Diese Rezension ist lang. Und nicht positiv. (Ja, nur ein Stern.) Sie enthält Hinweise auf die Handlung. Wer das Buch völlig blind lesen will, sollte nach der Lektüre diese Rezension lesen.
Das Buch las ich in einem Rutsch durch, allerdings nicht, weil es so toll war, sondern weil ich wusste: Wenn ich jetzt aufhöre, dann lese ich es niemals fertig.
Schauen wir uns die Katastrophe Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr mal genau an:
Wenn man dieses Buch und diese Rezension verstehen möchte, ist es wichtig, den Hintergrund zu kennen:
Walter Moers kam in Kontakt mit einer jungen Frau aus Berlin namens Lydia Rhode. Sie leidet an der Krankheit CES (Chronische Erschöpfungssyndrom) oder Chronisches Müdigkeitssyndrom (englisch: chronic fatigue Syndrome (CFS)), auch Myalgische Enzephalomyelitis (ME). (Danke Wikipedia!) Ich werde nicht zu viel dazu erklären, doch es lohnt sich, danach zu googeln. Dies ist eine Krankheit, die man nicht einmal seinem schlimmsten Feind wünscht. Symptome sind unter anderem: Ständige völlige Erschöpfung, Schmerzen, Übelkeit und Schlaflosigkeit. Moers entschied mit Lydia Rhode zusammen zu arbeiten. Er verfasst den Text, sie würde die Illustrationen übernehmen. Das Ganze war ursprünglich als Kurzgeschichte geplant und hier liegt das größte Problem:
Als Kurzgeschichte in Form einer Zusammenarbeit zwischen Walter Moers und Lydia Rhode hätte die Geschichte wunderbar funktioniert. Moers Art mit Worten zu spielen, seine Ideen und Vorstellungskraft sind bestens dazu geeignet sich einem Thema wie CES zu nähern. Lydia Rhode, die an dieser Krankheit leidet, kann durch ihn andere Menschen an ihrem Schicksal teilhaben lassen und sich selbst durch ihre Illustrationen Gehör verschaffen. Als Kurzgeschichte, die auf CES Aufmerksam machen will, wäre diese Idee genial gewesen.
Also was läuft falsch?
Für mich gibt es zwei große Punkte, an denen alles hängt.
1. Die Handlung trägt keinen Roman.
Das Problem zeigt sich bereits in den ersten Kapiteln. Wir lernen Dylia kennen, die an etwas leidet, dass alle nur „die Krankheit“ nennen. Dazu gehört eine extreme Form von Schlaflosigkeit, die Dylia dazu bringt Nacht für Nacht durch ihr Schloss zu tapern und sich irgendwie zu beschäftigen. Unter anderem rezitiert sie die Namen ihrer liebsten Mondkrater in alphabetischer Reihenfolge. (Das nimmt fast eine ganze Seite in Anspruch.) Ein weiterer Zeitvertreib ist das Sammeln von „Pfauenwörter.“ Dies sind ungewöhnliche Wörter aus allen möglichen Sprachen, die schwer in alltägliche Sätze einzufügen sind, weswegen sich Dylia jeden Tag eine Liste mit solchen Wörtern erstellt mit der Aufgabe bis zum Ende des Tages jedes Wort mindestens einmal zu benutzen. Es folgen ein paar Gedanken zu ihrem Zustand und, in fiktiver Form, zu ihrer Krankheit, welche, wie der Leser weiß, CFS ist.
Manche der Ideen sind clever und liebenswert. Die Pfauenwörter sind interessant und die späteren Versuche sie einzubauen sind amüsant. Ungefähr die ersten zwei Male. (Es gibt 12 davon, und manche werden mehrfach genutzt...) Dylia stellt sich ihre Symptome, wie zum Beispiel Übelkeit und Schmerzen als Besuche von ungeliebten Verwandten vor, die man gerne loswerden möchte, aber man muss sie eben erdulden. Immerhin ist es die Verwandtschaft und man mag nicht unhöflich sein. Es ist ein warmherziger Humor, aber auch eine große Stärke in diesem Bild; es zeigt die Geduld, mit der jemand, der eine solch lähmende Krankheit hat, mit seinen Symptomen umgeht. Moers Ideen funktionieren an dieser Stelle perfekt, so, wie man es von ihm gewohnt ist. Aber das ist leider nur ein kleiner Teil der ersten Seiten.
Denn Dylia ist in ihrer Schlaflosigkeit und in ihrer Krankheit entweder gelangweilt oder von den Symptomen zu gelähmt, um etwas zu tun. Was passiert, wenn man einer Figur folgt, der permanent langweilig ist? Es ist langweilig! Jemandem dabei zuzusehen wie er sich langweilt ist langweilig. Bis derjenige sich interessante und witzige Dinge einfallen lässt, damit ihm nicht mehr langweilig ist. Aber das passiert hier nicht: Ja, Dylia lässt sich Dinge einfallen, aber eben Dinge wie die Auflistung von Mondkratern oder das Erfinden von irgendwelchen Dingen und Farben. Man merkt trotzdem eines: Dylia langweilt sich zu Tode, ergo sehe ich jemanden, der sich langweilt.
Ich könnte hier schreiben, dass ich, wenn ich mich langweile, anfangen mir Hunderassen vorzustellen und mir für jede Rasse zu überlegen, welche Namen solche Hunde haben könnten. Das könnte eine nette Idee sein, heißt aber nicht, dass ich in allen Details jede einzelne existierende Hunderasse hier auflisten muss, zu jedem den Namen schreiben und dann noch die Erklärung dazu, warum es diesen Namen gibt. Spätestens nach zwanzig Hunden ist die nette Grundidee verpufft und man blättert weiter, um diese Liste nicht komplett lesen zu müssen.
Auch hat jemand, der durch schwere Krankheit ans Bett gefesselt ist, ohne Frage einen schweren Kampf auszufechten. Trotzdem ist es nicht sehr spannend jemanden stundenlang dabei zu beobachten, wie er im Bett liegt. Wenn man in einem Krankenhaus eine Kamera installiert, sieht man, dass der Mensch krank ist, sieht ihn vielleicht leiden, weiß, dass er eine Schlacht schlägt … aber trotzdem schaut sich niemand zwei Stunden lang eine Kameraaufzeichnung an, in der jemand einfach nur (krank) im Bett liegt und ab und zu Wörter oder Farben auflistet.
Und das geht so für fast 60 Seiten. 60 Seiten, auf denen man im Prinzip eben nur jemandem dabei zusieht, wie er sich langweilt oder krank im Bett liegt. Da sind ein paar gute Einfälle, ja, aber die tragen keine 60 Seiten.
Dann erscheint endlich der titelgebende Nachtmahr: Havarius Opal.
Jetzt fängt die Geschichte an! Richtig? Richtig …? (Bitte! Bittebittebittebitte!)
Ich wünschte ...
Also: Havarius Opal, der Nachtmahr, stellt sich vor und erklärt Dylia, dass er nun ihr persönlicher Nachtmahr ist und sie nie mehr verlassen wird, bis sie sich umbringt. Was eine ziemlich düstere Ausgangssituation ist, die eigentlich eine Menge verspricht. (Ja, vergesst das. Das Potential erstickt schneller als die Würmer in 'Evolution'.)
Dylia ist fest entschlossen ihrem Schicksal zu entgehen. Der Nachtmahr nimmt sie mit auf eine Reise zum dunklen Herz der Nacht, eine Reise, in ihr eigenes Gehirn.
Warum suchen sie das dunkle Herz der Nacht? Ich habe keine Ahnung. Es muss irgend einen wichtigen Grund geben, aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern.
Opal und Dylia machen sich auf den Weg durch Dylias Gehirn. Diese Idee ist bei Walter Moers nichts Neues; er nutzte sie bereits in anderen seiner Geschichten. Dort sind es kurze Kapitel oder kurze Teile der Geschichte, da die Idee zwar interessant ist und etwas aus sich machen lässt, aber sie hat ihre Grenzen. Grenzen, die man hier nur all zu deutlich spürt.
Es funktioniert nicht als Idee für einen ganzen Roman . Erstens weil die Idee für Moers Leser schon zu bekannt ist, zweitens, weil man dem Text deutlich anmerkt, dass die Ideen und Vergleiche an sich nicht genug hergeben.
Ich muss etwas korrigieren: Die Idee würde funktionieren, wenn es mehr Handlung gäbe. Die Handlung hier ist aber: Wir laufen durch. Jawohl. Das ist es. Wir laufen durchs Gehirn. Und Moers macht den größten Fehler, den er in meinen Augen machen konnte: Er fängt an seine Ideen und Bilder zu erklären.
Solche Bilder funktionieren, weil sie ein Bild durch ein anderes ersetzen. Man redet von etwas und meint eigentlich etwas anderes. Das Bild muss clever sein, damit jeder versteht, was eigentlich gemeint ist. Und wenn ein guter Autor, wie Moers eigentlich einer ist, damit arbeitet, dann schafft er es Bilder zu erfinden, die der Leser begreift. Doch weil dies nun einmal keine Kurzgeschichte ist, sondern ein Roman mit über 300 großformatigen Seiten, lässt er seine Bilder nicht für sich alleine sprechen: Er erklärt sie. Er erklärt jedes kleinste Detail.
Die Figuren stoßen auf einen cleveren Einfall: Lieber Leser, lass mich dir genau erklären, was du hier siehst, wie mein Bild funktioniert und dann lass die Figuren noch ein paar Seiten lang darüber reden.
Oh, die Protagonisten geraten in Gefahr? Nun, lass uns erst mal erklären, was hier nun genau passiert und dann lass die Figuren darüber reden. Wir bannen dann mal kurz die Gefahr, damit wir erklären können, wie genau die Gefahr gebannt wurde und damit die Figuren darüber reden können.
Diese Reise durch Dylias Gehirn ist so spannend wie eine Bedienungsanleitung.
Das sind ein paar gute Ideen, wie zum Beispiel die Seitenhiebe auf Bürokratie und Beamten, aber es fühlt sich an, als läge man in einem wachkomaartigen Halbschlaf, und dann und wann piekst einer dich mit einer Nadel, was dich kurz aufschrecken lässt, nur um dich zurück in die Lethargie fallen zu lassen.
Jeder Punkt in der Handlung, der auch nur einen Hauch von Spannung verspricht, wird komplett ruiniert durch die endlosen Erklärungen und das endlose Gelaber der Figuren. Jede Idee, jedes Wortspiel wird durchgekaut wie Kaugummi, lang gezogen, von allen Seiten betrachtet und noch mal durchgekaut.
Zum Ende dieses Buches war ich nah dran einzuschlafen. Ich wollte dieses Buch so gerne zuschlagen und an die Wand pfeffern. Es war geradezu hypnotisierend einschläfernd. Ich war nicht mal mehr daran interessiert, wie die Geschichte ausgeht. Alles was ich wollte war, dass das Elend ein Ende hat!
Das Ende übrigens, - abgesehen davon, dass sie das dunkle Herz der Nacht nur kurz ansehen und dann wieder gehen …. (*bitte frustrierten Schrei hier einsetzen*) - soll einen Twist beinhalten und wohl auch berührend sein. Glaube ich. Denn ich wollte nur noch, dass die Figuren endlich die Klappe halten. Es hat mich nicht mehr im Mindesten interessiert was mit den Figuren passiert. (Und die angebliche Liebesgeschichte, wie sie auf dem Umschlag angekündigt wird, erschließt sich mir nicht. Aber vermutlich war ich nach dem Lesen einfach vor Langeweile zu benebelt, um das zu kapieren. )
So viel zum Inhalt und zur Handlung.
Aber das Schlimmste, das absolut Schlimmste an diesem ganzen Buch und der Hauptgrund Nummer 2 warum ich nach der Lektüre wirklich angepisst war. Nicht verärgert, sondern richtig sickig?
2. Es ist kein Zamonien - Roman.
Ich verstehe die grundlegende Idee und ich mag sie. Ehrlich. Walter Moers Einfallsreichtum, sein Gefühl für Bilder und Worte dazu zu nutzen um auf eine noch fast gänzlich unbekannte und bis dato unheilbare Krankheit aufmerksam zu machen ist eine großartige Sache. Jemand, der an etwas wie CES leidet eine Plattform zu bieten, Menschen wie Lydia Rhode eine Stimme zu geben; ihr einen Weg zu ermöglichen sich durch ihre Kunst zu zeigen und Gehör zu verschaffen, ist eine verdammt gute Sache. Am Geist dieser Idee gibt es nichts auszusetzen.
Wäre die Geschichte als Kurzgeschichte veröffentlicht worden; als eigenständige Geschichte, indem Moers auf CES Aufmerksam macht, gäbe es daran nichts auszusetzen.
Aber es wurde als neuer Zamonien-Roman beworben.
Bis auf ein paar Erwähnungen von zamonischen Dingen am Rande hat das Buch nichts, aber auch gar nichts mit Zamonien zu tun.
Ich hätte kein Problem damit gehabt eine von Walter Moers geschriebene Geschichte zu kaufen, in der er über CES schreibt. Ich hätte gern eine Geschichte gekauft, in der eine junge Frau, die an CES leidet, ihre Kunst und ihre Sicht auf die Welt mit mir teilt.
Aber ich lasse mich nicht gerne hinters Licht führen.
Schreibt drauf, was drin ist und versucht keine Bücher zu vermarkten, indem eine populäre Romanserie als Werbung genutzt wird, wenn das Buch im Endeffekt nichts mit dieser Serie zu tun hat.
All die guten Hintergedanken, all die guten Vorsätze, all der löbliche Geist, der hinter der Idee steckt wird dadurch pervertiert. Diese Art von Verkaufsstrategie und Buchvermarktung regt mich auf.
Ihr möchtet auf eine Krankheit Aufmerksam machen und einer jungen Frau eine Plattform geben?
Okay, tut das.
Aber versteckt das nicht hinter einem großen, werbewirksamen Namen.
Kurz: Steht zu dem, was es ist und versucht nicht Leser unter Angaben falscher Tatsachen dazu zu tricksen das Buch zu kaufen.
Fazit:
Das ist Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr: Eine Kurzgeschichte, die schmerzvoll zum Roman aufgeblasen wurde. Figuren, die jede Spannungskurve zu Tode labern. Eine Handlung, dünn wie ein zu oft gekautes Kaugummi und ein Erzähltempo jenseits von Scheintod. KEIN Zamonienroman.
Walter Moers ist bekannt dafür mit Worten zu spielen, dutzende Begriffe aneinander zu Reihen. Aber seine anderen Bücher haben eine Handlung. Sie sprühen nur so von Einfällen und Ideen, von Wendungen und cleveren Erfindungen, vor skurrilen Figuren, die, so kurz ihr Auftritt auch sein mag, alle liebenswerte oder interessante Charaktere sind. Hier gibt es nichts davon. Die selben Wortspiele, die selben Begriffe, der selbe Streit, der wohl als „Konflikt“ dienen soll, alles in einer endlosen Wiederholung, schlimmer als Fernsehen im Sommerloch. Bis auf zwei Figuren hat hier nichts einen nennenswerten Charakter, bis auf ein paar Ideen gibt es hier nichts, das zündet, nichts, dass fesselt. Es gibt keine Substanz, keinen Plot, der in der Lage ist das Buch zu tragen. Es gibt nichts außer ein Haufen aneinander gereihter Worte auf einem Fundament, dass so dünn und wacklig und löchrig ist, dass man nur einbrechen kann. Einbrechen und absaufen.
Wenn die Geschichte auch versucht mich mit dem Namen „Walter Moers“ und „Zamonien“ zu blenden, ich sehe sie als das, was sie für mich ist: Ein großes, langweiliges, fade Aneinanderreihung aus Belanglosigkeiten. Wie ein Spaziergang, durch das Gehirn von jemandem, der sich zu Tode langweilt, und so schlimm CES ist, so sehr Lydia Rhode und all die anderen Menschen, die an so einer Krankheit leiden meinen Respekt und meine Hochachtung genießen:
Dieses Buch ist so "spannend" wie Gras beim Wachsen zuzusehen. Und die Vermarktung-Strategie ist ... eine Schande.