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review 2018-10-02 09:03
Eher "Southern" als "Gothic"
Strands of Bronze and Gold - Jane Nickerson

Als Kind fürchtete ich mich schrecklich vor dem Märchen „Blaubart“. Die unheimliche Geschichte des reichen Adligen, der seine Ehefrauen ermordet und ihre Köpfe aufbewahrt, jagte mir eine Heidenangst ein. Ursprünglich stammt das Märchen von dem französischen Autor Charles Perrault aus dem Jahr 1697; historisches Vorbild für die Figur des Blaubart war der Serienmörder Gilles de Rais, ein Mitstreiter von Jeanne d’Arc. Heute fasziniert mich das grausame Märchen, weil es erstaunlich sexualisierte Lesarten zulässt und die Moral der Erzählung eher Erwachsene als Kinder anspricht. „Strands of Bronze and Gold“ von Jane Nickerson ist eine Adaption von „Blaubart“, die in den Südstaaten der USA in der Mitte des 19. Jahrhunderts spielt.

 

1855: Nach dem Tod ihres Vaters zieht die 17-jährige Sophie Petheram zu ihrem Paten. Obwohl sie ihn noch nie gesehen hat, ist sie bereit, im Herzen Mississippis ein neues Leben zu beginnen. Das opulente Anwesen Wyndriven Abbey entzückt Sophie. All ihre Träume von Reichtum und Luxus scheinen sich zu erfüllen und ihr Pate, Monsieur Bernard de Cressac, ist ein attraktiver, kultivierter Gentleman, dessen charmante Komplimente Sophie schmeicheln. Abend für Abend essen sie gemeinsam, doch tagsüber ist sie sich selbst überlassen. Gelangweilt streift sie durch die langen Flure des Anwesens. In einem der zahllosen Zimmer entdeckt sie Kleider, Erinnerungsstücke und Gemälde von drei Damen. Sophie wusste, dass Monsieur de Cressac Witwer ist, aber sie ahnte nicht, dass er bereits dreimal verheiratet war. Ein kalter Schauer erfasst sie, als ihr auffällt, dass alle drei Frauen rotes Haar hatten – wie sie. Was ist mit ihnen geschehen? Warum ist Sophie wirklich in Wyndriven Abbey? Beunruhigt erforscht sie die Vergangenheit ihres Paten und erkennt, dass sie sich in einem goldenen Käfig befindet, den sie vielleicht nie mehr verlassen kann…

 

Ich mag Märchen-Adaptionen, die das zugrundeliegende Märchen lediglich als Basis nutzen und eine individuelle, originelle Geschichte erzählen, die um eigene Motive erweitert ist. Eine gute Adaption zeichnet sich meiner Meinung nach dadurch aus, dass sie eben keine Nacherzählung ist, sondern eine kreative Verarbeitung der historischen Vorlage aus einem neuen Blickwinkel. Jane Nickersons Ansatz, „Blaubart“ auf eine Plantage in Mississippi im Jahr 1855 zu transferieren, erschien mir vielversprechend und interessant, weil ich wusste, dass die Wirtschaft der Südstaaten der USA in der Mitte des 19. Jahrhunderts beinahe ausschließlich von der Sklavenhaltung abhängig war. Ich hoffte, dass „Strands of Bronze and Gold“ diese Tatsache überzeugend mit dem gruseligen Märchen verbinden würde und ich es vielleicht mit einer taktvollen Aufarbeitung der US-amerikanischen Geschichte zu tun bekäme. Leider wurden meine Erwartungen bitter enttäuscht. Jane Nickerson hatte offenbar überhaupt kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit der Sklaverei in den USA. Sie verwendete ihr Setting ausschließlich als oberflächliche, romantisierte Bühne, die es ihrer naiven, weltfremden Protagonistin Sophie erlaubte, dekadente Kleider zu tragen, im Damensattel zu reiten und erklärte, wieso sie bei einem fremden Mann einzieht. „Strands of Bronze and Gold“ ist eine „Blaubart“-Nacherzählung im historischen Kostüm: hübsch, aber banal und irrelevant. Meiner Ansicht nach sabotierte Nickerson sich mit der Entscheidung für Sophies Ich-Perspektive selbst. Obwohl es ihr gelang, Wiedererkennungsmerkmale des Märchens durch die Augen der 17-Jährigen prominent zu inszenieren, bietet die Sichtweise der privilegierten, verhätschelten Sophie kaum Entfaltungsspielraum, da Nickerson als Schriftstellerin nicht über ausreichend Talent verfügt, um ihren Horizont aufzubrechen. Sophie stammt aus dem Norden und ist folglich entsetzt, als sie mit der Sklavenhaltung auf der Plantage ihres Paten konfrontiert wird. Sie empfindet das diffuse Bedürfnis, zu helfen und gibt sich gern Tagträumen hin, sich der Underground Railroad als Unterstützerin anzuschließen, doch effektiv hat sie keine Vorstellung vom Leid der Menschen um sie herum. Daher wirkt Nickersons Annäherung an das Thema der Sklaverei unbeholfen, unverbindlich und sehr weiß. Ich fand diese Darstellung, die immer wieder von Sophies persönlichen Ängsten ausgebremst wird, völlig unzureichend, weil sie ausschließlich schmückendes Beiwerk ist. Primär handelt „Strands of Bronze and Gold“ von Sophies gefährlicher Beziehung zu Monsieur de Cressac und ihren tollpatschigen Bemühungen, sein finsteres Geheimnis aufzudecken. Die schaurige Atmosphäre, die „Blaubart“ auszeichnet, war bedauerlicherweise jedoch nicht zu spüren. Hätte man mir als Kind statt des originalen Märchens diese Adaption vorgesetzt, hätte ich das Buch wahrscheinlich nicht in eine Truhe geschlossen, weil ich mich fürchtete.

 

Es ist überaus schade, dass Jane Nickerson die komplexen Implikationen ihres Settings für ihre „Blaubart“-Adaption scheute. Meiner Ansicht nach hätte eine umfassende Verarbeitung des Themas der Sklaverei einen echten Gewinn für „Strands of Bronze and Gold“ bedeutet. Nickerson hatte die Chance, etwas völlig Neues aus einem alten Märchen zu machen und sich kritisch mit der schmerzhaften Vergangenheit der Südstaaten auseinanderzusetzen. Sie ließ sie verstreichen. Sie konzentrierte sich auf die Nacherzählung von „Blaubart“ und ließ gerade ausreichend Kritik anklingen, um zu vermitteln, dass Sklaverei abzulehnen ist. Meiner Ansicht nach ist das nicht genug.
Die Adaption selbst ist leider maximal schwaches Mittelmaß. Zwar kam ich mit der Protagonistin Sophie, die ein antiquiertes Frauenbild verkörpert, überraschend gut zurecht und habe mich nicht gelangweilt, aber die Lektüre hatte mit meinen angstbehafteten Erinnerungen an „Blaubart“ wenig zu tun. So sehr ich Southern Gothic schätze – „Strands of Bronze and Gold“ war eher „Southern“ als „Gothic“.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/10/02/jane-nickerson-strands-of-bronze-and-gold
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review 2015-05-21 15:06
Ein Märchen in Grimm-Manier
Uprooted - Naomi Novic

Naomi Novik wurde mir von Kevin Hearne empfohlen. Bei seiner Lesung schwärmte er von dieser Autorin und erwähnte, dass ihr neustes Buch „Uprooted“ bald erscheinen würde. Ich notierte mir ihren Namen sowie den Titel des Romans und nahm mir vor, zu Hause danach zu suchen. „Uprooted“ begegnete mir dann viel schneller als gedacht und zufällig. Ich stieß darauf, während ich bei Netgalley stöberte. Ihr wisst ja, dass ich bei solchen Zufällen ein bisschen abergläubisch bin und sie gern als Zeichen werte. Also bewarb ich mich auf eine ARC-Version des Buches und wurde tatsächlich akzeptiert.

 

Alle 10 Jahre wählt der Drache ein Mädchen aus und nimmt sie mit in seinen Turm. Für die BewohnerInnen des Tals, in dem auch Agnieszka lebt, ist diese Tradition schmerzhaft, aber notwendig. Denn im Austausch für den Tribut schützt der Drache das Tal vor dem Wald – ein böser, verwunschener Ort, der Jahr für Jahr danach trachtet, sich auszubreiten und das Tal mit samt den Menschen darin zu verschlingen. Nun steht die Auswahl erneut kurz bevor und obwohl Agnieszka genau im richtigen Alter ist, wissen alle, dass der Drache Kasia mit sich nehmen wird. Agnieszka ist todunglücklich, denn Kasia ist ihre beste Freundin und es gibt keine Möglichkeit, sie vor ihrem Schicksal zu bewahren. Doch als der Drache vor den Mädchen steht, ist es nicht Kasia, die ihm auffällt…

 

„Uprooted“ ist ein Märchen in alter Grimm-Manier: düster, unheimlich und recht grausam. Ich liebe Märchen, aber dieses konnte mich nicht begeistern. Ich bin mir nicht sicher, woran das liegt. Eigentlich ist alles da, was ich an Märchen schätze und tatsächlich erinnerte es mich zu Beginn stark an „Blaubart“. Vielleicht war diese Assoziation ein schlechtes Omen, denn als Kind habe ich mich fürchterlich vor dieser Geschichte gegruselt. Doch nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass ich so gar keinen Zugang zu diesem Roman finde. Schon gar nicht, da ich direkt am Anfang positiv überrascht wurde, indem mir Agnieszka als Ich-Erzählerin bereits auf der ersten Seite offenbarte, dass der Drache gar kein richtiger Drache ist, sondern ein mächtiger Zauberer. Ich musste über meine eigene Naivität schmunzeln und freute mich darauf, ihn kennenzulernen. Was war das für eine herbe Enttäuschung als es soweit war. Sarkan (das bedeutet Drache) ist ein Ekel. Cholerisch, gemein und durch und durch unsympathisch. Nach der Auswahl nimmt er Agnieszka mit sich und behandelt sie ansatz- und grundlos wie einen Fußabtreter. Er sagt ihr nicht einmal, wieso er sie ausgewählt hat. Ich ahnte es aber bereits. ;) Über die Zeit entwickelt Agnieszka trotzdem durchaus positive Gefühle für Sarkan, die ich bis heute nicht verstanden habe. Wie kann sie ihn nur mögen, obwohl er so fies zu ihr ist? Ich schätze, diese bizarre Freundschaft ist einzig und allein der weiteren Handlung geschuldet, die andernfalls nicht funktioniert hätte. Das ungleiche Duo muss sich einem Feind stellen, der absolut furchteinflößend und nahezu unberechenbar ist: dem Wald. Der Wald ist keine bloße Ansammlung von Bäumen, er ist ein lebendiges, denkendes, fühlendes Wesen. Er hat ein Bewusstsein. In seinem Herzen leben Kreaturen, die ohne weiteres einem Albtraum entsprungen sein könnten. Über seine Grenzen hinaus beeinflusst er die Menschen; wie Schachfiguren bewegt er sie ganz nach seinem Belieben und macht sich politische Fehden zu Nutze. Mir ist leider nicht klar, wie er das so weit von seinem eigentlichen Einzugsgebiet entfernt anstellt, denn darauf geht Naomi Novik nicht genauer ein. Auch versäumte sie es meiner Meinung nach, die beharrliche Geduld dieses uralten, unsterblichen Wesens herauszuarbeiten. Es kam nicht richtig rüber, dass ein Teil der Ereignisse in „Uprooted“ vermutlich das Ergebnis jahrhundertelanger, zielstrebiger Planung seitens des Waldes sind. Ich bin mir allerdings sicher, dass er Agnieszkas rasante Entwicklung nicht erwartet hatte. Mir war diese Entwicklung zu heftig, zu übertrieben und ich empfand sie daher als unglaubwürdig. Außerdem ist Agnieszka die einzige Figur des Buches, die sich entwickelt. Ich weiß, dass Naomi Novik absolut in der Lage gewesen wäre, all ihre Charaktere wachsen zu lassen – sie hat es nur einfach nicht getan, weil Agnieszka die Sonne ihres Universums ist. Sie überstrahlt alle Nebencharaktere. Schade ist das vor allem in Bezug auf Agnieszkas beste Freundin Kasia, die meiner Ansicht nach großes Potential hat und die ich sympathischer als Agnieszka selbst fand.
Nach all den Schwierigkeiten, die ich mit diesem Roman hatte, hätte ich nicht damit gerechnet, dass mich das Ende überzeugen würde, doch genauso war es. Es war rund und ließ mich erstaunlich befriedigt zurück. Ich wünschte, die ganze Geschichte hätte auf mich so elegant gewirkt wie die letzten Seiten.

 

Es ist mir sehr schwer gefallen, „Uprooted“ zu bewerten, weil ich noch immer das Gefühl habe, nicht zum Kern meines Problems mit diesem Roman vorgedrungen zu sein. Natürlich haben mich all die Kritikpunkte, die ich aufgezählt habe, irgendwie gestört, aber ich denke, ich hätte jeden einzelnen verzeihen können, wenn mich das Buch im Ganzen begeistert hätte. Ich weiß nicht, wieso das nicht der Fall war. Vielleicht hing es doch stark an Naomi Noviks Schreibstil, der sich für mich nicht flüssig genug las. Vielleicht war es auch die Tatsache, dass mir das Buch unheimlich lang erschien. Ich werde es wohl nie erfahren. Ich bin ziemlich erleichtert, dass ich mir nun nicht weiter den Kopf darüber zerbrechen muss und es einfach gut sein lassen kann.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/05/21/naomi-novik-uprooted
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