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review 2020-04-24 11:13
Mit Siebenmeilenstiefeln quer durch die Geschichte und die Kontinente
Mit Bat'a im Dschungel - Markéta Pilátová

Dieser großartige Roman über die Schuhfabrikantendynastie Bat‘a bedient punktgenau eine meiner Jugenderinnerungen. Als Kind, Jugendliche und junge Frau habe ich immer die liebevoll dekorierten Schaufenster des Bat‘a Geschäfts in der Linzer Landstraße betrachtet, manchmal etwas probiert, aber nie etwas gekauft. Diese wunderschönen Designer-Schuhe waren trotz der moderaten Preise einfach zu teuer für mich. Insofern war es sehr spannend, hinter die Kulissen der Familie und des Weltkonzerns zu blicken.

 

Leider beschlich mich auch gleich das Gefühl, dass ich selbst schuld bin, weil ich mit diesem Buch nicht so gut zurecht gekommen bin, wie ich gehofft hatte, denn ich konnte mich einfach in letzter Zeit nicht ordentlich konzentrieren. Auf Grund eines Bandscheibenvorfalls, Schmerzmitteleinnahme, Angst vor einer Corona-Ansteckung beim Arzt durch die dringend notwendigen Mobilisierungsmaßnahmen und argen Existenzproblemen, konnte ich bei diesem Roman nicht ständig am Ball bleiben, meine Gedanken schweiften immer wieder ab, dabei ist hier doch zumindest bis weit über die Mitte der epischen Familiensaga ein gehöriges Maß an Fokussierung und Konzentration notwendig, um die gewöhnungsbedürftigen Perspektivenwechsel aus der Sicht der vielen Bekannten und Familienmitglieder zu erfassen und die Handlung auch chronologisch korrekt zusammenzusetzen. Tja, die Geschichte war für mich bis zu zwei Dritteln der Dauer doch ganz schön irritierend und gehörig dekonstruiert. Sozusagen eine zerschnipselte Biografie mit vielen Figuren, die ihre Sicht der Dinge stroboskopartig ohne durchgängigen Zeitablauf darlegten.

 

Wenn schlussendlich das Gebäude aufgebaut ist und die einzelnen Ziegel darin sortiert sind, gibt es aber ganz großes Kino. Die wahre Geschichte der Schuhfabrikanten Bat’a hat wirklich alles: Flucht vor den Nazis ins Ausland, ein bisschen Hundert-Jahre-Einsamkeit-Feeling durch den Neu-Aufbau einer Fabrikstadt mitten im Dschungel von Brasilien, eine wahrhaft spannende politische Komponente durch den Kampf mit den tschechischen Behörden um die Restitution des Familienvermögens nach dem zweiten Weltkrieg und nach der erneuten Enteignung durch die Kommunisten und zu guter Letzt auch noch eine fiese, finstere Intrige innerhalb der Großfamilie zusammen mit politischen Handlangern, das Familienvermögen unverdient an sich zu reißen.

 

Jan Antonin Bat’a, tschechischer Großunternehmer und Visionär, wurde von den Nazis als Jude verfolgt, von den Kommunisten als Nazi verleumdet und stand auch noch bei den Briten, Amerikanern und den Tschechen auf der schwarzen Liste, weil alle ganz gierig darauf waren, sich die jeweiligen weltweit verstreuten Fabrikniederlassungen des Schuhkonzerns durch Enteignung unter den Nagel zu reißen. Am Ende hat sich der Sohn seines Halbbruders, der mit den Kommunisten kollaborierte und Originaldokumente verschwinden ließ, die Fabrik geholt, obwohl er überhaupt nicht Eigentümer war. Erst nach dem Tod von Jan Antonin Bat’a – lange nach der Öffnung des Ostblocks – wurde dieser auf Betreiben seiner Töchter endlich zumindest in Bezug auf seinen Ruf rehabilitiert.

 

Ein Motto der gesamten Saga könnte man in einem Satz auf Seite 17 zusammenfassen, auch wenn es mehr als ein halbes Jahrhundert dauerte und auf vierhundert Buchseiten ausgearbeitet wurde.

Die Wahrheit wird zum Vorschein kommen wie Öl auf dem Wasser.

Der Familienpatriarch versucht unermüdlich, seinen guten Ruf wiederherzustellen und die Wahrheit, die in den Wirren des Zweiten Weltkrieges und des Kommunismus verlorengegangen ist, zu Tage zu fördern. Dabei verzweifelt er nicht und ergeht sich nicht in allgemeiner Misanthropie sondern baut unermüdlich und fleißig am anderen Ende der Welt ein noch größeres Imperium auf, als jenes, das er schon verloren hat.

Glaube ich immer noch und nach allem, was war, an die Menschheit und ihre Mission? An eine vernunftbestimmte, humane Zukunft? Ich würde gerne Nein sagen. Denn nur ein Verrückter könnte nach den Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe, noch an die Vernunft, die Gerechtigkeit und die Menschheit glauben, geschweige denn an eine vernünftige, humane Zukunft. Aber letztlich war ich immer ein Verrückter. Heute würde man sagen ein „Freak“.

Selbstverständlich gibt es auch hier wie in jedem Familienepos unzählige sehr liebevoll und tief entwickelte Figuren quer durch die Generationen, aber das ist bei mir ohnehin ein Hygienefaktor in diesem Genre. Zudem bin ich von der außerordentlichen Sprachfabulierkunst der Autorin Markéta Pilátová schon seit letztem Jahr restlos begeistert, als ich sie Euch im Rahmen der Reihe Tschechische Auslese mit dem Kurzroman „Der Held von Madrid“ bereits wärmstens auf diesem Blog ans Herz gelegt habe.

 

So schildert der serbische Schwiegersohn von Jan Antonin Bat’a seine Diaspora aus Europa folgendermaßen:

Ich sammelte mein Schusterwerkzeug zusammen und machte mich zu Fuß über Italien nach England auf, wo ich mich den Alliierten anschloss. In der Zelle hatte ich mir auch geschworen, dass ich in einer möglichst weiten Landschaft leben würde, dass mich niemand mehr irgendwo einsperren würde. Aber dass ich einmal achttausend Hektar brasilianischen Urwald besitzen würde, hätte ich mir natürlich nicht träumen lassen. Nun hatte ich als Partisan nicht für die Kommunisten gekämpft, sondern für König Petar. Dragoslav und ich konnten uns also ausrechnen, dass wir nach dem Krieg nicht sonderlich beliebt sein würden. Man musste nur einmal tief durch die Nase einatmen, und es stank bereits nach neuen Gräueln. […]

 

Also ließ Dragoslav seinen Finger über der Weltkarte kreisen und Brasilien gefiel uns nicht schlecht, weil es so riesengroß aussah und weil unserer Vorstellung nach viele Menschen dort barfuß gingen, denen wir Schuhwerk anfertigen konnten, wie unser Vater es uns beigebracht hat. Nach diesem Krieg konnte uns nichts mehr schrecken. Wir fürchteten weder Teufel noch irgendwelche Krokodile, Schlangen oder Urwaldindianer.

Fazit: Absolute Leseempfehlung für diese großartige Familiensaga, die Presseagentin, die mich immer mit österreichischer Literatur von unterschiedlichen Verlagen versorgt, meinte sogar, sie hätte was von „Krieg und Frieden auf Tschechisch“ und dem kann ich auf jeden Fall zustimmen. Bitte lernt aber aus meinen Fehlern und sucht Euch ein ruhiges Platzerl und eine ruhige Zeit, um das Buch zu lesen, denn mit Hummeln im Hirn hat man einfach weniger Freude daran.

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review 2020-01-09 10:40
Ostblockzusammenbruch und Beziehungen im Wandel
Ich wollte kein Lenin werden - Dora Čechova

Ich möchte Euch erneut zeitgenössische Literatur von unseren direkten östlichen Nachbarn vorstellen. Tschechien ist ja bei sehr vielen Lesern abseits der zwei großen Ks Kafka und Kundera nahezu Terra incognita. Es gibt aber sehr viel Gutes in unserem Nachbarland zu entdecken.

 

Ein derartiges Werk, das es auch wert ist, von deutschsprachigen Lesern erforscht zu werden, sind diese drei Kurzgeschichten, die sich vor allem mit Beziehungen beschäftigen und von Dora Cechová im Rahmen der Verlagsreihe Tschechische Auslese verfasst wurden.

 

Die erste Geschichte Sommeräpfel beginnt schon einmal grandios und ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Benesch-Dekreten und deren Auswirkungen, die diese auf ein gemischtes tschechisch-deutschstämmiges Paar haben. Ulrike wird als sehr junge Frau aus Tschechien nach Deutschland vertrieben, ihre große Jugendliebe Frantisek und sie kommen nie über dieses abrupte Auseinanderreißen hinweg. Obwohl sie eigene Familien gründen, bleiben sie einander im Geiste verbunden, irgendwie auch in einer fiktiven Beziehung verhaftet und können sich nie wirklich komplett auf neue Partner einlassen. Als 1989 der eiserne Vorhang fällt und erstmals die Möglichkeit besteht, sich wieder zu sprechen, zu treffen und zu sehen, sind beide wieder Single. Sie nutzen daher die Gelegenheit, an Vergangenes anzuknüpfen, was vorerst scheitert, denn sie sind sich fremd geworden. Trotz allem gibt es aber als Überraschungseffekt dennoch ein Happy End in dieser Liebesgeschichte.

 

Die zweite Kurzgeschichte Ich wollte kein Lenin werden ist inhaltlich recht kurios und sehr anrührend. Ein junger Student zieht zwecks Ausbildung vom Dorf am Schwarzen Meer nach Moskau. Als sein Studium beendet ist, bekommt er keinen adäquaten Arbeitsplatz und verdingt sich auf dem Roten Platz als Lenin-Darsteller. Seiner Mutter, die sehr viele Entbehrungen für die Ausbildung ihres Sohnes auf sich genommen hat, schildert er in höchsten Tönen ein erfolgreiches Berufsleben in seiner erlernten Branche und seine perfekte Beziehung, die bedauerlicherweise in der Realität auch sehr problembehaftet und abgekühlt ist. Als die Mutter die Hauptstadt Moskau besucht, küsst sie dem perfekten Lenindarsteller am Roten Platz, den sie nicht als ihren Sohn erkennt, die Hand und bedankt sich bei Väterchen Lenin für ihr Kind. Als sie am Abend ihren Sohn und seine Lebensgefährtin besucht, hat dieser sein Leninaussehen komplett abgelegt und spielt der Mutter das perfekte Theater vor. Die Scharade bringt aber etwas Nähe in die völlig erkaltete Beziehung des Paares. Am Ende der Geschichte fehlt leider von der Dramaturgie her ein bisschen der Spannungsbogen, insbesondere ein definitives, interessantes Ende.

 

In der dritten Story Der letzte Russe sucht sich die sehr pragmatische Jarmila einen russischen Soldaten, Tolja, den sie direkt aus der Kaserne in ihrem tschechischen Dorf abgeholt hat und der ihr auf dem Hof helfen soll. Da die russischen Besatzungssoldaten in den Brüderländern nicht unbedingt beliebt sind, verbirgt sie Tolja vor der Öffentlichkeit und ist auch die einzige Schnittstelle zur Kaserne. Sie macht ihm vor, dass er von niemandem vermisst wird. Nach und nach entwickelt sich in den Jahren aus der ursprünglichen Zweckgemeinschaft eine Liebesbeziehung. Inzwischen ist der Ostblock zusammengebrochen, die Kaserne wurde aufgelöst, die Soldaten nach Russland zurückbeordert und Tolja hat in seinem Beziehungskokon nicht die blasseste Ahnung davon. Als ein Exfreund von Jarmila in diese Idylle einbricht, auf das vor Ewigkeiten gegebene Heiratsversprechen pocht, die Beziehung des Paares zerstören und zu diesem Zweck Tolja nach Russland abschieben lassen will, kämpft Jarmila sehr überraschend mit recht ungewöhnlichen Mitteln darum, ihr gewohntes trautes Glück zu erhalten. Das Ende ist übrigens grandios.

 

Bis auf die zweite Geschichte, in der mir das Ende zu lapidar und unausgegoren war, weisen alle Stories trotz ihrer Kürze einen ausgezeichneten Spannungsbogen mit großartiger Dramaturgie auf. Die Figuren sind allesamt sehr liebevoll entwickelt und die angesprochenen Themen von Beziehungen im Wandel und in den Wirren des Umbruchs im Ostblock sind ein spannendes Feld, das meiner Meinung nach ohnehin noch viel zu wenig in deutscher Sprache übersetzt, aufgearbeitet und veröffentlicht wurde. Insofern ein wundervoller literarischer Beitrag für zeitgenössische tschechische Literatur.

 

Bezüglich Fabulierkunst verstehen sowohl die Autorin als auch die Übersetzerin ihr Handwerk ausgezeichnet. Sehr charmant finde ich auch, dass in der Reihe immer die Biografie der Übersetzer*in gleichwertig neben der Autorenbio angeführt wird. Endlich einmal eine faire Würdigung dieser so wichtigen Arbeit.

 

Fazit: Sehr lesenswert – ich habe letztes Jahr zwar ein noch grandioseres Werk im Rahmen der Reihe auf dem Blog besprochen, aber auch diese Kurzgeschichtensammlung von Dora Cechová erhält von mir eine absolute Leseempfehlung.

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review 2019-07-20 16:39
Autorenmüll-Resteverwertung
Montagmorgen - Petra Soukupová

Jetzt ist diese zweisprachige Reihe Tschechische Auslese  aus dem Wieser Verlag ohnehin nur auf ungefähr sechzig A5 Seiten ausgelegt, also irgendwo zwischen Kurzroman und Kurzgeschichte, und dann meint diese Autorin doch tatsächlich, dass sie den geringen Platz und damit Möglichkeit, irgendeinen Inhalt zu präsentieren, auch noch in mehr als eine zusammenhängende Geschichte aufteilen muss. Da haben sogar ein paar meiner mittelmäßigen Mitschüler in Deutsch in der Disziplin Aufsatz besseres zusammengebracht als diese Autorin. Fast scheint es so, als hätte sie quick and dirty aus der Schachtel für Autorenmüll, respektive unfertige Skizzen, verworfene Ideen und Arbeiten, Fingerübungen der Routine, um jeden Tag irgendetwas zu produzieren, der so beim Schreiben ja immer anfällt, weil man nicht täglich eine brilliante Idee gebären kann, irgendetwas zusammengestoppelt, um auf die Anzahl der Seiten zu kommen.

Dabei gibt es in dieser Reihe, so großartige Geschichten, wie jene von  Markéta Pilátová  die ihren grandiosen Kurzroman punktgenau auf dieses Format konzipiert hat und der auch noch im Juli auf meiner best of five-Liste steht.

Jetzt werde ich arbeitstechnisch mal auch ein bisschen persönlich und bösartig. Wenn ich als Autorin von einem Verlag schon die Gelegenheit bekomme, in zwei Ländern nämlich meinem Heimatland Tschechien und in Österreich gleichzeitig präsentiert zu werden und ich mache mir nicht einmal die Mühe, für ein zugegebener Maßen recht ungewöhnliches Format etwas extra und exklusiv zu schreiben, sondern kratze irgendeinen Schreibabfall zusammen, dann halte ich das für eine bodenlose Frechheit. Auch wenn sie in Tschechien eine preisgekrönte Autorin sein mag, in Österreich kräht kein Hahn nach ihr und es ist zudem eine riesige Dummheit, solch eine Chance, in einer anderen Sprache und auf einem völlig anderen Zielmarkt Fuß zu fassen, nicht zu nutzen.

Auch inhaltlich tut sich in den einzelnen Geschichten nicht viel und auch nicht viel gutes: z.B. ein Opa, der einen Enkel adoptieren will, der auf Straßenbahnen steht. Da werden Geschlechterklischees auf primitiv bedient. Zudem musste ich mich als Leserin durch unausgegorene, unfertige, teilweise laangweilige Geschichten quälen, in die man so viel hineininterpretieren müsste, damit sie rund werden, dass ich sie mir gleich hätte selbst schreiben und erzählen können.

Fazit: Kurz und knackig - das ist Mist, was hier präsentiert wird - hätte in der Rundablage (Papierkorb) bleiben sollen. Insofern ist es wieder gut, dass es nur sechzig A5 Seiten sind, damit die Pein beim Lesen nicht so lange dauert.

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review 2019-07-18 05:41
Gehirntsunami
Der Windreiter - Renata Šerelytė

Dieser Roman von Renata Serelyte, der zwar völlig anders als ihr vorhergehendes Werk  Blaubarts Kinder angelegt ist, war ebenso nicht wirklich mein Geschmack.

Sprachlich wird die Geschichte erneut sehr gut präsentiert, wieder in dem recht unverwechselbaren poetischen Stil der Autorin. Auch inhaltlich ist die Story nicht so schlimm und deprimierend wie  Blaubart, im Gegenteil, sie hat was von einem abgefahrenen Märchen oder einem kolletiven Drogen-Flashback á la Contact High.

Als ich die Buchdeckeln schloss, war ich verwirrt, denn ich bekam die fiktive Handlung nicht zusammen. Was ist wirklich passiert? Was war ein Traum? War alles ein Traum? Was haben die Szenenfetzen miteinander zu tun? Was wollte die Autorin ausdrücken?  Warum interagieren die Figuren so? Fragen über Fragen, die sich mir stellten und auf die ich einfach keine Antwort habe.

Die Szenen und Dialoge sind so verklausuliert und 10 hoch 3 Meta, dass ich das Meta vom Meta vom Meta einfach nicht checken konnte. Sehr poetisch, total abgehoben, bizarr, märchenhaft und konfus wie in einem Low-Budget-Ostblock-Film-Noir wird die Handlung präsentiert, wobei ich noch immer nicht sagen kann, was wirklich passiert ist, oder was das alles sein soll. Habt Ihr mein Gefühl verstanden? Wahrscheinlich nicht, denn selbst ich stehe kopfschüttelnd und konsterniert vor dieser Geschichte und blicke einfach nicht durch.

Ich werde mal eine Szene überspritzt formulieren, damit Ihr Euch eine Vorstellung machen könnt: Figur irrt durch total surreale Szene, mit voll abgedrehten wundervoll beschriebenen Figurensetting, hält inne, schreit auf, brabbelt was ganz lyrisches, was überhaupt nicht zur Situation passt und läuft irgendwie schräg von dannen. Hufgetrappel, ein Pferd läuft durch die Szene. Die anderen Protagonisten wundern sich nicht, sondern sagen auch etwas poetisches, was wiederum überhaupt nicht zu vorherigem Satz dazupasst. Schnitt. Das Pferd ist möglicherweise tot, wahrscheinlich wurde es auf den Griller geworfen. All das wird natürlich in einem für mich typisch osteuropäischen Autoren-Setting: Armut, Schmutz Dreck, Landleben, Aberglaube ... präsentiert.

Solch eine bizarre chaotische Situation ist natürlich die große Freude eines germanistischen Interpretationsprofis, weil sie unendlich viele Auslegungen der Szene zulässt, mir hingegen fehlt hier völlig das nötige Instrumentarium. Da bin ich mit meinem Realismus und meinen fest geerdeten beiden Beinen einfach überfordert, als müsste ich Gleichungen mit 3 Unbekannten lösen, ohne überhaupt die Grundrechenarten zu kennen.

Über die Handlung vermag ich wenig zu sagen, außer dass ein Fernseh-Team bestehend aus Kameramann, Journalistin und Maskenbildnerin aus der Hauptstadt aufs Land fährt, um dort in einer Reportage, quasi einer Doku-Soap die Eltern des Mädchens Sasa zu finden (der ursprüngliche Plan hat fast etwas von Julia Leischiks Sendung "Bitte melde Dich"). Sie treffen auf die Großeltern des Mädchens, die schon zu Beginn extrem abgedreht schrullig sind und anschließend tauchen unzählige Figuren inklusive das Pferd auf, die mich allesamt verwirrt haben. Irgendwie eskaliert der Abend enorm, aber was passiert ist, kann ich wirklich nicht sagen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, alle haben irgendwelche psychogenen Substanzen wie zum Beispiel Pilze eingeworfen und sich dann im Drogenrausch treiben lassen. So ähnlich wie im Film Contact High, aber den habe ich wenigstens verstanden.

Ach ja auch der Klappentext lässt den Leser nicht im Dunkeln tappen.
"Grelle Phantastik wirft ein neues Licht auf die Realität!"
Wer den Satz schon cool findet, wird dieses Buch lieben

Fazit: Ich finde es sehr spannend, wenn ich mal etwas für mich total Neues probiere, aber in diesem Fall bin ich einfach ein bisschen zu weit aus meiner Comfortzone des Realismus hinausgeschwommen und geistig irgendwie abgesoffen. Einige Leute mit mehr Vorstellungsvermögen als ich und mit einem Hang zu Lyrik und Interpretationen werden diesen Roman aber großartig finden. 2,5 Sterne denn spannend war es schon, zu beobachten, wie sehr mich die Geschichte irritiert und überfordert hat. Zudem ist sie ja auch nicht lang, also auf keinen Fall eine Qual.

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review 2019-07-16 06:35
Waten durch ein Meer von Gewalt, Depression, Alkohol, Armut und Tod
Blaubarts Kinder - Renata Serelyte

Mit der Autorin habe ich mir wahnsinnig schwer getan. Obwohl ich eigentlich anspruchsvolle Stoffe schätze und furchtbaren Geschichten überhaupt nicht abgeneigt bin, hat Renata Serelyte meine Duldungs- und Leidensfähigkeit bis aufs Äußerste strapaziert.

Dabei sind die Sprache und die bildhaft beschriebenen Szenen sehr gut, aber es ist inhaltlich so lähmend, dass ich das Gefühl hatte, ich wate angezogen mit Bleistiefeln durch einen niemals enden wollenden Sumpf aus Gewalt und Depression.

Viel mehr hat diese Geschichte nicht zu bieten: Strukturelle und kulturelle Gewalt an Frauen und Kindern, Alkoholismus, Depression, Armut, Delirium und Tod - gegen Ende kommen dann auch noch sexuelle Erfahrungen hinzu, die so grausam wiederum von Gewalt und Unterdrückung geprägt sind, dass frau als Leserin einfach nur abblenden möchte. Ich hatte ja selbst eine furchtbare Kindheit, aber wenn ich so wenige normale Momente gehabt hätte, wäre es besser gewesen, ich hätte mich schon als Kind umgebracht.

Marcel Reich Ranicki hat im literarischen Quartett einmal die irische Literatur beschrieben:
"Ich habe einen Widerwillen gegen die irische Literatur, ich kann das nicht ertragen, immer die Slums und immer wird gesoffen und ein bisschen gekotzt zwischendurch, Elend und muffiger Katholizismus".
Setzt man statt Katholizismus Kommunismus in die Gleichung ein und geht davon aus, dass Osteuropäer nicht kotzen, weil sie durch den vielen Wodka einfach trinkfester als die Iren sind, dann hat man die perfekte Analogie zu diesem Werk.

 

Das ist einfach zuviel, in dieser Dichte und Länge sind solch deprimierende Szenen nur langweilig, wobei meiner Meinung nach der größte Faux-Pas darin liegt, dass sich keine einzige Figur irgendwie entwickelt oder zumindest das Potenzial ausschöpfen könnte, sich zu entwickeln. Der Weg der Eltern ist auch für die restliche Familie vorgezeichnet. Armut, Depression, Alkoholismus und Tod. Und wir reden hier nicht von der Zeit des Kommunismus, sondern von der Phase nach der Wende und Hinwendung zu Europa. Selbst mit Schuldbildung kann eine Frau diesem Sumpf aus Familie, gewalttätigem Ehemann, Kindern und Depression nicht entrinnen.

Ganz am Anfang hatte ich auch Probleme mit den Perspektivenwechseln zwischen toter begrabener Mutter und der Tochter, bis ich begriff, die Unterscheidung liegt in der Kapitelnumerierung. Insofern gab es zu Beginn auch ein paar strukturelle Herausforderungen an den Leser, die Leserin, um in die Geschichte hineinzukommen.

Fazit: Ich weiß, dass es für dieses deprimierende Werk in wundervoller poetischer Sprache, das nicht schlecht ist, durchaus eine größere Fan-Zielgruppe gibt, aber ich gehöre definitiv nicht dazu. Der Roman ist überhaupt nicht mein Ding. Also, wer Frank-Mc Courts Die Asche meiner Mutter wundervoll fand, wird auch dieses Buch mögen.

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