen die traditionelle farbenfrohe Kleidung.
Aber dem Autor liegt es fern, eine beschauliche, touristentaugliche Postkartenidylle heraufzubeschwören! Er kennt die Kommune Kautokeino und ihre Menschen gut und beschreibt deren hartes Leben sowohl bildreich-atmosphärisch als auch schonungslos ehrlich.
Die Staatsanwältin Anna Magnusson hat ihre Wurzeln in Kautokeino, denn ihre samische Mutter stammte von dort. Sie selber hat jedoch ihr ganzes Leben in Schweden verbracht und kennt ihre samische Familie und deren Leben nur von kurzen Besuchen in den Sommerferien. Als sie nun zu Hilfe gerufen wird, um ihren Cousin zu verteidigen, der eine Frau vergewaltigt haben soll, rechnet sie damit, den Fall schnell abschließen zu können. Aber schon bald wird ihr klar, dass weit mehr hinter der Geschichte steckt...
Außerdem fühlt sie sich immer mehr gezwungen, sich mit ihrer entfremdeten Familie und deren Erwartungen auseinander zu setzen. Sie hat von ihrer Mutter sozusagen Schuldgefühle geerbt - dafür, dass sie das harte Leben ihrer Familie hinter sich gelassen und somit "verraten" hat, denn eigentlich wird jedes Familienmitglied auf der Winterweide dringend gebraucht.
Für mich ist Anna ein sehr interessanter Charakter! Sie ist sehr verwurzelt in ihrem modernen Rechtsempfinden und reagiert daher mit Fassungslosigkeit und Zorn darauf, dass ihre Familie von ihr erwartet, die Verbrechen ihre Cousins möglichst unter den Teppich zu kehren.
Nach dem ersten Kulturschock erwacht in ihr der Kampfgeist, und sie stürzt sich mit Hingabe in einen Fall, den außer ihr eigentlich niemand aufgeklärt sehen will. Ich habe ihren Mut und ihre Entschlossenheit sehr bewundert! Man merkt auch immer wieder, dass sie sich trotz allem der samischen Kultur doch noch zugehörig fühlt, wenn auch widerwillig.
Auch die anderen Charaktere fand ich interessant, aber oft sehr schwer zu begreifen, so fremd waren mir ihre Wertvorstellungen. Aber das ist sicher durchaus beabsichtigt, denn als Leser kann man so viel eindringlicher nachempfinden, wie fehl am Platz und entwurzelt sich die Protagonistin in Kautokeino fühlt!
"Einsam und kalt ist der Tod" ist kein typischer Krimi. Viel der Spannung entsteht gar nicht aus dem Kriminalfall, sondern eben aus diesem scheinbar unüberbrückbaren Konflikt zweier Kulturen. Viele der Samen in diesem Buch haben ihr ganz eigenes Verständnis von Moral und Gerechtigkeit und nur wenig Vertrauen in die norwegischen Gesetze, die so wenig mit ihrem täglichen Leben zu tun haben.
In meinen Augen macht gerade diese Mischung den Roman so originell und spannend. Man rätselt nicht nur darüber, wer denn nun was verbrochen hat oder nicht, sondern man wirft vor allem einen Blick in eine gänzlich fremde Kultur, in all ihrer Schönheit und ihrer oft gnadenlosen Härte.
Den Schreibstil fand ich wunderbar. Der Autor beschwört das Leben der Samen mit allen Sinnen herauf. Man hört das Polarlicht knistern und den Schnee knarzen, man riecht und schmeckt das brutzelnde Rentierfleisch und sieht die leuchtenden Augen der Schlittenhunde in der Nacht...
Fazit:
Es geht um Vergewaltigung, um Viehdiebstahl, Raubschlachtung... Und Mord. Aber vor allem geht es um den Konflikt zwischen der archaischen Lebensweise der Samen und den modernen Vorstellungen von Recht und Moral. Man sollte ein reges Interesse an fremden Kulturen mitbringen, aber dann ist das Buch wirklich sehr lohnend und spannend!