Story:
Sein neues Leben als Koch auf einem Luxusdampfer hätte so unbeschwert sein können, hätte Carl Juniper nicht die letzte Nacht an Land mit Wein, Weib und Gesang in einem Bordell verbracht und das Auslaufen verpasst. So muss er auf dem alten Handelsschiff Birmingham anheuern, das prompt Schiffbruch erleidet und ihn unerwartet in eine seltsam düstere Parallelwelt schleudert. In dem alternativen London, in dem er zu sich kommt, scheint es keinerlei Freude und Sehnsucht zu geben: die Menschen arbeiten, schlafen und nehmen einen seltsam geschmacklosen Nahrungsbrei zu sich. Freizeit gibt es nicht, aktives Denken wird von den Soldaten im Keim erstickt. Mit Hilfe des Arbeiters Bren, der sich des Fremden annimmt, findet sich Juniper schnell in der ungewöhnlichen Welt zurecht und wird einer von vielen.
Bis er eines Tages zufällig in eine Küche stolpert und auf die Köche Lemmy und Sean trifft, die für den eleganten Unterweltboss Black Ralph die Reichen und Mächtigen der Stadt verköstigen – mit richtigem Essen, hergestellt aus geschmuggelten Waren. Auch die hübsche Polly, die ebenfalls für Black Ralph arbeitet, lernt er kennen und verliebt sich auf den ersten Blick in sie. Sofort bietet Juniper seine Dienste an, um das zu tun, was er schon immer getan hat: zu Kochen. Doch Köche leben in dieser Welt gefährlich, denn Kochen und Essen sind streng verboten …
Eigene Meinung:
„Die Stadt der verschwundenen Köche“ ist ein fantastisch angehauchter Roman von Gregor Weber, der zum einen für seine Kochbücher (z. B. „Kochen ist Krieg“) zum anderen für seine Kriminalromane bekannt geworden ist. Dieses Mal versucht er sich an einem steampunkig angehauchten Roman und beschreitet damit vollkommen neue Wege, was ihm leider nicht einmal ansatzweise gelingt.
So interessant die Grundidee auch sein mag und so viel Potenzial die Geschichte gehabt hätte, der Autor erstickt nahezu alle Spannung und Logik im Keim. Lässt sich der Anfang noch gut lesen und verspricht das alternative London einige schöne Ansatzpunkte, so zieht sich die Geschichte spätestens ab dem ersten Viertel unerträglich in die Länge. Die Spannung schläft nahezu komplett ein, da einfach nichts passiert. Juniper kommt in eine fremde Welt, trifft auf Bren und lernt die seltsamen Gepflogenheiten kennen; dann geht der Handlung spürbar die Luft aus. Hauptgrund ist die Tatsache, dass Juniper nichts unternimmt. Er passt sich einfach an, anstatt Fragen zu stellen, das seltsame London zu erkunden, oder herauszufinden, warum er in einer verqueren Version von „1984“ gelandet ist. Er macht … einfach nichts.
Erst als die anderen Köche auftauchen und Black Ralph die Bühne betritt (und Juniper den Rang abläuft!), wird es ein wenig spannender. Man blickt ein wenig hinter die Kulissen, doch auch jetzt kommen keine wirklichen Erklärungen. Stattdessen versucht Gregor Weber mit einer Hauruck-Aktion die Spannung anzukurbeln, indem er Lemmy verschwinden lässt, während sich Polly und Juniper ausführlich im Bett vergnügen. Was dann folgt lässt sich fast nicht mehr in Worte fassen: man bekommt einen derart konstruierten und aufgeblähten Handlungsstrang vor die Füße geworfen, in dem man sowohl die Logik als auch die bisher bekannten Charaktere und deren Eigenarten schmerzlich vermisst. Black Ralph ist plötzlich weder überlegt noch gerissen, Polly mutiert zum Supersoldaten, die besser schießen als bedienen kann und Juniper darf zeigen, dass er mehr ist als ein 5 Sterne-Schiffskoch.
Der Autor scheint die ganze Handlung zu demontieren und auf eine solch krude Art und Weise zu Ende zu führen, dass man sich fragt, ob der Lektor beim Gegenlesen geschlafen hat. Bei den vielen Logiklücken Auch die Tatsache, dass nichts erklärt oder aufgedeckt wird, wurmt den Leser, da man am Ende genauso schlau ist wie vorher: Juniper fällt in eine andere Welt, die anders ist, weil sie es eben ist (wozu erklären?), verliebt sich natürlich unsterblich in eine Frau (warum auch immer?) und begibt sich auf eine krude Befreiungsaktion. Zwischendurch gibt es immer wieder Passagen, die zeigen, dass es Juniper gelungen ist, in seine Welt zurückzufinden und in einer Heilanstalt für verwundete Soldaten zu leben. Leider bieten auch diese kurzen Einblicke keinerlei Erklärungen, was mit dem Hauptcharakter passiert ist. Die meisten Dinge bleiben also sehr vage und undurchschaubar.
Ein Hinweis an alle, die glauben, einen Steampunkroman vor sich zu haben: „Die Stadt der verschwundenen Köche“ ist selbst mit viel gutem Willen KEIN Steampunk! Ein paar dampfbetriebene Gleiter und Autos machen noch keinen Roman dieses Genres aus! Es fehlt die Atmosphäre des 19. Jahrhunderts, die atmosphärischen Beschreibungen, die nachvollziehbare Technik und das ganze Drum-Herum. „Newburry und Hobbes“ („Affinity Bridge“-Reihe), „Die Glasbücher der Traumfresser“, die Werke von Ju Honisch und aus dem Feder und Schwert Verlag: das sind Steampunkromane!
Neben der schwachen Handlung, der unausgereiften Welt und den vielen Logiklücken, können auch die Charaktere nicht überzeugen: Juniper, Polly und die anderen bleiben unheimlich blass und ungreifbar. Man kann sich weder in Carl Juniper hineinversetzen, noch versteht man, warum er gewisse Dinge tut. Seine Gefühle für Polly wirken aufgesetzt, als wäre es seine Pflicht gewesen sich in die einzige (!!) Frau von ganz London zu verlieben (ungelogen: man hat das Gefühl, dort leben nur Männer!). Polly wiederrum ist mal schlank, mal füllig, mal wild und freizügig, dann wieder hart und gnadenlos. Sie kann kellnern und gleichzeitig mit tödlicher Präzision eine Waffe führen. Über Bren, der sich erst im letzten Viertel hervortut und die meisten anderen erfährt man nicht viel. Nur wenige haben einen Hintergrund – zumeist dürfen sich die Nebenfiguren (Black Ralph, Sean und Cyrus Hush) über mehr Tiefgang freuen, Polly und Lemmy scheinen vor dem Buch nicht existiert zu haben, Juniper war offenbar nur in Hurenhäusern unterwegs und hat auf Schiffen gekocht.
Stilistisch ist „Die Stadt der verschwundenen Köche“ Geschmackssache: im Grunde ist Gregor Webers Stil nicht schlecht, allerdings mit der Zeit sehr eintönig. Er plätschert ähnlich emotionslos dahin wie die Handlung. Hin und wieder springt er zwischen den Perspektiven (was schon ein wenig nervend ist), oder (schlimmer noch) zwischen den Zeitformen. Gerade zu Beginn rutscht er vom Präteritum ins Präsens, was den Leser vollkommen aus dem Lesefluss wirft. Somit kann der Autor leider auch in diesem Punkt nicht überzeugen.
Fazit:
„Die Stadt der verschwundenen Köche“ kann insgesamt leider nur mit einem tollen Cover und einem interessanten Klappentext aufwarten, ansonsten enttäuscht das Buch auf ganzer Linie. Die Handlung ist langweilig, unlogisch und total konstruiert, die Charaktere blass und kaum erwähnenswert. Auch stilistisch bietet Gregor Weber nichts, was den kaum vorhandenen Lesespaß bereichert hätte. Wer sich an Steampunk wagen möchte, mache bitte einen weiten Bogen um dieses Werk und greife zu einem der oben erwähnten Bücher, und Fantasy-Fans sollten im Vorfeld unbedingt in die Leseprobe schauen. Doch selbst dann ist das Buch mit Vorsicht zu genießen, da es erst ab der zweiten Hälfte extrem unlogisch wird. Leider nicht zu empfehlen …