logo
Wrong email address or username
Wrong email address or username
Incorrect verification code
back to top
Search tags: medizin
Load new posts () and activity
Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2019-12-10 07:03
Magnitude des Kriminellen
Das Böse - Reinhard Haller

Da ich eine begeisterte Krimileserin bin, interessiert es mich auch sehr stark, mich ab und an intensiver mit fachlichem Hintergrundmaterial zur Materie und zu den Motiven von Kriminellen zu beschäftigen, insofern habe ich mich auf das Buch des forensischen Psychiaters Reinhard Haller außerordentlich gefreut. Bedauerlicherweise bin ich mit einigen Vorgehensweisen des Autors vor allem zur Tiefe der angebotenen Information, zur Skalierung, zur Struktur und zur punktgenauen Zuordnung der Criminal-Cases nicht wirklich zufrieden.

 

Der Titel des Sachbuchs heißt schlicht, ergreifend und kurz das Böse – wobei natürlich nicht der Begriff aus Mythos, Religion und Ethik vom Autor thematisiert und dargestellt, sondern in diesem Fall Wissenschaft an solchen Schnittstellen zu den drei Bereichen mit ganz pragmatischen Forschungsansätzen vorgestellt wird. Damit ist die Leserschaft, die sich tatsächlich mit empirischen Forschungen zu kriminellen Handlungen, Motiven, Auslösern und Milderungsgründen beschäftigen möchte, prinzipiell punktgenau beim richtigen Werk. Ich finde es sehr gut und innovativ, dass mehrere Wissenschaftler versuchen, einen Begriff aus Religion und Philosophie zu messen, zu kategorisieren, zu skalieren und systematisch zu strukturieren, zumal solche Skalen ja durchaus einen realen, praktischen Einfluss auf das Strafmaß der Täter haben. Dr. Michael Wellner meint sogar, dass die gesellschaftliche Einstellung zu bösen Taten dem Wandel der Zeit unterzogen ist und versucht, durch Langzeitstudien und Bevölkerungsbefragung diesen auch noch miteinzubeziehen. Das finde ich ein extrem neues, sehr spannendes Forschungsgebiet.

 

Bereits in den Einführungskapiteln entstanden aber meine ersten Irritationen bezüglich Informationstiefe und Struktur. Da wird einfach wie mit Puderzucker oberflächlich über das Thema, die einzelnen Theorien der Wissenschaftler drübergestreuselt. Skalierungen basierend auf empirischen Forschungen und Einteilungen werden zwar erwähnt, aber nicht behandelt. Die 22-stufige Skala des Bösen (die Anzahl und Bezeichnung der Skalenausprägungen wurde nie erwähnt) von Prof. Michael Stone weist bei der Präsentation von Herrn Haller nur die Extremwerte von Notwehr und geplantem Mord mit Quälung auf, der Rest dazwischen ist nur ein allgemeines Blaba von Minderungsgründen. Mich hat aber die exakte Skalierung und Einteilung dazwischen interessiert, die ich nicht im Werk und nicht im Glossar fand, sondern extra recherchieren musste. Warum will man die Leser in populärwissenschaftlichen Sachbüchern immer so unterfordern und dumm sterben lassen? So eine Vorgehensweise erschließt sich mir nicht. *kopfschüttel*

 

Weiters versucht der Autor dann in einem Rundumschlag alles, was es zu diesem Thema zu sagen gibt, an der Oberfläche kratzend, gleichzeitig anzusprechen. Die gesellschaftlichen und moralischen Implikationen, das Bestrafungssystem, das daraus resultiert, im Wandel der Zeit, die Anlage–Umwelt- Problematik und die Zwillingsforschung dazu zu diesem Thema … und so weiter und so fort. In diesem Eintopf an lose präsentierten Argumenten ist alles vermantscht, von einer Struktur ist in der Einführung in das Thema einfach nichts zu sehen. Dabei gäbe es zu allen angesprochenen Themen weitaus ausführlicher sehr interessante Forschungsansätze zu berichten, die einfach auch inhaltlich massiv fehlen, um das Fachgebiet umfassend betrachten zu können, weil sie bedauerlicherweise nie wieder angesprochen werden.

 

Ab Seite 45 führt der Autor seine eigenen Thesen ein, und dann wird die Struktur übersichtlicher. Im Kapitel das Böse und die Normalität beweist er der Leserschaft, dass fast jeder Mensch durch äußere Umstände und Situationen zu kriminellen Handlungen getrieben werden kann. Dies untermauert er mit dem allseits bekannten Milgram und Stanford Experiment, aber auch mit weniger bekannten oder auch aktuelleren Belegen wie Erfahrungsberichten aus S21 (Vernichtungsgefängnis in Phnom Penh, Kambodscha – dort war ich schon) und Srebrenica 1995. Im Rahmen der Abgabe von Verantwortung an eine höhere Autorität lehnen sich ca. 66,6% nicht gegen Tötungsbefehle von Vorgesetzten auf. Die Anlage zum Bösen ist in uns allen verankert, so etwas könnte fast jedem passieren.

 

Von der bösen Idee über böse Gefühle, böse Lust und bösem Ruhm legt er in einer selbst erstellten Kategorisierung den Stand der forensischen Motivforschung dar. Warum das Kapitel Amok, Terror und Massaker als böse Trias nicht im Kapitel der böse Ruhm angesiedelt ist, zum Beispiel Schoolshootings unter bösen Ruhm fallen und nicht unter Amok, erschließt sich mir einfach nicht. Weiters arbeitet der heutige Terror ja massiv mit Öffentlichkeit, Ruhm und Social Media und würde somit auch in ein Gesamtkapitel böser Ruhm fallen. Hier sind sowohl die Klassifizierung unlogisch als auch die Zuordnung der Crime Cases. Auch einige Kriminalfälle im Bereich böser Idee gehörten eigentlich in das Kapitel Terror. So ein Durcheinander in der Zuteilung stört mich als Wissenschaftlerin, die öfters empirische Forschung in der Praxis – insbesondere Faktorenanalyse – betreibt, enorm.

 

Auch in den Folgekapiteln das böse Schweigen, der böse Vater, die böse Mutter und die böse Partnerschaft sind die Fallbeispiele nicht immer richtig zugeordnet und sorgen somit für ein Chaos und Irritationen in der Struktur.

 

Leider wird in den Kapiteln die bösen Gene so gut wie nicht auf die Anlage-Umweltproblematik und die Zwillingsforschung dazu eingegangen. Im Kapitel die bösen Hirnzellen werden die neuesten Erkenntnisse aus der Hirnforschung zwar wieder mal angesprochen, aber viel zu wenig tief thematisiert, was die neueste Forschung durch die Computertomographie im Detail in letzter Zeit herausgefunden hat. Ganze sieben Seiten zu diesem Fachgebiet, ohne Grafik und Tomografiebilder für die Leserschaft, um die einzelnen unterschiedlichen Gehirnregionen auch zu identifizieren, sind einfach zu wenig.

E

inen weiteren Kritikpunkt, der mich übrigens nicht betrifft, habe ich auf Lovelybooks vernommen. Das Sachbuch ist ein Relaunch des Werkes Das ganz normale Böse“ (Ecowin 2009) des Autors Haller. Angeblich wurde nur der Buchtitel geändert, das Cover psychologisch angehaucht, adaptiert, der Inhalt ist zum überwiegenden Teil gleichgeblieben. Lediglich Verbrechen, die zwischen 2009 und der Drucklegung von 2019 begangen wurden, hat man ergänzt. Bedauerlicherweise ist der Hinweis auf den Umstand, dass die aktualisierte Neuausgabe nicht viele Änderungen enthält, gelinde gesagt etwas unprominent – beziehungsweise gar nicht – platziert. Wenn meine Informationen stimmen, ist von einer erweiterten Neuauflage, wie im Sticker kommuniziert, auf jeden Fall nicht zu sprechen, sondern nur von einer aktualisierten.

 

Ach ja noch ein Hinweis an den Verlag. Auf Seite 42 ist im ersten Satz ein ganz grauslicher Orthografiefehler, der meinen inneren Monk komplett durchdrehen ließ. „Der Täter sagt: „Das wahr ich nicht, […]““

 

Fazit: Das Buch ist nicht schlecht und versucht, dem Leser einen umfassenden Überblick über das Thema zu geben, hat aber Schwächen in Struktur, Klassifizierung und Tiefe des zugeben guten Inhaltes – was eine Lovelybooks-Rezensentin als „recht schwammig“ bezeichnete. Ich kann diesem Ausdruck vollinhaltlich zustimmen. Es gibt eine große Anzahl an viel schlechteren Werken zu diesem Thema, es gibt aber auch ein paar bessere. Einsteiger in die Materie werden wesentlich begeisterter sein als Leute, die schon einiges in diesem Fachbereich gelesen haben.

Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2019-01-08 14:34
Sa-Tierische Schreibversuche
Menschen, Tiere und andere Dramen: Warum wir Lämmer lieben und Asseln hassen - Peter Iwaniewicz

Der Autor Peter Iwaniewicz hat es schon schwer mit mir, denn ich habe im August hier im Blog bereits Helmut Höges Werk Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung sehr begeistert rezensiert und der Stil wie auch die Intention beider Sachbücher ist sehr ähnlich: nämlich dem Leser populärwissenschaftlich, humorvoll und über den Tellerrand der Biologie hinausgehend, die Welt der Tiere nahezubringen. Ein Leser auf lovelybooks nannte dieses Konzept Sa-Tiere, was eigentlich kurz, knackig und in einem Wort punktgenau beschreibt, worum es sich handelt.

 

Nun ist bei einer ähnlichen Idee der erste Vertreter und Vorreiter nicht immer der bessere, aber in diesem Fall gilt bedauerlicherweise diese Regel, wobei ich mich tatsächlich sehr bemüht habe, die beiden Werke sehr fair und objektiv miteinander zu vergleichen und den Neuigkeitsbonus von Höge nicht in die Beurteilung einfließen ließ.

 

Menschen, Tiere und andere Dramen beginnt schon mal sehr vielversprechend. Der Einstieg von Iwaniewicz bezüglich seines Werdegangs als Biologe war sehr gut, aber ab dem Zeitpunkt, als er zu den eigentlichen Tieren kommt, flacht das Geschriebene ganz schön ab. Auch wenn es vom Stil her sehr ähnlich wie Helmut Höges Tierwelt daherkommt, ist dieses Sachbuch aber bei weitem nicht so brillant und witzig geschrieben.

 

Der Autor verliert bei seinem humoristischen fächerübergreifenden Rundumschlag, den ich als populärwissenschaftlichen Stil im Prinzip immer sehr schätze, da er die Kernmaterie aufpeppt, bedauerlicherweise total den Fokus auf sein eigentliches Thema Tier. Da geht es zwei Seiten lang um die weibliche menschliche Brust, dann auch noch um die humanoiden männlichen Penisvarianten und anschließend kapitelweise um Kunst, in der das Tier nur die Rolle des dargestellten Opfers einnimmt – das ist nur mäßig spannend aus der Sicht der tierischen Biologie. In der Intention witzig zu sein und sukzessive fächerübergreifend von Kalauer zu Kalauer zu galoppieren, hat der Autor sich verirrt und seinen eigentlichen Weg, seine Kernkompetenz und seinen Bezug zum Thema Tier ganz schön verloren.

 

Zudem leidet natürlich auch noch die konsistente Struktur durch die Sprünge in Siebenmeilenstiefeln von Witz zu Witz und durch die Fächer . Er hat sich zu Beginn kein Gerüst gebaut, wie er methodisch vorgehen will, sondern plaudert nur ganz unstrukturiert dahin. Somit bleibt erstens beim Leser sehr wenig hängen, bis auf die störenden Ärgerfaktoren, und wenn man nochmals etwas nachschlagen will, findet man es einfach nicht mehr in dieser sequentiellen Wurst von witzigen Fakten. Auch da hat sich Höge mehr überlegt, denn zusätzlich zum Umstand, dass er immer wieder zum Fokus Tier zurückkehrt, hat er sein Sachbuch thematisch auch noch in Form eines alphabetischen Registers strukturiert, was vor allem dem Leser sehr viele Ankerpunkte bietet.

 

Fazit: So bleibt noch zu sagen, dass dieses Werk über die Oberflächlichkeit, Unstrukturiertheit und Zerrissenheit wahllos aneinandergereihter Zeitungskolumnen (die der Autor ja tatsächlich schreibt) nicht hinauszugehen vermag und das ist mir für ein Sachbuch, das mich begeistern soll, einfach zu wenig.

Like Reblog Comment
review 2018-08-19 10:50
Don't bogart that Kugelfisch my friend
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung - Helmut Höge

Das ganze Jahr 2018 warte ich nun schon auf ein Sachbuch, das mich so richtig zu begeistern vermag, et voilá – hier ist es.

 

Der Autor Helmut Höge erzählt Geschichtln und kuriose biologische Fakten rund um die Tierwelt von A wie Ameisen bis zu Z wie Zitteraale. Dabei holt er auch durchaus recht weit aus, über den Tellerrand des biologischen Fachgebiets übermäßig hinausgehend, gleich einem grandiosen Reihumschlag in Politik, Soziologie, Psychologie, Technik, Feminismus, Film, Fernsehen … . Dieser sehr breite Zugang zur Biologie ist kurios, kurzweilig und total wundervoll! So geht Bio! Meine Güte, hätte ich jemals einen Biologielehrer von der Qualität und dem Witz des Autors gehabt und nicht so langweilige Schnarchnasen, dann wäre das wahrscheinlich mein Lieblingsfach geworden.

 

Er schildert zum Beispiel, dass die Ameisen- und Termitenforschung seit jeher Gegenstand politischer Vereinnahmung war, sowohl in der nationalsozialistischen, kommunistischen als auch kapitalistischen Welt. Je nachdem welches System gerade herrschte, wurde das Sozialverhalten der Insekten mit dem politischen System verglichen.

Die Mathematiker entwickelten inzwischen ANT-Algorithmen, die in der Logistik, der Kriegsführung und so weiter zum Einsatz kommen. Wenn Amazon Bücher mit der Bemerkung empfiehlt, „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben … kauften auch …“, dann war da so ein Ameisen-Algorithmus am Werk, den der Konzern so weiterentwickeln will, dass er Waren auswählt, die einem derart gut gefallen könnten, dass Amazon sie sogleich zustellt – ohne dass man sie bestellt hat.

Kommt Euch das nicht von irgendwoher bekannt vor? Aus Marc-Uwe Klings dystopischem Roman Qualityland, den ich heuer hier auf dem Blog schon besprochen habe.

 

Aber nicht nur die Viecherl werden alphabetisch abgearbeitet, sondern auch ein paar Verhaltensweisen quer durch alle Tiergattungen. Im Kapitel Berauschen wird man sehr vergnüglich mit den Drogenproblemen von ganzen Arten konfrontiert. So brechen Kängurus, Wallabys und Schafherden in Australien in Mohnplantagen ein, in Indien fallen die opiumsüchtigen Papageien und Antilopen über die Schlafmohnfelder her, schwedische Elche haben schwere Alkoholprobleme, Rentiere lieben psychedelische Pilze und die Igel sind nach mit Bier getränkten Nacktschnecken süchtig, da Hobbygärtner mit Bierfallen ihr Gemüse biologisch gegen die Schnecken schützen. Den Vogel schießen aber sowieso die Delfine ab. Diese nehmen, um sich zu berauschen, einen Kugelfisch, den sie so lange quälen, bis er sein Gift – Tetrodotoxin – absondert. In einer Fernsehsendung in Österreich Was gibt es Neues (so ähnlich wie Genial daneben) habe ich sogar gehört, dass sie diesen Kugelfisch reihum gehen lassen. Da bekommt das Lied „Don‘t bogart that joint (Kugelfisch), my friend“ eine ganz neue tierische Bedeutung.

 

Die vom Autor beschriebenen Kuriositäten reißen einfach nicht ab. In Ägypten gibt es tatsächlich schon länger die Sitte, einen lebenden Skarabäus, der mit Edelsteinen verschönert ist, an einer Kette als Schmuck zu tragen. Das Tier wird vom Besitzer gehegt und gefüttert. Ich habe sowas bisher nur einmal in einem Castle-Krimi mit Kakerlaken gesehen und dachte, das sei so eine degenerierte New Yorker Idee und Mode. So, jetzt höre ich aber auf zu schwärmen und zu spoilern, es gibt noch genug zu entdecken in diesem Buch.

 

Letztendlich kommen wir aber zum einzigen Wermutstropfen dieses Sachbuchs: Es hat nur knapp 160 Seiten und ist vom Format her total winzig, ergo ist man bedauerlicherweise in einem Nachmittag locker durch.

 

Fazit: Wundervoll, geistreich, humorvoll, großartig, bewusstseinserweiternd … aber zu kurz, zu kurz, zu kurz. Lieber Helmut Höge! Bitte setzen Sie sich hin und schreiben noch viel mehr dazu. Ich will mehr!!! Am besten gleich im Umfang, Gewicht und Format von Brehms Tierleben.

 

Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2018-08-12 14:37
Absolut gelungen
Der Horror der frühen Medizin: Joseph Listers Kampf gegen Kurpfuscher, Quacksalber & Knochenklempner (suhrkamp taschenbuch, Band 4886) - Lindsey Fitzharris,Volker Oldenburg

In diesem Buch wird das Leben und schaffen von Joseph Lister näher betrachtet. Lister fängt 1844 in London an Medizin zu studieren. Die damalige Medizin ist nicht mit unseren heutigen Standards zu vergleichen. Niemand wäscht sich die Hände, am Skalpell klebt noch das Blut von dem vorherigen Patienten und eine Operation ist meistens ein Todesurteil. Ins Krankenhaus gehen nur die Ärmsten, denn von Hygiene hat noch niemand etwas gehört, Infektionen sind ein ständiger Begleiter und führen meistens zum Tod. Das Krankenhaus ist für viele Menschen ein Ort des Schreckens. Joseph Lister will die hohe Infektions- und Sterberate nicht hinnehmen. Voller Leidenschaft versucht er zu verstehen, wie sich die Krankheiten ausbreiten und wie man dies verhindern kann. Doch wie jede neue Theorie hat auch die seine viele mächtige Gegner und Lister muss kämpfen um Gehör zu finden.

Dieses Buch ist keine langweilige Biographie. Es beschreibt das facettenreiche Leben und Schaffen von einem Mann, von dem ich vorher nicht einmal was gehört hatte.

Der Schreibstil liest sich sehr flüssig. Schnell ist man in der Geschichte. Während des Lesens musste ich immer wieder ungläubig den Kopf schüttle, weil ich so schockiert über die Zustände damals war und so lange ist das auch nicht her.
Obwohl ich wusste, dass man die Zustände damals und heute schwer vergleichen kann, war ich beim Lesen fassungslos über die damaligen Praktiken.

Lindsey Fitzharris schafft es sehr bildhaft zu schreiben und so macht das Lesen noch mehr Spaß, ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen, denn nichts ist spannender als das echt Leben.

Leseempfehlung.

Ich habe das Buch von vorablesen bereitgestellt bekommen und bedanke mich herzlich dafür.

Like Reblog Comment
review 2017-04-07 07:46
Versuchskaninchen Mensch
Das merkwürdige Verhalten von Schimpansen in Kinderkleidung: und andere sozialpsychologische Experimente - Felicitas Auersperg

Felicitas Auerspergs populärwissenschaftliches Sachbuch beschreibt die wichtigsten sozialpsychologischen Experimente, ihre Entstehung, den wissenschaftlichen Background, die genaue Versuchsanordnung und den Alltagsnutzen, den die Ergebnisse der Forschung implizieren.

Na? Bei meiner Inhaltsbeschreibung bereits ins Koma gefallen, weil das Buch so langweilig ist? Oh wie irrt Ihr Euch und seid gewaltig auf dem Holzweg! :-)
Selten hat Psychologie derart viel Spaß gemacht, und ich habe gleichzeitig so nebenbei noch ein paar Sachen gelernt (dass es nicht ganz so viel war, liegt daran, dass ich in meinem Studium als Wahlfach Organisationspsychologie belegt habe).

Die beschriebenen Experimente sind unter anderem das weithin bekannten Milgram- und das Stanford Experiment, aber auch mir relativ unbekannte Versuchsanordnungen wie die titelgebende „Das merkwürdige Verhalten von Schimpansen in Kinderkleidung“, in der ein Wissenschaftler-Ehepaar beschloss, sein eigenes Kind zusammen mit einem Affen wie Geschwister aufwachsen zu lassen. Zuerst ging alles gut, solange die Entwicklung von Affe und Baby parallel verlief. Erst als der Affe in seinem Lernfortschritt auf Grund der Genetik hinter dem Sohn stark zurückfiel und dieser, anstatt die gelernte Sprache zu vertiefen, aus Altruismus nur noch genauso gut klettern lernen wollte wie sein Affenbruder, musste das Experiment erfolglos abgebrochen werden.

Auch die genaue Untersuchung menschlicher Phänomene wie kognitive Dissonanz, oder der Umstand, dass Menschen Personengruppen, mit denen sie noch nie in Interaktionen traten, mit einer signifikanten Tendenz negativ bewerten, sind aktueller denn je, wenn man die heutige Flüchtlingssituation und die daraus resultierenden Intoleranz-Probleme der ansässigen Bevölkerung bewertet. Die Leute müssten sich einfach nur persönlich kennenlernen. Das Harlowe-Experiment hat beispielsweise den früheren Behaviorismus in der Kindererziehung widerlegt, heute würde kaum noch ein vernünftiger Mensch ein Baby unentwegt schreien lassen, in der Generation unserer Eltern war diese Methode jedoch anerkannt – fast schon verpflichtend, um aus seinen Kindern keine Weicheier zu machen. Am spannendsten fand ich das Loftus-Experiment, das die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen und unser Gedächtnis unter die Lupe nimmt und den Bystander-Effekt, warum und unter welchen Umständen genau viele Menschen in der Stadt wegschauen, wenn ein Verbrechen geschieht. So wird Psychologie zum reinen Vergnügen – mit extrem viel Praxisrelevanz.

    "In allen vier Experimenten zeigte sich, dass Menschen eher dazu geneigt sind zu helfen, wenn sie allein einen Notfall beobachten. Sobald sie sich in Gesellschaft befinden, teilen sie die Verantwortung und reagieren, insbesondere, wenn die anderen Augenzeugen unbekannt sind, langsamer oder gar nicht. Paradoxerweise bedeutet das, dass einem in Gefahr eher geholfen wird, wenn es nur wenige Beobachter gibt.“[…] Eine einfache, aber wirkungsvolle Strategie, um den Bystander-Effekt zu unterbrechen, ist, abwartende Zuschauer direkt anzusprechen und um Hilfe zu bitten. Damit erleichtern sie ihnen den kognitiven Prozess, in dem sie sich gerade verheddern, und kürzen die Entscheidungsfindung für Bystander erheblich ab.

Fazit: So sollte Wissenschaft immer vermittelt werden! Liest sich wie ein spannender Roman. Großartig!

More posts
Your Dashboard view:
Need help?