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review 2019-03-19 09:28
Die Krux mit der Ich-Perspektive
The Sacred Lies of Minnow Bly - Stephanie Oakes

Stephanie Oakes‘ Debütroman „The Sacred Lies of Minnow Bly“ nahm einige Umwege, bis er veröffentlicht wurde. Während ihres Studiums sollte sie Gedichte zu einem Thema ihrer Wahl schreiben. Sie entschied sich für Märchen und stieß bei ihren Recherchen auf „Das Mädchen ohne Hände“. Die grausame Erzählung inspirierte sie, eine Märchenadaption zu schreiben. Zuerst konzipierte sie eine dystopische Version, die von Agent_innen und Verlagen allerdings abgelehnt wurde. Sie musste einsehen, dass ihre Geschichte nicht funktionierte. Die Rahmenbedingungen stimmten nicht: „The Sacred Lies of Minnow Bly“ verlangte nach einem realistischen Setting. Sie schrieb das gesamte Manuskript neu. Ihre Protagonistin Minnow, die Maid ohne Hände, wurde das Opfer einer Sekte im modernen Montana und das Buch endlich akzeptiert. Bei mir landete der Roman, weil mich die psychologischen Aspekte von Sekten interessieren.

 

Das Gefängnis macht der 17-jährigen Minnow Bly keine Angst. Angst machen ihr nur die dunklen Visionen ihrer Vergangenheit, besonders diejenigen dieser letzten Nacht. Der Nacht, in der ihr Heim niederbrannte.
Minnow lebte 12 Jahre in einer Sekte. Die Community war ihr Zuhause und alles, was sie kannte. Sie glaubte an die Worte des Propheten Kevin, an seine Erklärungen, an seine Weisheit und an seine strengen Regeln. Bis sie zu zweifeln begann und ihm nicht mehr glaubte. Als sie sich verliebte, erfuhr sie am eigenen Leib, wozu Kevin fähig war – und wozu sie selbst fähig ist. Minnow möchte am liebsten vergessen. Das Feuer. Die Toten. Doch sie muss sich ihren Erinnerungen stellen. Denn um eines Tages in Freiheit leben zu können, muss sie zuerst ihren Geist befreien.

 

Ich bin etwas zwiegespalten. „The Sacred Lies of Minnow Bly” ist ein spannender, eindringlicher Young Adult – Thriller, der mich fesselte und einige tiefgründige Themen anspricht, wie Identität, Glaube und freier Wille. Ich fand ihn gut. Aber ich glaube, er hätte noch besser sein können, hätte Stephanie Oakes auf Minnows Ich-Perspektive verzichtet.
Eingangs ist diese Wahl nicht hinderlich. Im Gegenteil. Durch Minnows Augen begreifen die Leser_innen schnell, dass sie sich in einer prekären Lage befindet. Sie hat etwas Schlimmes getan und ist vor etwas noch Schlimmerem davongelaufen. Außerdem offenbart sich bereits auf der ersten Seite Minnows auffälligstes äußerliches Merkmal: ihr wurden beide Hände amputiert. Sie landet in einer Vollzugsanstalt für jugendliche Straftäterinnen. Dort, im Gefängnis, beginnt ihre eigentliche Geschichte, die sie Stück für Stück in Rückblenden aufdröselt. Dadurch entsteht graduell ein bestürzendes Bild des subtilen Horrors der Community. Das Leben der Sektenmitglieder wurde allein vom selbsternannten Propheten Kevin bestimmt; sein Wort war Gesetz. Er befahl ein striktes Patriarchat, Polygamie und einschneidende Regeln, deren Übertretung heftige physische Strafen nach sich zog. Wie in Sekten üblich herrschte Kevin mit Zuckerbrot und Peitsche. Ich hätte jedoch gern erfahren, wie er seine Anhänger_innen ursprünglich von seinen Visionen überzeugen konnte und wie sich die Anfänge der Community gestalteten, denn Minnow erwähnt, dass sadistische Maßregelungen erst später Normalität wurden. Ich hatte mir eine fundierte psychologische Schilderung der komplexen emotionalen Vorgänge in einer Sekte erhofft – doch aus Minnows Ich-Perspektive war das nicht möglich, weil ihr diese nicht bewusst sind. Ich denke darüber hinaus, dass Stephanie Oakes Minnow übertrieben unabhängig charakterisierte, um ihren Leser_innen die Bindung zu erleichtern. Minnows frühe, intuitive Ablehnung der Glaubensgrundsätze der Community erschien mir unwahrscheinlich. Schwer vorstellbar, dass sie sich nach einer Indoktrinierung seit frühester Kindheit als einzige gegen Kevins Gehirnwäsche wehren konnte. Ein realistisches psychologisches Profil hätte allerdings Denk- und Verhaltensmuster involviert, die für die junge Zielgruppe des Romans kaum nachzuvollziehen gewesen wären. Deshalb entschied Oakes vermutlich auch, Minnows persönliche Entwicklung im Gefängnis im Zeitraffer zu zeigen. „The Sacred Lies of Minnow Bly“ umspannt etwa ein Jahr – ihr Aufarbeitungsprozess ist demzufolge verkürzt und klammert frustrierende Rückschläge weitgehend aus. Trotz der Vorteile des Settings, das Minnow mit begrenzten, kontrollierten Reizen konfrontiert, und kleinerer Rebellionen fügt sie sich zu nahtlos in ihr Schicksal. Meiner Meinung nach konnte Stephanie Oakes aus Minnows Innenperspektive das Potential ihrer Geschichte nicht völlig ausschöpfen, weil eine realitätsnahe Darstellung ihres emotionalen und psychologischen Zustandes das Mitgefühl ihrer Leser_innen behindert hätte. Minnow sollte eine Heldin sein, kein seelisches Wrack voller hässlicher Abgründe. Hätte Oakes hingegen eine auktoriale Erzählsituation gewählt, hätte sie Minnows Empfindungen durch äußere Faktoren relativieren können. Das hätte selbstverständlich mehr schriftstellerischen Aufwand bedeutet, doch ich bin überzeugt, dass sich dieser gelohnt hätte. Aus einem guten Buch hätte ein großartiges Buch werden können.

 

Ich kann jede Entscheidung, die Stephanie Oakes während des Schreibprozesses von „The Sacred Lies of Minnow Bly“ traf, nachvollziehen. Das Young Adult – Genre unterliegt nun einmal gewissen Beschränkungen, die die Autorin berücksichtigen musste. Sympathie für die Figuren ist obligatorisch. Ich verstehe, dass sie dieser keinesfalls im Weg stehen wollte. Ich zolle ihr Achtung dafür, dass sie das heikle Thema des Buches für ihre junge Leserschaft verdaulich gestaltete und sich an einer Märchenadaption in einem realistischen Rahmen versuchte. Daher bin ich von diesem Thriller nicht enttäuscht, obwohl meine Erwartungen nicht gänzlich erfüllt wurden. Ich hätte die Geschichte eben einfach anders aufgezogen. Aber ich bin ja auch nur die Leserin, nicht die Autorin.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/03/19/stephanie-oakes-the-sacred-lies-of-minnow-bly
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review 2019-03-06 09:09
Lauf, Atticus, lauf!
Hunted - Kevin Hearne

„Hunted“ ist in der Benennung der Reihe „The Iron Druid Chronicles“ von Kevin Hearne ein kleiner Hickser. Die Titel der ersten drei Bände enthalten alle den Anfangsbuchstaben „H“ („Hounded“, „Hexed“ und „Hammered“), Band vier und fünf das „T“ („Tricked“ und „Trapped“) und die letzten drei Bände das „S“ („Shattered“, Staked und „Scourged“). Der Symmetrie zuliebe hätte der sechste Band eigentlich ebenfalls einen Titel mit einem „T“ tragen müssen. Tatsächlich sollte er ursprünglich „Tracked“ heißen. Letztendlich entschieden Hearne und sein Verlag jedoch, dass „Hunted“ die inhaltlichen Entwicklungen besser widerspiegelte, da „to track“ eben nicht nur „jemanden verfolgen“ bedeutet, sondern auch „jemanden beobachten/überwachen“. Ein nachvollziehbarer Einwand, denn was in „Hunted“ passiert, ist definitiv keine Überwachung. Es ist eine Jagd.

 

Atticus, Granuaile und Oberon sind auf der Flucht. Atticus‘ Entscheidung, den Gott Bacchus aus dem Verkehr zu ziehen, kam im griechisch-römischen Pantheon nicht gut an. Jetzt sind ihnen gleich zwei Jagdgöttinnen auf den Fersen: Artemis und Diana. Atticus würde gerne einfach in Tír na nÓg Däumchen drehen, bis sie sich beruhigt haben, aber das ist nicht möglich. Die Portale zur irischen Ebene wurden blockiert. Stinkt nach einer Verschwörung. Ohne die Hilfe der Morrigan, die ihnen einen Vorsprung verschaffte, wären sie niemals entkommen. Sie riet ihm, sich quer über Europa bis zum englischen Windsor Forest durchzuschlagen, das Hoheitsgebiet von Herne dem Jäger. Es ist ihr letztes Geschenk an ihn. Atticus, Granuaile und Oberon nehmen die Beine in die Hand. Doch die wilde Jagd ist nicht ihr einziges Problem. Ragnarök rückt näher. Atticus muss all seine grauen Zellen anstrengen, will er die Griechen und Römer austricksen, bevor Loki das Universum in Brand steckt. Irgendwelche Vorschläge?

 

Verrückt. Obwohl ich nach der Lektüre des letzten Bandes „Trapped“ bemängelte, dass mich Atticus‘ ständiger Krisentango nervt und ich mir lautstark Abwechslung wünschte, gefiel mir „Hunted“ erstaunlich gut. Trotz des Jagdmotivs. Oder gerade deswegen. Die aufregende Flucht vor den griechisch-römischen Göttinnen der Jagd ist die eine große Baustelle des sechsten Bandes der „Iron Druid Chronicles“. Natürlich ist die drohende Apokalypse in Form von Ragnarök weiterhin präsent – Loki und Hel lassen sich schwer ignorieren – und Atticus vermutet, dass ihm irgendjemand in Tír na nÓg bösgewillt ist, weil niemand unbemerkt die Portale dorthin schließen kann, aber hauptsächlich läuft er um sein Leben. Dadurch wirkte „Hunted“ wesentlich fokussierter als „Trapped“, denn Atticus hat schlicht keine Zeit, die vielen kleineren Brände zu löschen, die er sich im Verlauf der Reihe einbrockte. Artemis und Diana sind furchteinflößende Gegnerinnen, die seine gesamte Aufmerksamkeit und all seine geistige Beweglichkeit einfordern. Im Grunde sind sie unsterblich. Sie sind zwar verwundbar und können vorübergehend besiegt werden, doch kaum ist man sie los, erstehen sie der Mythologie entsprechend schon wieder auf. Ich fühlte mich während der Lektüre oft hoffnungslos und zweifelte mehrfach daran, dass Atticus, Granuaile und Oberon sie überlisten können. Mir unterlief der Fehler, Atticus‘ Intelligenz zu unterschätzen. Durch seine witzigen Sprüche und seine lässige Persönlichkeit vergaß ich, wie clever er ist. Er ist ein Fuchs. Ich wäre niemals darauf gekommen, dass hinter seinem Zwist mit dem griechisch-römischen Pantheon eine größere Verschwörung stecken könnte und war verblüfft, was er sich alles einfallen lässt, um Artemis und Diana kaltzustellen. Er konnte einige der Sympathiepunkte, die er im letzten Band einbüßte, wieder wettmachen. Ein entscheidender Faktor dafür war eine gesteigerte emotionale Verbindlichkeit, die ich als echten Fortschritt empfand. In den letzten Bänden fehlte mir Atticus‘ Bewusstsein für den Schaden, den er (unabsichtlich) anrichtete. In „Hunted“ hatte ich das Gefühl, dass er sich den Konsequenzen seines Handelns erstmals stellt. Das betraf nicht nur Ragnarök, sondern auch seine Beziehung zur Morrigan. Ihr Opfer erschüttert ihn. Natürlich erhält er auf seiner Flucht durch Europa kaum Gelegenheit, sich mit seinen Gefühlen für sie auseinander zu setzen, aber Kevin Hearne vermittelt einen klaren Eindruck dessen, was er empfindet. Das gefiel mir, ebenso wie die überraschenden Kapitel aus Granuailes Ich-Perspektive, die mein positives Bild von ihr bestätigten. Hearne gelang der Stimmenunterschied zwischen ihr und Atticus, er sollte ihn allerdings noch verfeinern. Die ehrlichen Einblicke in das Innenleben der beiden entschädigten mich beinahe für die mittelmäßige Umsetzung der Europareise. Schon klar, die drei müssen rennen, Sightseeing ist nicht drin. Dennoch fand ich die geringe Interaktion mit dem Setting, diese wenig aussagekräftige Abfolge distinktiver Landschaften, schwach. Eine spannende Verfolgungsjagd vor einer leider zu blassen Kulisse.

 

Es wird ernst in den „Iron Druid Chronicles“. Ich sehe in „Hunted“ den etwas verspäteten Beginn der neuen Handlungslinie, die mir für „Trapped“ versprochen wurde. Die Situation gewann für Atticus, Granuaile und Oberon an Dringlichkeit, die Phase des Versteckens und Herumalberns ist vorbei. Ich spürte jetzt den Zeitsprung von 12 Jahren, der sich bereits im Vorgänger hätte bemerkbar machen müssen. Die Flucht vor den Jagdgöttinnen weckt Atticus unsanft auf. Er kriegt endlich seinen Hintern hoch, bereitet sich auf Ragnarök vor und schließt zum Wohle des Universums ungewöhnliche Allianzen. Zeit wurde es. Ich verzeihe Kevin Hearne die Verzögerung, einerseits aus Sympathie, andererseits aus dem festen Glauben heraus, dass er Atticus nun auf den rechten Weg führt und ihn mal was richtig machen lässt. Zu lange betrieb er lediglich Schadensbegrenzung. Er muss ein echter Held werden. Leicht wird das nicht. Aber wann war die Rettung des Universums jemals leicht?

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/03/06/kevin-hearne-hunted
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review 2018-12-25 09:00
Henry N. Brown öffnete mein Herz für Weihnachten
Das weihnachtswunder des Henry N. Brown - Anne Helene Bubenzer

Bereits als Kind waren Kuscheltiere für mich sehr wichtig. Ich sammelte sie. Ich liebte sie. Und natürlich kannte ich jeden einzelnen Namen auswendig. Aber es gab immer DAS eine Kuschel, das ich mehr als alle anderen liebte. Seit meinem achten Lebensjahr ist das eine Bärendame namens Dickie. Das Dickchen. Ich rettete sie vor einem würdelosen Ende auf dem Müll, als mein Grundschul-Klassenzimmer ausgemistet wurde. Ihr Fell ist eher kurz, trotzdem ganz weich und hat diese seltsame beige Farbe. Sie ist älter als ich. Ich weiß nicht, woher sie kam und was sie schon alles erlebte, doch seit diesem denkwürdigen Tag sind wir unzertrennlich. Wir reisten, spielten, weinten und lachten zusammen. Als ich älter wurde, begleitete sie mich klaglos ins Leben einer Erwachsenen. Bis heute schlafe ich besser, wenn sie bei mir ist. Mein Ehemann berichtet, dass ich im Schlaf sogar zufriedene Geräusche von mir gebe, wenn er sie mir in den Arm legt und wir manchmal in exakt derselben Position daliegen. Ziemlich verrückt?

 

Auch nicht verrückter, als einen ganzen Roman über die Weltgeschichte aus der Perspektive eines Teddybären zu schreiben, wie Anne Helene Bubenzer es mit „Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown“ getan hat.  Das N. steht für „Nearly“, weil Henry eben nur fast braun ist. Wie Dickie. Für diese Rezension ist es entscheidend, dass ihr versteht, wie abgöttisch ich das Buch ihretwegen liebe, deshalb erzähle ich euch von ihr. Die Lektüre fühlte sich an, als hätte Bubenzer direkt in mein Herz geschaut und die Geschichte aufgeschrieben, die ich mir so dringend für Dickie wünschte. Das bedeutet mir mehr, als ich ausdrücken kann. Einige Jahre nach Henrys Biografie erschien „Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“, eine schmale, lockere Fortsetzung, die ich 2018 endlich passend zur Weihnachtszeit las.

In seinem 91-jährigen Teddybärenleben durfte Henry N. Brown bereits eine Menge Erfahrungen sammeln: er bereiste die Welt, erlebte Liebe und Verlust, sah Kriege entflammen und den Frieden siegen. Er kann zweifellos behaupten, mit allen Wassern gewaschen zu sein. Seinen Ruhestand als stiller Mitbewohner der Schriftstellerin Flora Sommer verdiente er sich redlich. Doch dieses Weihnachtsfest weckt erneut die Lebensgeister des alten Bären. Alle sorgfältigen Pläne, die Flora und Henry für einen ruhigen Heiligabend schmiedeten, werden vom Chaos unerwarteter Familienbesuche und uneingeladener Gäste über den Haufen geworfen. Die beiden haben alle Hände und Pfoten voll zu tun, um das Tohuwabohu unter Kontrolle zu halten, aber der Magie von Weihnachten kann niemand entfliehen. Trotz vieler Überraschungen wird es am Ende das schönste Fest, das sich Flora und Henry wünschen konnten.

 

„Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“ lag lange auf meinem SuB. Weihnachten kam und ging Jahr für Jahr, ohne dass ich mich überwinden konnte, das Buch hervorzuholen. Ich denke, ich fürchtete mich ein bisschen davor, dass es mich enttäuschen könnte, weil mir „Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown“ so viel bedeutet. Meine Sorgen waren unbegründet. Sie wurden im Handumdrehen entkräftet, möglicherweise bereits mit dem ersten Satz, denn meine Liebe zu Henry entbrannte sofort wieder mit alter Kraft. „Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“ ist eine wundervolle Ergänzung seiner Biografie, eine Ergänzung, die er verdiente und die ihm gerecht wird. Meiner Meinung nach ist diese Weihnachtsgeschichte ein Geschenk, das Anne Helene Bubenzer nicht für ihre Leser_innen schrieb, sondern für ihren ungewöhnlichen Protagonisten persönlich. Es ist Bubenzers Geschenk an Henry. Wer könnte das Fest der Liebe intensiver und ehrlicher erleben als ein Teddy, dessen Lebenssinn immer die Liebe selbst war?

 

Aus seiner einzigartigen Perspektive und mit der ihm eigenen, beruhigenden Stimme erzählt er die Geschichte eines überraschenden, turbulenten Heiligabends, der genau deshalb wunderschön ist, weil nichts nach Plan läuft. Untermalt von seinen nachdenklichen, herzlichen Überlegungen zu Familie, Freundschaft, Zeit und seinen verträumten Erinnerungen an vergangene Tage schildert er, wie befreiend es für Flora und ihre unverhofften Gäste ist, ein Weihnachten zu feiern, das allen Erwartungen trotzt. Anfangs empfinden sie das aufgezwungene Chaos als negativ, doch je weiter der Abend voranschreitet, desto besser arrangieren sie sich mit der Situation und genießen einfach das friedliche, liebevolle Beisammensein ihrer Familie. Sie überwinden das Korsett aus Erwartungen, das an Weihnachten oft besonders eng geschnürt ist und erfahren eine versöhnliche Harmonie, der sie selbst jahrelang im Weg standen, ohne es zu merken.

 

Henry trägt natürlich diskret, aber essentiell dazu bei, denn als Teddy erinnert er alle Anwesenden an ihre Kindheit und bringt aufrichtige, tiefe Gefühle zum Vorschein. Auch in mir als Leserin berührte er etwas. Ich lächelte während der Lektüre unentwegt und wurde ganz weich. Ich spürte, wie sich in meinem Inneren etwas löste und hätte vor Rührung einige Male beinahe geweint. Vielleicht habe ich an der einen oder anderen Stelle sogar ein Tränchen vergossen. „Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“ ist schlicht bezaubernd; es ist eine zärtliche, warme Geschichte wie sanfter Kerzenschein, die ich fest in meinem Herzen einschließe und in den kommenden Jahren sicherlich immer wieder lesen werde. Anne Helene Bubenzer gelang etwas, was mir als Erwachsene schwerer und schwerer fällt: sie versetzte mich in Weihnachtsstimmung.

 

Nach der Lektüre dieses herrlichen Weihnachtsbuches hatte ich das Bedürfnis, mich bei meiner eigenen Teddybärendame für alles, was sie jemals für mich getan hat, zu bedanken. Bevor ihr fragt, ja, ich bin diesem Bedürfnis nachgekommen. Ich hoffe, dass ich für sie das Happy End darstelle, das Henry in „Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“ geschenkt wird, denn für ihn erfüllt sich ein Wunsch, von dem er gar nicht wusste, dass er ihn hatte. Vielleicht darf ich ihn eines Tages noch einmal wiedertreffen. Ich lausche ihm einfach so gern und sonne mich in seiner liebenswürdigen, sanftmütigen Ausstrahlung. Er erinnert mich an die Macht der Liebe und lässt mich an Wunder glauben. Er streichelt das Kind in mir. Danke Henry, danke Anne Helene Bubenzer für dieses magische Leseerlebnis, das mein Herz für Weihnachten öffnete.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/12/25/anne-helene-bubenzer-das-weihnachtswunder-des-henry-n-brown
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review 2018-11-20 10:39
Ein Buch wie der alte, bequeme Lieblingspulli
Ruin - John Gwynne

Mithilfe seiner Verbündeten gelang es Corban, seine Schwester Cywen aus den Fängen seiner Feinde zu befreien. Doch ihre schaurigen Pläne konnte er nicht durchkreuzen. Der Kessel befindet sich in Calidus‘ Besitz. Er entließ die grässlichen Kadoshim in die irdische Welt, die nun Angst und Schrecken säen und Corbans Rebellengruppe jagen. Diese ist jedoch längst nicht mehr wehrlos. Vom Krieg in die Verzweiflung getrieben schließen sich ihnen immer mehr Menschen an. Sie erringen Sieg um Sieg gegen die ambitionierte Königin Rhin, die mit Nathairs Beistand mehrere Reiche besetzt, darunter auch Ardan. Corban muss eine Entscheidung treffen: er könnte Meicals Rat folgen und seine Anhänger_innen nach Drassil führen, in die legendäre Stadt im Herzen des Waldes Forn, in der sich die Prophezeiung erfüllen soll – oder in seine Heimat reiten, um Edana zu unterstützen, ihren Thron zurückzuerobern. Edanas Widerstandsbewegung setzt Rhin schwer zu, die durch Nathairs und Calidus‘ Forderung, die Sieben Schätze ausfindig zu machen, abgelenkt ist. Corban empfindet es als seine Pflicht, an Edanas Seite zu stehen, aber er weiß auch, dass mehr von ihm abhängt als die Zukunft Ardans. Kann er es verantworten, seinen Lehnseid über das Schicksal der Verbannten Lande und all der Menschen, die an ihn glauben, zu stellen?

 

Im Gegensatz zu meiner Erfahrung nach der Lektüre von „Valour“ habe ich am Ende von „Ruin“ nicht gegrinst. Ich habe geheult wie ein Schlosshund. Die letzten Seiten des dritten Bandes der High Fantasy – Reihe „The Faithful and the Fallen“ münden in einen dramatischen Cliffhanger, der mich völlig zerstörte. Ich musste sofort mit dem vierten Band beginnen, sonst hätte ich mich nicht beruhigen können. Nun gibt es Leser_innen, die es nicht mögen, wenn sie ein Buch zum Weinen bringt. Ich hingegen feiere diese emotionale Intensität. John Gwynnes Epos wird besser und besser – nicht trotz, sondern gerade durch die moderate Originalität. Ich habe lange darüber nachgedacht, warum es mich so gar nicht stört, dass Gwynne genretypische Motive verarbeitet und die Geschichte daher vorhersehbar ist. Es scheint paradox, aber ich glaube, ich fühle mich mit „The Faithful und the Fallen“ pudelwohl, eben weil ich die grundlegende Struktur kenne. Die Lektüre fühlt sich an wie nach Hause kommen, wie das Hineinschlüpfen in den alten, bequemen Lieblingspulli. Ich habe eine grobe Vorstellung davon, was inhaltlich geschehen wird, also kann ich auskosten, wie es geschieht, Überraschungen wertschätzen und mich voll auf die wunderbaren Figuren konzentrieren, über die ich bereits ausschweifend schwärmte. Ich möchte niemanden langweilen und mich wiederholen, aber ich möchte betonen, wie geschickt John Gwynne Perspektivwechsel einsetzt. Jeder Band von „The Faithful and the Fallen“ enthält neue, weise gewählte Charakterperspektiven, die sowohl der Geschichte als auch den Leser_innen einen echten Mehrwert bieten, weil sie die Gesamtheit des Konflikts zwischen Gut und Böse abbilden. Dadurch entsteht ein umfassender Eindruck der beteiligten Akteure und ihrer Motivationen. Diese facettenreiche Herangehensweise funktioniert allerdings nur, weil Gwynne keine Angst hat, Figuren sterben zu lassen. Als Leserin ist das natürlich manchmal schwierig, besonders, wenn es Charaktere trifft, mit denen ich viel Zeit verbrachte, aber ich erkenne, dass es notwendig ist und die emotionale Bindung stärkt. Um meine Lieblinge bangte ich mit vollem Einsatz. Es hilft, dass Gwynne Tode niemals kaltherzig inszeniert und ausschließlich dann einsetzt, wenn es unvermeidlich ist. Er nimmt niemanden zugunsten des Effekts klinisch aus der Geschichte. Ich denke, er trauert jedes Mal ebenso wie ich – wie könnte er auch nicht, bei diesen einnehmenden Persönlichkeiten? Einer der bewegendsten Momente in „Ruin“ war eine Szene, in der die Rebellen Corban die Treue schwören. Ich musste etwas weinen. Es gefällt mir außerordentlich, dass ein Eid in den Verbannten Landen niemals einseitig ist. Beide Parteien verpflichten sich. Die Verbundenheit, die in Bans Truppe herrscht, ist für mich nachvollziehbar, weil sie alle Menschen sind, die der Krieg zwischen Elyon und Asroth persönlich betrifft, da sie alle Verluste erlitten. Sie erleben eine gemeinsame emotionale Erfahrung, was eine gute Voraussetzung für unerschütterlichen Zusammenhalt ist. In Ban fanden sie eine inspirierende Führungsperson, mit der sie sich identifizieren können. Er teilt ihren Schmerz, ihren Rachedurst und ihre Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Durch ihren Glauben an ihn wuchs er in die Rolle des Leuchtenden Sterns hinein und kann sich mittlerweile als prophetischer Held akzeptieren. Er ist die Personifizierung aller Stärken der Menschheit: Rechtschaffenheit, Loyalität, Ehrlichkeit. Er verhält sich wie ein Held und weckt das Gute in seinen Anhänger_innen, daher ist es leicht, in ihm eine Person zu sehen, der es sich zu folgen lohnt und deshalb glaube auch ich an ihn. Corban wird die Verbannten Lande retten, davon bin ich fest überzeugt.

 

Mein Lesespaß mit „Ruin“ war unbeschreiblich hoch. Ich liebe das Buch und ich liebe „The Faithful and the Fallen“, obwohl es sich nicht um die ausgeklügeltste oder originellste Reihe der High Fantasy handelt. Ich befinde mich voll im Bann der Figuren und genieße das wohlig warme Gefühl, in perfektem Einklang mit der Geschichte und der Intention des Autors zu schwingen. Es betrübt mich ein wenig, dass ich nicht allen Handlungssträngen die gleiche Beachtung schenken kann. Es gibt so viele Charaktere, die Aufmerksamkeit verdienen und so viele Fragen, die nach Antworten verlangen, dass ich sofort mit dem vierten und finalen Band „Wrath“ beginnen musste. Ich lese Reihen selten hintereinander weg, aber in diesem Fall wollte ich eine Ausnahme machen, weil die Erfahrung einfach so schön ist. Es ist mir egal, dass John Gwynne die High Fantasy nicht revolutioniert. Mich macht er glücklich und mehr erwarte ich von einem Autor nicht.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/11/20/john-gwynne-ruin
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review SPOILER ALERT! 2018-11-01 01:49
Aus Doktor Klimkes Perspektive von Hakan Nesser
Aus Doktor Klimkes Perspektive - Håkan Nesser,Christel Hildebrandt

Dies ist eine Sammlung von 6 Kurzgeschichten, die sich mehr oder weniger alle um Sein und Schein drehen, um Realität vs Illusion, um  Wunschvorstellungen und Abgründe. Dass Nessers Geschichten von kranken Seelen bewohnt werden, sollte kein Geheimnis mehr sein...

 

Da ist der Autor, der in Venedig die Inspiration für sein neues Buch sucht; ein junger Mann, der eine Nachricht zu übermitteln hat; der Fall eines bei der Schulabschlussfeier verschwundenen Mädchens; ein Mädchen, das seine Mutter umbringen will, weil die ihr keinen Hund schenkt; ein Lehrer, der die Klassenarbeit einer toten Schülerin beurteilt; und zuletzt ein Geschichtsprofessor, der beschließt, den Liebhaber seiner Frau zu beseitigen.

 

Insgesamt durchaus spannend und lesenswert.

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