Sophie Passman ist mit ihrem Sachbuch angetreten, den Archetypus des „Alten weißen Mannes“ zu erforschen und hat hierzu alte oder mittelalte, weiße, gut situierte Männer über diesen Begriff, ihre Privilegien und zum Feminismus interviewt. Sehr bald schrieb ich im Geiste eine Notiz an mich: „Nimm bitte auch den Untertitel eines Buches todernst!“, denn der darin angedeutete Schlichtungsversuch, den ich ursprünglich dafür gehalten habe, dass er dazu da wäre, damit männliche potenzielle Leser nicht vorab schon vergrault werden und eine komplette Demontage erwarten, geht weit über eine simple Annäherung und Schlichtung hinaus.
Was hier im Rahmen des Journalismus veranstaltet wird, ist tatsächlich schockierend: absolut keine einzige kritische Frage, begeisterte devote Gefälligkeit, Faserschmeichlergelaber* während der Interviews, zudem aber sogar peinliche Elogen bei der Transkription der Befragungen im Nachgang und in der Analyse der Personen, die geneigte LeserIn muss sich tatsächlich vom Archetyp des privilegierten alten weißen Mannes den Feminismus und die Privilegien, die angeblich kaum vorhanden sind, mansplainen lassen. Boah ist das ärgerlich, das muss ich ohnehin täglich in meinem Leben ertragen, dass mir ein alter Mann, oft sogar jünger als ich, auf jeden Fall aber weniger erfahren oder total unerfahren in meinem Fachgebiet, meinen Hobbies, meinem Körper etc. die Welt erklärt.
Selbst ein typischer alter weißer Mann und Lesefreund in meinem Goodreads-Netzwerk, der als 50+ Finanzmanager genau zu dieser Zielgruppe gehört und dieses Buch auch gelesen hat, sagte: „Gerade in der ersten Hälfte des Buchs werden diese Kuscheltreffen dann irgendwann nervig.“
Beim ersten Interview habe ich die Begeisterung der Autorin ja noch verstehen können, denn Sascha Lobo, den ich auf der Frankfurter Buchmesse vor neun Jahren kennenlernen konnte, war tatsächlich auch in der Realität so offen und eigentlich „einer von den Guten.“ Dieser Begriff wird auch massiv von Sophie Passmann überstrapaziert. Spätestens ab Robert Habeck, Kai Dieckmann und Werner Patzelt ging mir dieses augenaufschlagende, gefällige, sich selbst erniedrigende Kleinmädchengehabe ordentlich auf den Geist. Ja, Ihr habt richtig gehört. Sophie Passmann stellt nicht nur keine einzige kritische Frage – keine einzige Konfrontation, nicht mal eine höfliche, findet statt, sondern sie kokettiert in der nachträglichen Analyse sogar mit Erniedrigung und Selbstabwertung, wenn sie ihre Beziehung zu den Interviewten beschreibt. Ich habe keine Ahnung, ob das Ironie sein soll, sie funktioniert auf jeden Fall nicht, und kontraproduktiv ist so ein Verhalten gerade bei diesem Thema auch. Beispiele gefällig? Gerne.
Aber selbst mir als Witzemädchen aus dem Internet fällt auf, dass Habecks Argumentation ziemlich gefällig ist.
Erst also trifft Poschardt die Spitzenpolitikerin einer der Regierungsparteien, dann mich. Es ist ein brachialer Abstieg für einen Vormittag.
Das ist unglaublich und unfassbar – da bleibt sogar mir die Spucke weg. Vielleicht sollte ich meine Position zum Feminismus auch noch verorten, damit Ihr meine Entrüstung verstehen könnt. Ich bin keine Pflasterstein-Feministin, befinde mich derzeit im Alter von 50+ und war in jungen Jahren in den 80ern nicht feministisch eingestellt. Selbstbewusst ja – aber ich hatte damals genug damit zu kämpfen, zu überleben, und aus einer sehr schlechten Ausgangsposition meine eigene Bildung und meinen Status ohne Unterstützung meiner Familie abzusichern beziehungsweise voranzutreiben. Was mir natürlich vor allem aufgrund unserer weiblichen Vorkämpferinnen auch gelungen ist. Ich hatte damals keine Zeit für politische oder gesellschaftliche Betätigung neben Vollzeitjob und Studium. Erst als ich meine Ziele erreicht hatte und Atem schöpfen konnte, fielen mir die ersten Diskrepanzen auf, dass sogar in einem universitären Umfeld mit Frauenquote nicht die Leistungen zählen. Je älter ich werde, desto mehr fällt mir diese Ungerechtigkeit tagtäglich auf und desto feministischer werde ich. Vor allem wenn Frau in einem technischen Beruf arbeitet und im Internet exponiert ist, muss sie täglich mit Mansplaining, Sexismus und teilweise auch Beschimpfungen rechnen, auch wenn sie sich nur zu Sachthemen äußert. So werde ich täglich mehr zu einer Feministin, als die ich früher gar nicht bezeichnet werden wollte.
Zwischendurch werden natürlich in diesem Sachbuch auch von den sich selbst beweihräuchernden, privilegierten Silberrücken von sich aus ohne Zutun der Autorin einige verwertbare kluge Statements abgelassen, die den Titel des Buches unterstützen, das Wesen des „Alten weißen Mannes“ ein bisschen erklären und die geänderte Situation klug analysieren, zum Beispiel dass sich durch Digitalisierung und Vernetzung in den neuen Medien, wie auf Twitter, die Ausgangsposition von jungen Frauen gegenüber dem angesprochenen Archetypus positiv verändert hat. Hier wird aber total verdrängt, dass dies ausschließlich ein Generationenproblem darstellt und die jungen Männer der Generation Digital-Natives die Frauen derselben Generation sogar bei Fachthemen bereits massiv online bedrängen, beschimpfen, sie in sachlichen Diskussionen mit Äußerlichkeiten beleidigen und teilweise sogar belästigen, nur um sie aus dem digitalen Diskurs und der Online-Sichtbarkeit hinauszudrängen. Die nächste Generation der alten weißen Männer hat sich also schon in Position gebracht.
Am Grotesksten wird die Situation dann dadurch, dass Sophie Passmann auch noch Schwurbel und Vollzeitpascha Rainer Langhans unwidersprochen ohne böse Gegenfrage von seiner krausen Theorie des Opferfeminismus daherschwadronieren lässt. Da geht mir dann sprichwörtlich die Hutschnur hoch, wenn man diesem Mann auch noch eine nette Bühne für seinen Sexismus bietet, auf der er ohne Unterbrechung und Reflexion seine grauslichen Thesen ausbreiten kann.
Fazit: Eines der antifeministischsten Bücher von einer Feministin, das ich jemals gelesen habe, in dem man zwar den richtigen Männern, aber auf einem Podium ohne Gegenfragen und Diskurs mit viel zu langer Redezeit unreflektiert ein Thema zum Mansplainen überlässt. So etwas Sinnloses kommt dann dabei raus. Das ist genau so, wie wenn man (frau – Ihr seht, ich hab nicht mal ordentlich zu gendern gelernt) Politiker ohne Gegenfragen ihr Selbstvermarktungskonzept abspulen lässt (der Vergleich ist aus aktuellem Anlass in Österreich nicht zufällig gewählt). Mensch (Ha! :-) ) fühlt sich sprachlos, ohnmächtig, ein bisschen beschmutzt, gelangweilt, bekommt keine einzige Frage beantwortet, bringt das Thema kein Jota voran und hat das Gefühl, seine Zeit vergeudet zu haben. Ach ja, noch ein Nachtrag: Was Anne Will im Rahmen dieses Buchs als lustigen Feminismus versteht, ist mir völlig schleierhaft. Dieses Originalzitat steht auf dem Einband, und darüber wundere ich mich auch kräftig.
* Faserschmeichlergelaber – Kennt Ihr noch die Werbung aus den 80er- und 90er-Jahren? „Wir sind die Faserschmeichler, die kleinen Faserschmeichler, wir schmeicheln und schmeicheln und schmiegen uns an und an der Wäsche spüren Sie’s dann.“ Für den vertonten Werbeclip – Achtung Ohrwurm – bitte hier clicken.