Jon Hollins heißt in Wahrheit Jonathan Wood. Das Pseudonym wurde ihm vom Verlag Orbit nahegelegt, um Assoziationen mit seiner Urban Fantasy – Reihe „Arthur Wallace“, die unter seinem echten Namen erschien, zu vermeiden. Es ist nicht so einfach, Informationen über ihn zu finden, denn er besitzt keine Website. Stattdessen managt er seine digitale Präsenz über soziale Netzwerke. Auf Reddit erklärte er anlässlich des Erscheinens seines ersten High Fantasy – Romans, dass dieser eine Hommage an seine Auffassung des Genres ist, in dem es ihm zufolge im Prinzip darum geht, dass Freunde zusammen Abenteuer erleben. Erweitert man diesen klassischen Plot um ausgeklügelte Raubüberfälle in der Tradition von „Ocean’s Eleven“, erhält man „Fool’s Gold“, den Auftakt von Hollins‘ Trilogie „The Dragon Lords“.
Niemand mag Drachen. Im Kondorra Tal sind sich alle einig, dass Drachen fiese, gierige Tyrannen sind, die viel zu hohe Steuern verlangen und zum Spaß die Bevölkerung terrorisieren. Doch die Leute haben auch Angst vor ihnen. Also halten sie still und unterwerfen sich den kriminellen Gesetzen der Drachen. Will hat sich längst damit abgefunden, dass er als einfacher Bauer nichts gegen das Unrecht in Kondorra unternehmen kann. Bis zum Tag des „bürokratischen Missgeschicks“. Von jetzt auf gleich verliert er alles: seine mageren Finanzen, seine Farm, sogar sein Dach über dem Kopf. Verzweifelt flüchtet er in eine Höhle in den umliegenden Wäldern – nur um festzustellen, dass diese besetzt ist. Unversehens steht er den Söldnern Lette und Balur, der Gelehrten Quirk und dem verrückten alten Firkin gegenüber. Am Lagerfeuer tauschen sie ihre Geschichten aus. Getragen von seiner Stimmung rutscht Will versehentlich ein wahnwitziger Vorschlag heraus. Verflucht sei sein verräterisches Mundwerk! Denn welche Person bei gesundem Verstand würde schon ernsthaft erwägen, einen Drachen zu bestehlen?
Spätestens, seit ich als Kind „Der kleine Hobbit“ von J.R.R. Tolkien gelesen habe, habe ich sehr spezifische Ansprüche daran, wie ein Drache in der High Fantasy porträtiert zu sein hat. Smaug prägte mein Bild dieser Spezies nachdrücklich, eine Erfahrung, die ich mit Jon Hollins teile. Ebenso begeisterte mich der Film „Ocean’s Eleven“, als das Remake Anfang der 2000er herauskam. Ein Buch, das meine traditionelle Vorstellung von Drachen mit der Action eines Heist-Plots kombiniert, klang für mich ideal. Leider war „Fool’s Gold“ jedoch nicht exakt das Jubelfest, das ich mir ausgemalt hatte. Obwohl der Auftakt der „The Dragon Lords“-Trilogie viel Gutes enthält, machten sich vor allem im Worldbuilding und im Handlungsverlauf Mängel bemerkbar, die meine Lektüre negativ beeinflussten. Das ist wirklich schade, denn zuerst erlebte ich einen vielversprechenden Start. Ich erfreute mich an Hollins überzeugender Darstellung der Drachen als tyrannische, gierige Dreckssäcke und genoss den glucksenden Humor des Autors, der seinen lockeren Schreibstil wunderbar ergänzt und schnell eine Verbindung zu den Figuren herstellt. Natürlich war es Balur, der grobe Echsenmann, der jedes Problem einfach totprügelt und einen Hang zu verschwurbelter Grammatik hat, der mein Herz im Sturm eroberte, aber auch die Dynamik zwischen Lette und Will faszinierte mich, weil sie ihr Abenteuer als charakterliche Gegensätze beginnen und sich mit Fortschreiten der Geschichte immer weiter aufeinander zu bewegen. Nur Quirk mochte ich nicht, da ich mich ständig über ihre idealistischen Ansichten ärgerte, deretwegen sie jeden Plan, den Will für ihre skurrile Bande ersinnt, kritisiert, ohne Alternativen vorzuschlagen. Meine Schwierigkeiten lagen allerdings nicht an Quirk, sondern enthüllten sich, sobald der Handlungsverlauf Form annahm. „Fool’s Gold“ ist zeitweise ziemlich zäh, weil zwischen den explosiven Vorhaben der Truppe viel zu wenig passiert. Die immer gleichen Unterhaltungen während ihrer Reisen durch Kondorra, dessen austauschbare, spärlich beschriebene Landschaft keinerlei Atmosphäre entstehen ließ, langweilten mich. Hätte Jon Hollins diese Gespräche wenigstens genutzt, um das Kondorra Tal nachvollziehbarer in seine Welt Avarra einzuarbeiten, hätten mich diese Spannungstiefs weniger angeödet, doch bedauerlicherweise verpasste er diese Chance. Daher blieben einige wichtige Fragen ungeklärt, zum Beispiel, wieso Kondorra das einzige Gebiet ist, das von Drachen beherrscht wird und warum es vom Rest von Avarra nahezu isoliert ist, was sich besonders in einem gravierenden Bildungsgefälle äußert. Gefühlt könnte das Tal hinter einer dicken Mauer liegen, so wenig Austausch findet offenbar statt. Angesichts der Gier der Drachen erschien mir das nicht plausibel. Mächtige, geflügelte Wesen, denen Gold das Liebste ist, ignorieren zusätzliche Einnahmequellen und beschränken sich freiwillig auf wenige Handelsbeziehungen? Das kann ich schwer glauben.
„Fool’s Gold“ war für mich eine merkwürdige Grauzonen-Lektüre: die einzelnen Elemente des Trilogieauftakts gefielen mir, mit ihrer Kombination konnte ich mich hingegen nicht recht anfreunden. Ich denke, dass Jon Hollins die Transitionsphasen seiner Geschichte beim Schreiben ebenso Probleme bereiteten wie mir beim Lesen. Es wirkte, als wüsste er nicht, wie er diesen Leerlauf effektiv nutzen sollte. Man spürt, dass Worldbuilding, wie er offen zugibt, für ihn eine neue Herausforderung ist, denn erfahrenen High Fantasy – Autor_innen gelingt es, Spannung unter anderem durch die geschickte Platzierung von Hintergrundinformationen aufrechtzuerhalten – übrigens eine Taktik, die in „Ocean’s Eleven“ ebenfalls angewendet wurde, weshalb „Fool’s Gold“ dem Vergleich mit dem Film meiner Ansicht nach nicht ganz standhält. Trotz dessen erkenne ich Hollins positive Absichten und werde der Fortsetzung „False Idols“ eine Chance geben. Einer Truppe, die nicht davor zurückschreckt, Drachen zu beklauen, steht sicher eine glänzende Zukunft bevor.