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review 2019-06-11 08:09
Niemand wird böse geboren
Fairest - Marissa Meyer

Als Marissa Meyer begann, die „Lunar Chronicles“ zu schreiben, wusste sie, dass die zentrale Antagonistin ihrer Geschichte auf der bösen Königin aus „Schneewittchen“ basieren würde. Ihre Figur faszinierte sie. Welche Frau würde so großen Wert auf Schönheit legen, dass sie bereit wäre, all diese furchtbaren Dinge zu tun? Was müsste dieser Frau zugestoßen sein, um diese Skrupellosigkeit zu entwickeln? Meyer gab ihrer bösen Königin den Namen Levana. Sie konzipierte ihre Biografie mental parallel zu den Heldinnen ihrer Reihe, stieß mit dieser Taktik jedoch an eine Grenze, als sie den letzten Band „Winter“ schrieb. Einige Szenen bereiteten ihr Schwierigkeiten. All diese Szenen hatten eines gemeinsam: sie drehten sich um Levana. Um ihre Blockade aufzulösen, entschied die Autorin, Levanas Hintergrundgeschichte auszuformulieren. Das Ergebnis ist der Zwischenband „Fairest“, den man laut Meyer nicht zwangsläufig zwischen „Cress“ und „Winter“ lesen muss, der allerdings gewisse Entwicklungen in „Winter“ verständlicher gestaltet. Ich hielt mich an Meyers Empfehlung und las „Fairest“ nach „Cress“.

 

Cinder und ihre Verbündeten kennen Königin Levana als skrupellose, kaltherzige Herrscherin des Reiches Luna. Doch einst war sie ein junges Mädchen voller Hoffnungen und Träume. Am Hofe Lunas war sie unsichtbar. Sie wollte geliebt werden, sehnte sich nach Aufmerksamkeit und Respekt. Sie wurden ihr verwehrt. Ihre Einsamkeit vergiftete ihre Seele, bis sie vor nichts mehr zurückschreckte, um ihre ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Dies ist ihre Geschichte, eine Geschichte voller Tragik und Leid. Denn niemand wird als böse Königin geboren.

 

Ich bin sehr froh, dass Marissa Meyer „Fairest“ schrieb und veröffentlichte. Meiner Meinung nach ist es der bisher beste Band der „Lunar Chronicles“ und eine wertvolle Ergänzung der Reihe, die mein Verständnis der Ereignisse vertiefte und Königin Levana in ein anderes Licht rückte, weg von der einseitigen Darstellung als ultrafiese Antagonistin. Levanas Biografie ist eine Tragödie voll enttäuschter Liebe und traumatischer Erfahrungen, die mein Mitgefühl weckte und ihre Motivationen nachvollziehbar und einfühlsam enthüllte. Sie ist garantiert kein Unschuldslamm und trifft egoistische und oft schlicht grausame Entscheidungen, aber nicht, weil sie von Geburt an eine schlechte Person wäre, sondern weil sie einsam, zornig und bedauernswert unglücklich ist. Sie wurde emotional verkrüppelt und rutschte langsam in ihren ganz persönlichen Wahnsinn hinab, der sie jede abscheuliche Tat vor sich selbst rechtfertigen lässt. Ich fand es erstaunlich, dass sie angesichts der Schwere der psychischen Verletzungen, die ihr seit frühester Kindheit zugefügt wurden, überhaupt zu einer einigermaßen verträglichen Persönlichkeit heranwuchs. Es hätte noch viel schlimmer kommen können, denn Levana hatte niemals ein positives Vorbild, keinerlei Orientierung, die sie den Unterschied zwischen Richtig und Falsch lehrte. Das ist einerseits ein Versäumnis ihrer dysfunktionalen Familie, andererseits eine Folge der gesellschaftlichen Umstände auf Luna. Meyer bietet mit „Fairest“ nicht nur ein überzeugendes Porträt von Levana, sie gewährt ihren Leser_innen darüber hinaus intime Einblicke in Lunas soziale, politische und wirtschaftliche Strukturen. Das Königreich des Mondes ist eine klassische, totalitäre Monarchie, die sich klar in eine Elite und das gemeine Volk teilt. Lunas Hof vermittelt eine entschieden barocke Atmosphäre; Protz und Prunk beherrschen das Bild und der Adel vertreibt sich die Zeit mit komplizierten Intrigen. Echtes politisches Interesse ist rar gesät, weshalb ich geschockt war, dass sich Levana tatsächlich als gute Königin entpuppt, die sich aufrichtig um das Wohl Lunas sorgt. Es wäre allerdings ein Fehler, anzunehmen, dass ihre Bemühungen die Nöte ihrer Untergebenen berücksichtigen würden. Levana begreift ihr Reich nicht als Gesamtheit ihres Volkes, sondern als abstrakte Idee und Verlängerung ihres Ichs. Deshalb ist es für sie keineswegs problematisch, Erlasse zu realisieren, die herzlos wirken. Ihre oberste Priorität besteht darin, Luna als Nation voranzubringen und aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Erde zu führen. Aus dieser Perspektive betrachtet und unter Einbeziehung ihrer kulturellen Prägung sind die meisten ihrer politischen Entscheidungen vollkommen logisch und naheliegend. Dennoch hat ihr Plan, die Erde zu kontrollieren, überraschend wenig mit politischem Kalkül zu tun. Nein, darin zeigt sich das verzweifelte kleine Mädchen, das Levana in ihrem Inneren noch immer ist und ihre zunehmende Distanz zur Realität. Ach, was hätte aus ihr werden können, wäre all ihr Potential nicht in Negativität gelenkt worden?

 

Ich glaube, Marissa Meyer und ich haben etwas gemeinsam: wir haben ein Herz für böse Königinnen. Meiner Ansicht nach muss sie Levana trotz ihrer Fehler wahrhaft lieben, sonst hätte sie „Fairest“ nicht schreiben können. In diesem Zwischenband erstellt sie ein glaubhaftes, fundiertes psychologisches Profil, das nachdrücklich Empathie für eine Figur einfordert, die bisher sicherlich keine Sympathieträgerin war. Sie diktiert ihren Leser_innen nicht, wie sie für Levana zu empfinden haben, sie ruft uns lediglich ins Gedächtnis, dass niemand böse geboren wird. Levana ist das Produkt einer Vielzahl verstörender Erlebnisse, die nicht spurlos an ihr vorbeigingen. Ich habe sehr viel über sie gelernt und war fasziniert davon, wie sie sich selbst sieht. Obwohl „Fairest“ streng genommen nicht zur Geschichte der „Lunar Chronicles“ zählt, kann ich euch nur empfehlen, nicht auf die Lektüre zu verzichten. Es ist ein leuchtendes Stück Young Adult – Literatur, ein Buch, das sich nicht nur im Rahmen der Reihe lohnt, sondern auch für sich selbst. Viele Autor_innen können liebenswerte Figuren konzipieren – nur wenige können Figuren erschaffen, die man nicht mögen muss, um sie zu verstehen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/06/11/marissa-meyer-fairest
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review 2018-11-28 09:04
Graf Dracula als Strippenzieher der Weltgeschichte
Die Vampire - Kim Newman,Frank Böhmert

Als ich mir „Die Vampire“ von Kim Newman vornahm, erwarteten mich zwei Überraschungen. Zuerst erfuhr ich, dass Kim Newman ein männlicher Autor ist. Ich hatte mit einer Autorin gerechnet, weil… na ja, Vampire eben, dazu der Name – das klang für mich nach einer Frau. Ich musste meine Erwartungen anpassen, denn Männer schreiben gänzlich andere Urban Fantasy als Frauen. Kurz darauf musste ich diese noch einmal korrigieren, weil „Die Vampire“ entgegen meiner Annahme kein Einzelband ist. Der Titel täuscht. Es ist eine Sammelausgabe der ersten drei Bände der Reihe „Anno Dracula“, die aktuell insgesamt fünf Bände umfasst. Das erklärte, wieso das Buch 1.280 Seiten dick ist. Aufhalten ließ ich mich davon natürlich nicht. Ich richtete meine Erwartungshaltung und begann die Lektüre.

 

Das britische Empire ist in Aufruhr. Seit es Abraham Van Helsing misslang, den gefürchteten Vampir Graf Dracula, zu Lebezeiten als Vlad Țepeș bekannt, zu töten, nahm die Geschichte einen unheilvollen Verlauf. Dracula nutzte seine manipulativen Fähigkeiten, um sich seinen Weg in das Herz der Macht zu bahnen: er heiratete Queen Victoria und verwandelte sie. Nun regiert er als Prinzgemahl über das Königreich. Vampirismus breitet sich aus wie eine Seuche. Erst in England, in den engen Gassen Londons, in denen der Ripper sein Unwesen treibt; dann in Europa, in den dreckigen Schützengräben des Ersten Weltkriegs; dann auf dem ganzen Erdball. Die Verzweifelten, die Hoffnungslosen, die Vergessenen – sie alle lockt die dunkle Gabe. Einige wenige trotzen Dracula und weigern sich, den Preis für das Versprechen auf Unsterblichkeit zu zahlen. Doch der Wandel ist nicht aufzuhalten. Die Welt wird nie mehr sein, wie sie einmal war. Nur die Entscheidung, ob in dieser neuen Welt Finsternis herrscht, ist noch nicht gefallen…

 

Häufig werden Vampire in Urban Fantasy – Romanen nur als Ergänzung des reellen Weltbildes installiert. Sie existieren verborgen am Rande der sterblichen Wahrnehmung, interagieren kaum mit der menschlichen Gesellschaft und bleiben unter sich. Diese Herangehensweise funktioniert meist, verlangt jedoch nur begrenztes Worldbuilding. Es ist einfach. So leicht macht es sich Kim Newman nicht. „Anno Dracula“ ist ein ambitioniertes UF-Projekt, in dem sich der britische Autor ernsthaft mit der Idee eines alternativen Geschichtsverlaufs auseinandersetzt. Er untersucht die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen eines machthungrigen Vampirs an der Regierungsspitze, der seine wahre Natur offen zur Schau trägt, zelebriert und bewusst einsetzt, um seine Position zu untermauern. Newmans glaubhafte, durchdachte Darstellung dieser Konsequenzen überzeugte und beeindruckte mich. Die drei Bände („Anno Dracula“, „Der Rote Baron“ und „Dracula Cha-Cha-Cha“) die „Die Vampire“ bündelt, sind absolut keine Spinnerei. Hat man sich als Leser_in mit der Prämisse abgefunden, dass Vampire existieren, erscheint die Handlung jedes Bandes vollkommen logisch, weil Newman detailliert schildert, inwiefern die neue, vielfältige Gattung der Vampire die reale Weltgeschichte konkret beeinflusst hätte. Er orientiert sich strikt an historischen Ereignissen und passt diese lediglich an. Dadurch entsteht das äußerst realistische Bild einer Welt, in der Vampirismus Wirklichkeit ist, kein Mythos. Die Mischung aus Fakt und Fiktion ist ausgewogen gelungen. Die Leser_innen werden von einer abwechslungsreichen Melange wiederkehrender und neuer Figuren durch jeden Band geführt, die sowohl auf historische als auch literarische Persönlichkeiten treffen und aktiv an geschichtsträchtigen Geschehnissen teilnehmen. Sie vermitteln durchaus Individualität, erfüllen jedoch primär eine Funktion in ihrer Handlung, wodurch Sympathie nicht relevant ist. Interessanterweise ist Graf Dracula selbst kein Perspektivcharakter. Obwohl er der Reihe ihren Namen gibt und in jedem Band auftaucht, fungiert er eher als graue Eminenz der übergreifenden Geschichte, die diese aus dem Hintergrund lenkt. Ich begegnete ihm, lernte ihn aber nicht kennen, weil seine Auftritte kurz und distanziert waren. Vielleicht hätte sich etwas mehr Bewegungsspielraum für Dracula positiv auf die Bewertung ausgewirkt. „Die Vampire“ ist ein bemerkenswertes politisches Gedankenspiel mit einem faszinierenden Konzept – doch leider ist es weitschweifig, dröge und schleppend. Ich fand es äußerst theoretisch, denn handfeste Spannung ist ein untergeordnetes Element. Es zieht sich. Viel versteckt sich zwischen den Zeilen, sodass ich oft erst spät verstand, worauf Kim Newman hinauswollte und welche Entwicklungen er implizierte. Echten Lesespaß empfand ich ausschließlich während der Lektüre des zweiten Bandes „Der Rote Baron“, der zur Zeit des Ersten Weltkriegs spielt. Diesen verdankte ich allerdings hauptsächlich meinem Mann, mit dem ich meine Leseerfahrung teilen konnte, weil er sich auf diesem Themengebiet gut auskennt und mir Fragen zum geschichtlichen Kontext beantworten konnte. „Die Vampire“ selbst war selten ein Quell der Freude.

 

Ich halte „Die Vampire“ für eine anspruchsvolle Mischung aus Urban Fantasy und Historischer Fiktion, die glaubwürdig zeigt, was eine Einmischung von Vampiren in die Weltgeschichte bedeutet hätte. Es ist erschreckend, wie folgenreich ein einziges Detail sein kann. Van Helsing verbockt es, Dracula zu pfählen und die Welt wird von Vampiren geflutet. Kim Newman erfasst die realistischen Implikationen dieser fiktiven Ausgangssituation hervorragend und imponierte mir durch seine präzisen, akribischen Schilderungen. Leider empfand ich die Lektüre jedoch nicht als spannende Unterhaltung, sondern als akademische Übung, die mir zu wenig emotionales Engagement aufwies. Es fühlte sich an, als würde ich kühl ein Experiment beobachten und protokollieren. Dadurch entstand ein prekäres Ungleichgewicht meiner Wahrnehmung: „Die Vampire“ erfreute mein Hirn weit mehr als mein Herz.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/11/28/kim-newman-die-vampire
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review 2017-10-24 19:13
Endlich jemand ohne Stock im Hintern!
Der Inquisitor von Askir - Richard Schwartz

„Der Inquisitor von Askir“ ist ein Zwischenband in Richard Schwartz‘ Epos „Die Götterkriege“, der zwischen Band 4 und 5 angesiedelt ist. Damit folgt der Autor einer Tradition, die er bereits im ersten Zyklus „Das Geheimnis von Askir“ etablierte. Die sechsteilige Reihe wurde ebenfalls um einen Zwischenband erweitert, „Die Eule von Askir“, der zwischen Band 5 und 6 gelesen werden sollte. Ich wusste das damals nicht, was mir nun im Nachhinein große Probleme bereitet. Ich habe „Die Eule von Askir“ bis heute nicht gelesen, weil ich nicht weiß, wie ich das ohne einen Reread der gesamten ersten Reihe bewerkstelligen soll. Glücklicherweise war mir hingegen klar, wie „Der Inquisitor von Askir“ einzuordnen ist und konnte diesen halben Band zum vorgesehenen Zeitpunkt lesen.

 

Eine aufregende Schatzsuche hatte sich Wiesel anders vorgestellt. Garantiert hatte er nicht angenommen, mit der Suche nach dem Gold des alten Kaisers seine eigene Haut retten zu müssen. Der Meisterdieb steckt bis zum Hals in Schwierigkeiten. 10 Tage vor der Krönungszeremonie seiner Ziehschwester Desina wurde er schlafend neben der blutbesudelten Leiche der angesehenen Bardin Refala aufgegriffen. Wiesel mag vieles sein, doch ein kaltblütiger Mörder ist er nicht. Er wurde hereingelegt. Gejagt von der unbeugsamen Inquisition muss er seine Unschuld beweisen. Er gräbt tief in den uralten Geheimnissen Askirs und entdeckt ein abscheuliches Intrigengeflecht, das Desina vom Thron fernhalten soll. Ihm bleiben nur wenige Tage, seinen Namen reinzuwaschen, die Pläne gegen Desina zu vereiteln und das Rätsel eines Goldschatzes zu lösen, der seit Jahrhunderten als verschollen gilt. Das Schicksal Askirs liegt in seinen Händen.

 

„Der Inquisitor von Askir“ als Zwischenband zu bezeichnen, ist meiner Ansicht nach nicht ganz korrekt. Er fügt sich nahtlos in den Mehrteiler ein. Die Geschichte, die sich darin rund um den beliebten Dieb Wiesel abspielt, hat durchaus eine Bedeutung für die übergeordnete Handlung der Reihe „Die Götterkriege“ und bereitet kommende Ereignisse und Entwicklungen vor. Ich konnte beinahe hören, wie sich die Rädchen knirschend auf ihre Position drehten und somit den bald bevorstehenden Showdown einläuteten. Vermutlich qualifiziert sich „Der Inquisitor von Askir“ nur deshalb nicht als vollwertiger Band, weil Havald, Leandra und Serafine maximal in der Peripherie auftauchen und Wiesel, der bisher als charmante Nebenfigur etabliert wurde, das gesamte Rampenlicht erhält. Ich fand diese Verschiebung der Perspektive großartig. Die Protagonist_innen der Reihe sind sympathisch, doch ich war immer der Meinung, dass sie, pardon, alle einen Stock im Hintern haben. Wiesel hingegen ist locker, lässig, unbeschwert und herrlich humorvoll. Er spielt mit seinem Image des gewitzten, dreisten, bis an den Rand der Arroganz selbstbewussten Diebes, wird oft unterschätzt und kann doch nicht völlig verbergen, dass er erstaunlichen Tiefgang besitzt. Ich mochte es, in seine Emotionen und Denkmuster einzutauchen und sehe in ihm einen prototypischen Robin Hood, der auf seine Art versucht, Askir und seine Schwester Desina zu unterstützen. Die Lektüre hat wirklich Spaß gemacht; ich habe gern Zeit mit Wiesel verbracht. Außerdem erscheint mir Richard Schwartz in „Der Inquisitor von Askir“ zu seinen Wurzeln zurückzukehren. Der Aufbau der Handlung erinnerte mich stark an den allerersten Band „Das Erste Horn“, weil dort ebenfalls nach einem Mörder gefahndet wird. Natürlich mutiert diese Ausgangssituation schnell. Schwartz verkompliziert Wiesels Ermittlungen im Fall der getöteten Bardin Refala durch zahllose weitere Komponenten und wie immer verzettelt er sich soweit, dass das Gesamtkonstrukt unübersichtlich wirkt. Es war schwierig, ihm ununterbrochen zu folgen und ich muss gestehen, dass ich mittlerweile abschalte, sobald die Verwandtschaftsverhältnisse der Figuren zur Sprache kommen. Ich lese einfach drüber, da ich die Hoffnung aufgegeben habe, zu erfassen, wer da jetzt mit wem verwandt und/oder verschwägert ist, wer wiedergeboren wurde oder wiederauferstanden ist und warum sich Charaktere, die seit Jahrhunderten tot sein müssten, bester Gesundheit erfreuen. Stattdessen konzentrierte ich mich voll auf die Suche nach dem Schatz des alten Kaiserreiches, die ich erfrischend abenteuerlich und äußerst spannend fand. Askir verbirgt viele Geheimnisse – dieses ist sicherlich eines der interessantesten und verfügt sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart über eine politische und wirtschaftliche Ebene. An dieser Stelle muss ich Richard Schwartz zu Gute halten, dass er sein Universum durch ein komplexes ökonomisches System bereicherte, das der Realität gar nicht so unähnlich ist. Selbst Askir folgt bis zu einem gewissen Grad den Gesetzen des gierigen Kapitalismus, wodurch sich die Rolle der Inquisition klarer herauskristallisierte. Dumm nur, dass sie jetzt ausgerechnet hinter Wiesel her ist.

 

Ich freue mich unheimlich, für einen Band von „Die Götterkriege“ endlich 4 Sterne rausrücken zu können – auch wenn es sich „nur“ um einen Zwischenband handelt. Bisher hatte ich das Gefühl, mich sehr anstrengen zu müssen, um mich von den negativen Aspekten dieses Zyklus nicht entmutigen zu lassen und weiterhin daran zu glauben, dass sich das Lesen irgendwann lohnen wird. „Der Inquisitor von Askir“ ist nun nicht der große Knall, der all meine Knoten platzen ließ, aber er lockert die Handlung der Reihe deutlich auf, weil das Buch von der grundlegenden Attitüde des Protagonisten Wiesel geprägt ist. Obwohl Richard Schwartz es wieder einmal übertrieb und die Geschichte komplizierter gestaltete, als sie hätte sein müssen, genoss ich die Lektüre und hoffe, dass Wiesel in den Folgebänden etwas mehr Freiraum erhält, um eine Alternative zu den sonst sehr ernsthaften Figuren der Reihe anzubieten. Es wird Zeit für ein wenig Leichtigkeit in „Die Götterkriege“.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/10/24/richard-schwartz-der-inquisitor-von-askir
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review 2017-07-26 13:17
Das grandiose, runde Finale eines politischen Idealisten

„Hass“ ist der letzte Band der „Opcop“-Reihe von Arne Dahl. Das ist zwar schade, allerdings finde ich es erfrischend, dass eine Reihe mal keine zweistellige Anzahl von Bänden erreicht. Außerdem ist Dahls neustes Projekt bereits verfügbar: „Sieben Minus Eins“ ist sein erster klassischer Ermittler-Thriller und der Auftakt der Reihe „Berger & Blom“. Ich bin ein bisschen skeptisch, weil dieser angeblich komplett ohne politische Einflüsse auskommt, werde dieses Experiment aber vermutlich trotzdem wagen, denn ich bin neugierig und möchte mich nicht von Dahl verabschieden. Schlimm genug, dass ich nun der Opcop-Gruppe Lebewohl sagen musste.

 

Am Grab von Donatella Bruno leisten Paul Hjelm und die Opcop-Gruppe einen Schwur: sie schwören, Donatellas Mörder zur Rechenschaft zu ziehen und Fabio Tebaldi und Lavinia Potorac zu retten. Zurück in Den Haag stürzen sie sich in die Arbeit und sichten das Material, das Donatella über die ‘Ndrangheta zusammentrug. Unglücklicherweise finden sich in den Unterlagen keinerlei konkrete Hinweise, weder zu Donatellas Verdacht, dass nicht die Mafia Tebaldi und Potorac entführte, noch zu ihrem mysteriösen Informanten. Die Ermittlung steckt in einer Sackgasse. Als Opcop zusätzlich mit einem neuen Fall betraut wird, entscheidet Paul Hjelm schweren Herzens, ihre Kräfte zu splitten. Ein schwedisches Biotech-Labor wurde Opfer eines Cyberangriffs. Die Spur der Industriespionage führt nach China – und zu einem alten Bekannten der Operativeinheit. Skrupellose, höchst unethische, gefährliche Experimente mit menschlicher DNA zwingen die Teams, sich auf der ganzen Welt zu verteilen und parallel zu arbeiten. Aber sie werden nicht aufgeben. Sie werden ihre verlorenen Mitglieder finden und rächen. Denn dieses Mal ist es persönlich.

 

Bisher haben alle Bände der „Opcop“-Reihe vier Sterne von mir erhalten. „Hass“ schafft es aus einem ganz bestimmten Grund auf eine Spitzenbewertung von fünf Sternen. Noch nie – und ich meine wirklich noch nie – hat mich ein Thriller zu Tränen gerührt. Ich hätte am Ende tatsächlich fast geheult, weil ich so ergriffen war. Falls einige von euch glauben, politische Thriller wären grundsätzlich kühl, trocken und emotional distanziert, sollte euch diese Erfahrung das Gegenteil beweisen. Ich habe alle Mitglieder von Opcop ausnahmslos ins Herz geschlossen. In den Rezensionen zu den vorangegangenen Bänden „Gier“, „Zorn“ und „Neid“ habe ich vielleicht nicht ausreichend betont, wie stark meine Bindung an die Charaktere ist, weil ich mich von meiner Schwärmerei über Arne Dahls herausragendes politisch-wirtschaftliches Verständnis ablenken ließ. Das muss ich offenbar nachholen. Arne Dahl ist nicht nur der Meister der Recherche und des politischen Thrillers allgemein, er versteht es unnachahmlich, seine komplizierten, anspruchsvollen Kriminalfälle mittels sympathischer, lebendiger Figuren und geschickter, ungezwungener Perspektivwechsel zu transportieren. Auf diese Weise gelingt es ihm, die internationalen Ermittlungen in „Hass“ als stimmiges, klares Gesamtbild darzustellen, das ich ohne Schwierigkeiten nachvollziehen konnte, obwohl der Fall – wenn überhaupt möglich – noch verzwickter und komplexer ist als die Fälle der Vorgänger. Dahl greift Handlungsfäden auf, die ich für längst abgeschlossen hielt und überraschte mich mit umfangreichen Informationen über die Geschichte, Funktionsweise und Hierarchie der kalabrischen Mafia ‘Ndrangheta. Er wagt sich über die Grenzen Europas hinaus und schickt die Opcop-Teams nach Amerika und China, versäumt es jedoch nicht, die Schönheit der europäischen Länder deutlich herauszuarbeiten. „Hass“ inspiriert Fernweh, eine Sehnsucht, den landschaftlichen Liebreiz Europas zu erkunden. Ich hatte den Eindruck, dass Dahl diese Ebene seines Romans sehr wichtig war, als wollte er betonen, dass Europa wundervoll ist, obwohl kriminelle Organisationen es als Spielwiese für ihre Zwecke missbrauchen. Außerdem denke ich, dass er im Finale der „Opcop“-Reihe unmissverständlich klarstellt, dass er an die Idee eines geeinten Europa glaubt. Zwischen den Zeilen positioniert er sich pro-Europa und zeigt sich als politischer Idealist, der das (ungenutzte) Potential der Europäischen Union erfasst. Ich fühle mich ihm diesbezüglich sehr verbunden, weil es mir ganz genauso ergeht. Die EU könnte so viel erreichen, wäre sie nicht von Egoismus, Neid und Gier geprägt. Zusätzlich hat sie ein ernsthaftes Image-Problem. Ich bin fest überzeugt, bereits jetzt leisten einige Politiker_innen dort hervorragende, beachtliche Arbeit, doch in die Nachrichten schaffen es lediglich Meldungen über Gurken und Glühbirnen. Es ist unfassbar tragisch, dass dadurch viele Menschen annehmen, diese zugegebenermaßen überflüssig erscheinenden Richtlinien wären alles, was die EU leisten könnte und würde. Ich bin froh, dass Arne Dahl ein anderes Bild vermittelt, das der Realität vermutlich näherkommt als die Berichterstattung der Medien.

 

„Hass“ ist ein grandioses, rundes Finale. Es lässt keine Wünsche offen und wird der vierteiligen „Opcop“-Reihe mehr als gerecht. Arne Dahl schenkt seinen Figuren genau den Abschluss, den sie sich mit harter Arbeit und großen persönlichen Opfern verdienten. Ich bin traurig, mich von ihnen verabschieden zu müssen, sehe aber ein, dass der Reihe ein Ende zustand.
Ich weiß nicht, ob es im Geheimen tatsächlich eine internationale operative Einheit gibt, die Europol untersteht und Verbrechen aufklärt, die an Heimtücke, Boshaftigkeit und Habgier kaum zu übertreffen sind, ohne jemals die Anerkennung der Menschen zu erhalten, die sie schützen. Ich hoffe es sehr, denn der Gedanke an eine Gruppe moderner, sehr realer Held_innen lässt mich besser schlafen. Unsere Welt ist schlecht, doch wenn Menschen wie die Opcop-Mitglieder versuchen, sie jeden Tag ein bisschen besser zu machen, habe ich noch Hoffnung. Danke Arne Dahl, dass Sie mir Hoffnung gaben und meinen Glauben an Europa bestärkten.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/07/26/arne-dahl-hass
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review 2017-07-25 11:07
Ein ganzes Universum des Verbrechens
Neid: Thriller (Opcop-Gruppe, Band 3) - Arne Dahl

Der schwedische Autor Arne Dahl heißt eigentlich Jan Lennert Arnald. Ich vermute, dass er ein weiches Pseudonym nutzt, weil er seine schriftstellerische Tätigkeit von seiner Arbeit als Literaturwissenschaftler für die Schwedische Akademie, die jährlich den Nobelpreis für Literatur vergibt, trennen will. Aktuell gehört Arnald nicht zum Nobelkomitee und ich konnte leider nicht herausfinden, ob er in der Vergangenheit mit der Auswahl der Preisträger betraut war, aber die Vorstellung ist schon ziemlich cool.
Sein Pseudonym Arne Dahl, das meiner Ansicht nach übrigens wesentlich einprägsamer ist als Jan Lennert Arnald, kenne ich als Autor der politischen Thriller-Reihe „Opcop“, auf die mich mein Vater 2015 aufmerksam machte. Vom dritten Band „Neid“ erwartete ich erneut eine spannende, extrem intelligente Handlung voller politischer Implikationen.

 

Einem dänischen Wissenschaftler wird in Stockholm auf offener Straße die Kehle durchgeschnitten. Der Mord gleicht einer Hinrichtung, brutal, provokant und inszeniert. Der wichtigste Zeuge floh unbemerkt vom Tatort: ein rumänischer Bettler, der das Smartphone des Toten an sich nahm und jetzt im Besitz hochsensibler Daten ist, die ihn ebenfalls das Leben kosten könnten. Leider will der europäischen Operativeinheit Opcop niemand verraten, an welchem geheimen, brisanten Projekt der Wissenschaftler zuletzt arbeitete. Der verschwundene Rumäne ist ihre beste Spur, da Opcop bereits mit Hochdruck gegen die Bettlermafia und den europäischen Menschenhandel ermittelt.
Währenddessen wird die französische EU-Parlamentarierin Marianne Baillard mit kompromittierenden Fotos erpresst und bedroht. Sie plant, einen Gesetzesentwurf auf den Weg zu bringen, der ganz Europa verändern würde. Wer würde über Leichen gehen, um sie aufzuhalten?
Irgendwie sind beide Fälle miteinander verbunden. Nun liegt es bei der Opcop-Gruppe, herauszufinden, welche Parallelen bestehen, bevor weitere Menschen sterben.

 

Ich lese politische Thriller sehr gerne, insgesamt aber eher selten, weil die behandelten Themen meist viel Aufmerksamkeit erfordern und recht bedrückend sind. Wenn ich dann schon in der Stimmung bin und zu einem Buch dieser Sparte greife, sollte es mindestens so gut sein wie „Neid“ von Arne Dahl. Sein politisch-wirtschaftliches Verständnis ist unerreicht. Seine Kenntnis krimineller Machenschaften auf internationaler Ebene ist beeindruckend und beunruhigend. Er versäumt nie, mir das wahre Wesen der Welt vor Augen zu führen und mich die Prozesse hinter den Kulissen der realen, globalen Politik zu lehren. Ich bewundere ihn zutiefst, weil seine Romane stets in der Wirklichkeit verankert sind. Namen wie Viktor Orbán, Geert Wilders und Nicolas Sarkozy sind aus den Nachrichten bekannt. „Neid“ bietet meinem Empfinden nach weniger handfeste Action als die Vorgänger „Gier“ und „Zorn“, ist jedoch nicht minder spannend. Der beschriebene Fall ist äußerst verschachtelt; ich musste mir die verschiedenen Komponenten mental wiederholt vorbeten, um zu verstehen, wie alles zusammenhängt. Die komplexe Kombination unterschiedlicher Themen öffnet ein ganzes Universum des Verbrechens, das bei der Diskriminierung und Vertreibung der Roma beginnt, Menschenrechtsverletzungen wie Menschenhandel als Lappalie betrachtet und es sich schlussendlich im komplizierten Feld der Umweltpolitik bequem macht. Die geballte kriminelle Energie, die dieser Thriller darstellt, die Bereitschaft, Menschen schlimmstenfalls wie Vieh, bestenfalls wie Schachfiguren zu behandeln, überzeugte mich erneut davon, dass ich in der Politik niemals bestehen könnte. Zu wissen, wie schlecht unsere Welt ist und nur sehr wenig dagegen unternehmen zu können, würde mich enttäuschen, desillusionieren, zerstören. Meine Güte, es gibt da draußen Menschen, die dafür bezahlt werden, rechts-konservative Parteien dahingehend zu beraten, wie sie rechtsradikale Wähler_innen erreichen und für sich gewinnen können. Natürlich sollte mich das nicht überraschen, aber ich komme einfach nicht darüber hinweg. Es ist schockierend widerwärtig. Ich könnte so nicht leben. Ich könnte nicht leben wie Marianne Baillard, die bis zur totalen Erschöpfung gegen die Schattenspieler, die die EU klammheimlich übernommen haben, kämpft und doch nur minimale Unterstützung erhält. Sie tut das Richtige und wie wird es ihr gedankt? Mit Erpressung und Drohungen. In „Neid“ ist die Französin die bescheidene Heldin neben der Opcop-Gruppe, deren Mitglieder ohnehin einmalig und ehrfurchtgebietend klug sind. Durch sie vermittelt Arne Dahl ein scharfsinniges Bild der EU. Aus ihren Worten, die mich tief berührten, hörte ich die Stimme des Autors heraus, der mit schmerzhafter Klarheit erfasst, was die EU heutzutage ist und wie sie eigentlich sein sollte. Wie konnte aus einem Friedensprojekt für ein besseres, grenzübergreifendes Miteinander ein Sklavenschiff der Wirtschaft werden?

 

Falls ihr euch in die Gefilde politischer Thriller wagen möchtet, kann ich euch nur wärmstens empfehlen, es mit Arne Dahls „Opcop“-Reihe zu versuchen. Greift nicht zu Fitzek. Dahl ist meiner Meinung nach einfach besser. Er erforscht die Schattenseiten der Gesellschaft, ohne zu verwirren, sich in seinen eigenen Handlungsfäden zu verheddern oder allzu viel Wissen vorauszusetzen, leistet fundierte, solide Recherchearbeit, integriert zahlreiche, individuelle, sympathische Figuren, an denen sich die Leser_innen orientieren können und konzipiert darüber hinaus nervenaufreibende Spannungsbögen, die an die Seiten fesseln. Er liefert das berühmte Gesamtpaket. Mich stimulierte „Neid“ wieder einmal intensiv; ich habe über viele Punkte gegrübelt und kam letztendlich zu einem Ergebnis: solange es Menschen wie Arne Dahl gibt, die die Schlechtigkeit unserer Welt erkennen und mutig darüber schreiben, ist der Traum eines vereinten, gerechten, friedlichen Europa noch nicht ausgeträumt.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/07/25/arne-dahl-neid
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