Auf ihrer Website erklärt Kate Jarvik Birch, ihre Liebe zum Schreiben sei in ihrer Kindheit erblüht. Was sie nicht erwähnt, ist, dass diese Leidenschaft in der Familie liegt. Ihre Mutter, Elaine Birch, arbeitete 30 Jahre als Journalistin, bevor sie eine Karriere als Bühnenautorin einschlug. 2011 wurde das erste gemeinsame Stück von Mutter und Tochter, „(a man enters)“, in ihrer Heimat Salt Lake City uraufgeführt. Die Kritiken nahmen es überwiegend positiv auf. Ihren Debütroman veröffentlichte Kate Jarvik Birch erst Jahre später, aber ich glaube, der Erfolg des Stückes verlieh ihr das nötige Selbstbewusstsein, ohne das ich „Tarnished“, den zweiten Band der „Perfected“-Trilogie, heute vielleicht nicht für euch besprechen würde.
Ella wurde als Sklavin geboren. Sie ist ein im Labor perfektioniertes Haustier, gezüchtet, um reichen Familien Freude zu bereiten. Doch ihren freien Willen konnten ihr weder die Genetik noch ihr Besitzer nehmen. Die verbotene Liebe zu seinem Sohn Penn verlieh ihr den Mut, ihre Ketten zu sprengen und gemeinsam mit ihm nach Kanada zu fliehen. Leider wurde das Paar an der Grenze getrennt; nun befindet sich Ella in einem Flüchtlingslager für entlaufene Haustiere in Kanada, während Penn in den USA dem Zorn seines Vaters ausgeliefert ist. Ellas spektakuläre Flucht hatte allerdings viel dramatischere Konsequenzen, als die beiden jemals vermuteten: eine grausame Mordserie erschüttert das Land. Die Opfer sind Haustiere. Wenn ihretwegen junge Mädchen wie sie selbst getötet werden, kann Ella nicht tatenlos zusehen. Unterstützt von der ruppigen Missy nimmt sie den gefährlichen Weg zurück in die USA auf sich und wagt sich in die zwielichtige Welt der Schwarzmärkte, um Penn zu retten und ihren Leidensgenossinnen zu helfen. Sie wird nicht zulassen, dass andere den Preis für ihre Freiheit zahlen.
Oh man. Diese Fortsetzung hätte nicht sein müssen. Es wäre besser gewesen, hätte „Tarnished“ nie das Licht der Welt erblickt. Ich war am Ende von „Perfected“ bereits skeptisch, ob ein zweiter Band der Geschichte eventuell eher schadet als sie zu bereichern – ich bedauere, dass ich Recht hatte. Was mir an dem Trilogieauftakt besonders gefiel, war die sanfte, zerbrechliche Note der Erzählung aus der Ich-Perspektive der Protagonistin Ella. Da Ella im Genetiklabor der Firma NuPet mit dem ausdrücklichen Ziel gezüchtet wurde, als gehorsames, graziles Haustier in eine reiche Familie aufgenommen zu werden, ist sie ein unschuldiger, naiver Charakter ohne jegliche Lebenserfahrung. Mit der Handlung des ersten Bandes harmonierte dieses Profil hervorragend. In „Tarnished“ hingegen beißt sich Ellas zarte Charakterisierung mit den actionreichen Ereignissen. Sie passt nicht in diese Handlung und ist keine glaubhafte Heldin, weil sie viel zu schwach ist, um überzeugend die Initiative zu ergreifen. Um ihre Schwäche zu überspielen stellt ihr Kate Jarvik Birch die resolute Missy zur Seite, die sie ganz praktisch aus dem Hut zaubert, sobald Ella an ihre eng gesteckten Grenzen stößt – also innerhalb des ersten Kapitels. Zu Beginn des Buches befindet sich Ella in einem Flüchtlingslager in Kanada, aus dem sie zu entkommen versucht, weil sie meint, ihre große Liebe Penn aus den Fängen seines sadistischen Vaters befreien zu müssen. Dass sie ihn durch ihre Anwesenheit möglicherweise zusätzlich gefährdet, kommt ihr nicht in den Sinn und wohin sie mit ihm fliehen möchte, will sie offensichtlich spontan entscheiden. Es ist dieser Egoismus, getarnt als unsterbliche Liebe, der mich in Young Adult – Romanen immer wieder aufregt. Dummerweise ist Ella nicht einmal in der Lage, sich allein unentdeckt vom Gelände des Lagers zu schleichen. Auftritt Missy. Woher sie kam, Kilometer entfernt von ihrer Heimat in den USA, wird nie geklärt und wieso sie Ella hilft, obwohl die beiden kaum als Freundinnen bezeichnet werden können, ist ebenso ungewiss. Sie ist da, weil Birch sie brauchte, um die weitere Handlung von „Tarnished“ anzustoßen. Auf sich selbst gestellt hätte Ella es nämlich niemals zurück in die USA geschafft. Missy führt Ella in die zwielichtige Welt der Schwarzmärkte ein, die einzige Möglichkeit für entlaufene oder ausrangierte Haustiere, zu überleben. In diesem Rahmen nervte mich Ellas Naivität maßlos, weil sie nicht erkennt, was die Mädels hinter verschlossenen Türen tun müssen, um nicht auf der Straße zu enden. Von dort aus machen sie sich auf den Weg zu Penn – der Startschuss für einen Handlungsverlauf, der an mangelnder Logik und Plausibilität kaum zu unterbieten ist. Die Hintergründe für und die Reaktion der Bevölkerung auf die Mordserie an Haustieren sind meiner Meinung nach vollkommener Unsinn. Birchs Szenario ist dermaßen unrealistisch, dass es mich ärgerte. Als ob ich wirklich jeden Quatsch glauben würde, nur weil er gedruckt wurde.
Ich fand „Tarnished“ grenzenlos enttäuschend. Mit dieser Fortsetzung nötigt Kate Jarvik Birch die Geschichte in eine Richtung, die sowohl ihrem Wesen als auch dem Charakter der Protagonistin und Ich-Erzählerin völlig widerspricht. Man kann ein verletzliches, sensibles Mädchen wie Ella nicht zwingen, im Eiltempo ihre Kämpfernatur zu entdecken. Genau das erwartet Birch jedoch von ihr und deshalb wirkt sie fehl am Platz und kann den Entwicklungen allein nicht gerecht werden. Der zweite Band verlangt eine Heldin, die Ella nicht sein kann. Diese Fehleinschätzung der Autorin erweckt mein Mitleid für Ellas Figur, weil es unfair ist, ihr eine Handlung zuzumuten, die ihren Horizont weit übersteigt und der sie nicht gewachsen ist. Darüber hinaus tat sich Birch auch selbst keinen Gefallen mit „Tarnished“, denn sie präsentiert ein äußerst abwegiges Handlungskonstrukt, das den positiven Eindruck, den ich nach „Perfected“ von ihr hatte, beinahe komplett entwertete. Ich werde das (mutmaßliche) Finale „Unraveled“ nicht mehr lesen. Ich möchte nicht erleben, durch welche unmöglichen brennenden Reifen Birch die arme Ella noch springen lassen will.