Frühjahr 1999: Javier Zamora ist erst neun Jahre alt, als er seine Kleinstadt in El Salvador verlassen und seinen Eltern in die USA folgen soll. Bis dahin war er behütet bei seinen Großeltern und seiner Tante aufgewachsen. Nun aber hält ihn seine Familie bereit dafür, die riskante illegale Migrantenroute in die Vereinigten Staaten zu nehmen. Mit einem Schleuser, aber ohne die Begleitung von ihm vertrauten Personen soll der Junge tausende Kilometer quer durch Mittelamerika und über die US-amerikanische Grenze bewältigen. Doch das gestaltet sich schwieriger als gedacht…
„Solito“ ist ein Memoir von Javier Zamora.
Das autobiografische Buch besteht aus neun Kapiteln, die anhand der Tage in weitere Abschnitte untergliedert sind. Das erzählte Geschehen umfasst die Zeit vom 16. März 1999 bis zum 11. Juni 1999, wobei es eine Art Nachtrag vom 5. April 2021 gibt.
Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Javier, streng chronologisch und mit kindlicher Erzählstimme. Letzteres hat die Folge, dass die mitunter sehr detaillierten Schilderungen zwar anschaulich und atmosphärisch, jedoch Syntax und Vokabular recht einfach gehalten sind. Nur an einigen wenigen Stellen fallen starke Bilder und sprachlich beeindruckende Beschreibungen auf. Auch das angehängte Glossar kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ungerechtfertigte Häufung spanischer Begriffe und Wendungen leider das Verständnis des Textes und das Lesevergnügen trübt.
Besonders gelungen ist die Figurenzeichnung, was den Protagonisten Javier und seine Familienmitglieder angeht. Andere Personen bleiben größtenteils etwas eindimensional und zum Teil schablonenhaft, was ich allerdings der kindlichen Perspektive zuschreibe und nicht als Manko empfunden habe.
Aus inhaltlicher Sicht halte ich das Memoir für ein wichtiges Zeitdokument, um die Herausforderungen und Probleme von Flüchtlingen und Migranten zu illustrieren. Das Buch macht nachdenklich, rüttelt auf und bietet viel Diskussionsstoff. Es stellt daher einen bedeutsamen gesellschaftlichen Beitrag zur Thematik dar und steht exemplarisch für die Geschichte vieler anderer illegaler Auswanderer.
Auf den fast 500 Seiten gibt es die eine oder andere Länge. Überwiegend hat mich das Geschilderte aber gut unterhalten und emotional bewegt. Obwohl von Anfang an klar ist, dass letztlich die Bemühungen für Javier erfolgreich waren, ist der Text immer wieder spannend und fesselnd.
Trotz des recht großen Umfangs habe ich an mehreren Stellen den Kontext vermisst. Zu viele Fragen bleiben am Ende offen. Unter anderem geht für mich nicht eindeutig genug hervor, weshalb zunächst seine Eltern und schließlich Javier diese Tortur auf sich nehmen mussten. So fehlt mir auch nach der Lektüre jegliches Verständnis dafür, ein noch so junges Kind alleine auf diese gefährliche Route zu schicken.
Das reduzierte Cover sticht angenehm aus der Masse hervor. Es passt hervorragend zum Inhalt. Der prägnante Titel ist ebenfalls eine gute Wahl.
Mein Fazit:
Zwar hat mich „Solito“ in sprachlicher Hinsicht enttäuscht und weist inhaltliche Lücken auf. Das Memoir von Javier Zamora ist dennoch absolut lesenswert und eine besondere Lektüre.