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review 2019-12-26 08:06
Brexit Wutschrift mit Insekten
Die Kakerlake - Ian McEwan

Das neue Werk von Ian McEwan ist nicht nur im Plot, sondern von der Tonalität her völlig anders als all seine bisherigen Werke – zumindest jene, die ich gelesen habe und das waren einige. Normalerweise beziehen seine Figuren bei moralischen, gesellschaftlichen und politischen Themen unterschiedliche Positionen und die werden der Leserschaft so ausgewogen präsentiert, dass man sich zumindest einmal mit einer anderen Sichtweise oder den Motiven auseinandersetzen muss und hin und wieder sogar etwas Empathie für die Figuren entwickeln kann, auch wenn sie furchtbare Taten begehen und/oder schlimme Arschlöcher sind. In diesem Roman gibt es aber eine derart eindeutige Tendenz, sodass fast alle Protagonisten böse, intrigant und verschlagen sind, manche aus Berechnung zur Vernichtung und andere aus Dummheit oder Gier.

 

Zu Beginn der Geschichte startet der Autor mit einer Kafka-Analogie zur Verwandlung. Die Parlamentskakerlake Jim Sams erwacht eines Tages als Mensch – eigentlich als Premierminister von England – und stellt nach einer kurzen Eingewöhnungsphase fest, dass mit ziemlicher Sicherheit auch die meisten anderen Mitglieder des Parlaments allesamt seine Kollegen aus der Kakerlaken-Kolonie sind – bis auf den Außenminister.

Da ja schon von Beginn an klar ist, dass es sich bei dieser Satire um eine Wutschrift gegen den Brexit handelt, war ich sehr unschlüssig, ob sich McEwan hier einen Gefallen getan hat, politische Gegner mit anderen Meinungen als Kakerlaken auftreten zu lassen. Ist dies ein Geniestreich oder ein nicht fertig ausgegorener Schnellschuss der eigenen Verzweiflung?, habe ich mich gefragt.

 

Die Kritik von einigen Rezensenten auf der Insel an diesem Setting kann ich durchaus nachvollziehen. Deshalb habe ich ein bisschen nach Originalstimmen recherchiert. Der irische Literaturkritiker Fintan O’Toole schrieb etwa im Guardian: „Politische Gegner mit Kakerlaken zu vergleichen, ist eine toxische Metapher mit übler politischer Vorgeschichte, und es ist daher schwer, McEwans Novelle ohne ein gewisses Unbehagen zu lesen.“
Die den Tories nahestehende konservative Wochenzeitschrift The Spectator rügte, es sei unangebracht, demokratisch gewählte Politiker als Kakerlaken darzustellen: „Das war das Wort, mit dem die Völkermörder in Ruanda ihre Anhänger zum Handeln aufriefen.“ (Quelle: Kleine Zeitung)

 

Dadurch, dass hier aber Kafka von Mc Ewan ganz innovativ geremixed wird – nämlich indem er die Geschichte reversed erzählt (Der Mensch verwandelt sich nicht in eine Kakerlake, sondern die Kakerlake wird zum Menschen) – wird meiner Meinung nach dem Umstand, dass er politische Gegner als Kakerlaken entmenschlicht, durch die Kafka-Analogie die Schärfe genommen. Indem er sich in die Tradition von Orwells Animal Farm und die Verwandlung einreiht, hat er hier die historische Bombe von Ratten und Kakerlaken im Vorfeld eines Genozids ganz gut entschärft, er reiht sich ein in den literarischen Brauch, nicht Opfer zu generieren, sondern die herrschende Kaste als Tiere ironisch zu persiflieren. Aber das müsst Ihr natürlich selbst entscheiden, ob das auch für Euch zutrifft. Die Irritationen dazu kann ich selbstverständlich verstehen.

 

Im Folgenden treten die Kakerlaken in den Hintergrund und uns wird das wahnwitzige politische und volkswirtschaftliche Konzept des Reversalismus vorgestellt, das die britische Regierung durchsetzen möchte. Hierzu werden die Geldflüsse umgedreht, also auch wie Kafkas Verwandlung reversed – welch eine Doppelanalogie – betrachtet.

 

„Ich habe verzweifelt nach etwas gesucht, das ähnlich absurd wie der Brexit ist. Und bin darauf gekommen, einfach den Geldfluss umzukehren: Arbeitnehmer zahlen dafür, dass sie arbeiten. Kunden kaufen ein und bekommen dafür vom Ladenbesitzer Geld. Das führt zu ziemlich viel Ärger, wenn Sie das auch im internationalen Handel anwenden. Wenn Sie Waren exportieren, müssen Sie dafür dann auch das Geld mitschicken“, sagt McEwan (Quelle: Deutschlandfunk Kultur)

 

Als Betriebswirtin mit VWL-Ausbildung muss ich aber sagen, dass McEwan sein System in seiner ganzen Beklopptheit sehr stringent, spannend konzipiert und bis zur letzten Konsequenz betriebswirtschaftlich durchexerziert hat. Bargeld darf bei Gefängnisstrafe nicht gehortet und ausgeführt werden, und der Reversalismus funktioniert natürlich langfristig nur, wenn auch der Rest der Welt mitmacht, es sei denn, Großbritannien schottet sich vom Welthandel ab und agiert wirtschaftlich total autark. Dazu müsste man dann auch noch die Grenzen schließen.

Das erste, überwältigende Problem stellte der Außenhandel dar. Die Deutschen würden gewiss mit Freuden unsere Waren zusammen mit unseren saftigen Geldzahlungen entgegennehmen, doch war wohl kaum anzunehmen, dass sie uns ihre Autos ihrerseits mit Bargeld vollgestopft schickten.

Die deutsche Kanzlerin und die Leserschaft fragen sich in dieser Satire zu Recht: WARUM?? Die Populisten im Land haben aber das einfache Volk, das solche wirtschaftlichen Prämissen, dass 2+2=5 sind, und die Konsequenzen dieser Annahme nicht bis zum Ende durchdenken kann, durch schöne Reden und Medienpräsenz sehr gut unter Kontrolle. Obwohl das Wort Brexit nicht erwähnt wird, zeigt sich hier klar die Analogie.

 

 

 

Der amerikanische Präsident Tupper wird vom britischen Premier insofern korrumpiert und überzeugt, als dass er sich nach geltender Rechtslage durchaus den Verteidigungsetat der gesamten USA in seine eigene Tasche stecken kann. Wenn er will, jenen des Bildungs- und des Gesundheitssystems noch dazu. Ich kenne mich nun mit dem politischen System der Vereinigten Staaten überhaupt nicht aus, aber möglicherweise gibt es da tatsächlich eine Hintertür im System der checks and balances des Landes.

 

Politische Gegner in Großbritannien werden mit Intrigen und vor allem mit Hilfe der unabhängigen Presse, wie dem Guardian, kaltgestellt. Ein kleiner Seitenhieb auf den politischen Missbrauch der #metoo-Bewegung ist besonders böse. Wir sehen in dieser Geschichte ein Lehrbeispiel, wie politische Ränke zum Schaden des Landes gesponnen, Gesetze und demokratische Regeln ausgehebelt werden.

Am Ende wird noch einmal der Bogen zu den Kakerlaken geschlagen, und dann ergibt sogar der volkswirtschaftliche Wahnwitz dieser Satire einen tieferen Sinn.

 

Fazit: Ich finde diesen Roman sehr lesenswert. Sprachlich gibt es bessere Werke des Autors. Wer sich nicht genauer für die Hintergründe und Implikationen von wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen interessiert, ist hier aber fehl am Platz, denn das Konstrukt dieses fiktiven Britanniens und die satirischen Anspielungen sind schon etwas für Fortgeschrittene. Insofern kann wahrscheinlich kein einziger Brexit-Befürworter vom Gegenteil überzeugt werden. Aber als Wutschrift in der Verzweiflung gegen die Dummheit und die Ignoranz des Brexit ist er ein sehr spannender, authentischer und vor allem aktueller Diskussionsbeitrag zu diesem Thema.

 

Meine Mittäterin beim Blog Feinerbuchstoff, thursdaynext, hat auch noch einen erhellenden Beitrag zu meiner Rezension dazugesteuert, der wahrscheinlich perfekt zur Stimmung des Autors passt:

 

Zufällig haben wir festgestellt, dass wir Kakerlaken fast zur selben Zeit gelesen haben, daher Dank an awogfli, die mich einlud, meinen „Senf“ kulinarisch noch zu den Kakerlaken dazuzugeben. Viel gibt es ihrer Besprechung nicht hinzuzufügen, daher beschränke ich mich auf den supersubjektiven Blick:

 

Kafkas Gregor Samsa Geschichte mochte ich schon immer, diese „Was-wäre-wenn-Szenarios“ haben es mir angetan. Dass der hochgeschätzte Ian McEwan sich jetzt daran vergreift – im Sinne einer Hommage an den Autor – ist nett, aber, wie schon awogfli schreibt, es geht ihm nicht um Kunst, es geht hier um WUT! McEwan ist sauer, stinksauer, das schmälert die Kunst, aber nicht die Aussage. Es sind Schmeißfliegen und Kakerlaken, diese egozentrierten Politiker, denen es beileibe nicht um das Volk geht, sondern um ihre eigenen Pfründe, ihre Eitelkeit, und … weiß der Geier um was, ums Rechthaben? Das Brexitdramolett jedenfalls hat McEwan perfekt wiedergegeben. Die Eiertänze, die Lügen, die verzerrten Halbwahrheiten, die Brüche mit den Traditionen des Parlaments, das würdelose Geschrei und die Unfähigkeit erwachsener „Volksvertreter“, gemeinsam konstruktiv zum Wohle aller zusammenzuarbeiten. Es sind: Kakerlaken unter sich! Schwer zu fassen, noch schwerer auszumerzen und womöglich eine der wenigen Spezies, die einen Atomkrieg überleben.

 

Wer sollte Kakerlaken lesen? Alle, die bisher noch nicht so richtig beim Brexit durchgeblickt haben, aus welchen Gründen auch immer, eingeschworene McEwan-Fans kommen natürlich auch nicht drum herum, Insektenforscher, um zu schauen, ob der Autor diese bezaubernden Überlebenskünstler korrekt dargestellt hat und Boris Johnson, Nigel Farrage und jene Briten, die mit OUT gevotet haben.

Ich habe Kakerlaken mal schnell weggelesen, war aber weniger amused, als ich dachte. Zu sehr und zu lange nervt dieses demokratiezersetzende Gezerre um gar nicht mehr so great Britains Ausstieg aus der EU, die zwar ein von Lobbyisten besetzter mieser Saftladen ist, aber immerhin ein Weg, die Völker Europas irgendwann tatsächlich friedvoll zusammenzubringen. Ein Lob auf Ian McEwan, der diese britische Tragödie absolut authentisch abbildet.

 

So blieb nach dem Lesen ein schales Gefühl, ich hätte es als ausgeprochenes McEwan-Groupie niemals nicht lesen können, würde es aber Menschen, die dieselben Gefühle angesichts des Theaters um Großbritanniens EU-Austritt haben, auch nicht unbedingt empfehlen, außer sie bringen hier noch mehr Humor auf als ich.

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review 2019-08-25 12:00
Inhaltlich nicht viel Neues strukturell äußerst schwach präsentiert
Kurz & Kickl - Helmut Brandstätter

Was mich immer wieder erschüttert, ist der Umstand, dass viele gestandene und sehr gute Journalisten ihre ungefähr zweihundert Seiten dicken Bücher so schreiben, als würden sie nur einen mehrseitigen Leitartikel vor sich haben. Dabei kommt dann ein sprunghaftes nicht professionelles Werkstück heraus, das in seiner Struktur total schwächelt, jeglichen Roten Faden vermissen lässt und im Plauderton wirrrr von einem Argrument zum anderen und zudem zwischen den Zeiten hin und her springt und zwischen den Personen herummäändert. So eine Leserverwirrung mag bei einem fiktionalen Werk eine grandiose Wirkung haben, in einem politischen Sachbuch, das Hintergründe und Netzwerke aufdecken sollte, ist das aber ein absolutes No-Go. Aus diesem Grund kann ich nur den Kopf schütteln, dass hier nicht ein ordentlicher Editor oder ein mutiger Lektor mit Durchgriffsrecht ein Machtwort gesprochen hat. Legts einfach Eure Eitelkeit ab, sehr viele von Euch KÖNNEN keine Sachbücher schreiben und lasst Euch endlich mal helfen. Der Herr Mitterlehner hat das mit seinem ersten Buch wesentlich besser gemacht!

Auch in diesem Werk ist es genau so, wobei ich Herrn Brandstätter nicht als einzigen Journalisten verorte, der keine Ahnung von Strukturierung hat, da befindet er sich in hervorragender Gesellschaft mit z.B. Scharsach. Zu Beginn wird wirr zwischen Kurz und Kickl zwischen 2017 und 2019 herumgesprungen. Irgendwann zeichnet sich dann eine lasche thematische Ausrichtung, vom politischen Programm, über die Burschenschafter der FPÖ, flankiert vom Wahlkampf und die Sicht der Parteien auf die Medien, zu den Nazi Rülpsern... (Reihenfolge ist im Buch so) ab. Aber wie ihr seht, sind auch die Kapitelabfolgen nicht in einer logischen Struktur, wodurch bei den Burschenschaftern schon wieder einiges vom Nazirülpser Kapitel vorweggenommen wird.  Und so geht es munter weiter. Und nein, liebe Journalisten, wenn Ihr nur im Erzählton herumplaudert und vom Hundersten ins Tausendste springt, wird ein Buch nicht spannender und populärer, sondern nur wirr und unübersichtlich.

Um so ein Fehlen des Roten Fadens eindrucksvoll zu demonstrieren, werde ich diesmal ausnahmsweise auch in meiner Rezi denselben Fehler begehen und auf den Beginn des Buches, auf die Einleitung zurückschwenken. Ich schätze zwar Erhard Busek in vielen Bereichen, aber das Predigen hätte er sein lassen sollen. Schon im Vorwort kommt er nicht zum Thema und zum Punkt der Politik sondern schwadroniert so allgemein über christliche Religiosität - schon mal was von Laizismus gehört? In einer anständigen Politik sollte z.B. der Kircheneintritt von Van der Bellen nicht mal im Ansatz erwähnt werden, denn RELIGION IST PRIVATSACHE, wir leben eben nicht in einem Gottestaat, auch nicht in einem christlichen. Insofern war schon das Vorwort zu diesem Buch sehr ärgerlich, da es so gut wie nichts mit dem Thema zu tun hatte.

Auch sonst ist halt inhaltlich für den gemeinen politikinteressierten Leser nicht viel Neues drinnen. Die Mitterlehner Geschichte wird von Mitterlehner weit besser erzählt, alles andere ist ohnehin hinlänglich bekannt und wurde eben zudem schlecht und unstrukturiert zusammengefasst. Lediglich im Rahmen der Thematisierung  der Parteien im Umgang mit den Medien gibt es ein paar neue Erkenntnisse bei der Einflussnahme, der strukturierten Pressesprecher-Netzwerke und wie die Message-Control im Detail auch hierarchisch in der österreichischen Medienlandschaft funktioniert und durchgesetzt wird.

In diesen spärlichen Kapiteln ist Brandstätter endlich der Profi, dessen Expertise, Neuigkeiten und Zusammenhänge ich mir erwartet habe. Leider gehen diese Themen im recht mittelmäßig aufgemachten allgemein bekannten Bla-Bla unter. Hier wäre zum Beispiel auch angesagt gewesen, mal eine Politikwissenschaftlerin wie Natascha Strobl zu zitieren, die jede Rede von Kurz bis ins letzte Detail analysiert hat. Diese kompetente Frau ist normal politikinteressierten Menschen, zumindest den Nicht-Twitterern eher weniger bekannt, sie zerlegt aber punktgenau, wie die Message kontrolliert an das Wahlpublikum gelangt. Da Brandstätter keine Scheu hatte, Mitterlehner und andere zu zitieren, frage ich mich, warum er genau bei diesem Thema, das sich nahezu als Nukleus aufdrängte, verabsäumte, Strobl zu zitieren.

Inhaltlich bin ich auch mit ein paar Sachen nicht einverstanden, zum Beispiel hat der Herr Forstklo (Waldhäusl) in Niederösterreich weit schlimmere Verfehlungen angerichtet, als die Leute beim Kauf von geschächtetem Fleisch registrieren zu wollen, wie Herr Brandstätter moniert. Er verstieß kriminell und massiv gegen Kinder und Jugendrechte, als er in einem Heim für minderjährige Flüchtlinge in Drasenhofen Stacheldraht anbringen ließ und quasi eine Ausgangssperre verhängte. https://www.derstandard.at/story/2000092783407/waldhaeusl-jeder-kann-sich-zwei-drei-fluechtlinge-mit-nach-hause . So ein Verbrechen nicht dementsprechend anzuprangern, ist zwar tragisch, aber entweder eine andere Wertung als ich sie vornehme, oder eben Unwissenheit, was sich in Niederösterreich tatsächlich Gravierendes abspielt.

Fazit: Für mich ein schnell und unfundiert hingeschlenztes sehr unterdurchschnittliches politisches Buch, das maximal auf 2,5 Sterne kommt. Die Zielgruppe, die dieses Buch lesen kann und will, weiß ohnehin fast alles, was drinnensteht, wird sich wahrscheinlich langweilen und hat kaum einen strukturierten Erkenntnisgewinn, die anderen sind ohnehin verblendet.

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review 2019-07-30 09:02
Geschmackssache
Das magische Portal - Aileen P. Roberts

Aileen P. Roberts war das Pseudonym der deutschen Fantastik-Autorin Claudia Lössl, die tragischerweise im Alter von 40 Jahren am 05. Dezember 2015 verstarb. Sie hinterließ ihren Ehemann Stephan, mit dem sie unter dem Sammelpseudonym C.S. West ebenfalls fantastische Romane verfasste, und ihre Tochter. Die Schriftstellerin litt unter einer schweren Krankheit, wovon offenbar nicht einmal ihr Verlag Goldmann Kenntnis hatte. Die Nachricht ihres Todes überraschte Fans wie Verleger gleichermaßen. Ich möchte ihrer Familie an dieser Stelle mein tief empfundenes Beileid aussprechen. Ich wusste nicht, dass sie nicht mehr unter uns weilt, als ich „Das magische Portal“, den ersten Band der „Weltennebel“-Trilogie, las. Durch ihre Bücher bleibt sie auf ewig in Erinnerung.

 

Was hat die unscheinbare Mia bloß an sich, dass sich Darian zu ihr hingezogen fühlt? Weder entspricht sie seinem Typ, noch verkehrt sie in denselben sozialen Kreisen. Er ist beliebt und wohlhabend, sie hingegen wird von allen „die Vogelscheuche“ genannt. Als sie sich auf einer Studienreise nach Schottland näherkommen, erkennt Darian, dass sein Interesse an Mia über eine harmlose Schwärmerei hinausgeht. Sie verbirgt ein unglaubliches Geheimnis: sie ist kein Mensch. Sie stammt aus einem magischen Land namens Albany, dessen königliche Familie vor 25 Jahren Opfer einer heimtückischen Verschwörung wurde. Nur der jüngste Prinz überlebte und wurde durch den Weltennebel in Sicherheit gebracht. Von Verzweiflung getrieben offenbart sie Darian die Wahrheit: er ist Albanys verschollener Prinz, der Thronerbe und muss schnellstmöglich zurückkehren, um sein geknechtetes Volk zu erlösen. Obwohl Mias Geschichte verrückt klingt, glaubt Darian ihr. Doch die Reise nach Albany fordert Opfer und schon bald muss Darian einsehen, dass er in seiner Heimat vielleicht nicht willkommen ist…

 

„Das magische Portal“ ist wohl Geschmackssache. Ich fand den ersten Band der „Weltennebel“-Trilogie nicht schlecht, doch leider war er überhaupt nicht meins. Als glühender High Fantasy – Fan sind Crossgenre-Vertreter wie dieser Roman für mich ein Glücksspiel, weil mich die fiktive Welt, die sie vorstellen, weit mehr interessiert als die Ereignisse in unserer Realität. Das heißt, sowohl der Übergang in diese Welt muss gelungen sein als auch das Wordbuilding selbiger, das dann wiederum die Handlung bestimmt. „Das magische Portal“ überzeugte mich in allen drei Punkten nicht. Anfangs war ich überrascht, wie schnell sich das Geschehen entwickelt: Darian erfährt früh, dass er der verlorene Prinz Albanys ist und entscheidet ungeachtet der Konsequenzen sofort, seinen Thron in Besitz zu nehmen. Seine Entschlussfreudigkeit sagte mir zu, schließlich wollte ich Albany kennenlernen. Während Mia und Darian darum kämpfen, die Reise in die Tat umzusetzen, beschlichen mich jedoch Zweifel. Wollte Darian nicht viel zu wenig über das Land, das er zu regieren gedachte, wissen? Natürlich stellt er Mia die grundlegendsten Fragen, wichtige Themen wie Politik und Wirtschaft hingegen streift er lediglich. Ich begann, seine Kurzentschlossenheit als überstürzt und naiv zu interpretieren. Mir schwante Übles für das magische Reich und sobald Darian in Albany eintraf – natürlich nicht ohne Verluste – bestätigte sich meine Vorahnung. Darian ist unverantwortlich schlecht auf seine neue Position vorbereitet und wird vollkommen allein gelassen, was ich als Folge der gravierenden Lücken des oberflächlichen Worldbuildings auslege. Albany erschien mir wie ein zweidimensionales Gemälde. All die kleinen Details, die eine fiktionale Welt trotz fantastischer Elemente real wirken lassen, fehlen dort. Territoriale Grenzen sind diffus und inkonsequent, die Beziehungen zwischen den Völkern schwer nachzuvollziehen, politische und ökonomische Gegebenheiten und Gesetze maximal grob umrissen. Für mich fühlte sich das Land wie eine Spielwelt an, die Aileen P. Roberts erschuf, um ihren verträumten Vorstellungen eines parallelen, verzauberten Universums Gestalt zu verleihen, ohne sich ernsthaft um Realismus oder Logik zu bemühen. Ich fand das sehr schade, denn Albany hat definitiv Charme. Unglücklicherweise langweilte mich die Handlung allerdings so sehr, dass ich die bezaubernden Facetten des Settings nicht schätzen konnte. Es passiert einfach zu wenig. Von Trauer gelähmt lässt sich Darian um seinen Thron betrügen und gerät in eine qualvolle Spirale aus Verzweiflung und Selbstekel. Er versinkt in einer hübschen, ausgewachsenen Depression, die ihn daran hindert, seine Situation zu ändern. Mich berührte sein Schmerz überhaupt nicht, weil ich sein Verhalten als egoistisch empfand. Sein Volk braucht ihn. Derweil er sich ausgiebig im Selbstmitleid suhlt, leiden sie unter horrend hohen Steuern und einer herzlosen Politik der Willkür. Das konnte ich ihm nicht verzeihen, obwohl er zum Ende von „Das magische Portal“ eine vollständige Läuterung durchläuft. Es war zu spät – meiner Auffassung nach hatte er sein Anrecht auf den Thron längst verspielt.

 

Über die Toten soll man nur Gutes reden, besagt ein altes lateinisches Sprichwort. Deswegen fiel mir diese Rezension zu „Das magische Portal“ ziemlich schwer, denn der tragisch frühe Tod von Aileen P. Roberts alias Claudia Lössl löste in mir den reflexhaften Wunsch aus, alle Kritik an ihrem Trilogieauftakt zu verschweigen. Aber das wäre unehrlich. Ich glaube, dass man den Toten Respekt erweist, indem man ihr Vermächtnis aufrichtig beurteilt. „Das magische Portal“ bot mir zu wenig Abwechslung, kränkt meiner Meinung nach am schemenhaften Worldbuilding und war zu sehr auf die emotionale Ebene fokussiert. Leser_innen, die feminine, magische Liebesgeschichten mögen und zugunsten der Gefühle weniger Wert auf ein konsequentes Weltendesign legen, sind hier sicher besser aufgehoben. Ich bin nicht das richtige Publikum für die „Weltennebel“-Trilogie und kehre Albany demzufolge den Rücken.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/07/30/aileen-p-roberts-das-magische-portal
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review 2019-07-02 11:26
Der einzigartige Geschmack von Schießpulver, Magie und Heldenmut
Wrath of Empire - Brian McClellan

Nicht nur Leser_innen fällt es am Ende einer Reihe manchmal schwer, sich zu verabschieden, sondern auch Autor_innen. Brian McClellan gestand in einem Interview, dass ihm der Übergang von der „Powder Mage“-Trilogie zu seinem neuen Dreiteiler „Gods of Blood and Powder“ Probleme bereitete, weil er keine Ahnung hatte, wohin die Geschichte führen sollte. Er schrieb eine komplette erste Variante des Auftakts „Sins of Empire“, die überhaupt nicht funktionierte. Er begann noch einmal von vorn, kürzte diesen ersten Entwurf auf ein einziges Kapitel zusammen, überarbeitete den grundlegenden Konflikt – und plötzlich klickte es. Er hatte seinen Groove gefunden. Mich würde ja interessieren, um welches Kapitel es sich handelt und ob einige seiner ursprünglichen Ideen ihren Weg vielleicht in den zweiten Band „Wrath of Empire“ fanden.

 

Die Invasion der Dynize traf das gespaltene Fatrasta vollkommen unvorbereitet. Lady Vlora Flint und ihre Riflejacks verteidigten die Hauptstadt Landfall solange wie möglich, wurden jedoch von der überlegenen Truppenstärke der Dynize überrannt. Nun begleiten sie tausende Flüchtlinge, die alles verloren. Vlora fühlt sich für sie verantwortlich, obwohl ihrer Söldnerkompanie eine prekäre Mission bevorsteht: sie müssen die verschollenen Göttersteine aufspüren und zerstören, bevor die Dynize ihren verstorbenen Gott wiederauferstehen lassen können. Schweren Herzens überlässt Vlora die Flüchtlinge der Obhut von Fatrastas Militär und teilt ihre Truppen auf. Ben Styke wird die Kavallerie an die Westküste führen, wo sich einer der Steine befinden soll. Der andere liegt angeblich in den Bergen – diesen wird Vlora selbst suchen. Ein mörderisches Wettrennen beginnt.
Währenddessen soll Michel Brevis in Landfall einen riskanten Auftrag erfüllen: er soll eine Kontaktperson aus der Stadt schmuggeln. Umgeben von Feinden wird er tief in die komplexe Politik der Dynize hineingezogen. Kann er die Invasoren von innen sabotieren, ohne seine Tarnung zu gefährden?

 

In der Rezension zu „Sins of Empire“ schrieb ich, dass die Trilogie „Gods of Blood and Powder“ einem Topf gleicht, der kurz vorm Überkochen steht. Nun ist es passiert. Mit dem zweiten Band „Wrath of Empire“ eskaliert die Lage in der jungen Nation Fatrasta – und was bin ich froh darüber! Diese Fortsetzung ist spannend, intelligent und nervenaufreibend bis zur letzten Seite, denn der Autor Brian McClellan spitzt die Konflikte, die er im ersten Band etablierte, dramatisch zu und inszeniert ein vielschichtiges Kräftemessen zwischen Invasoren und Besetzten. Übermenschliche Attentäter_innen, unheimliche Blutmagie, Spionage, militärische Hinterhalte und klassische Schlachtszenen verbinden sich zu einem explosiven Gemisch, das mir schier den Atem raubte und mich an die Lektüre fesselte. Ich freute mich bereits in „Sins of Empire“ über McClellans kreatives Worldbuilding, aber erst jetzt weiß ich Fatrasta richtig zu schätzen. Das Land wirkt selbst beinahe wie eine Hauptfigur, denn die Geschichte ist so eng mit dessen komplexer Historie verbunden, die so essenziell für die inhaltlichen Entwicklungen ist, dass ich Fatrasta nicht nur als rahmengebendes Setting wahrnehme. Es ist ein äußerst lebendiger Schauplatz mit echter Persönlichkeit und steht den menschlichen Protagonst_innen somit in nichts nach. McClellan behält seine perspektivische Dreiteilung bei und schildert die Ereignisse abwechselnd aus der Sicht von Vlora, Styke und Michel. Letzterer konnte mich endlich für sich gewinnen. Es tut mir leid, wie gewaltig ich ihn sowohl als Individuum als auch hinsichtlich der Bedeutsamkeit seiner Rolle unterschätzte. Mittlerweile glaube ich, der Doppelagent ist die Schlüsselfigur der Trilogie. Ich bewundere, wie mutig er allein größten Gefahren trotzt. In „Wrath of Empire“ begibt er sich mitten in die Höhle des Löwen und kann sich lediglich auf die Schärfe seines Verstandes verlassen. Er hat keine Freunde, keine Kampfgefährten, niemanden, dem er vertrauen kann und muss in den riskanten Gewässern der Politik der Dynize navigieren, ohne sich einen Fehltritt erlauben zu können. Daher sind seine Erlebnisse nicht nur aufregend, sondern auch eine elegante Methode, Leser_innen die Gesellschaft und Kultur der Invasoren näherzubringen. Ich erhielt eine Ahnung davon, wie die Magie der Dynize funktioniert, erfuhr schockierende Neuigkeiten über eine wohlbekannte Figur, deren Wurzeln in der „Powder Mage“-Trilogie im Dunkeln lagen und begriff, wie gravierend die Bedrohung ist, die von den Göttersteinen ausgeht, die besonders die ehemaligen Soldat_innen Adros das Fürchten lehrt. Obwohl sie eine würdige Erbin ist, vermisste ich in Vloras Nähe Feldmarschall Tamas. Nicht, weil „Wrath of Empire“ etwas fehlen würde, einfach als Freund. Umso mehr berührt es mich, dass McClellan sein Andenken in „Gods of Blood and Powder“ bewahrt. Ich glaube, es hätte ihn stolz gemacht, wie selbstlos und aufopferungsvoll Vlora, Styke und Michel für ein unterdrücktes Volk kämpfen.

 

Brian McClellan hat es wirklich drauf. „Wrath of Empire“ ist eine hervorragende Fortsetzung, die die Handlung der „Gods of Blood and Powder“-Trilogie beschleunigt, verschärft und dennoch ausreichend inhaltlichen Spielraum für das große Finale „Blood of Empire“ lässt, das im Dezember 2019 erscheinen soll. Ich habe es vorbestellt, denn nach der Lektüre des zweiten Bandes kann ich es kaum erwarten, dass es weitergeht. „Wrath of Empire“ fachte meinen Appetit auf weitere Abenteuer in Fatrasta gehörig an. Auf meiner Zunge liegt noch immer dieser einzigartige Geschmack von Schießpulver, Magie und Heldenmut, der so charakteristisch für das „Powder Mage“-Universum ist und niemals Langeweile aufkommen lässt. Ich möchte an Vloras Seite Musketenfeuer lauschen, mit Ben Styke im gestreckten Galopp reiten und Michel unterstützen, politische Intrigen auszuhecken. Auf geht’s meine Freunde, jagen wir die Dynize zum Teufel!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/07/02/brian-mcclellan-wrath-of-empire
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review 2019-06-04 11:02
Sachliche, informative Biografie über Wirtschaft, Politik und Medien
Haltung - Reinhold Mitterlehner

Ursprünglich dachte ich bei der Bestellung dieses Buches, dass ich die inhaltliche Brisanz, die politische Dimension und den Skandal in meiner Beurteilung von der sprachlichen und strukturellen Qualität dieser Biografie abtrennen müsste, aber dies ist erfreulicherweise gar nicht der Fall. Barbara Toth, die das Werk redaktionell betreut hat, hat diesbezüglich ganze Arbeit geleistet und auch die Skandalisierung, die einige politische Akteure schon vor Erscheinen der Biografie proaktiv und teilweise sehr hinterlistig hinausposaunt haben, ist ausgeblieben, denn Mitterlehner hat sich nicht mitreißen lassen, er spricht die Fakten sehr sachlich an, beschönigt zwar nichts, aber er wirft weder unnötig mit Dreck, noch stilisiert er sich weinerlich zum Opfer. Wer sich also eine Schlammschlacht erwartet, wird enttäuscht sein. Mir hat dieser sachliche, konstruktive Stil aber sehr gut gefallen. Insofern bin ich richtig froh, dass ich das Buch in seiner Gesamtheit durchaus loben kann, wenngleich es nicht für jedermann geeignet ist. Die größten Stärken spielt dieses Werk aus, wenn politische und wirtschaftliche Zusammenhänge recht einfach und plastisch erklärt werden, daran Freude haben wird man/frau aber nur wenn Interesse für diese Themen besteht.

Ich habe das Buch in der turbulenten Woche rund um das Ibiza Video begonnen und mir wurde beim Lesen wieder schmerzlich bewusst, wie sehr ich den alten sachlichen christlich geprägten Stil des politischen Ausgleichs zwischen den Interessensgrupppen in der ÖVP und in der Regierung vermisse. Damals wurde konstruktiv gearbeitet und nicht jeden Tag eine neue Neonazi-Bundesgrauslichkeit produziert bzw. toleriert. Auch dieses "Streiten" der Parteien im Parlament, das uns ja seit den letzten Wahlen von der neuen (schon wieder abgesetzten) Regierung als Stillstand vernadert wurde, ist eigentlich gelebter Parlamentarismus und demokratischer Interessensausgleich zwischen den Akteuren, das stellt Mitterlehner ganz grandios dar und deckt sich auch mit meiner Meinung. Keine Diskussion in einer Regierung führt automatisch in die Autokratie und letztendlich in die Diktatur. Insofern ist diese Biografie gerade seit einer Woche aktueller denn je.

Mitterlehner beginnt mit einem kurzen Schlaglicht auf den Endpunkt seiner Karriere, seinem Rücktritt und rollt dann sein Leben chronologisch von Beginn an auf. Zuerst werden seine Wurzeln im kleinen Dorf im Mühlviertel beleuchtet und dann die Universitätszeit in Linz aufgerollt. Dieses Kapitel hat mich besonders interessiert, denn ich habe auch dort studiert und kenne daher den Großteil der genannten Akteure sogar persönlich. Insofern musste ich nie im Glossar nachsehen, was aber für einen Nicht-Kepler (Name der Uni Johannes Kepler Uni) möglicherweise etwas schwierig ist.

Auch jene Kapitel, wie Mitterlehner für einen ÖVP-Politiker etwas quereinsteigermäßig vom Wirtschaftsbund in die Regierung kam, waren nicht unspannend. Am besten haben mir aber die Kapitel danach gefallen, zum Beispiel als es um die Bewältigung der Wirtschaftskrise ging, die in Österreich durch ausgezeichnete volkswirtshaftliche Aktionen der Regierung relativ schaumgebremst beim Staatsbürger angekommen ist. Vor allem jene Aussage und Klarstellung, dass uns die große Koalition über die Wirtschaftskrise geholfen hat, die Instrumente für den Ansprung der Konjunktur aber verzögert wirken, ist glatt aus dem VWL-Lehrbuch vom Prof. Schneider (Uni-Linz). Dass somit die Loorberen für diese guten Aktionen aber erst die nächste Regierung einfährt, ist dem Wähler auch so gut wie nie bewusst, so eine Situation haben wir in vielen Ländern wie z.B. auch in Amerika.

Was Mitterlehner in prinzipieller Einstellung zu den Flüchtlingen zu sagen hat, ist sehr pragmatisch, sehr christlich und außerordentlich wohltuend gut, wenngleich er auch die Versäumnisse und Untätigkeit seiner Parteikollegen wie Mikl Leitner in der Flüchtlingskrise massiv beschönigt. Man kann als Innenministerin eben nicht die Hände in den Schoß legen und die Schuld auf die Länder schieben, vor allem wenn jene Länder, die einer menschlichen Flüchtlingsunterbringung besonders unkooperativ gegenüberstehen, ausgerechnet zur eigenen Partei gehören.

Im Kapitel Machübernahme wird dann klar, dass und wie minutiös Sebastian Kurz die Sprengung der Regierung und die Ablösung des Parteivorsitzenden geplant hat und auch welche Protagonisten hier hinterrücks intrigiert haben. Das war ja der spannende Punkt in der Biografie, vor dem sich viele Politiker gefürchtet haben. Für dieses Kaptiel muss man Mitterlehner wirklich Hochachtung zollen, wie klar und sachlich er alles beschreibt, ich hätte das nicht gekonnt. Dennoch wird natürlich offenbar, wie die Strategie von den neuen Türkisen auch in den letzten Wochen wieder betrieben und wie versucht wird, dem Wähler ein völlig anderes Narrativ aufs Auge zu drücken. Wenn man aufmerksam liest, kommt natürlich klar heraus, dass hier nicht mehr Politik für ein Land gemacht, sondern nur noch macchiavellistisch auf Machterhalt gepocht wird.

Aber auch nach seinem Abschied und der sachlichen Mini-Abrechnung beziehungsweise Klarstellung seiner Absetzung hat Mitterlehner noch spannende Abhängigkeiten und Strukturen aufzudecken. Fast prophetisch kritisiert er die ungünstigen Verflechtungen von Medien und Politik in Österreich, die so in Deutschland gar nicht stattfinden könnten, ohne Rücktritte zur Folge zu haben. Das ist fast wortwörtlich dasselbe, das Florian Klenk am 22.5.2019 bei Markus Lanz dargelegt hat. (Die ganze Sendung findet Ihr hier, man beachte auch die Ausführung zu Gesetzen von Autorin und Verfassungsrechlerin Julie Zeh, die dieselbe Meinung wie Mitterlehner zum politischen legislativen Prozess vertritt) Es ist schon gruselig, was hier im letzten halben Jahr offenbar wurde, wie schnell sich einzelne bei Kronenzeitung und Kurier einkaufen können, teilweise Zeitungen und Meinungen auf dem freien Markt für den Bestzahlenden zur Disposition stehen und dementsprechende lohnschreibende, politikmachende Chefredakteure quasi als verlängerter Arm des Parteipressedienstes installiert werden. Zudem hat Mitterlehner auch den poliitichen Umbruch in der Medienlandschaft durch Social Media sehr gut verstanden.

"Momentan erleben wir eine totale Umwälzung in der politischen Kommunikation, die massive Folgen für die Demokratie haben wird. Parteien bauen sich ihre eigenen Medien auf mit eigenen Social Media Kanälen und eigenen Bewegtbild-Agenturen. Sie brauchen klassische Medien immer weniger und können unabhängig davon informieren und agieren. Sie sammeln Daten - da sind teilweise bis zu hundert Leute angestellt - das alles zu steuern.[...]
Das sind schlechte Aussichten für Bürger sich einzubringen. Was könnte eine vernünftige Gegenstrategie sein? Erstens selektives Umgehen mit Informationen und Nachrichten und andererseits das Agieren mit den gleichen Instrumenten. Zum Beispiel indem man sich vernetzt, austauscht und Plattformen bildet damit man rasch zum politischen Faktor wird."


Das Funktionieren dieser Strategie als politischen Aktivismus eines Bürgers hat uns gerade Rezo in Deutschland beispielhaft vor Augen geführt.

Fazit: Manchmal ein bisschen zu beschönigend, aber ein sehr gutes politisches Buch, das auch die Hintergründe von politischen Prozessen und Wirtschaft ausgezeichnet und relativ einfach für den Laien erklärt. Von der Sprache und vom Aufbau her ab und an zwar ein bisschen zu brav und sachlich vielleicht um eine Nuance zu wenig fetzig, aber Politik muss ja auch nicht immer so populisitisch geilomäßig daherkommen - davon hatten wir in letzter Zeit ohnehin zuviel. Insofern sehr wohltuend. Die Biografie werden aber wirklich nur Leute genießen können, die sich für Politik und Wirtschaft interessieren.

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