Der kleine Ort Gunzesried im Allgäu ist ein Idyll. Das soll allerdings nicht so bleiben, denn der schwäbische Baulöwe Rümmele will einen gigantischen Freizeitkomplex errichten, um den Tourismus anzukurbeln. Die riesige Anlage verheißt aber nicht nur satte Einkünfte, sondern zerstört auch die Schönheit der Landschaft, und so ist die Bevölkerung in zwei Lager gespalten. Doch dann macht die einheimische Jo eines Morgens bei einem Ausritt eine schockierende Entdeckung – sie stößt auf Rümmeles Leiche im Schnee. Während die örtliche Polizei noch im Dunklen tappt, beginnt Jo auf eigene Faust zu ermitteln. Dabei unterläuft ihr jedoch ein fataler Fehler, denn sie hätte niemals an die Mordstelle zurückkehren dürfen.
Nach “Mordsviecher” hatte ich eigentlich vor, Nicola Förgs Krimis vorläufig den Rücken zu kehren. Bis ich dank einer amazon-Empfehlung herausfand, dass sie neben den Krimis um die Kommissarin Mangold noch eine Reihe um den Kommissar Weinzirl schreibt / geschrieben hat. Und da ich mich speziell mit der immensen Weiblichkeit in “Mordsviecher” schwer getan hatte, sollte Weinzirl noch seine Chance bekommen.
Ich muss sagen, er hat sie gut genutzt. Was aber natürlich nicht alleine daran liegt, dass er ein Mann ist! Mir hat der Fall selber gut gefallen. Er ist zwar mit einem erschossenen Firmenmogul recht bodenständige Krimikost, aber auch solche Geschichten können spannend sein. Einige skurrile Details rundherum geben dieser hier außerdem zusätzlich eine gewisse Würze.
Außerdem entwickelt sich der Fall um den toten Baulöwen ganz interessant weiter und weitet sich unerwartet aus ohne dabei unübersichtlich zu werden. Ganz im Gegenteil ergeben sich neue Erkenntnisse und Blickwinkel schön nach und nach, so dass man beim Lesen unweigerlich selber Vermutungen anstellt, und das macht mir bei Krimis immer den meisten Spass. Leider geht es nicht bei allen. Hier aber schon und so habe ich mich gespannt durch Weinzirls ersten Fall gelesen.
Den er allerdings nicht alleine löst. Inoffiziell steht ihm nämlich Jo Kennerknecht, die Direktorin des Tourismusverbands, zur Seite, die ebenfalls Ermittlungen anstellt. Für mein Empfinden sogar ein paar zuviel. Im Vergleich zu Jos Unternehmungen, kommen die des Kommissars spürbar zu kurz. Man ist deutlich häufiger mit ihr unterwegs als mit ihm oder beiden gemeinsam. Das hat mir nicht ganz so gut gefallen, schließlich ist Weinzirl bei der Polizei und deshalb sollten seine Ermittlungen im Mittelpunkt stehen. Und er ist gut in seinem Job! Auch wenn er oft ruhig und etwas kauzig wirkt, so kann er im entscheidenden Moment seinen cleveren Verstand und die Autoriät eines Kommissars herauskehren.
Ich habe mich mit Jo auch noch aus einem anderen Grund schwer getan. Ich mag zwar ihre chaotische Lebens- und Vorgehensweise und ihre Tierliebe teile ich uneingeschränkt, aber manche ihre Denkweisen konnte ich doch nicht nachvollziehen. Schließlich ist sie bereits über 30. Da sollte in gewissen, beispielsweise gefährlichen Momenten, doch eine erwachsene Art zu Denken zu erwarten sein. Bei Jo ist genau das Gegenteil der Fall, was ich unglaubwürdig blauäugig finde.
Gemeinsam haben mir Jo und Weinzirl bei der Arbeit aber Spaß gemacht. Wie von einem Krimi dieses Genres zu erwarten, geht es häufig auch humorvoll und mit einem bissig-scharfen Blick auf die Allgäuer zu. So darf hier gerne mal geschmunzelt werden.
Und man bekommt einen schönen “Blick” auf die Gegend gewährt. Das Allgäu wird hier schön beschrieben, so dass man die Zweifel der Gunzesrieder Einwohner wegen des Freizeitkomplexes leicht nachvollziehen kann und sich sofort auf ihre Seite schlägt.
Im Anhang findet sich ein Glossar mit den urallgäuerischen Ausdrücken und Aussprüchen, die man im Krimi antrifft. So nötig ist das zwar nicht, man kann schon alles soweit aus dem Zusammenhang heraus verstehen, aber wer spezielle Begriffe genau übersetzen will, der kann hier nachschlagen. Es ist allerdings schon so, dass sich diese Dialekt-Passagen -vornehmliche Teile von Dialogen- recht schwer lesen lassen. Aber auch nur die, denn ansonsten liest sich “Schussfahrt” leicht und war für mich so eine prima Urlaubslektüre.
Ja, klar, ein Tier auf dem Cover, das ist was für mich. Es war auch der erste Hingucker, ich gebe es ja zu. Ich gebe aber auch zu, dass Bambis Papa mit der Geschichte sonst nichts an den Hörnern hat. Außer dass man ihn im Allgäu durchaus antreffen kann. Es ist aber eben halt ein Motiv, das ideal für einen Regionalkrimi ist. Dem Titel dagegen wohnt eine gewisse Doppeldeutigkeit inne, wenn man ihn auf die Geschichte bezieht
Fazit: An Jo werde ich mich erst noch gewöhnen müssen, aber vielleicht wird sie ja im Laufe der weiteren sieben Weinzirl-Krimis noch etwas erwachsener. Davon abgesehen habe ich mit “Schussfahrt” einen ganz spannenden Krimi mit zugegeben solidem Fall gelesen, bei dem ich gut mitknobeln konnte. Und das mag ich. Deshalb wird es nicht mein letzter Weinzirl gewesen sein.