Ein Paradebeispiel für innovative, österreichische Literatur abseits der großen Stars ist dieses Buch von Anita Augustin. Die Autorin und ihren schrägen übel-anarchischen Erzählstil lernte ich bereits vor drei Jahren auf der Buch-Wien kennen und lieben, als mir ein Verlagsmitarbeiter Alles Amok regelrecht aufdrängte.
Diese Geschichte ist fast noch besser und bei weitem fürchterlicher. Es geht ums Altern - und zwar nicht dieses von der Werbung propagierte vor Fitness strotzende, Nordic-walkende, alle dritten Zähne inkludierende, geistig in Topform befindliche, mit sozialen Beziehungen ausgestattete Altern, das uns immer bilderbuchmäßig vorgegaukelt wird, sondern das einsame, Paranoia behaftete, sabbernde Altern, dahinsiechend in der Aufbewahrungsanstalt für geistig und körperlich nicht mehr brauchbaren Menschenschrott. Dabei wird von der Autorin aber kein mitleidheischender Problemroman konzipiert, sondern ein völlig groteskes anarchisches Stück à la „Einer flog über das Kuckucksnest“ in der Geriatriehölle, genannt RESIDENZ. Der wesentliche Unterschied zum erwähnten Film von Milos Forman ist aber, dass nicht nur das Pflegepersonal abgrundtief widerlich und böse ist, sondern auch die Senioreninsassen, die sich auch ausgiebig gegenseitig quälen.
„Der Krieg ist das einzig Existenzielle im Leben des Menschen. Ohne Krieg bist du kein Mensch, sondern etwas anderes, zum Beispiel ein Pazifist. Aber wenn du ein Mensch sein willst, dann musst du Krieg führen, und wenn gerade kein Krieg in der Gegend herumliegt, dann musst du dir einen suchen, und wenn du keinen findest, weil du keine Lust auf Fernreisen in irgendwelche Krisengebiete hast, dann musst du ihn dir selber machen.“ Das ist so in etwa das Motto der Senioren.
Die einzige Figur, mit der ich wirklich Mitleid hatte, war der 18-jährige unerfahrene Zivildienstleistende, der schon vier Mal bei seiner ersten Ganzkörperwäsche die Achselhöhle säubert, weil ihm vor dem alten Busen gar so graust und der dann auch noch von der Pflegeaufsicht zur Schnecke gemacht wird.
Manchmal hatte ich das Gefühl, sofort einen jungen unschuldigen Menschen zu verpflichten, er möge mir doch kurz und schmerzlos eine Kugel in den Kopf jagen, wenn es denn bei mir so weit ist, dann wieder hatte ich arge Aggressionen gegen dieses System und zum Schluss musste ich auch noch lachen. Was war das? Galgenhumor? Witzig ist das Buch übrigens nicht, sondern eher wie ein gemeiner schauderhafter Autounfall, bei dem man einfach nicht wegschauen kann.
Das Ende übertrifft übrigens die anarchische Bosheit des restlichen Romans noch – sowas habe ich nicht erwartet. Traumhaft!
Fazit: Absolute Leseempfehlung von mir mit meinem bösartigen morbiden Humor – aber bitte nicht für jedermann - seid gewarnt :-)