„Hunted“ ist in der Benennung der Reihe „The Iron Druid Chronicles“ von Kevin Hearne ein kleiner Hickser. Die Titel der ersten drei Bände enthalten alle den Anfangsbuchstaben „H“ („Hounded“, „Hexed“ und „Hammered“), Band vier und fünf das „T“ („Tricked“ und „Trapped“) und die letzten drei Bände das „S“ („Shattered“, „Staked“ und „Scourged“). Der Symmetrie zuliebe hätte der sechste Band eigentlich ebenfalls einen Titel mit einem „T“ tragen müssen. Tatsächlich sollte er ursprünglich „Tracked“ heißen. Letztendlich entschieden Hearne und sein Verlag jedoch, dass „Hunted“ die inhaltlichen Entwicklungen besser widerspiegelte, da „to track“ eben nicht nur „jemanden verfolgen“ bedeutet, sondern auch „jemanden beobachten/überwachen“. Ein nachvollziehbarer Einwand, denn was in „Hunted“ passiert, ist definitiv keine Überwachung. Es ist eine Jagd.
Atticus, Granuaile und Oberon sind auf der Flucht. Atticus‘ Entscheidung, den Gott Bacchus aus dem Verkehr zu ziehen, kam im griechisch-römischen Pantheon nicht gut an. Jetzt sind ihnen gleich zwei Jagdgöttinnen auf den Fersen: Artemis und Diana. Atticus würde gerne einfach in Tír na nÓg Däumchen drehen, bis sie sich beruhigt haben, aber das ist nicht möglich. Die Portale zur irischen Ebene wurden blockiert. Stinkt nach einer Verschwörung. Ohne die Hilfe der Morrigan, die ihnen einen Vorsprung verschaffte, wären sie niemals entkommen. Sie riet ihm, sich quer über Europa bis zum englischen Windsor Forest durchzuschlagen, das Hoheitsgebiet von Herne dem Jäger. Es ist ihr letztes Geschenk an ihn. Atticus, Granuaile und Oberon nehmen die Beine in die Hand. Doch die wilde Jagd ist nicht ihr einziges Problem. Ragnarök rückt näher. Atticus muss all seine grauen Zellen anstrengen, will er die Griechen und Römer austricksen, bevor Loki das Universum in Brand steckt. Irgendwelche Vorschläge?
Verrückt. Obwohl ich nach der Lektüre des letzten Bandes „Trapped“ bemängelte, dass mich Atticus‘ ständiger Krisentango nervt und ich mir lautstark Abwechslung wünschte, gefiel mir „Hunted“ erstaunlich gut. Trotz des Jagdmotivs. Oder gerade deswegen. Die aufregende Flucht vor den griechisch-römischen Göttinnen der Jagd ist die eine große Baustelle des sechsten Bandes der „Iron Druid Chronicles“. Natürlich ist die drohende Apokalypse in Form von Ragnarök weiterhin präsent – Loki und Hel lassen sich schwer ignorieren – und Atticus vermutet, dass ihm irgendjemand in Tír na nÓg bösgewillt ist, weil niemand unbemerkt die Portale dorthin schließen kann, aber hauptsächlich läuft er um sein Leben. Dadurch wirkte „Hunted“ wesentlich fokussierter als „Trapped“, denn Atticus hat schlicht keine Zeit, die vielen kleineren Brände zu löschen, die er sich im Verlauf der Reihe einbrockte. Artemis und Diana sind furchteinflößende Gegnerinnen, die seine gesamte Aufmerksamkeit und all seine geistige Beweglichkeit einfordern. Im Grunde sind sie unsterblich. Sie sind zwar verwundbar und können vorübergehend besiegt werden, doch kaum ist man sie los, erstehen sie der Mythologie entsprechend schon wieder auf. Ich fühlte mich während der Lektüre oft hoffnungslos und zweifelte mehrfach daran, dass Atticus, Granuaile und Oberon sie überlisten können. Mir unterlief der Fehler, Atticus‘ Intelligenz zu unterschätzen. Durch seine witzigen Sprüche und seine lässige Persönlichkeit vergaß ich, wie clever er ist. Er ist ein Fuchs. Ich wäre niemals darauf gekommen, dass hinter seinem Zwist mit dem griechisch-römischen Pantheon eine größere Verschwörung stecken könnte und war verblüfft, was er sich alles einfallen lässt, um Artemis und Diana kaltzustellen. Er konnte einige der Sympathiepunkte, die er im letzten Band einbüßte, wieder wettmachen. Ein entscheidender Faktor dafür war eine gesteigerte emotionale Verbindlichkeit, die ich als echten Fortschritt empfand. In den letzten Bänden fehlte mir Atticus‘ Bewusstsein für den Schaden, den er (unabsichtlich) anrichtete. In „Hunted“ hatte ich das Gefühl, dass er sich den Konsequenzen seines Handelns erstmals stellt. Das betraf nicht nur Ragnarök, sondern auch seine Beziehung zur Morrigan. Ihr Opfer erschüttert ihn. Natürlich erhält er auf seiner Flucht durch Europa kaum Gelegenheit, sich mit seinen Gefühlen für sie auseinander zu setzen, aber Kevin Hearne vermittelt einen klaren Eindruck dessen, was er empfindet. Das gefiel mir, ebenso wie die überraschenden Kapitel aus Granuailes Ich-Perspektive, die mein positives Bild von ihr bestätigten. Hearne gelang der Stimmenunterschied zwischen ihr und Atticus, er sollte ihn allerdings noch verfeinern. Die ehrlichen Einblicke in das Innenleben der beiden entschädigten mich beinahe für die mittelmäßige Umsetzung der Europareise. Schon klar, die drei müssen rennen, Sightseeing ist nicht drin. Dennoch fand ich die geringe Interaktion mit dem Setting, diese wenig aussagekräftige Abfolge distinktiver Landschaften, schwach. Eine spannende Verfolgungsjagd vor einer leider zu blassen Kulisse.
Es wird ernst in den „Iron Druid Chronicles“. Ich sehe in „Hunted“ den etwas verspäteten Beginn der neuen Handlungslinie, die mir für „Trapped“ versprochen wurde. Die Situation gewann für Atticus, Granuaile und Oberon an Dringlichkeit, die Phase des Versteckens und Herumalberns ist vorbei. Ich spürte jetzt den Zeitsprung von 12 Jahren, der sich bereits im Vorgänger hätte bemerkbar machen müssen. Die Flucht vor den Jagdgöttinnen weckt Atticus unsanft auf. Er kriegt endlich seinen Hintern hoch, bereitet sich auf Ragnarök vor und schließt zum Wohle des Universums ungewöhnliche Allianzen. Zeit wurde es. Ich verzeihe Kevin Hearne die Verzögerung, einerseits aus Sympathie, andererseits aus dem festen Glauben heraus, dass er Atticus nun auf den rechten Weg führt und ihn mal was richtig machen lässt. Zu lange betrieb er lediglich Schadensbegrenzung. Er muss ein echter Held werden. Leicht wird das nicht. Aber wann war die Rettung des Universums jemals leicht?