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review 2018-09-20 08:50
Der verwaiste Hirtenjunge und die Bauerstochter
Königskinder: Roman - Alex Capus

Seit 26 Jahren sind Max und Tina ein Paar. Auf einem Alpenpass rutscht ihr Auto bei heftigem Schnee in den Graben, die beiden werden eingeschneit. Also erzählt Max seiner Tina eine Geschichte: Jakob Boschung, ein armer Hirtenjunge, trifft im Greyerzerland in der Schweiz im Jahr 1779 auf die wohlhabende Bauerstochter Marie-Françoise Magnin. Für den damals 22-Jährigen und die 19-Jährige ist es Liebe auf den ersten Blick, doch der Vater der jungen Frau ist gegen die Verbindung. Jakob geht für mehrere Jahre zum Militär, während Marie auf ihn wartet. Doch auch bei seiner Rückkehr stoßen die Verliebten auf Widerstände…

„Königskinder“ ist ein Roman von Alex Capus, der in die Zeit vor und während der Französischen Revolution entführt.

Meine Meinung:
Der Roman ist nicht in Kapitel untergliedert, aber in etliche Abschnitte aufgeteilt. Dabei gibt es zwei Ebenen: Einerseits die Gegenwart, die im Präteritum erzählt wird und in der Max Tina die Geschichte erzählt, und andererseits die lange vergangenen Geschehnisse um Jakob und Marie, die im Präsens geschildert werden. Trotz der Wechsel zwischen den beiden Strängen fällt es nicht schwer, den Überblick zu behalten.

Sprachlich konnte mich der Roman absolut überzeugen. Der Schreibstil ist sehr angenehm, anschaulich, einfühlsam und stellenweise poetisch. Die Sprache passt sich den unterschiedlichen Zeitebenen an. Durch viel wörtliche Rede und gelungene Beschreibungen entsteht ein bildhafter Erzählstil.

Im Vordergrund des Romans stehen die beiden Paare. Jakob und Marie sind sehr sympathische Protagonisten, deren Geschichte mich fesseln und bewegen konnte. Beide Charaktere sind interessant und wirken authentisch. Realitätsnah wird auch die Interaktion von Max und Tina dargestellt, wobei die beiden jedoch recht blass bleiben. Durch die Dialoge wird zwar ein gutes Bild auf deren Beziehung geworfen. Darüber hinaus erfährt man allerdings leider recht wenig über sie.

Obwohl der Roman ein Werk der leisen Töne ist, kommt beim Lesen keine Langeweile auf – und das liegt nicht nur an der eher geringen Seitenzahl. Das Buch beinhaltet nämlich eine Menge Witz und interessante Infos. Ein Pluspunkt ist für mich, dass die Geschichte um Jakob und Marie auf einer wahren Begebenheit basiert. Im Roman wird auf einige historische Details wie die Zustände am Hof von Ludwig XVI. in Versailles eingegangen, so dass die Lektüre nicht nur unterhaltsam, sondern auch lehrreich ist. In vielen Details zeigt sich die fundierte Recherche des Autors.

Das optisch ansprechende Cover passt meiner Ansicht nach gut zum Inhalt. Auch den Titel finde ich treffend.

Mein Fazit:
„Königskinder“ von Alex Capus ist ein unterhaltsamer und bewegender Roman, der für schöne Lesestunden sorgt. Eine kurze, aber empfehlenswerte Lektüre.

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review 2018-08-31 13:50
Alex Capus: Königskinder
Königskinder: Roman - Alex Capus

Als Tina und Max mit ihrem Auto im Schnee der Alpen steckenbleiben, beginnt Max seiner Frau eine Geschichte zu erzählen. Eine wahre Geschichte, versichert er, die sich tatsächlich so zugetragen habe und ihren Anfang nicht weit von der Stelle nahm, an der sie nun ausharren müssen und auf den Schneepflug warten. Er erzählt von Jakob, einem armen Kuhhirten und von Marie, der Tochter eines reichen Bauern. Im ausgehenden 18. Jahrhundert leben sie im Greyzerland. Detailliert und anschaulich beschrieben wird die bäuerliche Gesellschaft dieser Zeit. Aber auch historische Ereignisse werden geschildert, wie beispielsweise die Folgen des Vulkanausbruchs auf Island im Jahre 1783 oder der Ballonflug der Brüder Montgolfiere.
Später, als es Jakob nach Versailles verschlägt, malt Max mit seinen Worten ein lebhaftes Bild des verfallenden Schlosses. Am Rande tauchen schließlich die Anfänge der Französischen Revolution auf: Einberufung der Generalstände, der Sturm auf die Bastille und der Marsch der Frauen. Aber es ist kein politischer Roman, Jakob und Marie sind von den Entwicklungen nur indirekt betroffen und sie verlassen Frankreich noch 1789. Und für Prinzessin Elisabeth, die als Nebenfigur auftritt, endet der Roman, als sie mit ihrer Familie das Schloss Versailles verlässt.

Wirklich besonders ist die Geschichte in der Geschichte, die geschickte Verknüpfung der beiden Handlungsstränge. Immer wieder unterbricht Tina Max und sie diskutieren über den Inhalt, die Erzählweise oder erörtern Klischees, derer Max sich bedient. Oder auch nicht. So entsteht ein zweiter Blick auf die Geschichte von Jakob und Marie.
Das Fehlen von Kapiteln unterstützt dabei den Eindruck einer am Stück erzählten Geschichte.

Wenn man es genau nimmt besteht der Roman besteht fast nur aus wörtlicher Rede. Die Dialoge zwischen Tina und Max kommen praktisch ohne einleitende Satzteile aus. Einerseits ist es zu Anfang so schwierig, die einzelnen Aussagen dem jeweiligen Sprecher zuzuordnen. Andererseits gleichen ihre Gespräche so tatsächlich einem Schlagabtausch. Den größten Teil nimmt aber Max’ virtuos erzählte Geschichte ein, also jene von Jakob und Marie. Der Stil ist eloquent, trotz seines spontanen Erzählers, des Hinzuerfindens von Details, wenn Tina beispielsweise nach dem Schicksal der Pferde fragt, sind Sprache und Satzstruktur komplex. Und der teils ironische Anklang lässt einen als Leser immer wieder schmunzeln.

Insgesamt also ein sehr schöne zu lesender, wenn auch mit knapp 200 Seiten vergleichsweise kurzer Roman.

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review 2016-01-29 00:00
Léon und Louise
Léon und Louise - Alex Capus Obwohl es mir bei diesem Roman etwas schwer fiel, in die Geschichte von Léon und Louise reinzukommen, ist er dennoch die 5 Sterne wert. Beide Hauptcharaktere haben jeweils eine sehr ergreifende, eigene Geschichte und werden immer wieder mit Schicksalsschlägen konfrontiert, die ihnen immer wieder Steine in den gemeinsamen Weg legen. Diesen schönen Roman, den ich nur weiterempfehlen kann, nicht zuletzt deswegen, weil er in Frankreich spielt und die französische Lebensweise der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart wunderbar beschreibt!
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review 2015-06-28 07:44
Krieg und Liebe
Léon und Louise - Alex Capus

Léon und Louise verlieben sich während des 1. Weltkriegs ineinander, doch ein Fliegerangriff trennt sie und jeder denkt, der andere sei tot.

Doch 1928 in der Métro in Paris sehen sie sich wieder und stellen fest, dass ihre Liebe die Jahre überdauert hat, obwohl Léon mittlerweile Ehemann und Vater ist.

Es war mein erstes Buch von Alex Capus und ich war sehr neugierig auf die Geschichte von Léon und Louise, dem Liebespaar, das gegen die Widrigkeiten zweier Weltkriege kämpft. Mit seinem unglaublichen Charme hat mich Capus sofort gefangen, denn er lässt die Geschichte tatsächlich beim Begräbnis von Léon beginnen, während sich Louise mitten in der altehrwürdigen Notre Dame mit einer Fahrradhupe von ihrem Geliebten verabschiedet.

Wie es in all den Jahren zu dieser skurrilen, aber liebevollen Geste des Abschieds kam, wird von Léons Enkel erzählt, der sich mit herzerwärmender Liebenswürdigkeit der Lebensgeschichte des Großvaters widmet.

Diese Lebensgeschichte erstreckt sich über 2 Weltkriege und natürlich spielt in beiden Kriegen seine große Liebe Louise die Hauptrolle. Und genau wie sich die Dramen des 1. Weltkriegs im 2. Weltkrieg wiederholen, wiederholt sich das Drama dieser Liebe ein weiteres Mal, denn während der Besetzung Paris’ durch die Nationalsozialisten wird das unkonventionelle Paar erneut voneinander getrennt.

Meiner Meinung nach handelt es sich um eine nette Liebesgeschichte, die vom zeitgeschichtlichen Bezug zu den Weltkriegen lebt. Mehr war es für mich allerdings nicht. Anfangs empfand ich Léon und Louise durch ihre charmante Eigenart noch als besondere Protagonisten, aber spätestens nach der ersten flüchtigen Begegnung in der Métro hat sich dieser Zauber in Alltagsbanalitäten verabschiedet.

Außerdem hat mir die Rolle der Ehefrau - Yvonne - überhaupt nicht gefallen. Obwohl es damals andere Zeiten waren, kann ich mir nicht vorstellen, dass man sich als Ehefrau auf diese Weise behandeln lässt und damit auch noch zufrieden ist. Teilweise kam es mir vor, als würde Léon als Opfer seiner Ehe dargestellt werden, wobei hier eigentlich er der Täter war. Denn aus Pflichtergebenheit hält er zu Yvonne, und da fragt man sich schon, warum er sie überhaupt geheiratet hat. Ähnlich erging es mir mit der Protagonistin Louise, die zwar als aufregende und selbstbewusste Frau erscheint, aber meiner Meinung nach gar nicht dementsprechend gehandelt hat.

Nichtsdestotrotz ist „Léon und Louise“ eine nette Liebesgeschichte und ein interessanter Blick auf die Weltkriege aus französischer Perspektive, die sich durch den ungewöhnlichen Charme des Autors trotz der genannten Kritikpunkte gut lesen lässt.

 

© NiWa

Source: zeit-fuer-neue-genres.blogspot.co.at
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review 2013-09-30 10:39
Ein Wortfeuerwerk aus der Feder Alex Capus'
Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer - Alex Capus

- Ende -

 

Wehmütig blicke ich auf diese vier Buchstaben. Dieses Wort, so unscheinbar und kurz, beendet zu meinem Bedauern eine Reise durch ein wunderbares Buch, welches mich gleichermaßen faszinierte, großartig unterhielt und einen tiefen Blick in die Lebensgeschichte dreier Personen gewährte. Personen, die wirklich gelebt und erlebt haben, und deren Geschichten in ihrer Einzigartigkeit bis heute unvergesslich überlebt haben. Nun fanden sie Einzug in das neueste Werk des Schweizer Wortvirtuosen Alex Capus, welcher einem Nobelpreisträger der Physik, einer attraktiven Spionin und einem talentierten Kunstfälscher die Hauptrollen in seinem Roman »Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer« aus dem Hanser Verlag verlieh.

 

Drei Helden wider Willen

 

Ein Tanz durch die Geschichte, auf den Spuren eines jungen Mädchens, die Sängerin werden wollte und am Ende mitten in die Wirren des Krieges gezogen wurde. Ein Rebell, welcher schon früh seine blaue Jacke tragen wollte, sich nicht in eine Schublade schieben ließ und als Erbauer einer Kriegsmaschine mit seinem Gewissen zu kämpfen hat. Eine Ode an die Kunst, deren Wege manchmal auf ungewöhnliche Weise zum Erfolg führen, einen Künstler begleitend, der sein Talent nutzt, um Geschichte lebendig werden zu lassen – wenn auch recht frei interpretiert.

 

Ein wahrer Meister der Erzählkunst

 

Während ich die Zeilen dieses Buches lese, messe ich in Wahrheit eine Flut von Photonen – Schwingungen des Lichtspektrums reizen Sinneszellen in meinen Augen – und verschiedene Regionen meines Gehirns setzen Buchstabe für Buchstabe elektrisch in eine greifbare Geschichte um. Eine Geschichte, die von Möglichkeiten lebt, von Lücken im Kontinuum – ein abstraktes ´Vielleicht´ durchzieht mich ebenso wie die Charaktere in diesem Buch. Ich beginne nachzudenken – meine Phantasie formt Bilder, und ich frage mich, ob eben diese Bilder vielleicht gar nicht existieren, solange sie kein Anderer wahrnimmt? In den drei metaphorisch stark beseelten Geschichten um Felix Bloch, Emile Gilliéron und Laurea d‘Oriano ist ein Zusammentreffen dieser Drei theoretisch möglich – lediglich beweisbar durch die unmittelbare Anwesenheit eines Augenzeugen, welcher hier jedoch stumm bleibt – bleiben muss, denn so obliegt es dem Leser eben jene Lücken zu füllen, welche auch die Protagonisten auf ihrem Lebensweg zu füllen haben.

 

Des Menschen Wissen ist immer lückenhaft, das ist unser Schicksal. Nur deshalb tragen wir letztlich Glaube, Liebe und Hoffnung in unseren Herzen – damit wir diese Bruchstücke unseres Wissens in Beziehung zueinander bringen und daran glauben können, dass das alles hienieden einen Sinn hat. – Seite 148

 

So wie ich nach dem Zuklappen des Buchdeckels auf die erlebte Geschichte zurückblicke, so schwermütig schweift der Blick der auf dem Cover abgebildete junge Dame in die Ferne, während sie auf einem Geländer an einer Hafenanlage sitzt, Schiffe beobachtet und sich vielleicht wünscht, an einem ganz anderen Ort zu sein – oder es gar schon ist, und nun auf Vergangenes zurückblickt. Ich weiß es nicht, werde es nie wissen – und das ist gut so. Mein Verstand akzeptiert beide Realitätszustände, bis der unmittelbare Beweis des Gegenteils meine Ansicht – meine Realität – verändert. Es ist bereits vor dem Lesen des Buches offensichtlich, dass der Verlag die Spionin als Covermotiv auswählte, der einzigen weiblichen Figur des Buches. Warum? Auch das weiß ich nicht. Ich weiß nur: diese Szene wirkt authentisch, verströmt eine nostalgische Atmosphäre, was durch die bläuliche Farbgebung noch unterstrichen wird. Ein Cover, das den Sinnen schmeichelt und Appetit auf den Hauptgang zwischen den Seiten macht.

 

Wortpoesie

 

2013-08-20_1377013168

Bevor ich in die Leserunde startete, informierte ich mich ein wenig über den Autor, sah mir seine Buchtrailer zum Roman an, schmunzelte über seinen Humor und empfand sogleich großes Interesse für diesen Mann und seine Ideen. Alex Capus’ Leser schwärmten von »Leon & Louise« und empfahlen mir, auch diesen Roman zu lesen und so ist dies dann auch mein erstes Buch des sympathischen Schweizers geworden und es wird sicher nicht mein letztes sein, denn dieser Mann versteht es mit einprägsamen Worten, feinen Metaphern, eleganten und eloquenten Formulierungen und bildgewaltiger Sprache zu schreiben und darüber hinaus hat er eine ausgeprägte Vorliebe für Sätze, die sich schon mal ohne Unterbrechung über eine halbe Seite ausdehnen. Na? War der letzte Satz schwierig zu lesen? Ist euer Gehirn nach dem dritten Komma ausgestiegen und hat sich auf einer Wolke des Vergessens niedergelassen? Alex Capus kann das noch länger – und viel besser, so dass es trotz allem ein Leichtes ist, dem Inhalt folgen zu können. Er fesselte mich an seine Worte, ließ mich nicht los und konnte meine volle Aufmerksamkeit in jeder Sekunde des Lesens voll für sich verbuchen. Eine sehr anheimelnde Form von Tiefgründigkeit schwimmt auf der Oberfläche seiner Sätze und sorgt für intensiven Lesegenuss, Seite um Seite. Wort für Wort. Schon lange nicht mehr sah ein Buch nach dem Beenden so wie auf diesem Foto aus, über und über vollgespickt mit meinen Buchdarts, welche interessante Textstellen markierten. Interessant, einprägsam und auf das eigene Leben anwendbar. Kostprobe gefällig?

 

Sie ist eine erfahrene Reisende und weiß, dass man einander normalerweise nur einmal im Leben begegnet, weil jede vernünftige Reise in möglichst gerader Linie vom Ausgangspunkt zum Ziel führt und zwei Geraden sich nach den Gesetzen der Geometrie nicht zweimal kreuzen. – Laura d’Oriano, Seite 12

 

Die variable Konstante

 

Doch was macht dieses Buch – diese Erfahrung – so einzigartig? Ist es die Perspektive des Erzählers, welche so wirkt, als ob ein Urgroßvater in seinem Ohrensessel sitzt, die Enkelkinder und Urenkel vor ihm auf dem Fußboden, und der alte Mann beginnt damit, aus seinem reichen Erfahrungsschatz zu plaudern? Oder sind es die sehr lose wirkenden Handlungsfäden, welche aber durch abstrakte Ähnlichkeiten doch enger verbunden sind, als man vielleicht auf dem ersten Blick zu ergründen vermag? Das geniale Spiel mit Metaphern, welche ihre wahre Bedeutungskraft dadurch entfalten, weil  sie ursprünglich in den Gedankenwelten der jeweils anderen Protagonisten wurzeln – gepaart mit dem nicht Greifbaren, den Lücken. Theoretische Physik, Wunschträumerei und das Rekonstruieren partiell zerstörter Kunstobjekte liegt eine Gemeinsamkeit zugrunde, die aus Leere besteht – der Unwissenheit darüber, was Wahrheit ist und was nicht, füllen alle drei Protagonisten auf ihre ganz eigene, aber doch so universelle Weise aus. Alles ist verbunden – selbst das, was wir nicht wissen.

 

Anfangs fiel mir der Sprung zwischen den drei Hauptfiguren, zumindest auf den ersten 150 Seiten, ein wenig schwer. Doch spätestens, nachdem ich alle Drei kennengelernt hatte, spürte ich förmlich den Atem der Geschichte. Ich reiste mit dem Fälscher vom kleinen Dörfchen Villeneuve in die weite Welt, atmete den Staub der aräologischen Ausgrabungsstätten Schliemanns ein und hörte eine Melodie im Kopf, wenn Laura d’Oriano des Abends in einer verrauchten Kneipe ihre Gesangskünste zum Besten gab. Ich erfreute mich gleichermaßen an der Musikalität der Familie d’Oriano wie an der sanften Brise, die am Hafen von Nizza wehte. Ich nahm mit Begeisterung Anteil an Felix Blochs Forschungen der theoretischen Physik und konnte mit gutem Gewissen sagen, dass mir die Naturwissenschaften noch nie auf so interessante Art und Weise vermittelt bekommen habe.

 

Dieses Gefühl nämlich, in das sie so lange ihre Zukunftshoffnungen gesetzt hatte, war nichts weiter als das Betriebsgeräusch der Seele, das jeder lebendige Mensch in sich vernimmt, wenn er im Weltengetümmel mal kurz innehält und ein bisschen auf sich achtgibt. – Laura d’Oriano, Seite 87

 

Von den späten Folgen des einen, und dem Aufkeimen und Ausbruch eines neuen Krieges umrahmt, werden die Schicksale der drei Hauptfiguren in Bahnen gelenkt, welche wir als Beobachter – und wenn wir uns mit den Figuren auch im richtigen Leben beschäftigt haben sogar Wissende – wahrnehmen können. Wir tauchen in ihre Gedankenwelten und werden Zeuge moralischer Abwägungen im Kontext dieser einzigartigen Zeit. Besonders die Geschichte um den jungen, intelligenten Bloch, welcher mit seinen Gedanken hadert, sie verwirft – neu überdenkt und sich dann seinem Schicksal fügt, ist sehr gelungen und fast möchte ich behaupten, dass dieser Charakter in dem Buch eine stärkere Präsenz besitzt als die anderen zwei. Aber das mag nur ein Gefühl sein, welches ich persönlich so empfunden habe. Der Physiker wirkte auf mich einfach am interessantesten, eben jenen Mann, der “im Leben unbedingt etwas Schönes, Nutzloses und ganz und gar Zweckfreies zu machen” (Seite 57) gedachte. Ich erinnere mich gut an die Stelle, als Alex Capus die entsetzlichen Verbrechen der Nazis auf seine metaphorische, und doch stellenweise sehr direkte Art zu Papier brachte und mir ein, zwei Mal bedrückende Übelkeit in den Magen steigen ließ.

 

Es war für den Jüngling eine Offenbarung, dass es in dieser aus den Fugen geratenen Welt etwas so Klares und Schönes wie das Verhältnis von Zahlen zueinander gab. – Felix Bloch, Seite 16

 

Ich könnte noch eine ganze Weile weitere Zitate aus diesem wunderbaren Buch niederschreiben, doch würde ich euch den Kern des Buches vorwegnehmen und das möchte ich natürlich nicht. Ich kann es nur sagen: Genießt diesen Roman, erlebt ihn!

 

Mein Fazit: Was ist der Wert der Wahrheit? Gibt es sie im Angesicht so vieler Lücken in dem was wir Wissen nennen überhaupt, oder können wir uns ihr nur annähern? Alex Capus breitet in diesem anspruchsvollen Buch sein Metapherngeflecht aus und lässt seine historischen Figuren darunter handeln, fühlen – und vor allem denken. Es ist keine leichte Zwischendurch-Lektüre, welche einfache Antworten parat hat, sondern ein stark konstruiertes Märchen, dass sich Fragen stellt wie: Was könnten sie in jenen Momenten gedacht haben? Welche Pfade könnten sie beschritten – welche ausgelassen haben? Mit überlangen Sätzen und genialen Metaphern erschafft der Autor einen spannenden Zugang in die Geschichte(n) und lässt sie durch bildgewaltige Sprache lebendig wirken. Ein Roman, wie geschaffen für Freunde des Autors, für Leser abspruchsvollerer Literatur, die gleichsam in Worten versinken und gleichzeitig intellektuell unterhalten werden wollen. Göttliche Lektüre!

 

Meine Wertung: 5of5

 

Prädiakt »Besonderes Buch« der Büchernische – Kategorie Roman

Source: www.buechernische-blog.de/lesehighlight-2013-alex-capus-der-faelscher-die-spionin-und-der-bombenbauer-buchrezension
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