Die Geschichte ist in meinen Augen einzigartig und originell, eine unglaubliche Mischung verschiedener Genres. Sie spielt weit, weit in einer Zukunft, in der London sich zu einem aufgeblähten Moloch von einer Stadt entwickelt hat, die komplett abgeschottet ist von der Außenwelt - dem lebensfeindlichen, gesetzlosen Niemandsland. Aber auch innerhalb der Mauern der Stadt ist das Leben keineswegs einfach und idyllisch, jedenfalls nicht für alle Bewohner...
In gewisser Weise scheint die Menschheit einen gewaltigen Schritt rückwärts gemacht zu haben. Ich habe mich öfter an die Romane von Charles Dickens erinnert gefühlt, in denen er die Klassenunterschiede zur Zeit der Industrialisierung beschreibt, denn in "Niemandsland" herrschen ganz ähnliche Zustände!
Da sind einmal die reichen Industriellen, die sich alles erlauben können und ihre Privilegien mit der harten Arbeit und dem Leid anderer Menschen erkaufen. Sie leben im grünen Kern der Stadt in großen Villen, und vor allem in sauberer Luft...
Dann gibt es das Proletariat, die ausgebeuteten Arbeiter, die fast rechtlos sind. Sie leben in regelrechten Ghettos, in denen die Luft verpestet ist von den beißenden Dämpfen der Industrie. Es gibt noch nicht einmal Schulen für ihre Kinder, und es besteht keinerlei Hoffnung auf ein besseres Leben für die nächste Generation, denn in dieser Welt ist alles nach Erbfolge geregelt.
Zuletzt gibt es noch die Watcher, die Leibwächter der Reichen, die irgendwo zwischen den beiden Klassen stehen. Sie werden dressiert wie Hunde, und ihnen wird alles genommen, was sie zu Individuen macht.
Die Autorinnen beschreiben bildgewaltig und atmosphärisch diese bedrückende Welt der Zukunft, die abgeriegelten Städte, die Hoffnungslosigkeit der Armen und die Dekadenz der Reichen. Das Buch ist einfach wunderbar geschrieben, und dabei von der ersten bis zur letzten Seite spannend!
Auch die Charaktere haben mir gut gefallen; sie sind alle sehr echt und ansprechend, und auf ihre jeweils eigene Art sympathisch.
Jolette ist eine Wächterin, bei der die Gehirnwäsche anscheinend perfekt funktioniert hat. Der Kodex der Wächter irrt sich nie, ihre Schutzbefohlene ist ihr Lebensinhalt, und sie sieht sich nicht einmal als Mensch. Sie hat keine Freunde, keine Familie, keine Wünsche für die Zukunft....
Aber dann trifft sie Cy, der zwar ebenfalls Wächter ist, aber den Dingen kritischer gegenübersteht. Zum ersten Mal weckt er in ihr Gefühle, die eindeutig menschlich sind. Mir war Cy sehr sympathisch, denn er ist nicht nur sehr intelligent, sondern auch sehr mitfühlend. Wenn er sieht, wie jemand leidet, will er eingreifen - ob das jetzt den Wünschen der Industriellen entspricht oder nicht.
Die beiden entwickeln sich schnell zu einem guten Team, und ich fand sehr interessant, wie sich die Dynamik zwischen ihnen im Laufe des Buches verändert - und wie sie beide daran wachsen.
Jolettes Schutzbefohlene Patience ist ein junges Mädchen, das verwöhnt im goldenen Käfig lebt. Aber im Laufe des Buches stellt sie sich als mutig und entschlossen heraus, und als herzensguter, liebenswerter Mensch.
Vielleicht am interessantesten fand ich Lynn, eine junge Cupid. Die Cupids gelten als gewissenlose, sadistische Monster, die Kinder verschleppen, und tatsächlich scheinen viele von ihnen auch so zu sein... Aber Lynn wirkte auf mich menschlicher und komplexer, und ich hoffe sehr darauf, dass sie im zweiten Band eine größere Rolle spielen wird!
Fazit:
Charles Dickens trifft Ray Bradbury...? Die Autorinnen präsentieren uns hier eine durchdachte, glaubhafte Welt, in der Dystopie, Science Fiction und Fantasy sich die Hand reichen. Ich fand diese ungewöhnliche Mischung sehr ansprechend und originell!