logo
Wrong email address or username
Wrong email address or username
Incorrect verification code
back to top
Search tags: Asien
Load new posts () and activity
Like Reblog Comment
review 2020-03-10 09:32
Knarren Objektophilie
Der Revolver - Fuminori Nakamura

Asiatische Schriftsteller sind ja völlig Meines und haben mich ganz selten enttäuscht. Sie vermitteln meist eine fremde exotische Kultur, beschreiben eine mir völlig fremde Gesellschaft mit unbekannten Sitten, haben aber dennoch eine Schreibkultur auf höchstem Niveau entwickelt, die uns Europäern diese unerklärliche mysteriöse Welt sprachlich gewandt beizubringen weiß. Deshalb habe ich mich mutig auf den mir bisher völlig unbekannten Autor eingelassen und war auch diesmal sehr begeistert.

 

Der Roman ist sehr kurz, extrem spannend, richtet den Fokus der Geschichte ausschließlich auf ein bestimmtes Objekt einer Obsession - einen Revolver - und beschreibt die Beziehung des Protagonisten zu ebendiesem Ding. <!--more-->Das Leben des Studenten Nishikawa ähnelt der langweiligen Existenz einer grauen Maus und wird plötzlich bereichert, als die Hauptfigur eines Nachts in den Händen eines vermutlichen Selbstmörders einen Revolver findet, den er vom Tatort mitnimmt. Plötzlich fühlt sich der Student als kleiner Gangster, als tiefgründiger Mensch mit einem kriminellen Geheimnis, das seinem bisher faden Charakter Unvorhersehbarkeit, Gefährlichkeit und Tiefe vermittelt. Nach und nach werden dieses Ereignis und die Leidenschaft, die er zum Objekt seiner Sehnsucht und Begierde entwickelt, krankhaft zu einer objektophilen Zwangsstörung. Nikishawas restliches Leben existiert zwar noch, tritt jedoch neben der Beschäftigung mit der Waffe total in den Hintergrund, fast wie bei einem musikalischen fade out.

 

Irgendwann erinnerte mich diese Geschichte in ihrer Zwanghaftigkeit frappant an Patrick Süßkinds Die Taube: die gleiche Länge des Textes und irgendwie die gleiche Obsession, statt Viecherl eben Knarre. Das Ding übernimmt ganz allmählich, schrittweise die Macht über den Menschen. Der Revolver, der ausschließlich dazu gefertigt wurde, um abgefeuert zu werden und damit vielleicht auch jemandem das Leben zu nehmen, fordert seinen Tribut und wirft die bisherige gleichförmige Existenz des Studenten völlig aus den Fugen. Der Protagonist hat sich zumindest in seinem Geiste vom unschlüssigen, schüchternen, gesellschaftlich in strengen Regeln verhafteten, entscheidungsschwachen, verlorenen, zweifelnden japanischen Mann, den ja auch Murakami immer so treffend zu beschreiben weiß, in einen gefährlichen Macher mit Tiefgang und bedrohlichen, ernstzunehmenden Absichten entwickelt.

Der Revolver war wie ein unbezähmbares, eigenwilliges Wesen. Und ich ahnte, dass ich diesem mächtigen fordernden Wesen nicht mehr lange würde standhalten können und es nur durch den erlösenden Schuss bändigen konnte. Der Gedanke ließ mich schaudern. [...] Ich erinnerte mich an mein Glücksgefühl, als ich den Revolver entdeckt hatte. Dennoch hatte ich versucht, einen kühlen Kopf zu bewahren, hatte versucht, mich von meiner Erregung nicht überwältigen zu lassen. [...] Am liebsten hätte ich die Zeit zurückgedreht, als der Revolver und ich noch gleichberechtigte Partner gewesen waren. Doch das war nicht mehr möglich. Der Revolver war ein Teil von mir geworden, hatte mein ganzes Denken und Handeln durchdrungen. Zu schießen war die eigentliche Bestimmung eines Revolvers, und so war es auch nur logisch, dass auch ich das wollte.

Ein potenzielles Opfer, ein Tatort und ein Tatplan, mit dem man eventuell vor der Polizei davonkommen kann, werden systematisch entwickelt. Am Ende im Rahmen der realen Umsetzung der lange geschmiedeten Pläne dreht sich der Plot noch drei Mal um 180 Grad, eine sensationelle Dramaturgie, die den Spannungsbogen dieser wirklich kurzen Geschichte so rasant konzipiert, dass ich fast nicht mehr zum Atemholen kam. Und die Moral von der Geschicht: Spiele mit der Knarre nicht.

 

Fazit: Kurz, knackig, tiefgründig, spannend, rasant, sprachlich sehr ansprechend und sensationell. Absolute Leseempfehlung, das Buch kann in einem Haps verschlungen werden.

Like Reblog Comment
review 2020-02-25 09:11
Flirten und Beziehungen auf japanisch
Der Japanische Verlobte - Amélie Nothomb,Brigitte Große

Prinzipiell muss ich sagen, dass mir Teil eins dieser Erfahrungen einer Belgierin in Japan wesentlich besser als dieses Buch gefallen hat. Ursprünglich habe ich  Mit Staunen und Zittern  nur deshalb 4 Sterne verliehen, da mir diese großartige berufliche Groteske einfach zu kurz war, aber damals wusste ich noch nicht, dass die Fortsetzung in Form eines anderen Buches exisitiert. Deshalb habe ich nun Teil eins nachträglich auch aufgewertet, denn mein Hauptkritikpunkt existiert durch diese Fortsetzung der Geschichte de facto nicht mehr.

Der zweite Teil der Geschichte, nämlich Der japanische Verlobte spielt nahezu zeitgleich, aber betrachtet ausschließlich den privaten Aspekt der Erfahrungen der belgischen Protagonistin in Japan. Er startet ein halbes Jahr vor der beruflichen Karriere mit dem zarten Beginn einer Liason mit dem Studenten Rinri, überlappt dann Teil 1 indem er ausschließlich das Privatleben des Paares schildert und beleuchtet in einer Nachschau noch den endgültigen Schlusspunkt der Beziehung Jahre später.

Was mir sehr gefallen hat, war die Authentizität, die im Plot vermittelt wurde: zwar nicht so wie wir im europäischen Stil den Start einer Liebe schildern würden mit all unseren Gefühlsaufwallungen, sondern eben völlig anders. Was mir weniger gefallen hat, ist der Umstand, dass mir so eine Beziehung einfach literarisch zu langweilig ist. Der Anfang war wie gesagt holprig und a bissi fad, nämlich die zarte Pflanze des Flirts in der japanischen Gesellschaft. Weil die Japaner ja diesbezüglich extrem verklemmt und vielen gesellschaftlichen Konventionen unterworfen sind, lähmte die Beschreibung dieser linkischen Art von jungen japanischen Männern ordentlich, war aber auch a bissi niedlich in ihrer Unbeholfenheit. Die Handlung plätscherte so dahin, ohne wirkliche Flirt-Highlights bis zur Fondueszene, dann legt sich der Schalter sofort auf total schräg um - als Analogie möchte ich Euch die Folgende anbieten: vom Kinderzimmer gleich auf die Fetischmesse gehupft.

Anschließend geht es wieder sehr konventionell weiter, der Leserschaft offenbart sich eine mäßig spannende Beziehung ohne Höhen und Tiefen, die allmählich ernst wird. Interessant waren aber die Sidekicks durch Einblicke ins Land und in die Gesellschaft, die durch die vielen typischen Pärchen-Unternehmungen, die die beiden absolvieren, von der Autorin in die Handlung eingebunden wurden. Offenbar gibt es eine Romatik-Liste, die japanische Paare, die sich ja auch nicht zu Hause herumtreiben und Sex haben dürfen, abarbeiten sollten, um gesellschaftlich anerkannte und standesgemäße Werbung zu betreiben. Darauf stehen zum Beispiel eine Wanderung auf den Fuji, Abendessen der Frau mit Freunden des Partners, Besuch der Insel Sado und ein Wellness-Bad in heißen Quellen, Kino-Besuche, Parks, Förmliche Vorstellung bei der Familie ... .

Was da so en passant an japanischer Kultur vermittelt wird, die uns völlig fremd vorkommt, ist nicht unspannend.  Zum Beispiel kommt heraus, dass schon im Alter von 5 Jahren ein ernormer Leistungdruck auf japanische Kinder ausgeübt wird, indem sie einen Intelligenztest machen müssen, der über ihre zukünftige akademische Karriere entscheidet. Das ist total bekloppt und megaheavy bezüglich Stress, kein Wunder dass es so viele Selbstmorde gibt. Nur während des Studiums können sich junge Leute austesten, nicht in der Schule, in der auch ein enormer Druck herrscht, und so gut wie nie wieder nachher, dann stecken sie im Hamsterrad der Arbeit fast ohne Freizeit fest. Erst nach der Pensionierung können die Japaner einigermaßen selbstbestimmtes Leben wiederaufnehmen.

Auch die Vorstellung der Liebsten in einer formellen Zeremonie für alle Studentenfreunde, war sehr schräg und ungewöhnlich, aber sehr interessant, die Vorstellung von Rinris Familie insbesondere der Großeltern war überhaupt sehr überraschend.

Nach und nach wird der Protagonistin die von ihr aus eher locker geführte Beziehung viel zu eng, ein Heiratsantrag steht ins Haus, den die junge Frau zwar nicht ablehnen möchte, damit sie die Beziehung nicht gefährdet, aber mit einer laangen unbestimmten Verlobungsphase, wie es in ihrem Heimatland Belgien angeblich üblich sein sollte, abwiegeln kann.



"Ich wollte Rinri nicht heiraten. Außerdem war mir die Idee einer Heirat schon lange zuwider. Was hatte mich also daran gehindert abzulehnen? Die Erklärung war, dass ich Rinri mochte. Eine Ablehnung hätte Trennung bedeutet, und ich wollte nicht mit ihm brechen. Mich verband so viel Freundschaft, Zuneigung und Lachen mit diesem sentimentalen Jungen. Ich hatte keine Lust, auf seine charmante Gesellschaft zu verzichten. Ich segnete den Erfinder der Verlobung."


Schließlich läuft sich die Beziehung ohne größere Friktionen ganz allmählich Schritt für Schritt tot, was zwar sehr realistisch ist, aber literarisch einfach sehr wenig Futter für spannende Auseinandersetzung bietet. Wobei - wie die Protagonistin strategisch klug ohne Streit und Verweigerung das Heiratsversprechen umgeht ist nicht unspannend - sie wählt eine eher männliche Art der Vermeidung beim Schlussmachen, ist aber etwas netter und kommunikativer im Nachgang der Beziehung.

Fazit: Hat mich jetzt nicht so ganz vom Hocker gerissen, wie Teil 1,  ist aber eine sehr gute behäbige Geschichte über Beziehungen in der japanischen Kultur. 3,5 Sterne wohlwollend aufgerundet auf 4 und eine Leseempfehlung.

Like Reblog Comment
review 2018-12-13 19:23
Dem Blutrausch der Roten Khmer ausgeliefert
Der weite Weg der Hoffnung - Loung Ung

Mit diesem Buch habe ich meine A-Z Autorinnenchallenge abgeschlossen und ich habe es nicht bereut. Ursprünglich wollte ich ja ein anders lesen, aber das andere lässt sich auch hervorragend in die 2019er Eu-Autorinnenchallenge einbauen.

Dieses Werk habe ich gewählt, weil ein Lesefreund mich darauf aufmerksam gemacht hat und weil ich am Schauplatz der autobiografischen Geschichte überall im Jahr 2015 war: Killing Fields, Pnom Penh, Die Gefängnisse, Tonle Sap der Norden Kambodschas... Auch durfte ich einem anderen, sehr alten Überlebenden des Foltergefängnisses in Pnom Penh die Hand schütteln und ihm seine Biografie abkaufen.

Doch nun von der Motivation zum Werk selbst. Stilistisch ist es doch etwas verwirrend gestrickt, weil die Autorin Präsens und Ich-Form eines kleinen Mädchens, der Protagonistin, gewählt hat, die dann aber nicht immer authentisch kindgerecht sondern oft wie eine erwachsene Schriftstellerin formuliert. Bei jedem komplexen Wort - teilweise präsentiert die Autorin einen ausnehmend komplexen Sprachschatz - und bei den öfter eingestreuten Konjunktivsatzkonstruktionen hat es mich als Leserin geschüttelt, weil dieser Stil so ambivalent und definitiv verwirrend ist wenn so etws ein 5-9 jähriges Mädchen formuliert.

Trotz dieser zugegebenermaßen ernsteren stilistischen Mängel hat Luong Ung aber etwas Wichtiges zu erzählen. Die Geschichte der Familie ist herzzerreißend, im Wohlstand beginnend und anschließend geprägt von permanenter Flucht, Hunger, Krankheit und Tod, erst stirbt die die Schwester, dann werden Vater und Mutter von den Soldaten abgeholt und erschossen. Anschießend irren drei voneinander getrennte minderjährige Kinder durch die Lager, finden sich zufällig wieder und machen sich auf, ihre restlichen erwachsenen Geschwister zu suchen.

Auch die Beschreibungen der Landschaft, der Leute und der Situationen sind plastisch realistisch und eindrücklich, das kann die Luong Ung sehr gut. Pnom Penh war 2015 genauso, wie die Autorin die Stadt 1975 so anschaulich geschildert hat. Hat sich fast gar nix geändert, bis auf ein paar Hochhäuser als Hotels. Auch ein paar Gedenkstätten als Lager habe ich gesehen und darin natürlich auch die Zeitdokumente der Insassen. Diese stimmen mit meinen Eindrücken deckungsgleich überein.

Sas Thema der Kindersoldaten ist zudem ein spannender Aspekt in der Geschichte dieses Krieges der Roten Khmer gegen ihre eigene Bevölkerung. Auch wenn die Protagonistin als junges Mädchen zwar nicht authentisch formuliert, da sie in der Ich-Form von einem kleinen Mädchen gesprochen werden, findet das erwachsene Ich der Autorin aber dennoch sehr weise Worte, die sie kurz und knackig auf den Punkt bringt:
"Seine Regierung hat ein rachgieriges, blutdürstiges Volk geschaffen. Pol Pot hat aus mir ein kleines Mädchen gemacht, das töten will."

Eines sollte noch gesagt werden. Diese Familiengeschichte ist harter Tobak und nichts für zarte Gemüter, dennoch sollten wir auch auf einen solchen grausamen "Krieg" (eigentlich ja nur Konflikt in einem Land) hinschauen.

Fazit: Weil mir persönlich die Geschichte, die erzählt wird, immer wichtiger ist als die formale Struktur, bin ich über die Erzählkonstruktion sehr schnell hinweggekommen, und weil es  zudem an sprachlich ausgereiften Sätzen überhaupt nicht gemangelt hat. Deshalb vergebe ich 3,5+ Sterne, die ich leichten Herzens gerne auf 4 Sterne aufrunden möchte.

P.S.: Die Biografie ist 2017 von Angelina Jolie als Regisseurin verfilmt worden und war 2018 für den Auslandsoscar nomiert. Läuft bei uns in Österreich in den Programmkinos

Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2018-08-07 21:29
Chinas verlorene Töchter
Wolkentöchter - Xinran

Es ist fürchterlich! Was da in China aufgrund der unsäglichen Verknüpfung von alten patriarchalischen Strukturen und der 1-Kind-Politik in den letzten Jahrzehnten im Detail gegen weibliche Babys abgegangen ist, haben wir hier in Europa möglicherweise geahnt, wir haben uns selten genauer damit beschäftigt und es sicher nicht im Detail gewusst. Diese Reportage ist derart ungeheuerlich und brutal, dass einem die Spucke wegbleibt und sich das Würgen einstellt.

 

Ein sehr wichtiges Werk, das ich überhaupt nicht bereue, gelesen zu haben und das mir die Augen geöffnet hat. Ich möchte es Euch wirklich dringend ans Herz legen, denn diese Fakten zu wissen, ist einfach sehr wichtig, da ein Genozid an weiblichen Babys erst vor Kurzem strukturell geplant in großem Stil passiert ist und in den ländlichen Gebieten Chinas noch immer tagtäglich stattfindet.

 

Im Rahmen meiner A-Z Autorinnenchallenge (Details dazu hier), bin ich beim Buchstaben X im Nachnamen zwangsläufig über die chinesische Radiomoderatorin und Journalistin Xinran Xue gestolpert und ich freue mich sehr, dass ich sie entdeckt habe.

 

Das Buch ist in Form einer Reportage über die Zustände in China angelegt, die sehr persönlich gehalten wird, da Xinran von Schicksalen der Mütter und aus ihrer eigener Sicht ihres Involvements die Lebensgeschichten der Frauen und die der Babys schildert. Schon die erste Szene beschreibt, was hier abgeht. Xinran ist im Rahmen der Recherche in ländlichen Gebieten Chinas eingeladen, und eine Frau liegt bei ihren Gastgebern in den Wehen. Plötzlich wird es ganz still, die Stimmung kippt, alle tun so, als ob kein Kind geboren wurde und gar nichts passiert sei. In einem Kübel im Geburtszimmer sieht sie das noch zuckende Bein eines Babys, weggeworfen wie Müll. Sie versucht, das Mädchen zu retten, wird aber von ihren Gastgebern daran gehindert. Nach dieser Erfahrung recherchiert sie weiter und deckt Fürchterliches auf. Auf dem Land werden weibliche Babys sofort bei der Geburt umgebracht, denn in den alteingeführten patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen Chinas zählt sowieso nur der Sohn und durch die verordnete 1-Kind-Politik werden die Mädchen von Hebammen und ihren eigenen Verwandten – Müttern, Vätern, bzw. Schwiegereltern – so lange getötet, respektive sofort nach der Geburt erstickt, bis sich dieser gewünschte männliche Erbe auch einstellt.

 

Aber auch andere Strategien von Eltern werden recherchiert und in einzelnen Schicksalen dargestellt. Manche Mütter behalten ihre Töchter so lange, bis sie wieder schwanger werden und setzen sie dann aus. Das natürlich so lange und auch so oft, bis der ersehnte Sohn produziert wird. In weiteren Stories wird dann die systematische Adoption eigentlich ja der Verkauf von chinesischen Mädchen an Adoptiveltern im Ausland geschildert und wie sich dieser Usus quasi staatlich unterstützt zuerst im städtischen und dann im ländlichen Raum durchgesetzt hat. Dabei werden fast alle Regeln des Haager Übereinkommens zum Schutz von Kindern verletzt, vor allem gibt es nicht mal Aufzeichnungen, wer die Kinder überhaupt sind (alles wird weggeworfen). Die Zustände in den Waisenhäusern sind derart unmenschlich, kriminell, eigentlich nur um eine Nuance besser als die Tötung der Mädchen. So wird Schicksal für Schicksal aufgerollt und zu einer Gesamtreportage, einem Bild zusammengestellt.

 

Wie gesagt dies alles ist im Stil der persönlichen Lebensgeschichten und herzzerreißenden Schicksale von Müttern und nicht sachlich dargelegt. Dieser Stil gibt zwar inhaltlich durch die Wahl der Beispiele auch ein ausreichend breites Bild der Zustände in China, ist aber von der Tonalität natürlich sehr persönlich und emotional angelegt. Manchmal hat mir für die Rezeption der Stories dann ein bisschen die neutrale sachliche journalistische Klammer und die Hintergrundinfo bezüglich der rechtlichen, ökonomischen, demografischen, gesellschaftlichen Fakten gefehlt, die leider erst auf Seite 259 eingeführt werden, obwohl sie eigentlich schon zu Beginn auf der ersten Seite von mir benötigt worden wären. Hier sollte die die Struktur des Werkes umgedreht und die Hintergrundinfos am Ende des Buches als journalistische sachliche Einführung in das Thema von der Autorin zu Beginn installiert werden. Dann kann man auch die Geschichten nicht nur fühlen, sondern von Anfang an besser verstehen.

 

Bei der Übersetzung gibt es einige strukturelle Fehler, einmal wurden Monate mit Jahren verwechselt und öfter wurde immer dieselbe Formulierung verwendet, anstatt Synonyme einzuführen. Diese Redundanzen nerven und stören natürlich, wenn man das Buch auf Deutsch oder Englisch liest. Gut fand ich jedoch, dass der Übersetzer auf diese Schwächen in den Anmerkungen einging, dass das im Chinesischen offensichtlich etwas schwierig umzusetzen ist, und sich prophylaktisch dafür entschuldigt. Auch glaube ich, dass sich das im Laufe der Zeit etwas verändern wird, wenn mehr Bücher aus dem Chinesischen übersetzt werden und die Verlage damit mehr Erfahrungen bekommen.

 

Fazit: Eine extrem wichtige, erschütternde, packende Reportage, die ich allen sehr ans Herz lege. Wir alle sollten wissen, mit welchen Mitteln die wirtschaftliche Turboentwicklung Chinas auf dem Rücken von Mädchen erkauft worden ist. Auch gibt das Buch einen guten Blick darauf, mit welchen Strategien Entwicklung und Überbevölkerung NICHT in den Griff zu bekommen sein sollte. Eine derartige Denkweise ist nicht nur unmenschlich grausam, sondern auch langfristig für die demografische Entwicklung eines Landes totaler MUMPITZ! Auf jeden Fall macht dieses Werk wütend und traurig, aber mündige Menschen mit Herz, Sinn und Verstand müssen da durch und genau hinsehen, auch wenn es bis in die Knochen wehtut und sich dieser Genozid sehr weit weg im Osten ereignet hat bzw. noch immer ereignet.

 

 

Like Reblog Comment
review 2018-07-22 09:19
Toxischer Japanroman
Heimkehr nach Fukushima: Roman - Adolf Muschg

Ohje, dieser Roman des Schweizer Schriftstellers Adolf Muschg war für mich bedauerlicherweise ein sehr sprödes auf Gewalt getrimmtes intellektualisiertes mühsames Werk, in dem seichte Querverweise und Zitierungen quasi mit der Mistgabel hineingeschaufelt wurden. Selbstverständlich habe ich als Leserin die Reminiszenzen an Adalbert Stifters Œuvre auf Grund des Klappentexthinweises erwartet, da ja beide Protagonisten den Linzer Autor, die Pflichtschullektüre-Nemesis meiner Kindheit, verehren. Auch habe ich mir erhofft, endlich einen moderneren erwachseneren Zugang zu Stifter zu erhalten, gleichwohl blieb mir das verwehrt, denn die sehr inflationär in vielen Szenen zitierten Stifter-Passagen passen leider nur marginal zum Geschehen des Romans und dekonstruieren die ohnehin schon sehr zerfledderte Handlung noch zusätzlich.

 

Aber nicht nur bei Stifter wird sich voller intellektueller Eitelkeit bedient, um sich als braver Bildungsbürger darzustellen. Gleich einem Rundumschlag werden in einem recht präpotenten Zitate-Ratespiel sehr viele vage Anspielungen auf andere Werke bemüht, ohne in die Tiefe zu gehen: z.B. Tezukas Graphic Novel Adolf, sehr viele unterschiedliche Werke von Adalbert Stifter, Hiroshima Mon Amour, Hieronymus Bosch, einige wichtige Architekten … . Hätten solche Anspielungen wirklich punktgenau in die Handlung gepasst und wären sie inhaltlich etwas intensiver und tiefer in den Plot eingewoben worden, hätte es mir sogar sehr gut gefallen, aber fast immer war ich ob der Seichtheit der angewendeten Querverweise nur verführt auszurufen: „Jaja wir wissen es schon! Diesen Film hast Du auch gesehen, diesen Roman hast Du auch gelesen, diese Graphic Novel steht auch in Deinem Bücherregal herum und dieses Gebäude und Bild kennst Du.“ Selbst die Sexszenen waren keine uniquen Ideen, sondern eine Reminiszenz an Murakami. Da ich mich ja selbst in so einer Community bewege und um solche Auswüchse in Privatunterhaltungen zu verhindern, wurde bei mir zu Hause ein Phrasenschwein aufgestellt, in das jeder einzahlen muss, der solche unsäglichen Charaktereigenschaften außerhalb des beruflichen Unigeländes an den Tag legt (Zitate in toten Sprachen wie Latein und Altgriechisch zählen übrigens doppelt). Der Autor hat, wenn ich alle Strafbeträge zusammenzählen würde, ungefähr für 1000 Franken Phrasen für mein hungriges Schweinderl gedroschen.

 

Dass ich erst im dritten Absatz zur Kritik an der Handlung des Romans komme, sagt eigentlich schon sehr viel aus. Der Plot ist nach Weglassung des intellektuellen Füllmaterials eigentlich gar nicht schlecht, wenn auch sehr dürftig. Im Prinzip war es diese Geschichte, die mich dazu veranlasste, das Buch als Rezensionsexemplar zu wählen. Der Architekt Paul Neuhaus wird nach Japan eingeladen, um als Gallionsfigur einer Künstlerkolonie nach dem Vorbild Worpswedes die verseuchte Landschaft Fukushimas wiederzubesiedeln. Mit der verheirateten Mitsuko und einem Geigerzähler reist er in einer Fact Finding Mission durch das von den Menschen teilweise aufgegebene und jetzt allmählich wieder kultivierte Land, in dem man die Strahlenbedrohung nicht sehen und auch nicht riechen kann, nur der Geigerzähler manifestiert durch sein Piepen diese unsichtbare, vage Gefahr.

 

Diesen Aspekt des Romans möchte ich auch sehr loben, er ist innovativ, spannend, einerseits mysteriös und andererseits auch für manche in unseren Breiten sehr realistisch. Nämlich die Ambivalenz der Japaner zur Strahlenbelastung durch die Atombomben, die permanente sehr intensive Nutzung der Kernkraft zur Stromerzeugung und durch den Reaktorunfall in Fukushima. Hier wird alles verdrängt, was es zu verdrängen gibt, beschönigt und unter den Teppich gekehrt. Zuerst wundert man sich noch über dieses Verhalten und dann wird man plötzlich an der eigenen Nase gepackt, speziell jene Personen, die im deutschen Schwarzwald, in Bayern und im Salzkammergut in Österreich wohnen.

Da sieht man sich selbst plötzlich vom Autor in die Rolle der Japaner versetzt, weil speziell diese Gegenden durch den Regen 1987 stark von Tschernobyl betroffen waren, was der Situation in Fukushima gleichkommt und merkt, dass wir genauso den Kopf in den Sand stecken, weil wir die Bedrohung nicht sehen und riechen können. Ab wann haben wir vergessen, darauf zu achten, keine Pilze aus diesen Regionen zu essen, kein Wildschwein von dort zu konsumieren? Ja, das macht nachdenklich!

 

Wie schon erwähnt, zerfällt ansonsten der Plot gegen Ende des Werkes bedauerlicherweise ein bisschen, er wirkt degeneriert und dekonstruiert, die unmögliche Liebesgeschichte bzw. Liason ist tragisch, hat aber dennoch irgendwie ein Happy End. Aber wie bereits gesagt, die Geschichte ist das beste an diesem Roman.

 

Einen weiteren massiven Ärgerfaktor muss ich leider auch noch erwähnen und meinen Unmut darüber kundtun. Der Roman strotzt nur so von systematischen orthografischen Fehlern, die ich überhaupt nicht tolerieren kann. Es wurde die alte ß-ss-Schreibung verwendet. Zuerst habe ich selbstverständlich gegoogelt, ob die neue Rechtschreibung in der Schweiz nicht angekommen ist, und erfahren, dass es dort überhaupt kein scharfes ß gibt. Also wieso verwendet ein schweizer Autor in einem deutschen Verlag 2018 publizierten Werk die alte Rechtschreibung, die nicht mal die heute gültigen Schweizer Orthofgrafieregeln implementiert? Das muss mir mal jemand erklären! Wie sollen junge lesende Leute richtig schreiben lernen, wenn nicht mal Autoren und Verlage inklusive Lektorat die neuen Regeln anwenden? Ist das altersstarrsinnige Eitelkeit? Oder was! Leute so geht das nicht! Und übrigens – ich will ja nicht klugscheissern, aber Olympiade ist der Zeitraum zwischen zwei Olympischen Spielen! Was soll das für ein Lektorat sein, das so etwas verwechselt und nicht weiß. Vor allem doppelt peinlich, wenn so etwas in einem derart intellektuell aufgemascherlten Roman passiert.

 

Fazit: Lediglich die Handlung und die Figuren des Romans haben einen gewissen Charme. Die Ausführung derselben ist bedauerlicherweise grottenschlecht und aus diesem Grund gibts aus meiner Sicht auf keinen Fall eine Leseempfehlung.

More posts
Your Dashboard view:
Need help?