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review 2020-02-11 12:12
Aggressiv tragisches Trauerspiel
Miramont's Ghost - Elizabeth Hall

Das Anwesen Miramont Castle, das eine wichtige Rolle in „Miramont’s Ghost“ von Elizabeth Hall spielt, existiert tatsächlich. Es befindet sich in Manitou Springs, Colorado und wurde 1897 von dem französischen Priester Jean Baptiste Francolon für sich selbst und seine Mutter Marie Francolon erbaut. Die Francolons lebten dort allerdings nur drei Jahre. Sie verließen das Haus 1900 aus unbekannten Gründen fluchtartig und kehrten nie zurück, was bis heute zu Spekulationen einlädt. Man munkelt sogar, in dem alten Gebäude würden Geister ihr Unwesen treiben…

 

Es heißt, in Miramont Castle spukt es. Die Leute behaupten, manchmal könne man in dem Anwesen in Manitou Springs, Colorado eine junge Frau in einem altmodischen Kleid am Fenster stehen sehen. Sie berichten von Gegenständen, die sich wie von Geisterhand bewegen. Niemand ahnt, dass die junge Frau eine Gefangene ihrer eigenen Vergangenheit ist. Adrienne Beauvier wurde 1880 als Enkeltochter des Grafen von Challembelles in Frankreich geboren. Früh zeigte sich, dass sie anders war. Sie wusste Dinge, die sie nicht wissen sollte. Sie sah Dinge, die sie nicht sehen sollte. Als ihre Visionen begonnen, ihr die dunklen Geheimnisse ihrer Familie zu offenbaren, zog sie den Hass ihrer Tante Marie auf sich. Marie schreckte vor nichts zurück, um Adrienne zum Schweigen zu bringen. Sie entriss sie ihrem Heim und brachte sie ins ferne Amerika, nach Manitou Springs, in das Haus, das ihr Sohn Julien erbaut hatte. Sie zwang Adrienne, ihre aristokratische Herkunft zu verleugnen und ihr als Hausmädchen zu dienen. Doch die Geheimnisse, die Marie zu vertuschen versuchte, folgten ihnen. Sie holten sie ein. Heute sind Marie und Julien lange tot. Nur Adrienne ist noch immer dort…

 

„Miramont’s Ghost“ ist möglicherweise das tragischste Buch, das ich je gelesen habe. Es ist aggressiv tragisch, ein offensiver Angriff auf die Herzen der Leser_innen. Nach der Lektüre möchte man sich theatralisch schluchzend in eine Ecke werfen und nie mehr aufstehen, weil ernsthaft zu bezweifeln ist, dass die Sonne je wieder scheint. Dieser historische Schauerroman ist schwer zu ertragen, denn die gesamte Geschichte ist vom Mitleid der Leser_innen für die Protagonistin Adrienne abhängig und Elizabeth Hall zieht jedes Register, um sicherzustellen, dass sich auch ja alle vor Bedauern krümmen. Mir war das zu viel. Ich fühlte mich mit dem emotionalen Druck äußerst unwohl. Es war zu viel Leid; Hall überhäuft Adrienne mit Elend, sodass ich mich fragte, womit das arme Mädchen diese harte Bestrafung verdiente. Sie erlaubt Adrienne nicht, Einfluss auf die Handlung von „Miramont’s Ghost“ zu nehmen und verankert sie von Anfang an in einer starren Opferrolle, sodass meine Leseerfahrung ausschließlich daraus bestand, einen gramvollen Schicksalsschlag nach dem anderen zu beobachten. Adrienne darf sich nicht wehren, sie darf nicht reagieren, Hall zwingt sie, all das Unrecht, das ihr angetan wird, stoisch und tatenlos auszuhalten. Ich fand diesen passiven Fokus äußerst schwierig. Es ist bedrückend, eine Protagonistin zu begleiten, der es verboten ist, die Initiative zu ergreifen und für sich selbst einzustehen, besonders, wenn dieser Protagonistin durchaus Mittel zur Verfügung stünden, um sich selbst zu schützen. Adrienne besitzt hellseherisches Talent, bemüht sich jedoch niemals, Kontrolle über ihre Fähigkeiten zu erlangen. Sie lehnt ihre Visionen ab, wird von ihnen überwältigt und provoziert dadurch die Feindseligkeit ihrer Tante Marie, der sie hilflos ausgeliefert ist. Das Schlimmste daran ist, dass ihre Hellsichtigkeit noch nicht einmal einen Unterschied macht. Adrienne ist keine echte Bedrohung für Marie und Julien Francolon, sie ist lediglich eine diffuse Ergänzung ihrer ohnehin existierenden Konflikte, weil ihre Visionen ihr nicht verraten, welches Geheimnis die beiden verbergen. Maries Bosheit erschien mir deshalb übertrieben und ihre drastische Entscheidung, Adrienne nach Manitou Springs zu verschleppen, wirkte aus der Luft gegriffen, denn es gibt keine Vorgeschichte geringerer Grausamkeiten. Vor Adriennes Entführung äußert sich ihre angespannte Beziehung maximal in zornigen Blicken und schneidenden Kommentaren. Wieso Marie plötzlich beschließt, Adrienne endgültig kaltzustellen, konnte ich nicht nachvollziehen. Meiner Meinung nach handelt es sich dabei um eine künstliche Eskalation, die Elizabeth Hall vornahm, um zwei Geschichten zu verbinden, die eigentlich nicht zusammenpassen. Sie wollte eine Erklärung für die mysteriöse, überstürzte Abreise von Mutter und Sohn aus Miramont Castle anbieten und dafür die Gerüchte über Geister in dem Anwesen nutzen, konnte mich allerdings nicht davon überzeugen, dass ein Zusammenhang bestehen könnte, weil Adrienne frappierend wenig mit den Motivationen der Francolons zu tun hat. In ihrer eigenen Biografie ist sie kaum mehr als eine Randfigur – wenn das mal nicht traurig ist.

 

Ich finde nicht, dass Elizabeth Hall die Verbindung von Fakten und Fiktion in „Miramont’s Ghost“ gelungen ist. Ihr mystisch angehauchtes Szenario, das das plötzliche Verschwinden der Francolons aus Miramont Castle erklären soll, empfinde ich als unglaubwürdig, weil sie nicht konsequent vorging. Um Adriennes Schicksal plausibel mit dem Duo zu verknüpfen, hätte sie ihrer Protagonistin Raum und Mut zum Handeln zugestehen müssen. Da sie Adrienne als paralysiertes Opfer charakterisiert, hat diese als Figur zu wenig Gewicht, um Einfluss auf die Geschichte zu nehmen. Sie ist irrelevant. Ihre hilflose Untätigkeit zieht sich leider durch das gesamte Buch, weshalb beim Lesen keine Spannung aufkam und ich mich nur über die Seiten hievte, weil ich darauf hoffte, dass dem bemitleidenswerten Häufchen Elend etwas Gutes widerfährt. Wenn ihr Lust habt, mal so richtig mit einer Figur zu leiden, ist „Miramont’s Ghost“ daher die passende Lektüre für euch – andernfalls muss ich abraten. Dieses Trauerspiel müsst ihr euch nicht antun.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2020/02/11/elizabeth-hall-miramonts-ghost
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review 2019-02-26 10:49
Banditen, Knarren und Macht über Metalle
Jäger der Macht - Brandon Sanderson

Die „Mistborn“-Reihe von Brandon Sanderson ist ein Mammutprojekt, das den Autor noch viele Jahre begleiten wird. Ursprünglich war es als Trilogie-Dreifaltigkeit geplant: es sollten drei Trilogien in unterschiedlichen Epochen erscheinen. Nach der ersten Trilogie entschied Sanderson allerdings, seinen Leser_innen den großen Zeitsprung mit einem Übergangsband zu erleichtern. Eine gute Idee, die sich verselbstständigte. Aus dem Einzelband „Jäger der Macht“ wurde die vierteilige Spin-Off-Reihe „Wax und Wayne“. Sie wird die zweite Trilogie jedoch nicht ersetzen. Es ist unklar, wann mit den nachfolgenden Dreiteilern zu rechnen ist. Ich empfinde „Wax und Wayne“ trotzdem als vollwertigen Bestandteil der „Mistborn“-Reihe und war neugierig, in „Jäger der Macht“ herauszufinden, wie sich die Welt der Nebelgeborenen nach 300 Jahren veränderte.

 

20 Jahre jagte Waxillium Ladrian Verbrecher im Rauland. Er war gut in dem, was er tat. Möglicherweise sogar der Beste, dank der seltenen Kombination seines ferrochemischen und allomantischen Talents. Doch nachdem seine Partnerin ermordet wurde, schwor Wax der Jagd nach Kriminellen ab und flüchtete vor seinen Erinnerungen nach Elantel, um dort die Geschäfte seiner Familie zu leiten. Nur wenige Monate nach seiner Ankunft regen sich erneut seine Ermittlerinstinkte. Die Stadt wird von einer spektakulären Verbrechenswelle in Angst und Schrecken versetzt. Könnte eine Verbindung zwischen den tollkühnen Zugüberfällen und den Entführungen reicher Töchter bestehen? Welchen Plan verfolgt die Allomanten-Räuberbande? Wax hatte gelobt, sich zur Ruhe zu setzen. Aber als er Besuch von seinem alten Freund Wayne erhält, der ihn um Hilfe bei seinen Nachforschungen bittet und er Opfer eines brutalen Mordanschlags wird, kann er nicht länger untätig bleiben. Elantel braucht ihn. Ein neuer Sheriff ist in der Stadt.

 

Ich verstehe, wieso „Jäger der Macht“ Brandon Sanderson dazu verleitete, nicht nur einen Einzelband, sondern eine gesamte Reihe zu schreiben. Die Interaktion von Magie und Technik ist faszinierend. Die metallischen Künste und Schusswaffen sind für einander geschaffen. Das klingt hart, ich weiß. Als ausgesprochene Waffengegnerin und überzeugte Pazifistin würde ich so einen Satz in der Realität niemals äußern. Doch im Kontext des „Mistborn“-Universums entspricht er einfach der Wahrheit. Die nostalgische Wild West – Romantik eines altmodischen Revolvers, dessen Kugeln mit Allomantie manipuliert werden, versprüht einen einzigartigen Charme. Ob Sanderson dieses Zusammenspiel plante, als er die Nebelgeborenen erschuf? Der Übergang in eine neue Ära ist ihm jedenfalls gelungen. 300 Jahre sind seit dem Kampf gegen Ruin vergangen und die Welt hat sich gewandelt. Sazeds Utopie verwirklichte sich leider nicht. Stattdessen entstand in einer Senke das Becken von Elantel, Zentrum der Zivilisation und Standort der Metropole Elantel, in der die Häuserstruktur der ersten Trilogie erhalten blieb und die offensichtlich nach Elant selbst benannt ist. Aufgrund solcher Anspielungen rate ich von einem Quereinstieg mit „Jäger der Macht“ ab. Außerhalb des Beckens ist die Kultiviertheit der Städte noch ein schöner Traum: direkt hinter einer Bergkette beginnt das Rauland, eine gesetzlose, archaische Ebene, in der nur wenige versuchen, Recht und Ordnung durchzusetzen. Assoziationen mit einer Wild West – Szenerie sind demzufolge nicht von der Hand zu weisen und meiner Meinung nach genau, was Sanderson mit „Jäger der Macht“ erreichen wollte, obwohl mich die Atmosphäre nicht gänzlich überzeugte. Ich erlebte kein buntes Kopfkino, trotz anschaulicher Handlungselemente wie maskierten Banditen und einer Verfolgungsjagd auf einem Zug. Der Protagonist Wax verbrachte als Gesetzeshüter 20 Jahre im Rauland, bevor er nach Elantel zurückkehrte, um den Tod seiner Partnerin zu vergessen und die Leitung seines Hauses zu übernehmen. Wax ist ein Zwillingsgeborener; er verfügt über ein allomantisches und ein ferrochemisches Talent. Wahre Nebelgeborene gibt es nicht mehr. Ich fand diese verwässerte Vermischung der Gaben realistisch und plausibel, denn sie erklärt, wieso Vin und Kelsier als Götter verehrt werden und sich um sie religiöse Konfessionen entwickelten, was mich zum Schmunzeln brachte. Das hätten die beiden wohl niemals erwartet. Wax ist ein typischer Held. Die Rechtschaffenheit kommt ihm quasi zu den Ohren raus, wodurch sein Verhalten vorhersehbar ist: komme, was wolle, Wax wird immer das Richtige tun und niemals fragwürdige Entscheidungen treffen. Er ist eine solide Hauptfigur und führt verlässlich durch die Geschichte, erschien mir aber zu langweilig. Ich mochte seinen Kumpel Wayne deutlich lieber, der herrlich unvernünftig und verrückt ist, ohne einen Hauch Bösartigkeit im Leib zu tragen. Gemeinsam ermitteln sie bezüglich einer Verbrechenswelle in Elantel, weshalb ich die Handlung von „Jäger der Macht“ als Krimi einstufe. Resultierend daraus ist der Spin-Off-Auftakt zügiger getaktet als die originale Trilogie. Das kam mir entgegen, doch der Funke ist noch nicht übergesprungen. Mit „Kinder des Nebels“ erging es mir allerdings ebenso. Erst die Folgebände holten mich ab. Also hoffe ich, dass dies wieder der Fall sein wird.

 

Ich glaube, dass ich mit Brandon Sanderson immer etwas Anlaufzeit brauchen werde. Seine einfach gestrickte, klassische Fantasy mit ihren unzweifelhaften Figurentypen ist für mich einfach etwas zu gradlinig und zu einseitig ausschattiert. Deshalb fand ich „Jäger der Macht“ zwar unterhaltsam, aber nicht überwältigend. Das heißt nicht, dass die Handlung keine Überraschungen bereithielte, doch von einer gerissenen Konstruktion kann nicht die Rede sein. Trotzdem mochte ich die an den Wilden Westen erinnernde Epoche dieses Bandes, weil sie hervorragend mit Allomantie und Ferrochemie harmoniert. Banditen, Knarren und Macht über Metalle – diese Kombination macht definitiv Spaß.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/02/26/brandon-sanderson-jaeger-der-macht
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