9. ein Film/Buch von einem schweizer Autor:
Im Rahmen der Book2moviechallenge mussten mich ein paar Teilnehmer erst darauf aufmerksam machen, dass jener Band von Pascal Mercier, den ich zu Hause liegen habe – eigentlich von Peter Bieri unter einem Pseudonym geschrieben wurde und somit perfekt in meine Kategorie Verfilmung eines Schweizer Romans passt. Das Buch hat mir nicht gefallen, und so habe ich mich nun 2 Monate davor gedrückt, mir auch noch den Film anzutun. Da mich die Eigenschaft Beharrlichkeit auszeichnet, wenn nicht zu sagen ich mit Verbissenheit geschlagen bin, habe ich mir jetzt dennoch den Film auch noch angetan, und ich war ein kleines bisschen positiv überrascht, wie sehr man einen schlechten Plot durch Umgestaltung der Handlungen in einem Drehbuch noch zum Besseren wenden kann.
Buch: 2,5 Sterne ⭐️⭐️
Das Buch startet so ambitioniert, verspricht so viel, enttäuscht mit zunehmender Seitenzahl immer intensiver und zerschellt richtiggehend an seinen zu groß gewählten Vorbildern. Es ist eine richtige Tragödie.
Ein großartiger Start! Der 57-jährige Gymnasiallehrer Mundus Gregorius, Spezialist für tote Sprachen und auch sonst der langweiligste Mensch der Welt, hat plötzlich eine Epiphanie, als er eine fremde Portugiesin auf dem Weg zur Schule trifft, die von einer Brücke springen will. In einer Buchhandung findet er am selben Tag zufällig das Buch des portugiesischen Autors Adameu Inacio de Almeida Prado. Mundus hält dies für ein Zeichen und stellt sein monotones Leben in Frage, lässt alles liegen und macht sich mit Zug auf nach Lissabon, um den Spuren von Adameu Prado zu folgen und eine lebendige Sprache zu erfahren - was für eine Analogie.
Der Roman erinnert mich frappant im Stil und im Plot an Zafons Schatten des Windes, der wahrscheinlich auch Vorbild gewesen ist. Eine Schnitzeljagd, ein Entdecken einer südeuropäischen Stadt mit einem Buch in der Hand auf der Suche nach dem Wesen eines Autors. Diesmal Lissabon statt Barcelona und der Protagonist trägt als typischer spießiger Schweizer noch seine eigenen Probleme in die Story. Leider sind die Schuhe, die sich Pascal Mercier in seinem Roman angezogen hat, bei weitem zu groß, mit jeder Szene wird dem Leser bitter bewusst, dass er von der Plot Qualität nicht an sein Ziel und an sein Vorbild heranreichen kann.
Ab der Hälfte des doch sehr langen Romans (500 Seiten) kommt massive Langeweile auf und endet auch nicht mehr, nämlich durch die sehr inflationäre Integration von Amadeu Prados Schriften in den Plot. Ca. 40% davon bringen die Handlung direkt voran ca. 20% geben Einsichten in den Charakter des Protagonisten und 40% sind larmoyantes nutzloses Geschwafel, das sich Mercier hätte sparen sollen. Es nervt vor allem in seinem Gegensatz zu Zafons Fabulierkunst und genial punktuellen Einsatz der historischen Schriften in die Handlung so derart, dass es wehtut.
Das einzige, das mich doch am Rande sehr interessiert hat, waren die historischen Bezüge des Romans und der handelnden Personen zum portugiesischen faschistischen Regime von Salazar, das Konzentrationslager Campo do Tarrafal auf der Insel Santiago auf den Kapverden, der Schlächter von Lissabon Mendes und der Widerstand, dem einige der Protagonisten wie Amadeu angehörten, der schließlich zur Nelkenrevolution führte.
Das Ende der Geschichte und die finale Handlung sind wie das gesamte Buch. Sie versprechen so viel, sind aber im Endeffekt total unbefriedigend und verpuffen erneut. Einen guten Plot und gute Wendungen in eine Story zu schreiben, wie sein Vorbild Zafon ist dem Autor offensichtlich nicht gegeben, dabei würden sich so viele spannende Konstellationen bieten, auch mir wären auf den letzten Seiten einige spannendere Alternativen eingefallen.
Fazit: Guter Beginn und grausam starkes Nachlassen in der Qualität. Das Potenzial der Geschichte wurde nie ausgeschöpft. Als Gesamtroman ist dieses Werk total entbehrlich, weist enorme Schwächen im Plot und in den Figuren auf, flankiert von nutzlosem pseudointellektuellem Geschwafel, das nicht wirklich zur Geschichte passt. Ich frage mich tatsächlich, wieso so ein schlechter Zafon-Verschnitt einen derartigen literarischen Erfolg feiern konnte.
Film 3,5 Sterne aufgerundet auf 4 ⭐️⭐️⭐️⭐️
Der Film räumt bereits im Drehbuch massiv in der Handlung um, und versucht dadurch, die Schwächen des Autors auszumerzen, was eigentlich recht gut gelingt. Die Portugiesin auf der Brücke, die den Anstoß zur Reise gab, wird am Ende gleich einem Bogen wieder überraschend und konsistent in die Handlung zurückgeholt, mit der Augenärztin wird eine zarte Liebesgeschichte angedeutet.
Andere Figuren, die wenig zur Handlung beitragen, diese lähmen und den Leser langweilen, wie die jüngste Schwester von Amadeu, die Berner Studentin von Mundus und seine mühsame Ex-Ehefrau werden gleich ganz weggestrichen und fehlen nicht einmal. Das sagt auch viel über die Wichtigkeit dieser Personen für den Roman aus. Auch das Ende wird umgeschrieben, die angedeutete Analogie zwischen Amadeus Aneurysma und Mundus gesundheitlichen Problemen, die Pascal Mercier ohnehin auch nicht weiter verwendet, obwohl sich diese Wendung sogar anbietet, bzw. sie der Autor sogar vorbereitet hat, wird gar nicht erwähnt, stattdessen wird ganz zart ein Happy End in Portugal signalisiert.
Der Focus des Handlungsstrangs der Vergangenheit wird im Film auf die politischen Aktivitäten der Widerstandskämpfer gelegt – das war auch das einzige, das mich ab der Mitte des Buches interessiert hat - und nicht auf das philosophische Gesabble von Amadeu wie im Roman. Versteht mich nicht falsch, bei Zafon war das punktgenau gesetzt und hat mir gefallen, aber in Merciers Roman diente es nur als Selbstzweck, und das ärgert mich immer. Das hat mir im Film also wesentlich besser gefallen.
Die wohlbekannten Schauspieler, teilweise richtige Superstars, spielen sehr gut, Jeremy Irons ist mir zwar ein bisschen zu wenig pingelig Deutsch-Schweizerisch, sondern packt die melancholische Seite seiner fiktiven Figur aus, was sich in meiner Erfahrung von 4 Jahren Arbeit in der Schweiz kein einziger meiner Kollegen und Chefs zugestanden hat, und Bruno Ganz überperformt ein bisschen als Apotheker und Freund von Amadeu, aber das sind Petitessen der Authentizität, die bei den sehr guten Umschreibaktionen des Drehbuchs nicht ins Gewicht fallen. Mundus könnte im Film auch Brite oder Franzose sein, wichtiger ist, dass im Film im Gegensatz zum Buch die Story FUNKTIONIERT!
Fazit: Buch gegen Film – Eindeutig für den Film. Ein Wunder, was ein guter Drehbuchschreiber noch aus einer so schlechten Story machen kann. Bravo!