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review 2014-05-22 16:31
Eine Ode an das Leben und generationsübergreifende Freundschaft!
Das Leben ist ein listiger Kater - Marie-Sabine Roger,Claudia Kalscheuer

Marie-Sabine Roger - dieser Name sagte mir bis zu ihrem dieses Jahr erschienenen Roman »Das Leben ist ein listiger Kater« nichts. Es scheint mir etwas entgangen zu sein, wie ich feststellen durfte. Denn dieses Buch aus dem frisch in See gestochenen Atlantik Verlag hat mich völlig für sich gewinnen können. Der Buchschnitt sah nach dem Beenden dieser Lektüre ähnlich aus wie Alex Capus Lesehighlight »Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer«. Auch Marie-Sabine Roger konnte mich überzeugen und wird in die ganz besondere Liste meiner Lesehighlights aufgenommen. Warum? Davon möchte ich euch nun berichten.

Eine Ode an das Leben

 

Jean-Pierre wacht in einem weißen Krankenhausbett auf, er empfindet starke Schmerzen. Doch warum er hier gelandet ist, weiß er nicht. Jean-Pierre kann sich an den Moment des Unfalls und das, was kurz davor geschah, nicht erinnern. Wohl aber stört ihn so einiges in diesem Krankenhaus. Türen bleiben offen stehen, seine Privatsphäre wird nicht geachtet und die Ärzte sehen ihn als das an, was mit ihm passiert ist: eine Amnesie mit Knochenbrüchen, die zusammengeflickt werden muss. Da wäre dann noch sein Retter in der Not, eine dynamische, engagierte Krankenschwester mit Herz und dieses etwas pummelige 14jährige Mädchen, das immer wieder ungebeten in sein Zimmer hereinschneit. Ganz so trist und grau scheint das Leben des alten Mannes, der sonst mehr in sich zurückgezogen lebt, doch nicht zu sein!

 

Der erste Blick auf ein neues Buch ist immer etwas Besonderes. Es wird bestaunt, beschnuppert und eingehend betrachtet. Dieser Roman gefiel mir äußerlich schon auf den ersten Blick. Das Cover macht einen leichten, zarten Eindruck: sanfte Aquarellfarben, wenige Tuschestriche und viel Weiß dominieren das Bild und harmonieren mit dem beschwingten Innenleben des Romans. Wer wie ich noch nichts von der Autorin gelesen hat und ein wenig recherchiert, wird feststellen, dass auch die Hardcoverausgaben von »Das Labyrinth der Wörter« und »Der Poet der kleinen Dinge« in ähnlichem Design bei Hoffmann & Campe erschienen sind. Ich persönlich finde es immer sehr schön, Bücher eines Autors im selben Look nebeneinander ins Regal stellen zu können.

 

Der Roman ist übrigens Bestandteil des kürzlich frisch gegründeten HoCa-Imprints Atlantik Verlag. Das neue Flagschiff kommt mit einem frischen Programm, bestehend aus erzählenden Romanen, Sachbüchern, Anthologien und Geschenkpapier und ergänzt das Programm von Hoffmann & Campe um einige tolle Buchschätze. Im Laderaum brachte der Verlag so manchem Blogger in den vergangenen Wochen tolle Post an Land, bestehend aus einer buchtreuen Stofftasche, dem Bücher-Tagebuch sowie dem aktuellen Frühjahrsprogramm. Ahoi Atlantik Verlag, möge stets guter Wind das Verlagsschiff Richtung Erfolg bringen!

 

Es ist nie zu spät, zu leben!

 

Marie-Sabine Roger schreibt in der Ich-Perspektive und sprach mich sofort mit ihrer schrullig-liebevollen Art, Worte zu Papier zu bringen an. Der Plot wird vom trockenen Humor eines alten Mannes bestimmt, der ein langes Leben gelebt hat, viel erlebt hat und im Laufe der Geschichte sich selbst eingesteht, wie lebenswert sein Leben doch eigentlich war und ist, auch und gerade im Alter. Der 67jährige Protagonist nimmt kein Blatt vor den Mund und schreibt frei von der Seele, wie er seinen Klinikalltag erlebt. Dabei springt er gedanklich in die Vergangenheit, schwelgt er in Anekdoten aus seinem Elternhaus und seiner Jugendzeit, reflektiert auf humorvolle Weise über das eigene Verhalten gegenüber Eltern und Geschwistern. Gewürzt mit einer kräftigen Prise Humor und einigen Gramm Sarkasmus stellt uns Roger einen respektvollen, höflichen alten Herrn vor, der seine Situation und sein Umfeld intensiv beobachtet, kommentiert und dabei auch an sich selbst kein gutes Haar lässt.
 
Diese Art von zwischenmenschlichen Beziehungen ist übrigens ganz erstaunlich. Kein Tag vergeht, ohne dass man mich mit einem Interesse, das nicht geheuchelt wirkt, fragt, ob ich an diesem Morgen schon Darmwinde hatte. Instinktiv weiß ich, dass es unpassend wäre zu antworten: "Ja, danke, und Sie?
Halt! Jeder hat seinen Platz. Der Patient bin ich. - Seite 20
 
Selbstironisch vom grauen Haupthaar bis zum eingegipsten Fuß wettert er über offene Türen, rücksichtslose Jugendliche und Ärzte, die ihn nicht als Menschen sehen, sondern aus einem Stück Fleisch, bestehend aus Eingeweiden, Knochen und zu diagnostizierenden Krankheiten. Und überhaupt, was fällt den Krankenschwestern - die bestimmt nichts unter dem Kittel tragen, aber das habe er noch nicht eruiert - nur ein, hereinzuplatzen, die Türen offen stehen zu lassen und morgens um 6 Uhr die grelle Neonröhre an der Zimmerdecke anzuknipsen. Die heutige Jugend, immer in Eile. Frei nach dem Motto:
 
Technik einwandfrei, Respekt Glückssache, Mitgefühl gegen Aufpreis. - Seite 7
 

Der Freundschaftsaspekt

 

Dieses Buch ist höchst erfrischend zu lesen, eben wie das Tagebuch eines Mannes, der einfach seine Gedanken niederschreibt, wie sie ihm gerade in den Sinn kommen. Pur, direkt und ehrlich. Oft musste ich schmunzeln, nickend beipflichten und das, obwohl ich nun wirklich nicht die Lebenserfahrung von über 60 Jahren aufweisen kann. Ich fühlte mich einfach angesprochen und stellte dabei mit jeder Seite fest, mit welcher Herzensgüte und Wärme die Autorin ihren Charakter darstellte. Dieser Roman ist das intensive Portrait eines Lebens, mit all seinen Höhen und Tiefen.
 
Ich habe es immer komisch gefunden, seine Memoiren zu schreiben. Es hat etwas Peinliches. [...] Bevor man abtritt, bringt man noch schnell auf Hochglanz, was man nur kann, man wischt Staub und kehrt allen Dreck unter den Teppich. - Seite 29
 
Es lässt uns zum einen am bunten Lebensweg zweier Freunde teil haben: Rebellen zwischen kunterbunten Hippies mit Joints im Mundwinkel und einer heroischen Vaterfigur, neben der Jean-Pierre selbst so klein und unscheinbar wirkte. Ein aufregendes Leben, getragen von einem Erzählstil, der bunte Bilder vor den Augen entstehen lässt, ein Schmunzeln auf die Lippen zaubert und immer wieder wahre Lachsalven provoziert. Amüsant, zynisch und gleichzeitig tiefsinnig greift Roger auf ihr breitgefächertes Repertoire an Ideen zu und zeigt mit einfachen, aber wirkungsvollen Worten den Wert einer wahren Freundschaft.
 

Man lebt nur einmal... Carpe diem!

 

Im Kontrast dazu lässt die Autorin tief in die Abgründe des Lebens blicken. Ich möchte dazu nicht zuviel verraten, aber ich musste mich doch ein ums andere Mal nachdenklich zurücklehnen. Dass das Leben kein Zuckerschlecken ist, bekommen wir alle im Laufe unserer Zeit zu spüren. Womit wir bei den ernsten und nachdenklich machenden Facetten dieses Romans wären. »Das Leben ist ein listiger Kater« zeichnet auch das Portrait eines Menschen, der manches bedauert, der in sich geht und merkt, wie ihm das Leben langsam entgleitet, zwischen den Fingern zerrinnt. So erinnert er sich an sein erstes Fahrrad, oder den Geruch von Mutters Putzmitteln. 67 Jahre gehen an einem Menschen nicht spurlos vorüber, das merkt man deutlich an Protagonist Jean-Pierre. Wie gerne er manches anders gemacht hätte, aber auch in vielen Situation genauso wieder genauso handeln würde, beweist die Vielschichtigkeit dieses Charakters.
 
Eine Dummheit, die von Herzen kommt, ist leichter zu verzeihen als ein bequemes Schweigen. Sie ist auch schneller vergessen. - Seite 47
- absolutes Lieblingszitat! -
 
 
Autorin Marie-Sabine Roger hat mit diesem alten Kauz ein real wirkendes Portrait eines Mannes geschaffen, der, gerade weil er Ecken und Kanten hat, so interessant und authentisch ist. Seine schnörkellosen Gedankengänge wusste ich zu jedem Zeitpunkt nachzuvollziehen und mit seiner Ehrlichkeit und ungeschminkten Direktheit konnte er bei mir punkten. Die Autorin wechselt zwischen der gegenwärtigen Situation im Krankenhaus und Jean-Pierres Vergangenheit hin und her, ohne dabei den roten Faden zu durchtrennen. Dabei spricht sie auch gesellschaftlich kritische Themen an, berichtet schonungslos aus dem Alltag eines obdachlosen, schwulen Studenten und berührte damit mein Herz. Gerade diese zart geknüpften Freundschaftsbande zwischen den Generationen, Alt und Jung, macht den Charme dieses Buches aus.
 

Ein Buch, das lange in Erinnerung bleiben wird.

 

Als ich die letzten Worte gelesen hatte und das Buch sanft zuklappen ließ, war dies ein wehmütiger Abschied. Das Ende überraschte mich noch einmal positiv und ließ mich mit einem guten Gefühl im Bauch zurück. Gerne hätte ich noch ein wenig mit Jean-Pierre an der Seine gesessen und über sein Leben philosophiert. Dieser Roman wirkt auch heute, zwei Wochen nach dem Beenden nach und wird mir sicher noch lange im Gedächtnis bleiben. Heute zog mit »Das Labyrinth der Wörter« ein weiteres Buch der Autorin in der Büchernische ein, welches übrigens 2010 mit Gérard Depardieu und Gisèle Casadesus in den Hauptrollen verfilmt wurde. Über diesen Roman habe ich schon viel Gutes gehört. Kennt ihn vielleicht schon jemand von euch, oder habt ihr den Film gesehen?
 
Manchmal verdrücke ich ein Tränchen.
Das ist die Inkontinenz der Erinnerung, das Bettnässen der Gefühle. - Seite 73
 
Mein Fazit: Eine Ode an das Leben, an die Freundschaft! Ein Roman, der auf liebevolle, witzige und leicht sarkastische Weise zeigt, wie lebenswert das Leben sein kann und wie sehr man es in all seinen Aspekten leben sollte, denn man lebt nur einmal. Marie Sabine Roger hat mit farbintensiven, gekonnt platzierten und rhetorisch federleichten Worten das Portrait eines Menschen gemalt, das eindrucksvoller und authentischer nicht sein könnte. Wie das Cover mit seinen Tuschestrichen überzeugt die Autorin mit einem schwungvollem Plot voller literarischer Farbtupfer! 

Lesehighlight 2014 | Kategorie Romane
Prädikat: Lesehighlight der Büchernische
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