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review 2019-12-28 11:35
Ich hätte gern meinen Kumpel zurück
The Getaway God - Richard Kadrey

Die „Sandman Slim“-Reihe von Richard Kadrey spielt in Los Angeles. Da Kadrey die Stadt gut kennt, obwohl er selbst in San Francisco lebt, kann er der Handlung seiner Romane konkrete Landmarken zuordnen. Ich habe ein kurzes Video entdeckt, in dem Kadrey einige wichtige Orte in L.A., die im sechsten Band „The Getaway God“ eine Rolle spielen, vorstellt. Das war wirklich interessant, denn dadurch kann ich mir die Straßen, durch die sein Protagonist Stark so oft mit seiner Höllenmaschine donnert, wesentlich besser vorstellen. Das einzige Manko des Videos besteht darin, dass es nicht regnet. In „The Getaway God“ steht L.A. nämlich die Apokalypse bevor – und dem sonnenverwöhnten Kalifornien kündigt sich diese natürlich als Dauerregen an.

 

Manche Leute würden alles tun, um ihre eigene Haut zu retten. In Zeiten der Apokalypse kann „alles“ sogar bedeuten, sich einer Sekte anzuschließen, die jenen uralten Göttern huldigt, die die Welt zu verschlingen drohen. Die grausigen Tatorte voller Leichenteile, die Der Zorn Götter hinterlässt, um den Angra Om Ya den Weg zur Erde zu ebenen, erscheinen selbst dem ehemaligen Höllengladiator James Stark aka Sandman Slim unappetitlich. Allein das Qomrama Om Ya könnte die Invasion der Angra noch aufhalten – wenn Stark denn wüsste, wie es funktioniert. Um das herauszufinden, teilt ihm sein Boss beim Golden Vigil einen skurrilen Partner zu: die jahrhundertealte Mumie eines japanischen Mönchs. Leider ahnt nicht einmal der Shonin, dass die Angra nicht nur von irdischen Anhänger_innen hofiert werden. Die Entdeckung einer weitreichenden Verschwörung zwingt Stark, die eine Seele um Hilfe zu bitten, die er mehr als alle anderen hasst: Mason Faim. Natürlich traut er Mason nicht, aber vielleicht kann Stark von seinem Wissen profitieren, um die Apokalypse abzuwenden. Und wenn nicht, bleibt ihm zumindest die Genugtuung, seinen Erzfeind zweimal getötet zu haben.

 

Eines habe ich im Verlauf von „The Getaway God“ begriffen: wenn Stark nicht gerade übernatürliche Krisen abwendet, ist sein Leben ziemlich öde. Sicherlich nicht die ergiebigste Erkenntnis einer Lektüre, aber nichtsdestotrotz wahr. Sein ganz normaler Alltag besteht aus kaum mehr als unregelmäßigen Arbeitszeiten bei Max Overdrive, alarmierendem Alkoholkonsum entweder Zuhause oder in seiner Stammkneipe Bamboo House of Dolls und endlosen Filmnächten vor dem heimischen Fernseher, allein oder in Gesellschaft von Candy und/oder Kasbian. Klingt nicht gerade fesselnd? Ist es auch nicht und die Tatsache, dass mir diese unspektakulären Muster in „The Getaway God“ bewusstwurden, sagt viel darüber aus, wie aufregend dieser sechste Band ist. Obwohl L.A. die Apokalypse durch die uralten, rachsüchtigen Angra Om Ya bevorsteht, gelang es Richard Kadrey nicht, einen durchgängigen Spannungsbogen aufzubauen. Die Handlung folgt keiner erkennbaren Zielsetzung, sie wirkte wirr und improvisiert und langweilt mit häufigen Leerlaufphasen, in denen Stark Däumchen dreht und wartet. Die drohende Invasion übersteigt seine Kompetenzen vollkommen; er kann sich nicht länger mit markigen Sprüchen und Höllenhoodoo durchschummeln. Ihn so einfallslos zu erleben war für mich sehr frustrierend, denn die Rolle des hilflosen Amateurs passt überhaupt nicht zu meinem Bild von ihm als liebenswerter Chaot, der schon alles irgendwie hinkriegt. Meiner Meinung nach hätte Kadrey das Ausmaß seiner Überforderung elegant überspielen können, hätte er einigen der vielversprechenden Ansätze in „The Getaway God“ mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Allein Starks aufgezwungene Partnerschaft mit dem mumifizierten japanischen Mönch besitzt so viel ungenutztes Potential, dass ich mir die Haare raufen möchte. Der Autor hätte ihrer Beziehung mühelos den Anstrich einer grotesken und unterhaltsamen Cop Buddy – Romanze verpassen können, hätte er sie mehr Zeit miteinander verbringen lassen, statt Stark auf die Ersatzbank zu verbannen. Keine Ahnung, warum er es nicht getan hat, ob ihm nicht klar war, was er da in den Händen hält oder ob er glaubte, diese Nebenhandlung würde zu sehr ablenken. Ich kann nur resümieren, dass ich für jede Abwechslung dankbar gewesen wäre. Den erneuten Auftritt von Mason hingegen fand ich verwirrend und weit hergeholt. Echt, darf der Mann nicht einfach mal tot bleiben? Muss Kadrey ihn immer wieder wie einen Clown aus der Kiste hervorspringen lassen? Hat Stark es nicht verdient, dieses Kapitel endlich überwinden zu können? Mason verwickelt Stark natürlich in eines seiner Psychospielchen, das am Ende zum alles entscheidenden Showdown führt. Weder habe ich Masons Strategie verstanden noch Starks aus dem Stegreif zusammengeflickten Plan, um die Angra aufzuhalten. Was der sorgfältige Abschluss eines umfangreichen Handlungsbogens sein sollte, der die Reihe seit mehreren Bänden begleitet, erschien mir aus dem Ärmel geschüttelt und nicht überzeugend.

 

„The Getaway God“ schafft es nur mit Ach und Krach auf eine Bewertung mit drei Sternen. Versuchte ich, völlig objektiv zu urteilen und ließe alle Sympathiepunkte außer Acht, hätte das Buch maximal zwei Sterne erhalten dürfen. Es ist in sich unlogisch und inkongruent, ein inhaltlicher Flickenteppich, weshalb ich das Gefühl habe, die Geschichte des sechsten Bandes ist ausschließlich im größeren Kontext von Belang und dient lediglich dazu, das ganze Tohuwabohu mit den Angra abzuschließen. Ich hoffe, das ist jetzt auch endlich der Fall. Ich hoffe, Richard Kadrey macht einen Strich unter dieses Kapitel der „Sandman Slim“-Reihe und denkt sich neue Abenteuer für Stark aus, denen er tatsächlich gewachsen ist und in denen er seine Stärken ausspielen kann. Ich möchte ihn wieder Kontrolle auf die Handlung ausüben und nicht mehr von ihr getrieben sehen – auf seine eigene, chaotische Art und Weise. Er soll wieder der Stark sein, den ich in den ersten drei Bänden kennen und lieben lernte. Bitte Mr. Kadrey, geben Sie mir meinen Kumpel zurück.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/12/28/richard-kadrey-the-getaway-god
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review 2014-11-29 12:31
Der rauchende, trinkende, mordende Halbengel
Kill the Dead - Richard Kadrey

Richard Kadrey schreibt nicht nur fleißig Romane und Kurzgeschichten, er ist auch Fotograf. Eine eigene Website für seine Fotografie habe ich bei meinen Recherchen nicht gefunden, doch selbst wenn, würde ich sie nicht verlinken. Ich persönlich finde seine Kunst interessant, aber sie ist auch sehr verstörend und es gibt sicher einige unter euch, die sie abstoßend fänden. Daher überlasse ich es euch selbst, ob ihr euch ansehen möchtet, welche Motive Mr. Kadrey ablichtet. Auf eigenes Risiko sozusagen. ;) Fakt ist, Richard Kadrey liebt sowohl in der Literatur als auch in der Fotografie das Extreme. Seine Figur des James Stark alias Sandman Slim ist da keine Ausnahme.

 

Nach 11 Jahren in der Hölle und der eher zufälligen Rettung von Los Angeles ist Starks Leben nun regelrecht langweilig geworden. Für seine Verhältnisse. Ab und zu ein Auftrag für das Golden Vigil, doch sonst ist es ruhig. Bis Luzifer Stark zu sich bittet und ihn zu seinem Bodyguard macht. Wozu der Herrscher der Hölle einen Bodyguard braucht? Offiziell soll Stark ihn zu den öffentlichen Auftritten begleiten, die Luzifer besuchen muss, um die Verfilmung seiner Biografie zu überwachen. In Wirklichkeit? Wen interessiert‘s, denn die Bezahlung ist gut. Schon bald bleibt Stark allerdings nichts anderes übrig, als sich dafür zu interessieren, denn Leute verschwinden, Luzifer wird angegriffen und die Toten erheben sich in Scharen. Irgendjemand pfuscht mit Zombies herum. Stark muss herausfinden, wer es ist und Schlimmeres verhindern, denn es kann ja wohl nicht sein, dass er bei seinem abendlichen Gläschen/Fläschchen Aqua Regia im Bamboo House of Dolls gestört wird. Oder?

 

Ich habe es bereits in Bezug auf die Montagsfrage von Libromanie geschrieben und ich muss es jetzt wiederholen: James Stark ist der perfekte Antiheld. Er hat so viele schlechte Eigenschaften, dass ich mich fragen musste, warum ich ihn eigentlich so unglaublich sympathisch finde. Ich weiß darauf keine eindeutige Antwort. Vermutlich hat es viel damit zu tun, dass seine Persönlichkeit wirklich einnehmend und unter der Oberfläche gar nicht so einfach gestrickt ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. In „Kill the Dead“ ist mir besonders aufgefallen, dass sein Aufenthalt in der Hölle ihn in bestimmten Punkten für das Leben unter Menschen verdorben hat. Jeder Mensch hat Ballast, aber Stark… Ihr kennt sicher das berühmte Zitat „Die Hölle, das sind wir selbst“ von T.S. Eliot – bei Stark ist es die wahrhaftige Hölle, die er mit sich herumträgt. Er wird seine Erinnerungen an die Jahre dort nicht los, weil er sich nicht richtig damit auseinandersetzt. Daraus entsteht eine ganz merkwürdige Beziehung zu einem Ort, der ihm schon bei dem bloßen Gedanken daran das Blut in den Adern gefrieren lassen sollte. Doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass Stark damit angibt, in der Hölle als Gladiator überlebt zu haben. Er ist stolz darauf, trotz all der Schmerzen und der Qual, die er dort erlitt. Hinzu kommt noch, dass ihm seit dieser Zeit die soziale Interaktion mit anderen Menschen sehr schwer fällt. Auf ihn trifft deshalb auch Sartres Zitat „Die Hölle, das sind die anderen“ zu. Er sehnt sich nach der Einfachheit der Arena, weil er sich dort nie die Frage stellen musste, wem er trauen kann. Er trug keine Verantwortung, musste keine Rücksicht nehmen und keine Pläne machen. Jetzt ist er zurück und hat eigentlich keine Ahnung, was er mit seinem Leben anstellen möchte. Diese Entwicklung war zu erwarten und ich finde es wunderbar, dass Richard Kadrey so deutlich darauf eingegangen ist. Stark ist ein verlorener Junge; er steht zwischen dem Golden Vigil und Luzifer und weiß genau, dass beide Seiten ihn eigentlich nur für ihre eigenen Pläne benutzen.
In „Kill the Dead“ beleuchtet Richard Kadrey aber nicht nur neue Facetten seines Protagonisten, er verrät auch einiges über sein übernatürliches Universum. Die Handlung hat sehr viel mit der Geschichte der Sub Rosas (also der Übernatürlichen) zu tun: wie die verschiedenen Familien nach Nordamerika kamen und warum, wie sich Machtstrukturen entwickelten und wie sie um eben diese kämpfen. Stark erfährt all das nebenbei, während er versucht, die Zombie-Plage in den Griff zu bekommen. Dadurch kommen Action, Blut und Chaos nicht zu kurz – „Kill the Dead“ ist wirklich aufregend und spannend, in seiner Brutalität ganz ähnlich der Bourbon Kid – Reihe. Ich finde, Richard Kadrey versteht es hervorragend, dem Ganzen ein wenig die Schärfe durch seinen unvergleichlichen Humor zu nehmen. Müsste ich nicht so oft lachen, empfände ich die exzessive Gewalttätigkeit seiner Romane vermutlich als zu dominant, doch so ist es eine perfekte Mischung.
Zu guter Letzt möchte ich noch die Figur des Luzifers hervorheben. Ich liebe ihn. Wirklich. Er ist nicht eindimensional böse, sondern kultiviert, belesen und manipulativ. Er erinnerte mich an einen Politiker oder Unternehmer und in gewisser Weise ist er das ja auch, denn die Hölle will gewinnbringend geführt und organisiert werden. Ich habe eine Schwäche für Luzifer-Versionen in Milton-Manier und Kadreys Vorstellung des Teufels kommt meiner eigenen so nahe, dass es fast schon unheimlich ist.

 

Die Sandman Slim – Romane machen mich einfach glücklich. Sie lesen sich leicht und flüssig, sind witzig und herrlich unanständig. Sie sind Urlaub für meine Gedanken und mittlerweile empfinde ich Stark als Freund.
Ich kann euch diese Reihe nur wirklich ans Herz legen, wenn ihr auf Antihelden à la Bourbon Kid, Joe Pitt oder Harry Dresden steht. Stark wird sicher auch eure Sympathie erobern, er ist einfach außergewöhnlich. Denn wann trifft man schon mal einen rauchenden, trinkenden, mordenden Halbengel?

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2014/11/29/richard-kadrey-kill-the-dead
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