Den Autor Jonathan Barnes habe ich vor Jahren kennengelernt, als mir sein Roman „Das Albtraumreich des Edward Moon“ in die Hände fiel. „Das Königshaus der Monster“ ist eine lockere Fortsetzung dieses Romans. Barnes selbst verdient unter anderem genau damit sein Geld, was ich mir für meine eigene Zukunft wünsche: er schreibt Rezensionen. Es ist ein seltsames Gefühl, eine Kritik zu einem Buch zu schreiben, das ein Kritiker geschrieben hat. Aber gut, wenn jemand versteht, dass nicht jedes Buch fabelhaft ist, dann wohl er. Vor kurzem ist übrigens auch Barnes‘ dritter Roman „Cannonbridge“ erschienen. Nach der Lektüre von „Das Königshaus der Monster“ bin ich mir allerdings noch nicht ganz sicher, ob ich es lesen möchte.
Henry Lamb führt ein durchschnittliches, austauschbares Leben. Früher war er ein Kinderstar, aber die Tage seiner Schauspielerei liegen schon lange zurück. Heute ist er ein einfacher Archivangestellter. Bis sein Großvater einen Herzinfarkt erleidet und seitdem im Koma liegt. Plötzlich tritt eine mysteriöse Behörde an Henry heran, die sich als das Direktorium vorstellt und behauptet, nur er könne London vor dem Untergang bewahren. Seit Jahrhunderten kämpft das Direktorium gegen die königliche Familie Windsor, die die Stadt dem Dämon Leviathan opfern will. Nun nähert sich der Kampf seinem blutigen Höhepunkt und alles steht auf der Kippe. Henry muss Estella finden, die einzige, die Leviathan aufhalten kann. Doch dafür muss er mit den Dominomännern sprechen. Der Wettlauf um die Seele Londons beginnt.
Meine Güte, was für ein abgefahrener Genre-Mix. Jonathan Barnes hält sich nicht mit dem zarten, sachten Vermischen von Details auf, die typisch für bestimmte Genres sind. Nein, er mixt die ganz großen und schlägt sie seinen LeserInnen um die Ohren: Fantasy und Science Fiction. Bis zum Ende war ich überzeugt, es mit einem reinen Fantasy-Roman zu tun zu haben, weil alles darauf hinwies. Aber dann – Boom! Überraschung! Science Fiction! Erst war ich total verwirrt, da ich allerdings sowieso das ganze Buch über ständig verwirrt war, konnte ich das Gefühl schnell überwinden und freute mich einfach darüber, dass meine Erwartungshaltung gekippt wurde. Ich habe mich köstlich amüsiert. Das wurde auch Zeit, denn während der Geschichte kam ich nicht sonderlich oft zum Lachen. Ich stolperte durch sie hindurch und hatte nie das Gefühl, überhaupt irgendetwas zu verstehen oder zu durchschauen. Ich kann mir mittlerweile vorstellen, dass Jonathan Barnes das so wollte, damit der unvermeidliche Höhepunkt umso heftiger wirkt. Vielleicht wollte er undurchsichtig und mysteriös sein. Damit machte er es allerdings nicht nur mir schwer, sondern auch seinem Protagonisten Henry. Der Ärmste ist völlig ahnungslos und garantiert kein Held, obwohl er London retten soll. Er ist ein Jedermann; leidenschaftslos und ersetzbar. Dementsprechend hatte ich nicht wirklich eine Verbindung mit ihm, er ist einfach so durchschnittlich. Auch hier denke ich, dass Barnes das durchaus beabsichtigte. Henry trifft auf haufenweise skurrile Charaktere und wirkt inmitten dieser Verrückten wie ein Zengarten der Normalität. Außerdem vermittelt das den Eindruck, dass es anstatt Henry auch jede andere beliebige Person hätte treffen können.
Die Spitze der ganzen Freaks sind eindeutig die Dominomänner. Ich liebe sie! Sie sind so böse. Verschlagene, intelligente, hinterlistige, mordende Lügner, die Spaß daran haben, Menschen zu quälen. Was Henry fehlt, haben sie im Überfluss: Charakter. Ich bin sicher, dass sie eindeutig nicht menschlich sind, aber was sie sind – ich habe keinen blassen Schimmer. Sie können aus dem Nichts auftauchen, wissen Dinge, die sie nicht wissen können und sind offenbar uralt. In ihren altmodischen Schuljungen-Uniformen empfand ich sie als extrem bedrohlich und gefährlich. Sie sind wie Raubtiere, die ihre Beute geduldig und unsichtbar aus dem Unterholz beobachten, bevor sie brutal und lustvoll zuschlagen. Und sie passen in diese Handlung, so temporeich, actiongeladen und unvorhersehbar wie sie ist. Manchmal dachte ich, ich hätte das Buch verstanden. Ich freute mich schon und klopfte mir selbst gedanklich auf die Schulter. Zufrieden blätterte ich um und musste all meine Annahmen wieder über Bord werfen, weil es plötzlich einen neuen Erzähler gab. Einen völlig anderen Erzähler. Jemanden, der Henry nicht besonders mag und behauptet, alles, was er als Ich-Erzähler bis dahin geschildert hat, sei gelogen.
„Das Königshaus der Monster“ ist ein düsteres Kuriositätenkabinett. Jonathan Barnes verbreitet keine sonnige Fröhlichkeit, sondern unheimliche, verstörende Absurdität. Wer dieses Buch liest, darf nicht erwarten, alles zu verstehen. Es ist eine dieser Geschichten, auf die man sich unvoreingenommen einlassen muss. Wenn ihr das schafft, werdet ihr eine verrückte Show erleben, in der alles möglich ist: Serienkiller in Schuljungen-Uniform, ein alter Mann mit Kiemen, drogenabhängige Royals und ein Dämon, der etwas Ungeheuerliches mit London vorhat!