Manchmal passiert es: Ein Wort will einem einfach nicht über die Lippen kommen, obwohl es einem auf der Zunge liegt. Aber was ist, wenn es uns mit allen Wörtern so ergeht? Falsche Wörter, missbrauchte Begriffe und entrissene Sprachfetzen ziehen sich von der Menschheit zurück, weil sie sich in ihrem Sprachgebrauch missverstanden fühlen.
Clemens Sedmak hat mit "Das Land, in dem die Wörter wohnen" ein entzückendes Märchen verfasst, das genauso als gesellschaftskritischer Denkanstoß und wortreiche Philosophie eine Perle im Bücherregal ist.
Die Geschichte wird vom kleinen Günther erzählt. Sein Papa ist der Erste, der Schwierigkeiten mit dem Erzählen hat, weil ihm die Worte fehlen. Was bei der gemeinsamen Mahlzeit mit der Familie beginnt, breitet sich rasch über die gesamte Gesellschaft aus. Die Wörter haben sich zurückgezogen, es herrscht Stille, weil es an der Grundlage zum Kommunizieren fehlt.
Günther und seine beiden Schwestern werden daraufhin ins Wortreich gezogen. Hier lernen sie König Logos kennen, und erfahren, warum die Wörter in Streik getreten sind. Nun liegt es am familiären Trio, die Sprache für die Menschheit zurückzugewinnen. Sie gehen mit einem mulmigen Gefühl ihr Abenteuer im Wortreich an.
Dieses Büchlein ist ein bezauberndes Werk, das sich trotz der spärlichen Seitenzahl in unglaublich liebevollen Details verliert. Ich bin mit Günther und seinen Schwestern in das Reich der Worte abgetaucht, und habe mit einem Schmunzeln im Gesicht, unter anderem die Bekanntschaft der Wörter 'Freund' und 'Hoppala' gemacht. Denn Clemens Sedmak haucht jedem Wort Leben ein. Er verleiht ihnen Charakter, Wesenszüge, und zeigt, wie ihr Sprachgebrauch auf ihre Eigenschaften wirkt. So ist 'Frömmigkeit' mittlerweile sterbenskrank, weil sie im falschen Kontext verwendet wird, und aus der eleganten 'Anmut' ist eine alte Dame geworden, die kaum noch in Einsatz ist.
Günther und seine Schwestern verlieren sich in Kultur und die Regeln der Wörter, erfahren mehr über ihren familiären Zusammenhalt, und wie sie zu den Menschen stehen. Dabei ist den Geschwistern klar, dass sie vor einem großen Abenteuer stehen, als sie König Logos zur Rettung des Sprachschatzes auf die Reise schickt.
Ich habe dieses Buchperlchen sehr gern gelesen. Mit jeder Seite, jeder Zeile, mit jedem Wort zog es mich tiefer in sein Reich.
Einerseits ist es im bezaubernd märchenhaftem Stil geschrieben, sodass es oberflächlich betrachtet - aufgrund der simplen Erzählung eines kleinen Jungen - durchaus für Kinder geeignet ist. Denn Clemens Sedmak nimmt sie auf ein wortreiches Abenteuer in das Land der Sprache mit.
Gleichzeitig findet der bibliophile Leser charmante Details, achtsam verwobene Sprachelemente, und eine hinreissende Wortkultur, die mich vom meinen ersten Schritt im Wortland an beeindruckt haben.
Hauptsächlich sind es gesellschaftskritische Themen, die den Leser zum Nachdenken bringen. Falsch gefärbte Botschaften, manipulierende Nachrichten und irreführende Meldungen führen die Wörter an ihrem Ziel vorbei, weshalb sie sich für Stille entschieden haben.
Mir hat mein Abenteuer im Land, in dem die Wörter wohnen mit seinem unaussprechlichen Charme sehr gut gefallen. Ich bin in bibliophile Gefilde abgetaucht, habe mich den kritischen Tönen gestellt, die Stille zum Nachdenken gebraucht, und mit den Kindern eine märchenhafte Reise erlebt - die ich jedem empfehlen kann!