logo
Wrong email address or username
Wrong email address or username
Incorrect verification code
back to top
Search tags: sklaverei
Load new posts () and activity
Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2018-10-02 09:03
Eher "Southern" als "Gothic"
Strands of Bronze and Gold - Jane Nickerson

Als Kind fürchtete ich mich schrecklich vor dem Märchen „Blaubart“. Die unheimliche Geschichte des reichen Adligen, der seine Ehefrauen ermordet und ihre Köpfe aufbewahrt, jagte mir eine Heidenangst ein. Ursprünglich stammt das Märchen von dem französischen Autor Charles Perrault aus dem Jahr 1697; historisches Vorbild für die Figur des Blaubart war der Serienmörder Gilles de Rais, ein Mitstreiter von Jeanne d’Arc. Heute fasziniert mich das grausame Märchen, weil es erstaunlich sexualisierte Lesarten zulässt und die Moral der Erzählung eher Erwachsene als Kinder anspricht. „Strands of Bronze and Gold“ von Jane Nickerson ist eine Adaption von „Blaubart“, die in den Südstaaten der USA in der Mitte des 19. Jahrhunderts spielt.

 

1855: Nach dem Tod ihres Vaters zieht die 17-jährige Sophie Petheram zu ihrem Paten. Obwohl sie ihn noch nie gesehen hat, ist sie bereit, im Herzen Mississippis ein neues Leben zu beginnen. Das opulente Anwesen Wyndriven Abbey entzückt Sophie. All ihre Träume von Reichtum und Luxus scheinen sich zu erfüllen und ihr Pate, Monsieur Bernard de Cressac, ist ein attraktiver, kultivierter Gentleman, dessen charmante Komplimente Sophie schmeicheln. Abend für Abend essen sie gemeinsam, doch tagsüber ist sie sich selbst überlassen. Gelangweilt streift sie durch die langen Flure des Anwesens. In einem der zahllosen Zimmer entdeckt sie Kleider, Erinnerungsstücke und Gemälde von drei Damen. Sophie wusste, dass Monsieur de Cressac Witwer ist, aber sie ahnte nicht, dass er bereits dreimal verheiratet war. Ein kalter Schauer erfasst sie, als ihr auffällt, dass alle drei Frauen rotes Haar hatten – wie sie. Was ist mit ihnen geschehen? Warum ist Sophie wirklich in Wyndriven Abbey? Beunruhigt erforscht sie die Vergangenheit ihres Paten und erkennt, dass sie sich in einem goldenen Käfig befindet, den sie vielleicht nie mehr verlassen kann…

 

Ich mag Märchen-Adaptionen, die das zugrundeliegende Märchen lediglich als Basis nutzen und eine individuelle, originelle Geschichte erzählen, die um eigene Motive erweitert ist. Eine gute Adaption zeichnet sich meiner Meinung nach dadurch aus, dass sie eben keine Nacherzählung ist, sondern eine kreative Verarbeitung der historischen Vorlage aus einem neuen Blickwinkel. Jane Nickersons Ansatz, „Blaubart“ auf eine Plantage in Mississippi im Jahr 1855 zu transferieren, erschien mir vielversprechend und interessant, weil ich wusste, dass die Wirtschaft der Südstaaten der USA in der Mitte des 19. Jahrhunderts beinahe ausschließlich von der Sklavenhaltung abhängig war. Ich hoffte, dass „Strands of Bronze and Gold“ diese Tatsache überzeugend mit dem gruseligen Märchen verbinden würde und ich es vielleicht mit einer taktvollen Aufarbeitung der US-amerikanischen Geschichte zu tun bekäme. Leider wurden meine Erwartungen bitter enttäuscht. Jane Nickerson hatte offenbar überhaupt kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit der Sklaverei in den USA. Sie verwendete ihr Setting ausschließlich als oberflächliche, romantisierte Bühne, die es ihrer naiven, weltfremden Protagonistin Sophie erlaubte, dekadente Kleider zu tragen, im Damensattel zu reiten und erklärte, wieso sie bei einem fremden Mann einzieht. „Strands of Bronze and Gold“ ist eine „Blaubart“-Nacherzählung im historischen Kostüm: hübsch, aber banal und irrelevant. Meiner Ansicht nach sabotierte Nickerson sich mit der Entscheidung für Sophies Ich-Perspektive selbst. Obwohl es ihr gelang, Wiedererkennungsmerkmale des Märchens durch die Augen der 17-Jährigen prominent zu inszenieren, bietet die Sichtweise der privilegierten, verhätschelten Sophie kaum Entfaltungsspielraum, da Nickerson als Schriftstellerin nicht über ausreichend Talent verfügt, um ihren Horizont aufzubrechen. Sophie stammt aus dem Norden und ist folglich entsetzt, als sie mit der Sklavenhaltung auf der Plantage ihres Paten konfrontiert wird. Sie empfindet das diffuse Bedürfnis, zu helfen und gibt sich gern Tagträumen hin, sich der Underground Railroad als Unterstützerin anzuschließen, doch effektiv hat sie keine Vorstellung vom Leid der Menschen um sie herum. Daher wirkt Nickersons Annäherung an das Thema der Sklaverei unbeholfen, unverbindlich und sehr weiß. Ich fand diese Darstellung, die immer wieder von Sophies persönlichen Ängsten ausgebremst wird, völlig unzureichend, weil sie ausschließlich schmückendes Beiwerk ist. Primär handelt „Strands of Bronze and Gold“ von Sophies gefährlicher Beziehung zu Monsieur de Cressac und ihren tollpatschigen Bemühungen, sein finsteres Geheimnis aufzudecken. Die schaurige Atmosphäre, die „Blaubart“ auszeichnet, war bedauerlicherweise jedoch nicht zu spüren. Hätte man mir als Kind statt des originalen Märchens diese Adaption vorgesetzt, hätte ich das Buch wahrscheinlich nicht in eine Truhe geschlossen, weil ich mich fürchtete.

 

Es ist überaus schade, dass Jane Nickerson die komplexen Implikationen ihres Settings für ihre „Blaubart“-Adaption scheute. Meiner Ansicht nach hätte eine umfassende Verarbeitung des Themas der Sklaverei einen echten Gewinn für „Strands of Bronze and Gold“ bedeutet. Nickerson hatte die Chance, etwas völlig Neues aus einem alten Märchen zu machen und sich kritisch mit der schmerzhaften Vergangenheit der Südstaaten auseinanderzusetzen. Sie ließ sie verstreichen. Sie konzentrierte sich auf die Nacherzählung von „Blaubart“ und ließ gerade ausreichend Kritik anklingen, um zu vermitteln, dass Sklaverei abzulehnen ist. Meiner Ansicht nach ist das nicht genug.
Die Adaption selbst ist leider maximal schwaches Mittelmaß. Zwar kam ich mit der Protagonistin Sophie, die ein antiquiertes Frauenbild verkörpert, überraschend gut zurecht und habe mich nicht gelangweilt, aber die Lektüre hatte mit meinen angstbehafteten Erinnerungen an „Blaubart“ wenig zu tun. So sehr ich Southern Gothic schätze – „Strands of Bronze and Gold“ war eher „Southern“ als „Gothic“.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/10/02/jane-nickerson-strands-of-bronze-and-gold
Like Reblog Comment
review 2017-09-14 17:03
Rezension | Underground Railroad von Colson Whitehead
Underground Railroad: Roman - Colson Whitehead,Nikolaus Stingl

Beschreibung

 

Cora ist eine junge Frau, und eine von vielen Farbigen, die auf einer Baumwollplantage in Georgia ihren Dienst verrichten. Die Behandlung der Sklaven auf der Plantage ist grausam und so ist der Wunsch zu fliehen unermesslich groß. Schließlich gelingt es Cora und Caesar zu fliehen und mit Hilfe des geheimen Fluchtnetzwerkes der Underground Railroad stehen ihre Chancen auf ein freies Leben gut.

 

Dennoch gestaltet sich die Flucht und das neue Leben schwieriger als gedacht. Kopfgeldjäger und die verschiedenen Gesetze der einzelnen Staaten erschweren es den Farbigen ungemein, aus der Sklaverei auszubrechen.

 

Meine Meinung

 

Colson Whitehead befasst sich in seinem neuen Roman „Underground Railroad“, der bereits mit dem Pulitzer Preis 2017 ausgezeichnet wurde, mit einem Thema dass schon seit Jahrhunderten nicht an Aktuallität verliert – Rassismus.

 

"Sie war nicht überrascht, als sein Charakter sich zeigte – wenn man lang genug wartete, tat er das immer." (Underground Railroad, Seite 21 (epub Version)

 

Schonungslos zeichnet der Autor mit Hilfe der fiktive Lebensgeschichte über die junge farbige Cora das menschenunwürdige Leben einer Sklavin auf einer Baumwollplantage. Der Blick wendet sich auf den harten Arbeitsalltag und die damit einhergehenden Ängste, Sorgen und Probleme. Dabei wird nicht nur durch die schlechte Behandlung durch den Plantagenbetreiber, sondern auch durch die Konflikte zwischen den Sklaven deutlich, welch grauenvolles Leiden, in seelischer wie auch körperlicher Hinsicht, einem jeden Sklaven aufgebürdet wird. Der klare und treffende Schreibstil von Colson Whitehead lässt eine dazu passende Atmosphäre entstehen, die den Leser fest in den Griff nimmt und geradewegs zu erdrücken scheint. Emphatische Menschen und zart besaitete Menschen sollten diesen Lesestoff gut dosieren.

 

"Die Weißen fraßen einen auf, aber manchmal taten das auch die Farbigen."  (Underground Railroad, Seite 60 (epub Version)

 

Durch den geschickten Aufbau der Geschichte erzeugt Colson Whitehead einen unaufdringlichen Spannungssog. Kurze Kapitel aus der Perspektive diverser Akteure wie z. B. der eines Sklavenfängers (Kopfgeldjäger), Arztes oder einer Helferin des Flüchtlingsnetzwerkes der Underground Railroad geben ein umfassendes Bild ab. Allerdings fand ich einige Abschnitte etwas zu kurz angerissen, vielleicht hat sich mir gerade deshalb der Sinn dieser „kurzen Ausflüge“ im Kontext zu Coras Geschichte nicht immer ganz erschlossen.

 

Im Gegensatz zu diesen kurzen Kapiteln überzeugen die längeren Kapitel aus Coras Perspektive ungemein. Der durch die Kolonisierung Amerikas enstandene Sklavenhandel wird dem Leser durch die mutige und kämpferische Hauptprotagonistin auf eine sehr emotionale Weise näher gebracht. Coras Geschichte hat Seite um Seite eine immer größer werdende Sogwirkung entwickelt und mich fest an die Seiten gebannt.

 

"Sie waren selbst Geister, gefangen zwischen zwei Welten: der Wirklichkeit ihrer Verbrechen und dem Jenseits, das ihnen wegen dieser Verbrechen verweigert wurde."  (Underground Railroad, Seite 178 (epub Version)

 

Cora glingt die Flucht über die unterirdischen Wege der Underground Railroad. Was in der Realität für ein Flüchtlingsnetzwerk aus Gegnern der Sklaverei stand, die sich der Metaphern der Eisenbahn bedienten, wird in dem Roman wortwörtlich zum Sinnbild. Im Laufe des Plots macht man Bekanntschaft mit Schaffnern, Stations- und Bahnhofsvorstehern die sich mit Herzblut für die Sache einsetzen. Ich hätte mir gewünscht, dass man über dieses Netzwerk noch mehr erfährt und vor allem, dass die fiktive Seite der Geschichte und die historischen Hintergründe dazu in einem Nachwort erläutert werden.

 

Fazit

 

Colson Whiteheads Roman über Rassenwahnsinn und das menschliche Bestreben nach Freiheit geht tief unter die Haut.

Source: www.bellaswonderworld.de/rezensionen/rezension-underground-railroad-von-colson-whitehead
Like Reblog Comment
review 2017-08-26 12:02
Underground Railroad: Faszinierend und erschütternd
Underground Railroad: Roman - Colson Whitehead,Nikolaus Stingl

Was kann man schon zu einem Buch schreiben, das gerade mit Preisen und Lob überschüttet wird? Dass all die Aufmerksamkeit hundertprozentig gerechtfertigt ist.

Es wurde zwar bereits unzählige Male gesagt, doch angesichts der „Black lives matter“-Bewegung, der Neonazi-Märsche, der Diskriminierungen und der Rassenunruhen in den USA ist dieser Roman gerade brandaktuell. Autor Colson Whitehead erzählt die Geschichte des Mädchens Cora, das Anfang des 19. Jahrhunderts als Sklavin auf einer Plantage im US-Staat Georgia unter schrecklichen Bedingungen leben und arbeiten muss. Ihr Mutter Mabel flüchtete unerwartet, als Cora zehn Jahre alt war. Seitdem ist das Mädchen allein. Als sich ihr nach schweren Misshandlungen die Chance bietet, mit einem anderen Sklaven über die Underground Railroad zu fliehen, nutzt sie diese. Ihre Flucht führt durch mehrere Staaten, doch Cora kommt nirgendwo zur Ruhe. Ihr Besitzer beauftragt Sklavenjäger, um Cora zurückzuholen; sie wird unterwegs verraten und gedemütigt. Zwar hält sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben außerhalb der Plantage auf, doch die Freiheit ist anders, als sie sich das vorgestellt hat. Selbst Schwarze, die eigentlich freigelassen oder in Freiheit geboren wurden, sind oft der Willkür und der Diskriminierung durch Weiße ausgesetzt.

Coras Odyssee ist erschöpfend, schockierend und mit grausamen Erlebnissen gespickt. Manche Momente sind wirklich schwer zu ertragen – umso wichtiger ist die Lektüre. Whitehead schreibt in einem schnörkellosen, anschaulichen Stil, der ins Herz trifft, aber überflüssige Sentimentalitäten vermeidet. Cora ist eine starke Person und eine faszinierende Protagonistin. Durch ihre Jugend und Unerfahrenheit scheint sie etwas naiv, tritt jedoch trotzdem mutig für sich und ihre Helfer ein. Gleichzeitig erschien sie mir durch ihre Erlebnisse oft etwas abgestumpft und distanziert. Umso herzzerreißender wirken die Momente, in denen sie die Fassung verliert, weil sie beispielsweise vom Tod eines Helfers erfährt.

Die Underground Railroad war eigentlich ein geheimes Netzwerk an Menschen, die Sklaven bei der Flucht aus dem Süden über bestimmte Routen in den freien Norden halfen. Colson Whitehead nimmt die Metapher allerdings wörtlich und lässt die Sklaven über eine Eisenbahnlinie im Untergrund flüchten. Dadurch ist das Buch zwar nicht historisch korrekt, jedoch lassen sich die Fahrten zwischen den einzelnen Staaten schneller erzählen, als wenn die Sklaven zu Fuß flüchten würden. So liegt der Fokus auf den verschiedenen Stationen. Hier erkennt der Leser deutlich, dass „Fortschritt“ und „Freiheit“ immer von der Perspektive abhängen.

Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2017-08-08 10:33
Eindringlich, psychologisch vielschichtig, unverzichtbar
Beloved - Toni Morrison

Interessiert man sich für weibliche, afroamerikanische Literatur, kommt man an Toni Morrison nicht vorbei. 1993 erhielt sie als erste schwarze Frau den Literaturnobelpreis. Bereits fünf Jahre zuvor wurde ihr Roman „Beloved“, in dem sie sich mit der Geschichte der Sklaverei in den USA auseinandersetzt, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Das Buch basiert lose auf der Biografie von Margaret Garner, die 1856 ihre zweijährige Tochter tötete, um sie vor einem Leben in Sklaverei zu bewahren. Ich habe lange gebraucht, bis ich bereit für „Beloved“ war. Tatsächlich begann ich das Buch schon einmal, bemerkte aber, dass ich mit dem Schreibstil noch nicht zurechtkam und stellte es zurück ins Regal. Drei Jahre wartete es geduldig auf mich.

 

18 Jahre ist es her, dass Sethe eine Sklavin in Sweet Home war. Unaussprechliches wurde ihr angetan, bis sie, hochschwanger und allein, floh. Zu Fuß schlug sie sich nach Ohio durch, wo sie im Haus ihrer Schwiegermutter Baby Suggs unterkam. Heute ist die 124 ihr Heim, in dem sie mit ihrer Tochter Denver lebt. Freiheit ist jedoch mehr als ein physischer Zustand. Noch immer wird Sethe von ihren Erinnerungen heimgesucht. In ihrem Haus spukt der Geist ihres Babys, auf dessen Grabstein ein einziges Wort eingraviert ist: Beloved. Als ein Besucher aus ihrer Vergangenheit eines Tages auf der Schwelle der 124 auf Sethe wartet, scheint es, als erhielte sie erstmals eine Chance auf wahres Glück. Doch diese Hoffnung währt nur einige Herzschläge, denn kurz darauf tritt eine junge Frau in ihr Leben, die Sethes Glauben, ihre Mutterliebe und ihr Verständnis von Freiheit hart auf die Probe stellt. Sie sagt, sie heißt Beloved…

 

Wie könnte ich für dieses preisgekrönte Buch weniger als fünf Sterne vergeben? „Beloved“ ist ein moderner Klassiker, der das vor allem in den USA ungeliebte Thema der Sklaverei psychologisch vielschichtig und glaubwürdig bespricht. Erstaunlicherweise halte ich den Roman trotz dessen nicht für eine Abhandlung über Sklaverei. Meiner Meinung nach ist es eine Geschichte darüber, was Freiheit bedeutet, speziell für farbige Frauen. Laut Vorwort entspricht dieser Eindruck auch Toni Morrisons Intention. Die Handlung spielt vermutlich zwischen 1865 und 1890, nach dem amerikanischen Sezessionskrieg und der offiziellen Abschaffung der Sklaverei. Im Mittelpunkt stehen Vergangenheit und Gegenwart der Protagonistin Sethe, die untrennbar miteinander verwoben sind. Sethe lebte viele Jahre als Sklavin auf der Farm Sweet Home in Kentucky, bis sie die Qualen unter ihren weißen Herren nicht mehr aushielt und den gefährlichen Entschluss traf, zu fliehen. Ich war sehr dankbar, dass Sethes Sklavenzeit zur Gegenwart des Buches bereits knapp 20 Jahre zurückliegt. Dadurch erlebte ich ihr Leid mit einem gewissen Abstand und war nicht gezwungen, die furchtbaren Torturen, die ihr angetan wurden, live zu beobachten. Ich will damit nicht ausdrücken, dass ich die Augen vor der Realität verschließe, doch die menschenunwürdigen Methoden der Sklavenhalter in Sweet Home waren selbst als Rückblenden äußerst schwer zu ertragen. Sethes Rücken ist von Narben entstellt, die Zeugnis vom brutalen, rücksichtslosen Einsatz der Peitsche tragen. Morrison vergleicht das Narbengewebe mit einem Baum, aus dem neues Leben entspringt – als ich diesen Absatz las, liefen mir Tränen über die Wangen, weil es mir sehr zu Herzen ging, dass die Autorin für etwas so schreckliches und falsches wundervolle Worte fand. Ihren Schreibstil empfand ich insgesamt als sanftmütig, gefasst und würdevoll; sie wedelt nicht mit dem moralischen Zeigefinger vor den Augen ihrer Leser_innen, sondern lässt die beschämenden Wahrheiten ihrer Geschichte für sich selbst sprechen. Sie deutet vieles erst nur an und führt es später genauer aus, wodurch sich das Gesamtbild der Erlebnisse der Sklaven in Sweet Home und ihrer Strategien, ihre Erinnerungen zu verarbeiten, langsam zusammensetzt. Während Baby Suggs ihr Herz für alle öffnete und sich zu einer spirituellen Leitfigur entwickelte, konzentrierte sich Sethe voll auf ihre Mutterrolle. Es stimmte mich traurig, dass Sethe sich zwar selbst befreite, aber niemals frei wurde. Ihre Vergangenheit bestimmt noch immer jeden ihrer Schritte. Sie verfolgt keine Pläne oder Träume, weil ihre Fähigkeit zur Fantasie irreparabel verkrüppelt wurde. Sie flüchtet sich in Gewohnheiten, die ihr Sicherheit vermitteln. Ihr einziger Wunsch lautet, dass ihre Kinder es besser haben sollen. Ich hatte das Gefühl, dass Sethe unbewusst die ganze Zeit darauf wartet, dass das Leben, das sie sich mühsam aufbaute, erneut von außen demontiert wird. Sie erwartet neuen Schmerz, neues Leiden und konnte deshalb nie lernen, ihr Leben auszufüllen, obwohl ihr Lebenswille unfassbar stark ist. So stark, dass sie als Löwenmutter in Kauf nahm, ihre eigene Familie zu zerstören, um ihre Kinder vor den Erfahrungen zu retten, die ihr aufgezwungen wurden. Bis heute beteuert sie die Rechtmäßigkeit ihrer verzweifelten Entscheidungen, doch auf mich wirkte es, als lechze sie nach Absolution. Sie ist nicht überzeugt, dass ihr Handeln richtig war und geißelt sich jeden Tag. Ich habe versucht, mich in sie hineinzuversetzen, herauszufinden, was ich an ihrer Stelle getan hätte. Ich habe keine Antwort gefunden. Ich kann das Ausmaß der Verzweiflung, das Sethe empfunden haben muss, unmöglich nachempfinden, so sehr ich mich auch anstrenge. Darum urteile ich nicht über sie. Ich bemühe mich lediglich, sie zu verstehen, wie Toni Morrison es meiner Ansicht nach auch beabsichtigte.

 

„Beloved“ ist eine eindringliche Aufarbeitung der psychologischen Folgen der Sklaverei, die unverzichtbar für den amerikanischen und globalen Kanon ist. Toni Morrison sagte einst, dass sie das Buch geschrieben habe, weil es für die Opfer der Sklaverei in den USA keinerlei Denkmäler gäbe. Ich glaube, man muss diesen Roman genau auf diese Weise lesen: als Hommage, als Gedenken, als Anerkennung des millionenfachen Leids, dass die Sklaverei verursachte. Wir müssen uns mit unserer Verantwortung, unserer Schuld auseinandersetzen, nicht nur in den Staaten, sondern weltweit, weil die schiere Dimension der Grausamkeit, mit der Menschen damals wie Vieh behandelt wurden, uns alle angeht. Wir wollen mal nicht vergessen, dass sich auch europäische Länder eine goldene Nase mit dem Sklavenhandel verdienten. Außerdem halte ich eine Aufarbeitung dieses vergangenen Unrechts, wie „Beloved“ sie bietet, für unumgänglich, um gegen dessen Entsprechungen in der Gegenwart kämpfen zu können. Sklaverei wird heute Menschenhandel genannt, aber das Prinzip hat sich nicht verändert. Noch immer gibt es Menschen, die ähnliche Verzweiflung und ähnliches Leid wie Sethe erfahren. Jeden Tag. Überall.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/08/08/toni-morrison-beloved
Like Reblog Comment
review 2016-08-12 04:00
Casto – Gefährte des Feuers
Casto - Gefährte des Feuers: Gods of War - Xenia Melzer,Xenia Melzer

Story:
In seinem bisherigen Leben ist dem Halbgott Renaldo nahezu alles geglückt: er gilt im Kampf als unbesiegbar und dank seiner Schönheit liegen ihm Männer und Frauen zu Füßen. Einzig die Tatsache, dass ihm sein „Herz“ fehlt (die Person, die ihm seine wahren Kräfte zurückgibt, insofern er und sein Bruder Canubis alle Emeris finden, die ebenfalls einen Teil ihrer Macht ausmachen), macht dem Kriegsgott zu schaffen. Da nimmt er mit seinen Kriegern in einer Oase den sturen, widerspenstigen Casto gefangen und macht ihn zu seinem Sklaven. Dass dieser sich unter keinen Umständen unterordnen will sorgt für eine explosive Mischung, die tagtäglich Spannungen mit sich bringt. Während die übrigen Männer des Heeres die Auseinandersetzungen skeptisch beobachten, bringen die Sklaven Casto nur wenig Freundschaft entgegen. Dennoch ist Castos Stand hoch, da er es mit Renaldo länger aushält, als jeder andere vor ihm …

 

Eigene Meinung:
Der erste Band der „Gods of War“ Reihe von Xenia Melzer und erschien Juni 2016 in englischer Sprache bei Dreamspinner Press. Nur zwei Monate später veröffentliche Ullstein Forever die deutsche Fassung des Fantasy-Romans unter dem Titel „Casto – Gefährte des Feuers“. Weitere Bände sind in Arbeit und sollen im Dezember 2016 und Sommer 2017 in englischer Sprache erscheinen.

 

Die Geschichte spielt in einer fiktiven Welt in der den Kriegsgöttern Canubis und Renaldo ihr Ruf vorauseilt. Regelmäßig überfallen und plündern sie mit ihren Kriegern Städte, zumeist im Auftrag mächtiger Herrscher. Ansonsten leben sie in einem Tal abseits der übrigen Menschen. Sie sind auf der Suche nach ihren Emeris (Kriegern) und ihrem „Herzen“, um ihre wahre Macht zu erlangen und irgendwann die Herrschaft über die Menschen erringen zu können. Während Canubis sein Herz bereits gefunden hat, ist Renaldo noch auf der Suche. Währenddessen entspinnt sich im Hintergrund eine Intrige, denn nicht jeder ist den beiden Söhnen der Schöpfergöttinnen wohlgesonnen und manche setzen alles daran zu verhindern, dass Renaldo sein Herz findet.


Was spannend und fantastisch klingt, kann leider so gar nicht fesseln, denn es passiert fast gar nichts. Es ist bewundernswert, dann die Autorin fast 350 Seiten geschrieben hat, auf denen zu 90% nichts geschieht. Wer Action, Abenteuer und spannende Intrigen erwartet, kommt hier gar nicht auf seine Kosten, denn Xenia Melzer schafft lediglich einen Einstieg in ihre Welt, ohne Fragen zu beantworten und auf die kommenden Bände neugierig zu machen. Dabei setzt sie mit einem Prolog über die Entstehung der Welt durch die beiden Göttinnen an und beschreibt die Hintergründe zu den beiden Halbgöttern Canubis und Renaldo (etwas, was man auch im Laufe der Handlung hätte einfließen lassen können, was wesentlich mehr Spannung erzeugt hätte). Anschließend betritt Casto die Bühne und setzt mit seinen 16 Jahren im berittenen Kampf einfach so drei Jahrhunderte alte Krieger aus dem Gefecht – ob das wirklich logisch ist, muss jeder selbst entscheiden. Es folgen endlose Kämpfe und verbale Gefechte zwischen Renaldo und Casto, die irgendwann miteinander im Bett enden. Letzteres macht schließlich den Hauptteil der Geschichte aus – der Halbgott und sein neuer Sklave scheinen fast nichts anderes zu machen, als die Nächte durchzurammeln und tagsüber ihren „wichtigen“ Geschäften nachzugehen (natürlich findet sich auch da genügend Zeit für einen kurzen Quickie). Glücklicherweise werden die erotischen Szenen nicht ausgeschrieben, sondern an passender Stelle ausgeblendet, dennoch hat man das Gefühl, dass die beiden kaum etwas anderes machen. Wer denkt, dass sie sich dabei näher kommen oder zumindest irgendwann Vertrauen zueinander aufbauen, irrt sich – die Beziehung der beiden ist einfach nicht gesund, da sie zumeist durch Gewalt und Hass dominiert wird und auch in leichten BDSM-Zügen endet. Wirkliches Knistern, aufeinander zu bewegen und kennenlernen gibt es bei den beiden nicht – sie definieren ihre Gefühle zueinander übers Bett, zumeist nachdem sie sich zuvor fast an die Gurgel gegangen sind und ihr Hass in Lust umschlägt.

 

Da selbst Xenia Melzer irgendwann die Ideen auszugehen scheinen, führt sie schließlich einen anderen Charakter ein – Daran, einen jungen Dieb, der schließlich Sklave bei den beiden Wüstenkriegern wird, was in einem entsprechend erotischen Dreier endet. Welchen Sinn Darans Geschichte für die Haupthandlung hat, kann man nur schwer beurteilen, denn mehr als eine Einführung und entsprechende Sexszenen sind auch hier nicht vorhanden. Ansonsten bekommt man einige Info-Dumps über die Vergangenheit einzelner Emeris (Darans zwei Wüstenkrieger und eine Attentäterin), während man von Casto fast gar nichts erfährt. Xenia Melzer streut zwar vereinzelt Hinweise auf seine Herkunft und Vergangenheit, doch es wird nahezu nichts verraten. Nach 350 Seiten weiß man über ihn genauso viel wie am Anfang – fast nichts. Genauso ergeht es dem Leser mit der Handlung – es ist fast nichts passiert. Die angesprochenen Intrigen der Gegner werden in zwei knappen Szenen angedeutet, kommen im Buch jedoch nicht zum Tragen. Man hat weder Kämpfe, noch Intrigen, keinerlei spannende Hintergründe oder Charakterentwicklungen. Es passiert einfach nichts. Selbst das Ende des Buches ist vollkommen unspektakulär – kein Endkampf, kein Cliffhanger. Es endet einfach mittendrin und man fühlt sich fast um die Lesezeit betrogen, die man in „Casto – Gefährte des Feuers“ gesteckt hat.

 

Die Charaktere können ebenfalls nicht wirklich überzeugen. Casto und Renaldo wirken sehr unsympathisch, arrogant und überheblich. Gerade Casto, der in Gefangenschaft gerät und im Grunde keinerlei Rechte mehr hat, kommt oftmals zu eigensinnig daher, sowohl gegenüber Renaldo, als auch gegenüber anderen Sklaven. Seine temperamentvolle Art wirkt eher kindisch störrisch und nervt mit der Zeit einfach nur. Im Grunde ist er selten in der Position so große Töne zu spuken und es ist seltsam, dass er dafür nicht zur Rechenschaft gezogen wird. Auch wirkt er mit der Zeit arg „Gary-Sue“-mäßig, weil er nebst schrecklicher, geheimnisvoller Vergangenheit nahezu alles kann. Wer darauf hofft, dass sich Casto weiterentwickelt, wird leider ebenfalls enttäuscht – er ist zum Ende des Buches genauso unausstehlich und arrogant, wie am Anfang. Renaldo ist da wesentlich erträglicher, auch wenn er als perfekter Krieger und überirdisch schöner Mann ebenfalls sehr überheblich daherkommt und kaum Fehler hat. Warum er so extrem an Casto hängt, kann man nur schwer nachvollziehen, denn sein Sklave untergräbt seine Autorität im Grunde permanent.

Die übrigen Figuren kommen mal verstärkt, mal am Rande vor, haben aber keinerlei größere Bewandtnis für die Handlung. Canubis und seine Frau spielen kaum eine Rolle, Daran ist nur dafür da, um den Wüstenkriegern als Sklave zu dienen und so etwas wie Castos Freund zu werden und die übrigen Emeris und Sklaven wirken wie Staffage. Es ist nicht abzusehen, welchen Platz sie in der eigentlichen Handlung aufnehmen, da im ersten Band keinerlei Hinweise gegeben werden.

 

Stilistisch ist Xenia Melzers Buch Geschmackssache. Das liegt vor allem an den Sprüngen in der Perspektive. Mit der Zeit hat man zunehmend Probleme der Geschichte zu folgen, da mal aus der Sicht eines Charakters geschrieben wird (Casto oder Ranaldo, später auch Daran, die Wüstenkrieger und einige Sklaven), dann plötzlich zu einer auktorialen Erzählweise gewechselt wird und dann wieder zurück. Es ist ein ewiges Hin und Her, wodurch man sich auf nichts einstellen kann und sich mit keinem der Charaktere wirklich identifizieren kann. Auch die Kämpfe sind sehr holprig beschrieben – zumeist weiß man nicht genau, wer was macht und wer welche Attacke ausführt. Gerade bei Kämpfen zwischen mehr als zwei Figuren verliert man schnell den Überblick. Leider wird auch die Welt nicht wirklich bildlich und greifbar – dazu erfährt man einfach zu wenig von den Ländern, Städten, den übrigen Bewohnern und den gesellschaftlichen Hintergründen. Dadurch wirkt die Welt teils mittelalterlich, teils moderner (letzteres liegt auch an der modernen Sprache), so dass man kein genaues Bild einer Fantasywelt im Kopf hat.

 

Fazit:
„Casto – Gefährte des Feuers“ ist ein Buch, das viel verspricht und wenig hält. Wer eine spannende, abgeschlossene Geschichte (oder zumindest einige Antworten auf aufgeworfene Fragen) erwartet, wird definitiv enttäuscht werden, denn mehr als Sex und einige (am Rand vorkommende) Kämpfe hat Xenia Melzers Buch nicht zu bieten. Auch die Charaktere können nicht überzeugen, da sie zu unsympathisch und arrogant daherkommen und sich kein Stück weiterentwickeln. Es mangelt an Action, Spannung, Intrigen und wirklichen Gefühlen innerhalb der Sklaven-Herr-Beziehung von Casto und Renaldo, denn die beiden scheint lediglich Gewalt und Lust aneinander zu binden, keinerlei wirkliche Sympathie oder gar Liebe. Trotz einiger guter Ansätze kommt die Geschichte nicht in Schwung und dümpelt ereignislos vor sich hin, denn weder die geheimen Intrigen der Gegner, noch die Geschichte um die Göttinnen kommt wirklich zum Tragen. Schade – da hätte man wesentlich mehr draus machen können.

Source: www.like-a-dream.de
More posts
Your Dashboard view:
Need help?