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review 2017-10-18 11:41
Nimm das, Mars!
The Martian - Andy Weir

Andy Weirs Karriere ist ein Märchen der Schriftstellerei. Sein Debütroman „The Martian“ wurde ursprünglich von allen Verlagen abgelehnt, weshalb Weir das Buch 2011 als Selfpublisher veröffentlichte. Er bot es kostenlos auf seiner Website an. Als Fans ihn baten, eine Kindle-Version zu erstellen, verlangte er auf Amazon 99 Cent, der niedrigste mögliche Preis. Die Verkaufszahlen schossen durch die Decke. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. 2013 verkaufte er die Buchrechte für einen sechsstelligen Betrag. Ich finde, in dieser Anekdote steckt eine inspirierende Botschaft an allen jungen Autor_innen: gib nicht auf und glaub an dein Werk. Andy Weir beweist, dass der Erfolg manchmal bloß etwas länger braucht, um sich einzustellen. Nachdem das Buch zwei Jahre auf meinem SuB versauerte, wollte ich 2017 endlich wissen, ob es wirklich so gut ist, wie alle behaupteten.

 

Werde Astronaut, haben sie gesagt. Geh zur NASA, haben sie gesagt. Flieg zum Mars, haben sie gesagt. Schönen Dank auch. Was sie Mark Watney nicht gesagt haben, ist, wie er auf dem Mars überleben soll, falls ihn ein schrecklicher Unfall von seinem Team trennt und sie gezwungen sind, ihn allein zurückzulassen. Nun ist er der einzige Bewohner eines Planeten, der sich redlich bemüht, Mark umzubringen. Alle Kommunikationswege sind zerstört. Seine Vorräte sind begrenzt. Er ist auf hochsensible Technik angewiesen, die stetig ausfallen könnte. Er könnte ersticken, verhungern, verdursten, erfrieren oder in der hauchdünnen Atmosphäre explodieren. Die nächste Mission wird in 1425 Tagen eintreffen. Bis dahin muss sich Mark auf seinen Einfallsreichtum, seine Fähigkeiten und seine sture Weigerung zu sterben verlassen, um dem angriffslustigen Planeten ein Schnippchen zu schlagen. Es ist Zeit, ein für alle Mal herauszufinden, ob menschliches Überleben auf dem Mars tatsächlich unmöglich ist.

 

Unter extremen Bedingungen sind Menschen zu erstaunlichen Leistungen fähig. Wir alle kennen die Geschichte der Mutter, die einen Kleinwagen mit bloßen Händen stemmt, weil ihr Baby darunter eingeklemmt ist. Mark Watneys Überlebenskampf auf dem Mars ist ein hervorragendes Beispiel für diese wundersame Leistungsfähigkeit. Ja, werdet ihr sagen, der ist ja auch nur fiktiv. Ich antworte: das spielt überhaupt keine Rolle, weil er nicht fiktiv wirkt. Er wirkt so real wie ihr und ich. Ich habe während der Lektüre von „The Martian“ vergessen, dass Mark Watney eine Romanfigur ist, die der Fantasie des Autors Andy Weir entspringt. Von der ersten Seite an entwickelte ich enorme Sympathie für den Biologen, Ingenieur und Astronauten, denn er ist ein extrem zugänglicher Charakter, der mit selbstironischem Witz überzeugt. Ich hätte ihn gern auf ein Bier eingeladen. Er neigt überhaupt nicht zum Selbstmitleid, obwohl seine Lage beängstigend aussichtslos erscheint und eine gewisse Verzweiflung absolut verzeihlich gewesen wäre. Es zeugt von einer beeindruckenden Geisteshaltung, allein auf dem Mars nicht alle Hoffnung fahren zu lassen. Stattdessen treibt ihn sein außergewöhnlich starker Lebenswille zu Höchstleistungen an, die sein analytischer Verstand in praktikable und für die Leser_innen gut nachvollziehbare Überlebensstrategien verwandelt. In Logbuch-Einträgen beweist er sein bemerkenswertes Talent zum Problemlösen und ließ mich an all seinen Gedankengängen teilhaben. Dadurch fungiert das Logbuch zusätzlich als Marks Absicherung gegen den Wahnsinn; indem er den Leser_innen erklärt, welche Herausforderungen er wie meistern muss, bewahrt er sich selbst vorm Durchdrehen. Demzufolge enthält „The Martian“ viele äußerst spezifische Beschreibungen aus der Physik, Chemie, Biologie und allgemein den Naturwissenschaften, die zwar anspruchsvoll sind, mich aber niemals überforderten, was an sich bereits ein schriftstellerisches Kunststück darstellt. Ich habe unfassbar viel über den Mars gelernt und konnte gravierende Wissenslücken schließen. Ich musste jedoch ziemlich aufmerksam lesen, was sich in meinem Fall auf das Lesetempo auswirkte. Ich kam langsamer voran als in einem Durchschnittsbuch, störte mich allerdings kaum daran, weil „The Martian“ trotz dessen unglaublich spannend ist. Angesichts dessen, dass auf dem Mars nichts ist und Mark die Handlung fast ausschließlich durch seine Persönlichkeit vorantreiben muss, da Weir seine strikte Ich-Perspektive lediglich in recht großen Abständen aufbricht und die Leser_innen seine Unternehmungen niemals direkt erleben, ist diese konsequente Spannungskurve verblüffend. Ich fieberte auf jeder Seite mit und feuerte Mark in Gedanken lautstark an, nicht aufzugeben und dem blöden Planeten zu zeigen, wer der Boss ist. Ich hätte nicht gedacht, dass er tatsächlich eine Überlebenschance hat und war überrascht, wie viel Hoffnung er mir vermittelte, wie sehr ich daran glauben wollte, dass er es schafft, obwohl die Lage alles andere als rosig aussieht. Nimm das, Mars, Mark Watney is in da hooooouuuuse!

 

„The Martian“ ist die glaubhafte Chronik eines außerordentlichen Überlebenskampfes. Es ist eine irrwitzige Mischung aus „Apollo 11“, „Cast away – Verschollen“ und „Schiffbruch mit Tiger“ von Yann Martel. Ich freue mich über den gerechtfertigten Erfolg dieser Geschichte und gratuliere Andy Weir dazu, dass sich all seine Arbeit auszahlte, vom reinen Schreiben bis hin zu seinen erschöpfenden Recherchen. Er verdient es.
Meiner Meinung nach ist „The Martian“ ein Science-Fiction-Roman, der selbst Genreskeptikern wie mir gefallen kann, weil er sich sehr dicht an der Realität bewegt und mit einem Protagonisten aufwartet, der kaum menschlicher sein könnte. Mark Watney ist der nette Typ von Nebenan, mit dem man sich ein Footballspiel ansieht. Er ist der Typ, mit dem man einen trinken geht. Und zufällig ist er auch der Typ, der unverhofft den Mars kolonisiert, in MacGyver-Manier mit Kleber, Spucke und vielen kreativen Ideen – eben ein echter Weltraumpirat.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/10/18/andy-weir-the-martian
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