german and english review
Netgalley ebook
warning: this review is written in my angry voice
Inhalt: Wie viel ein schwarzes Leben zählt. Black Lives Matter ist die neue große Bürgerrechtsbewegung in Amerika. Als im Sommer 2013 der Feuerwehrmann George Zimmerman freigesprochen wurde, der den 17-jährigen schwarzen Schüler Trayvon Martin erschossen hatte, entstand unter dem Hashtag #BlackLivesMatter die neue Bürgerrechtsbewegung. Jetzt erzählt die Mitbegründerin ihre Geschichte.
In diesem Buch erzählt Patrisse Khan-Cullors von einer Kindheit in Angst und Armut. Und sie schildert auf bewegende Weise, wie sie sich dank Literatur und Kunst aus der Hoffnungslosigkeit befreien konnte und welche Verpflichtungen zu einem Engagement für Freiheit und Gerechtigkeit daraus erwachsen sind – in einem Amerika, dessen Minderheiten immer stärker unter Druck geraten.
Je lauter diese neue Bürgerrechtsbewegung ihre Rechte einfordert, desto kritischer wird sie betrachtet. Im Jahr 2016 bezeichnen Politiker und konservative Medien die Mitglieder von Black Lives Matter erstmals als Terroristen. Genauso wie Angela Davis vor 50 Jahren von Präsident Nixon genannt wurde. Aber sie sind keine Terroristen, sie sind Überlebende, wie die Künstlerin und Aktivistin Patrisse Khan-Cullors in ihrem Buch schreibt.
Wie viele Schwarze in den USA blickt sie auf eine Familiengeschichte zurück, die von Demütigungen und Ausweglosigkeit geprägt ist. Sie wächst während der Reagan-Jahre in einem Getto von Los Angeles auf – immer wieder stürmen Polizisten die Wohnung und suchen nach Drogen und Verdächtigen, während sie und ihre Geschwister stocksteif vor Angst auf dem Sofa sitzen. Im Alter von zwölf Jahren wird sie zum ersten Mal festgenommen und ins Gefängnis gebracht.
Meine Bewertung: Das Buch MUSS man einfach lesen!!!
Ich finde, dass ist eins der Bücher, die man gelesen haben sollte. Als jemand der wirklich hinter der #BlackLivesMatter Bewegung steht und wirklich versucht um sie auf unterschiedliche Arten zu unterstützen ist es nur noch eine weitere Erinnerung, warum die Bewegung so verdammt wichtig ist und warum sie so viel Unterstützung von uns bekommen sollte.
Das Buch empfehle ich auch denen, die den #BlackLivesMatter Hashtag mit #AllLivesMatter kontern, weil ja alle Menschen gleich sind und blah blah blah...lest dieses Buch und sagt mir, dass ihr findet, dass es wirklich Gerecht in der Welt zu geht. In diesem Buch werden Situationen beschrieben, in denen wir uns als Weiße NIEMALS sehen werden, in die wir uns nie reinversetzen können weil sie für uns keine Gefahr darstellen. Diese Erfahrungen müssen wir uns anhören oder durchlesen, ohne am Ende mit einem "Aber" zu kontern. Einfach Klappe halten, zu hören, darüber nachdenken und helfen die Welt ein bisschen besser zu machen.
Das Buch hat in mir alle möglichen Gefühle geweckt, da war Freude, da war Leid, Herzschmerz, Frust...und einfach so viel Wut, weil wir in einer Welt leben in der so viele solcher Dinge passieren und es immer noch Leute gibt, die behaupten es wäre alles besser geworden und inzwischen werden alle gleichbehandelt und jeder hat die gleichen Möglichkeiten. SHUT UP, ich wünschte so würde die wirkliche Welt funktionieren, aber das tut sie nicht!!!
***
Summary: A poetic and powerful memoir about what it means to be a Black woman in America—and the co-founding of a movement that demands justice for all in the land of the free.
Raised by a single mother in an impoverished neighborhood in Los Angeles, Patrisse Khan-Cullors experienced firsthand the prejudice and persecution Black Americans endure at the hands of law enforcement. For Patrisse, the most vulnerable people in the country are Black people. Deliberately and ruthlessly targeted by a criminal justice system serving a white privilege agenda, Black people are subjected to unjustifiable racial profiling and police brutality. In 2013, when Trayvon Martin’s killer went free, Patrisse’s outrage led her to co-found Black Lives Matter with Alicia Garza and Opal Tometi.
Condemned as terrorists and as a threat to America, these loving women founded a hashtag that birthed the movement to demand accountability from the authorities who continually turn a blind eye to the injustices inflicted upon people of Black and Brown skin.
Championing human rights in the face of violent racism, Patrisse is a survivor. She transformed her personal pain into political power, giving voice to a people suffering in equality and a movement fueled by her strength and love to tell the country—and the world—that Black Lives Matter.
When They Call You a Terrorist is Patrisse Khan-Cullors and asha bandele’s reflection on humanity. It is an empowering account of survival, strength and resilience and a call to action to change the culture that declares innocent Black life expendable.
My review: This book is a must read!!!
I truly think that this is one of those books that you just have to read. As someone who supports the #BlackLivesMatter movement and looks for all the ways to support them, this book is just such a reminder why this movement is so damn important and why it needs all the support.
This book is also something that people should read that just can't help themselve to answer the #BlackLivesMatter Hastag with #AllLivesMatter, since everyone is equal and blah blah blah...read this book and tell me that you truly think that the world is fair. There are situations described in this book that we as white people NEVER gonna experience, that we can never relate to cause they aren't a threat to us. Those experiences we have to listen to or read about, without retorting with a "but". Just shut up, listen, think about it, and find ways to help change the way the world works for the better.
This book gave me all the feels, there was joy, there was pain, heartbreak, frustration...and just so much anger cause we live in a world where all this shit is happening and people still talking about how much things have changed and how every person is equal and that everyone has the same opportunities. SHUT UP, I wish this was how the real world works, but it doesn't!!!
Hallo meine Lieben!
Der Mai war wieder geprägt von vielen Büchern und großartigen Autorinnen, aber auch von einigen Enttäuschungen. 5 Bücher von Schriftstellerinnen konnte ich in diesem Monat lesen und rezensieren bei einem Buch fehlt noch die Review.
Meine Wunschliste und der grobe Leseplan das meiste von meinem SUB
6.) Lilian Faschinger: Die neue Scheherazade ⭐️⭐️,5 Sterne (29.5.2020)
5.) Delphine de Vigan: Nach einer wahren Geschichte ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️(18.05.2020)
4.) Birgit Vanderbeke: Muschelessen ⭐️⭐️⭐️⭐️,5 Sterne (11.03.2020)
3.) Yazmin Reza: Glücklich die Glücklichen ⭐️⭐️ Sterne (08.03.2020)
2.) Amelie Nothomb: Der japanische Verlobte ⭐️⭐️⭐️,5 Sterne (25.2.2020)
1.) Natascha Kampusch: 3096 Tage ⭐️⭐️⭐️⭐️ (09.01.2020)
Lust oder die Liebhaberinnen, Elfriede Jelinek
Lady Orakel, Margaret Atwood
Vernon Subutex 3, Virgenie Despentes
Zehn, Franka Potente
Landgericht, Ursula Krechel
Erebos, Ursula Poznanski
Macht, Karen Duve
Christine Nöstlinger, Maikäfer flieg
Jessica Durlacher, Die Tochter
Raphaela Edelbauer, Das flüssige Land
Ingried Brugger, & Bettina M. Bussse: The Cindy Sherman Effect
Bestellte Rezensionsexemplare
14.) Vine, Barbara: Astas Tagebuch (currently reading)
13.) Lappert, Simone: Wurfschatten (currently reading)
12.) Greengrass, Jessie: Was wir voneinander wissen ⭐️⭐️,5 (04.06.2020)
11.) Haider, Lydia(Hrsg.): Und wie wir hassen! ⭐️⭐️⭐️⭐️ (29.05.2020)
10.) Borger, Martina: Wir holen alles nach ⭐️⭐️⭐️⭐️ (08.05.2020)
9.) Marketa Pilatova: Mit Bat'a im Dschungel ⭐️⭐️⭐️⭐️ (24.4.2020)
8.) Sibylle Berg: Nerds - retten die Welt ⭐️⭐️⭐️⭐️ (11.04.2020)
7.) Lucia Leidenfrost: Wir verlassenen Kinder ⭐️⭐️⭐️⭐️ (24.3.2020)
6.) Simone Hirth: Das Loch ⭐️⭐️⭐️ (19.3.2020)
5.) Elisa Tomaselli: Wen kümmert's ⭐️⭐️⭐️⭐️ (15.03.2020)
4.) Angelika Hager: Kerls! ⭐️⭐️⭐️ (23.2.2020)
3.) Heidi Emfried: Des Träumers Verderben ⭐️⭐️ (12.2.2020)
2.) Natascha Kampusch: Cyberneider ⭐️⭐️ (03.02.2020)
1.) Dora Cechova: Ich wollte kein Lenin werden ⭐️⭐️⭐️⭐️ (09.01.2020)
Verena Stauffer: Ousia Gedichte
Alena: Hana
Revedin Jana: Margherita
Happy End für Mrs Robinson, Evelyn Steinthaler
Nothomb, Amélie: Happy End
Petra Piuk, Barbara Filips: Wenn Rot kommt
Barbara Rieger: Friss oder stirb
Vor meiner Autorinnenchallenge, die ich 2017 startete, hatte ich zeitgenössische französischsprachige Schriftstellerinnen gar nicht auf dem Schirm, was sich für mich persönlich als kapitaler Fehler herausstellte. Mittlerweile habe ich diese eklatante Bildungslücke ein bisschen mit Nothomb und Despentes repariert und wollte mich ob meiner bisherigen begeisterten Eindrücke in nächster Zeit Delphine de Vigan zuwenden. War ich also bisher schon höchst angetan, bin ich nun von diesem Werk total hingerissen, völlig von den Socken. Bei all dem Hervorragenden, was ich bisher in dieser Literaturabteilung erlebt habe, sticht dieser Roman nochmals aus den ganzen Juwelen heraus – für mich fast schon der Kohinoor der 1A-Diamanten. Wer meine bisherigen Rezensionen kennt, weiß, dass ich mich selten vor Begeisterung überschlage, weil ich in ausgezeichneten Romanen immer noch ein kleines Haar in der Suppe finde, insofern zählt nun diese Einschätzung doppelt.
Also was bietet diese unmittelbar vom Standpunkt der Ich-Erzählerin geschilderte Geschichte eigentlich? Sprachlich wundervoll konzipiert ist sie vordergründig ein Psychogramm, das die Beziehung einer Schriftstellerin zu ihrem weiblichen Psychopathen-Stalker-Fan beleuchtet, jedoch steckt noch so viel mehr hinter dieser Story, das ich mir nie hätte träumen lassen. Sorry, dass ich diesmal inhaltlich auch etwas spoilern muss, aber anders kann ich meine Begeisterung einfach nicht begründen, also wer jetzt schon restlos überzeugt ist und sich die Überraschung nicht verderben möchte, sollte ungefähr nach dem nächsten Absatz zu lesen aufhören.
Der ganze Plot hat ursprünglich was von Stephen Kings Misery (She), wurde aber viel subtiler und weniger gewalttätig konzipiert. Die Figur der Autorin Delphine de Vigan versucht nach ihrem letzten, sehr erfolgreichen Roman wieder die Kraft aufzubringen, sich einem neuen Thema und Projekt zuzuwenden. In diesem geplanten Intermezzo zwischen zwei arbeitsintensiven Phasen lernt sie ihren weiblichen Fan L. kennen, der sich Schritt für Schritt ganz gemächlich in ihr Leben schleicht und im Prinzip alles übernimmt. Ganz leise und unterschwellig bedient die kluge, wunderschöne, sehr selbstbewusste L. die Ängste und Unsicherheiten der Schriftstellerin Delphine und fördert sie zutage, ohne in der ersten Phase übergriffig zu agieren. Durch den hintergründig aufgebauten Druck verursacht L. bei der Protagonistin eine veritable Schreibblockade. So ganz nebenbei wird hier erstmals dem Leser auch ein ganz tiefer, großartiger Einblick in den Schreibprozess und in die kreativen Kalamitäten gegeben, in die eine Schriftstellerin geraten kann, nachdem sie einen Bestseller gelandet hat und eigentlich gezwungen ist, auch das nächste Mal annähernd dieselbe Qualität wie beim letzten Meisterwerk abzuliefern. Das hat mich frappant an den Sänger Falco erinnert, der unmittelbar an dem Tag, als er als erster deutschsprachiger Sänger die Nummer 1 in den amerikanischen Billboard Charts erreichte, anstatt zu feiern todunglücklich reagiert hat und mit dem Ausspruch „Ab jetzt kann es nur mehr bergab gehen“ in die Musikgeschichte einging.
Das Schreiben muss eine Suche nach der Wahrheit sein, sonst ist es nichts. Wenn du dich durch das Schreiben nicht kennenzulernen versuchst, wenn du in dir nicht nach dem gräbst, was in dir wohnt, was dich ausmacht, wenn du nicht die Wunden wieder aufreißt, wenn du nicht mit den Händen wühlst und kratzt, wenn du deine Person, deine Herkunft, dein Milieu nicht in Frage stellst, hat es keinen Sinn. Schreiben gibt es nur als Schreiben über sich. Das Übrige zählt nicht.
Nach und nach steigert die Psychopathin L. die Intensität der Interventionen. Sie trennt schrittweise die Figur Delphine von ihrer Umwelt und den Freunden (der Herde), um sie ganz vereinnahmen und besitzen zu können. Dabei vermeidet es L. aber geschickt, einen direkten Kontakt zu Delphines Umfeld aufzubauen, sie agiert immer im Hintergrund. L. bedient in diesem grandiosen Psychogramm vor allem die Ängste der Autorin bezüglich der Schreibblockade, um dann als Retterin aufzuschlagen, indem sie sogar beruflich für die Schriftstellerin einspringt, ihre Korrespondenz erledigt, Absagen erteilt, Vorworte und kleine Texte für andere Autoren verfasst, um Abgabeterminverschiebungen ersucht und Lesungen absolviert. Mittlerweile hat sich L. auch optisch enorm der Protagonistin angenähert und ist sogar bei ihr eingezogen – selbstverständlich nicht unter Zwang, aber Delphine sah sich im Rahmen der Freundschaft moralisch genötigt, L. in einer Notlage zu unterstützen. Alle Autonomiebestrebungen und Versuche, den neuen Roman zu beginnen, zertrümmert L. mit ganz hinterlistigen, viel zu hoch geschraubten Qualitätsansprüchen, die der selbstkritischen Delphine das Gefühl der Unfähigkeit geben. Nach einer Weile ist Delphine so verunsichert, dass sie nicht mal mehr einen Einkaufszettel schreiben kann. Sie spricht auch aus Scham nicht mit ihrem Umfeld über ihre Probleme, einzig L. ist ihre Komplizin in ihrem massiven persönlichen Versagen, dieser Schreibblockade.
Manchmal kommt mir das etwas abgenutzte Bild einer Spinne in den Sinn, die geduldig ihr Netz webt, oder eines Kraken, der mich mit seinen vielen Fangarmen unschlossen hätte. Aber es war etwas anderes. L. war eher eine leichte, durchscheinende Qualle, die sich auf einen Teil meiner Seele gesetzt hat. Die Berührung hat eine Verbrennung hinterlassen, die aber mit bloßem Auge nicht zu erkennen war. Diese Spur ließ mir scheinbar volle Bewegungsfreiheit. Doch mich band viel mehr an sie, als ich mir hätte vorstellen können.
Mehrmals versucht die Protagonistin, die selbstreflektiert natürlich diese ganze ungesunde Umklammerung ihrer Persönlichkeit ziemlich punktgenau analysiert, sich aus dieser Situation zu befreien. Sie probiert, sich zuerst emotional abzugrenzen und trennt sich schließlich von L., indem sie sie aus der Wohnung und aus ihrem Leben weist. Das ganze Szenario eskaliert dann aber trotzdem nach einem Beinbruch, als die Autorin erneut die Hilfe von L. annimmt und im abgeschiedenen Wochenendhäuschen von Delphines Freund Francois – aufgrund des Trümmerbruchs nun auch noch körperlich sehr immobil – dieser Psychopathin vollends ausgeliefert ist. Nun zeigt sich L.s wahres Gesicht. Sie sperrt Delphine ein und vergiftet sie wochenlang schleichend, um sie total unter Kontrolle zu bringen.
Nach einer sehr spektakulären Flucht glaubt man als Leser*in im Finale der Geschichte angekommen zu sein. Aber weit gefehlt! Nun spielt nicht die Figur, sondern die Autorin De Vigan mit der Realität und der Wahrnehmung. Könnte es sein, dass L. gar nicht existiert hat? Dass die Figur nur eine fiktive Manifestation der psychischen Probleme und der Schreibblockade der Protagonistin ist? Viele, zuvor als unwiderrufliche Fakten präsentierte Episoden könnten auch anders interpretiert werden, denn L. ist Delphines Freunden nie begegnet und ihre Spuren hat sie offensichtlich auch noch restlos beseitigt. Abschließend wird noch etwas Grandioses thematisiert. Wie viel der Protagonistin Delphine ist der Autorin de Vigan tatsächlich passiert? Gekonnt wird mit den Gegensätzen von Wahrheit (Biografie) und reiner Fiktion in der Literatur jongliert und beides ineinander aufgelöst. Wieviel Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Lebens von Autor*innen ist in reiner fiktionaler Literatur vorhanden und wie wahr beziehungsweise geschönt ist Biografisches – oder ist es fast gleich? Das ganze Buch kokettiert ja zwangsläufig mit dieser Frage, selbst mein Mann dachte beim ersten Blick auf den Roman, es sei eine Biografie, dabei ist Nach einer wahren Geschichte nur der Titel und nicht die Beschreibung des Werks.
Fazit: Absoluter Buchstoffhöhepunkt 2020! Einzigartig! Ein Teil Thriller, viel Psychologisches und Philosophisches in einer sprachlich grandiosen fiktionalen Geschichte (oder auch nicht?) verpackt. Dieses Werk ist so wundervoll vielschichtig und nicht nur vordergründig, sondern auch auf einer Metaebene so spannend, dass ich eben nur noch hingerissen war.
Man kann über den deutschen Autor Frank Schätzing sicher vieles schreiben. Über seine Karriere in der Werbebranche, seinen explosiven Erfolg mit seinem Wissenschaftsthriller „Der Schwarm“, den ich während des Erdkundeunterrichts heimlich unter dem Tisch las, über seine Ausflüge in die Schauspielerei und über sein Werken als Musiker. Alles interessant, aber längst nicht so spannend wie sein Einsatz als Unterwäschemodel für die Marke Mey im Jahre 2009. Als ich über diese Info stolperte, ist mir wirklich die Kinnlade runtergefallen. Die Fotos, geschossen von der Fotografin Gabo, sind ästhetisch und Schätzing, damals 52, ist durchaus attraktiv, doch es wundert mich. Schriftsteller_innen neigen ja eher selten zur Selbstinszenierung. Seiner Glaubwürdigkeit schadete dieses Projekt trotzdem nicht, denn auch sein 2014 erschienener politischer Thriller „Breaking News“ eroberte Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste.
Vor drei Jahren war Tom Hagen der gefeierte Star des Kriegs- und Krisenjournalismus. Kein Konflikt war ihm zu gefährlich, kein Schützengraben zu tief, kein Risiko zu gewagt. Überall auf der Welt fand man ihn an vorderster Front. Doch 2008 ging er zu weit. In Afghanistan verlor er alles. 2011 ist Hagen ein Schatten seines früheren Ichs und sucht verzweifelt nach der einen bedeutenden Story, die seine Karriere wieder in Schwung bringt. Verbittert und von Selbstvorwürfen zerfressen strandet er in Israel. Kurz nach seiner Ankunft in Tel Aviv bietet sich ihm eine einmalige Gelegenheit: Im Untergrund sind geheime Dokumente des Inlandgeheimdienstes Schin Bet aufgetaucht. Hagen erkennt sofort, dass der brisante Stoff den nächsten großen Knüller verspricht. Aber was sein fulminantes Comeback werden sollte, entwickelt sich schnell zu einem mörderischen Katz-und-Maus-Spiel. Hagen stößt auf eine Verschwörung, die die Grundfesten des Staates in Frage stellt – und auf die tragische Geschichte einer Familie, in der das Herz Israels schlägt.
„Breaking News“ ist ein Meisterwerk. Der Rechercheaufwand, der für diesen Roman nötig war, sprengt jegliche Vorstellungskraft. Frank Schätzing konzipierte nicht einfach einen Thriller, der vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts spielt, er schildert auf 955 Seiten die gesamte Historie des Staates Israel von dessen inoffizieller Gründung unter britischem Mandat bis in die Gegenwart und ergänzt diese um einen Agententhriller. Tatsächlich erfasst die Bezeichnung „Thriller“ meiner Ansicht nach gerade mal einen Bruchteil dieses Buches. Schätzing arbeitet mit zwei Zeitlinien: eine beginnt 1935, als Israel noch eine Idee war und fokussiert die Familie Kahn, die eng mit dem Nachbarsjungen Arik befreundet ist, der Jahrzehnte später als Ariel Scharon Geschichte schreiben wird; die zweite folgt dem Kriegsjournalisten Tom Hagen von 2008 bis ins Jahr 2011, in dem die Linien letztendlich aufeinandertreffen. Vergleiche ich die prozentualen Anteile und die inhaltliche Bedeutsamkeit der beiden Handlungsstränge, qualifizieren sich die Erlebnisse des mir gänzlich unsympathischen Tom Hagens lediglich als durchschaubarer Aufhänger, der es Schätzing ermöglichte, Israels komplizierte, schmerzhafte Geschichte detailliert aufzurollen. Er ist ein nebensächlicher Protagonist, weshalb meine Antipathie nicht von Belang war. Ich denke, der Autor wollte mit „Breaking News“ ein intimes, präzises Porträt Israels und dessen tiefer innerer Spaltung vornehmen. Es ist ihm geglückt. Mein Verständnis für dieses zerrissene, umstrittene Land wuchs während der Lektüre außerordentlich. Noch immer kann ich Israels aggressive Politik nicht gutheißen, aber ich begreife sie jetzt. Ich kann das ausgeprägte, beinahe paranoide Sicherheitsbedürfnis und die religiös motivierte Überzeugung, die allen Siedlungsbeschlüssen zugrunde liegen, nachvollziehen. Ich erkannte, dass Israels Gründung und Expansion Ausdruck der unerfüllten Sehnsucht nach einer gemeinschaftlichen jüdischen Volksidentität sind. Dank der Implementierung der fiktiven Familie Kahn, die mich durch Israels Vergangenheit leiteten, lernte ich die Wünsche, Ängste, Sorgen und Träume mehrerer Generationen kennen und durfte den emotionalen, mentalen und politischen Zustand der Bevölkerung greifbar erleben. Obwohl reale historische Persönlichkeiten unvermeidlich auftauchen, bleiben es diese Einzelschicksale, die die Handlung bestimmen. Ich empfand „Breaking News“ daher nicht als sachliche Geschichtsstunde, sondern als eine intensive Leseerfahrung, für die ich gern die notwendige immense Geduld aufbrachte.
„Breaking News“ ist ein geniales Buch, für das Frank Schätzing weit über das übliche Maß der Recherche hinausging. Ich bewundere, dass er fähig war, die komplexe Historie Israels aufzuschlüsseln und zusammenzufassen, zu entscheiden, welche Ereignisse bedeutsam waren und welche nicht. Dennoch kann ich keine Höchstwertung vergeben. Ich bin skeptisch, ob Schätzing nicht etwas viel von seinen Leser_innen verlangt. Die geballte, komprimierte Informationsflut ist in ihrem Umfang sehr schwer zu verarbeiten, trotz seines verdaulichen Schreibstils. Man kann sich nicht alles merken, schon gar nicht, wenn man sich wie ich mit den Feinheiten des Nahostkonflikts nicht bereits auskennt. Es ist einfach zu viel. Nach der Lektüre war mein Kopf wie leergefegt, ich war schlicht überfordert mit der Menge des Inputs und selbst beim Schreiben meiner Rezensionsnotizen musste ich mich anstrengen, meine schlüpfrigen Gedanken zu fassen, weil sie immer wieder wegzurutschen und in weißem Rauschen zu versinken drohten. Ich habe unheimlich viel über Israel gelernt, aber ich bezweifle, dass ich mich in einem Jahr noch an alle wichtigen Punkte erinnern werde. Will Schätzing mit „Breaking News“ hingegen primär für die israelische Geschichte sensibilisieren, erreichte er dieses Ziel bei mir. Der Nahe Osten ist ein Pulverfass – jetzt weiß ich, warum.