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review 2019-11-05 09:52
Los, beklauen wir einen Drachen!
Fool's Gold - Jon Hollins

Jon Hollins heißt in Wahrheit Jonathan Wood. Das Pseudonym wurde ihm vom Verlag Orbit nahegelegt, um Assoziationen mit seiner Urban Fantasy – Reihe „Arthur Wallace“, die unter seinem echten Namen erschien, zu vermeiden. Es ist nicht so einfach, Informationen über ihn zu finden, denn er besitzt keine Website. Stattdessen managt er seine digitale Präsenz über soziale Netzwerke. Auf Reddit erklärte er anlässlich des Erscheinens seines ersten High Fantasy – Romans, dass dieser eine Hommage an seine Auffassung des Genres ist, in dem es ihm zufolge im Prinzip darum geht, dass Freunde zusammen Abenteuer erleben. Erweitert man diesen klassischen Plot um ausgeklügelte Raubüberfälle in der Tradition von „Ocean’s Eleven“, erhält man „Fool’s Gold“, den Auftakt von Hollins‘ Trilogie „The Dragon Lords“.

 

Niemand mag Drachen. Im Kondorra Tal sind sich alle einig, dass Drachen fiese, gierige Tyrannen sind, die viel zu hohe Steuern verlangen und zum Spaß die Bevölkerung terrorisieren. Doch die Leute haben auch Angst vor ihnen. Also halten sie still und unterwerfen sich den kriminellen Gesetzen der Drachen. Will hat sich längst damit abgefunden, dass er als einfacher Bauer nichts gegen das Unrecht in Kondorra unternehmen kann. Bis zum Tag des „bürokratischen Missgeschicks“. Von jetzt auf gleich verliert er alles: seine mageren Finanzen, seine Farm, sogar sein Dach über dem Kopf. Verzweifelt flüchtet er in eine Höhle in den umliegenden Wäldern – nur um festzustellen, dass diese besetzt ist. Unversehens steht er den Söldnern Lette und Balur, der Gelehrten Quirk und dem verrückten alten Firkin gegenüber. Am Lagerfeuer tauschen sie ihre Geschichten aus. Getragen von seiner Stimmung rutscht Will versehentlich ein wahnwitziger Vorschlag heraus. Verflucht sei sein verräterisches Mundwerk! Denn welche Person bei gesundem Verstand würde schon ernsthaft erwägen, einen Drachen zu bestehlen?

 

Spätestens, seit ich als Kind „Der kleine Hobbit“ von J.R.R. Tolkien gelesen habe, habe ich sehr spezifische Ansprüche daran, wie ein Drache in der High Fantasy porträtiert zu sein hat. Smaug prägte mein Bild dieser Spezies nachdrücklich, eine Erfahrung, die ich mit Jon Hollins teile. Ebenso begeisterte mich der Film „Ocean’s Eleven“, als das Remake Anfang der 2000er herauskam. Ein Buch, das meine traditionelle Vorstellung von Drachen mit der Action eines Heist-Plots kombiniert, klang für mich ideal. Leider war „Fool’s Gold“ jedoch nicht exakt das Jubelfest, das ich mir ausgemalt hatte. Obwohl der Auftakt der „The Dragon Lords“-Trilogie viel Gutes enthält, machten sich vor allem im Worldbuilding und im Handlungsverlauf Mängel bemerkbar, die meine Lektüre negativ beeinflussten. Das ist wirklich schade, denn zuerst erlebte ich einen vielversprechenden Start. Ich erfreute mich an Hollins überzeugender Darstellung der Drachen als tyrannische, gierige Dreckssäcke und genoss den glucksenden Humor des Autors, der seinen lockeren Schreibstil wunderbar ergänzt und schnell eine Verbindung zu den Figuren herstellt. Natürlich war es Balur, der grobe Echsenmann, der jedes Problem einfach totprügelt und einen Hang zu verschwurbelter Grammatik hat, der mein Herz im Sturm eroberte, aber auch die Dynamik zwischen Lette und Will faszinierte mich, weil sie ihr Abenteuer als charakterliche Gegensätze beginnen und sich mit Fortschreiten der Geschichte immer weiter aufeinander zu bewegen. Nur Quirk mochte ich nicht, da ich mich ständig über ihre idealistischen Ansichten ärgerte, deretwegen sie jeden Plan, den Will für ihre skurrile Bande ersinnt, kritisiert, ohne Alternativen vorzuschlagen. Meine Schwierigkeiten lagen allerdings nicht an Quirk, sondern enthüllten sich, sobald der Handlungsverlauf Form annahm. „Fool’s Gold“ ist zeitweise ziemlich zäh, weil zwischen den explosiven Vorhaben der Truppe viel zu wenig passiert. Die immer gleichen Unterhaltungen während ihrer Reisen durch Kondorra, dessen austauschbare, spärlich beschriebene Landschaft keinerlei Atmosphäre entstehen ließ, langweilten mich. Hätte Jon Hollins diese Gespräche wenigstens genutzt, um das Kondorra Tal nachvollziehbarer in seine Welt Avarra einzuarbeiten, hätten mich diese Spannungstiefs weniger angeödet, doch bedauerlicherweise verpasste er diese Chance. Daher blieben einige wichtige Fragen ungeklärt, zum Beispiel, wieso Kondorra das einzige Gebiet ist, das von Drachen beherrscht wird und warum es vom Rest von Avarra nahezu isoliert ist, was sich besonders in einem gravierenden Bildungsgefälle äußert. Gefühlt könnte das Tal hinter einer dicken Mauer liegen, so wenig Austausch findet offenbar statt. Angesichts der Gier der Drachen erschien mir das nicht plausibel. Mächtige, geflügelte Wesen, denen Gold das Liebste ist, ignorieren zusätzliche Einnahmequellen und beschränken sich freiwillig auf wenige Handelsbeziehungen? Das kann ich schwer glauben.

 

„Fool’s Gold“ war für mich eine merkwürdige Grauzonen-Lektüre: die einzelnen Elemente des Trilogieauftakts gefielen mir, mit ihrer Kombination konnte ich mich hingegen nicht recht anfreunden. Ich denke, dass Jon Hollins die Transitionsphasen seiner Geschichte beim Schreiben ebenso Probleme bereiteten wie mir beim Lesen. Es wirkte, als wüsste er nicht, wie er diesen Leerlauf effektiv nutzen sollte. Man spürt, dass Worldbuilding, wie er offen zugibt, für ihn eine neue Herausforderung ist, denn erfahrenen High Fantasy – Autor_innen gelingt es, Spannung unter anderem durch die geschickte Platzierung von Hintergrundinformationen aufrechtzuerhalten – übrigens eine Taktik, die in „Ocean’s Eleven“ ebenfalls angewendet wurde, weshalb „Fool’s Gold“ dem Vergleich mit dem Film meiner Ansicht nach nicht ganz standhält. Trotz dessen erkenne ich Hollins positive Absichten und werde der Fortsetzung „False Idols“ eine Chance geben. Einer Truppe, die nicht davor zurückschreckt, Drachen zu beklauen, steht sicher eine glänzende Zukunft bevor.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/11/05/jon-hollins-fools-gold
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review 2018-10-30 09:40
Löschen! Löschen! Löschen!
American Psycho - Harald Hellmann,Clara Drechsler,Bret Easton Ellis

„American Psycho“ von Bret Easton Ellis ist einer der weltweit umstrittensten Romane aller Zeiten. In Deutschland erschien das Buch 1991, 1995 setzte es die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf den Index. Über 5 Jahre war es nicht frei erhältlich, bis der Verlag Kiepenheuer & Witsch (KiWi) vor dem Oberverwaltungsgericht gegen die Indizierung klagte und gewann. In Australien und Neuseeland müssen Käufer_innen bis heute mindestens 18 Jahre alt sein. Ellis erhielt Morddrohungen, wurde massiv angefeindet und musste sich Misogynie und Sadismus unterstellen lassen. 27 Jahre später ist die Aufregung abgeebbt und „American Psycho“ hat seinen Weg in die Popkultur gefunden. Obwohl er ein Geschöpf der 80er Jahre ist, treffen die vom Protagonisten Patrick Bateman verkörperten gesellschaftlichen Entwicklungen den modernen Zeitgeist. Bateman ist eine Ikone, ein Halloween-Kostüm. Höchste Zeit, ihn kennenzulernen.

 

Patrick Bateman verbirgt sein wahres Gesicht nicht. Er hat es nicht nötig, sich zu verstecken. Perfekt in der belanglosen Unpersönlichkeit seiner Existenz eingerichtet frönt er seinen abscheulichen Neigungen, ohne fürchten zu müssen, entdeckt zu werden. Er mordet. Er foltert. Die dünne Fassade, die seinen Wahnsinn von seinem Leben als erfolgreicher Banker an der Wall Street trennt, reicht aus, um sein Umfeld zu täuschen. Geblendet von seinem makellosen Körper, seinem teuren Haarschnitt, seiner vollendeten Garderobe und dekadenten Restaurantbesuchen vermutet niemand, was Pat Bateman in Wahrheit ist: ein Schlächter, ein Psychopath. Niemand ahnt, dass sich mitten unter ihnen ein Monster in der Sicherheit der Anonymität eingegraben hat…

 

„American Psycho“ ist Bret Easton Ellis‘ Kritik an der kapitalistischen Wertentleerung in den USA der 80er Jahre. Der kontroverse Autor gestand lange nach der Veröffentlichung seines Skandalromans, dass dieser in vielerlei Hinsicht autobiografisch ist. Er lebte in den 80ern selbst in New York und befand sich damals in der paradoxen Situation, Teil einer Gesellschaft sein zu wollen, deren Ideale er ablehnte. Sein Protagonist Patrick Bateman personifiziert die Albtraumvorstellung seiner selbst; er ist eine Figur, mit der er sich identifizieren konnte, obwohl er sie fürchtete. Ich respektiere Ellis‘ gerechtfertigte Missbilligung und die persönliche Note, dank der „American Psycho“ entstand. Dennoch frage ich mich, ob dieses Buch in dieser Form tatsächlich nötig war. Es ist menschenverachtend, brutal, widerlich und wenn es nicht gerade Brechreiz provoziert, langweilt es und liest sich wie besonders dreistes, langatmiges Productplacement. In der unerträglichen Ich-Perspektive des reichen, attraktiven Investmentbankers Pat Bateman quälte ich mich durch seitenlange pedantische Beschreibungen materieller Güter, durch unbedeutende Essen mit austauschbaren Narzissten, durch den Alltag eines Mannes, dessen Dasein völlig von Oberflächlichkeiten bestimmt wird. Eine Handlung im herkömmlichen Sinne war für mich nicht erkennbar. Weder hat „American Psycho“ einen richtigen Anfang, noch ein befriedigendes Ende. Ich zappte auf der ersten Seite in das Leben von Pat Bateman hinein und am Schluss wieder heraus. Dazwischen litt ich sehr unter der leidenschaftslosen Monotonie seiner inkonsequenten, distanzierten Litanei und gerade, als ich dachte, schlimmer könne es nicht mehr werden, begannen die Morde. Natürlich wusste ich, dass Bateman einen Dachschaden hat. Die angespannte Aura aggressiven Wahnsinns, die ihn umgibt, war nicht zu ignorieren. Aber was ich seinetwegen zu erleben gezwungen war, werde ich ihm niemals verzeihen. Pat Bateman ist mehr als ein psychopathischer Serienmörder. Er ist ein abscheuliches Monster. Die Mord- und Folterszenen in „American Psycho“ sind das Furchtbarste, das ich jemals lesen musste. Ich wünschte, ich könnte sie aus meinem Gedächtnis löschen. Mich erschütterte nicht nur die kreative Grausamkeit des Protagonisten, mich verstörte auch Bret Easton Ellis‘ Inszenierung der gewalttätigen Abschnitte. Der Autor arbeitete mit sehr harten Kontrasten, sodass das Buch ständig zwischen einlullenden Belanglosigkeiten und explosiven Gräueltaten schwankt. Batemans Gewaltpotential durchläuft dabei eine alarmierende Abwärtsspirale, seine Verbrechen werden von Mal zu Mal dreister, intensiver und abstoßender. Es wirkte, als wollte Ellis den größtmöglichen Effekt erzielen und auch noch die letzten Leser_innen aus ihren Komfortzonen katapultieren. Er musste immer noch einen draufsetzen. Neben diesen plastischen und plakativen Schilderungen spielte es für mich beinahe keine Rolle, dass sein Protagonist ein sehr komplexer, widersprüchlicher Charakter ist, der all das symbolisiert, was in unserer Gesellschaft schiefläuft. Ich verstehe, was er darstellt. Ich begreife, dass Ellis zunehmende Anonymität, Isolation, Konsumorientierung, Maßlosigkeit und Gleichgültigkeit anprangert. Ich erkenne seine Absicht. Doch wer solche Mittel verwendet, muss sich nicht wundern, wenn die Botschaft negativ überstrahlt wird.

 

„American Psycho“ entzieht sich einem einfachen Urteil. Es ist ein Buch, das sich schwer in Worte fassen lässt. Ich weiß, dass es als moderner Klassiker gilt und kann nachvollziehen, dass Bret Easton Ellis‘ Kritik noch heute Resonanz erzeugt. Meiner Meinung nach ist der kritische Aspekt jedoch zu schwach, um die krassen Extreme zu rechtfertigen, auf die der Autor zurückgreift und das Buch als lesenswert auszuzeichnen. Ich bin nicht gewillt, eine Empfehlung auszusprechen. Ob ihr euch diese Gewaltorgie geben wollt, müsst ihr selbst entscheiden. Vielleicht wäre „Fight Club“ von Chuck Palahniuk die bessere Wahl: thematisch ähnlich, aber harmloser und bekömmlicher.
Ich werde meine Erinnerungen an „American Psycho“ jetzt jedenfalls in einer tiefen, dunklen Ecke meines Hirns wegschließen. Ich möchte nicht länger daran denken.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/10/30/bret-easton-ellis-american-psycho
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