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review 2019-08-07 10:29
Definitiv keine Geschichte fürs Herz
Nebelgänger - Bernhard Trecksel

Fragt man Bernhard Trecksel nach seinen literarischen Einflüssen, taucht dort ein Name auf, den man nicht allzu häufig liest: Wolfgang Hohlbein. Der aufstrebende Autor gibt bereitwillig zu, dass ihn Hohlbeins Romane prägten und betont, wie viel er für die deutsche Fantasy leistete. Ohne dessen „Der Hexer“-Reihe, die zum Cthulhu-Mythos zählt, hätte er niemals erst H.P. Lovecraft, dann Robert E. Howard und schließlich das gesamte Sword and Sorcery – Subgenre für sich entdeckt. Wie wichtig dies für seinen Werdegang war, zeigt seine „Totenkaiser“-Trilogie. Diese der High Fantasy zuzurechnen, wäre verfremdend. Nein, es handelt sich um Low Fantasy. Nach der Lektüre des zweiten Bandes „Nebelgänger“ kategorisiere ich den Dreiteiler sogar als Grimdark.

 

Ormgair hätte Fomor niemals betreten dürfen. Die Lügen und Intrigen der verweichlichten Stadtlinge widern ihn an. Ihretwegen liegt sein Leben in Trümmern. Sein Stamm wurde ausgelöscht. Sein Mündel Morven ist tot. Rachedurst ist das einzige, das den alten Ambosskrieger noch antreibt. Er schwor, Morvens Mörder für seine Tat bluten zu lassen: Fennek Greskegard, der in seinem wahnhaften Bestreben, den Thron Fomors an sich zu reißen, über Leichen geht. Leider wird der Inquisitor gut beschützt. Ormgair kommt nicht an ihn heran. Fest entschlossen, Greskegard seiner gerechten Strafe zuzuführen, ergreift er ungewöhnliche Maßnahmen. Er bittet den Totenkaiser um Hilfe. Aber Clach hat sich verändert. Seine Heimkehr von den Toten hat einen Preis: er soll die Wiederauferstehung der Titanen verhindern. Über Fomors Grenzen hinweg gedeiht die Verschwörung, die die mächtigen Giganten zu erwecken trachtet. Ihre Puppenspieler verbergen sich meisterhaft. Clach dringt tief in die vergessenen Geheimnisse einer vergangenen Zeit ein. Doch schon bald führt ihn sein Weg dorthin zurück, wo alles begann – nach Fomor.

 

Bernhard Trecksel sagte in einem Interview über den ersten Band seiner „Totenkaiser“-Trilogie, „Nebelmacher“, er glaubt, alle Leser_innen, die auf schnelle Action und große, epische Konflikte stehen, könnten etwas damit anfangen. Das glaube ich nicht. Weder bezüglich des Trilogieauftakts noch bezüglich des zweiten Bandes „Nebelgänger“. Um die breite Masse zu begeistern, muss eine Geschichte leicht zugänglich sein – das lässt sich von „Totenkaiser“ bisher nicht behaupten. Es ist anspruchsvolle Fantasy, die selbst mich als hartgesottenen Fan des Genres herausfordert. Das muss nicht negativ sein, bedeutet in diesem Fall allerdings, gewisse Abstriche in Kauf zu nehmen. Im Kern geht es in der Trilogie um den Versuch einer kleinen, elitären Gruppe, die Titanen einer vergangenen Epoche wiederzuerwecken. Da die riesigen Wesen das Universum schon einmal in Schutt und Asche legten, wodurch das ruinenhafte Setting äußerst bedrückend, entmutigend und feindlich wirkt, ist das für den Großteil der Menschheit, die durch die deprimierenden Einschränkungen ihrer Welt ohnehin eher schlecht als recht vor sich hinkrepelt, wahrlich keine positive Aussicht. Leider ist das Ritual der Auferstehung eine komplizierte Angelegenheit, die ich nur mit Mühe verstehen konnte und die es mir erschwerte, Clachs Mission zu durchschauen. Clach ist ein schwieriger Protagonist, der meiner Ansicht nach eine antisoziale Persönlichkeitsstörung aufweist. Durch diese Dysfunktion ist er der ideale Assassine, der keinerlei Mitgefühl, Skrupel oder Gewissensbisse kennt, aber auch auf unnötige Grausamkeit verzichtet. Er tötet klinisch und professionell. Seine Ausbildung lenkt seine gewalttätigen Triebe in geordnete Bahnen; Disziplin und Kontrolle sind seine Obsession. Daher ist es fast unmöglich, eine emotionale Bindung zu ihm aufzubauen. Er ist distanziert und kalt, woran sein neuer Status als Heimkehrer, eine nette Umschreibung für Zombie, nichts ändert. Interessanterweise hat er keine Probleme, sich mit seinem Zustand abzufinden, was meiner Meinung nach ebenfalls daran liegt, dass seine Erlebenswelt von der Norm abweicht. Er trauert seiner Menschlichkeit nicht sentimental nach und hadert niemals mit seinem Schicksal oder Auftrag. Darin unterscheidet er sich maßgeblich von den anderen Hauptfiguren in „Nebelgänger“, die für mich allerdings kaum nahbarer waren. Fennek Greskegard kann man nicht mögen; er ist besessen davon, Fomors Thron zu übernehmen. Alles andere ist ihm völlig egal, auch die Titanen-Verschwörung. Er qualifiziert sich am ehesten als Antagonist, obwohl die Rollenverteilung insgesamt uneindeutig und ambivalent ist. Ormgair ist der einzige, an den ich mich etwas annähern konnte, doch er strahlt so viel Trauer und Düsternis aus, dass ich diese Barriere nicht vollständig überwinden konnte. Deshalb wurde ich mit „Nebelgänger“ nie richtig warm. Trotz der intelligenten, faszinierenden Konstruktion des Romans fand ich keinen emotionalen Zugang, was Bernhard Trecksel möglicherweise jedoch beabsichtigte. Diese Trilogie ist definitiv keine Geschichte fürs Herz.

 

„Totenkaiser“ ist keine Einsteiger-Fantasy, davon bin ich nach der Lektüre von „Nebelgänger“ überzeugter denn je. Bernhard Trecksel macht es seinen Leser_innen nicht gerade leicht. Er verschenkt nichts, bietet keine einfachen Antworten und biedert sich nicht an. Die Figuren agieren in einem Universum, das von seiner komplexen Historie gebeutelt ist und verkörpern fragwürdige moralische Grundsätze. Sympathie spielt keine Rolle, weil die verschachtelte, undurchsichtige Handlung nicht emotionsbasiert ist. Ich denke, man kann sich „Totenkaiser“ als mehrstufiges Rätsel vorstellen, dessen Einzelteile entschlüsselt werden müssen, um es lösen zu können. Ich werde meine Erwartungshaltung entsprechend anpassen, bevor ich das Finale „Nebeljäger“ lese. Zur Seite mit den Gefühlen, her mit den Hinweisen. Dann kann ich die Trilogie sicher als das schätzen, was sie ist: ein intellektuelles Vergnügen und solide deutsche Grimdark-Fantasy.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/08/06/bernhard-trecksel-nebelgaenger
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review 2017-07-20 10:55
Nur ein Wort: Grimdark
King of Thorns - Mark Lawrence

Habt ihr schon mal den Begriff Grimdark gehört und euch gefragt, was das nun wieder ist? Grimdark ist ein Subgenre der Fantasy: die Charaktere sind zwielichtiger, ihre Entscheidungen fragwürdiger, ihre Handlungen gewalttätiger. Alles ist etwas extremer, härter, blutiger, kompromissloser. So würde ich Grimdark erklären, denn bisher scheint es keine einheitliche Definition zu geben. Mein persönlicher Favorit ist die Beschreibung des Autors Adam Roberts, der Grimdark ganz simpel als „Anti-Tolkien“ bezeichnet – obwohl ich nicht glaube, dass dieses Subgenre zwangläufig eine Definition braucht. Ich halte es für eine intuitive Kategorie, die lediglich eine bestimmte Atmosphäre vermitteln und eine gewisse emotionale Resonanz erzeugen sollte.
„King of Thorns“, der zweite Band der Trilogie „The Broken Empire“ von Mark Lawrence, qualifiziert sich nach meinen Maßstäben spielend als Grimdark.

 

Als Jorg Ancrath schwor, er würde im Alter von 14 Jahren König sein, wurde er verspottet und belächelt. Er bewies, dass er niemals leere Reden schwingt, strafte seinen Onkel für den Verrat an seiner Mutter und seinem Bruder und entriss ihm sein Königreich. Heute ist Jorg 18 Jahre alt, herrscht seit vier Jahren über das Gebirgsland Renar und befindet sich in einer deprimierend aussichtslosen Lage. Vor den Toren seiner Burg versammelt sich eine gewaltige Streitmacht, die Jorgs Truppen zahlenmäßig weit überlegen ist. Der Prinz der Pfeile ist entschlossen, Renar zu erobern, denn er will zum Imperator ernannt werden, um den Krieg der Hundert ein für alle Mal zu beenden. Jorgs Chancen, ihm zu trotzen, sind gering. Jedenfalls in einem fairen Kampf. Vor vier Jahren entdeckte der junge König während einer Reise Artefakte der Erbauer von unsäglicher Macht. Niemand hat behauptet, Jorg würde fair kämpfen, richtig?

 

Ich hatte vor der Lektüre keinen blassen Schimmer, was mich im zweiten Band der „The Broken Empire“ – Trilogie, „King of Thorns“, erwarten würden. Es ist unheimlich schwierig, vorauszusagen, wie Mark Lawrence seinen Protagonisten Jorg handeln lassen wird, weil Unberechenbarkeit ein dominanter Zug seiner Persönlichkeit ist. Ich schlug das Buch auf und wäre beinahe rückwärts vom Stuhl gekippt – über dem ersten Kapitel steht in dicken Lettern „Wedding Day“. Hochzeitstag? Wer heiratet? Jorg etwa? Nicht möglich! Oder doch? Seit „Prince of Thorns“ vergingen vier Jahre, vielleicht hat er sich ja tatsächlich weiterentwickelt, ist gereift und ruht nun in sich selbst? Klingt das in euren Ohren genauso lächerlich wie in meinen, verstehen wir uns. Nein, darüber hätte ich mir wirklich keine Gedanken machen müssen, Jorg ist noch immer derselbe, beängstigende, bis in den Kern verrottete, von Hass, Rache und giftigem Ehrgeiz getriebene junge Mann, der er schon mit 14 war. Selbstverständlich verrät Mark Lawrence seinen Leser_innen, was er in den letzten Jahren getrieben hat. Erneut unterteilt er die Handlung aus Jorgs Ich-Perspektive heraus in Vergangenheit und Gegenwart und veranschaulicht auf diese Weise geschickt, dass sich die aktuelle Situation bereits vor vier Jahren abzeichnete. Vor vier Jahren begegnete Jorg dem Prinzen der Pfeile das erste Mal. Seit dieser schicksalhaften Begegnung wusste er, dass der Konflikt zwischen ihnen eines Tages unvermeidlich eskalieren würde. Nun, Jorg wäre nicht Jorg, hätte er nicht sofort Gegenmaßnahmen ergriffen. Er bereitete sich auf eben diesen Angriff der Gegenwart vor, zeigt in der Hitze der unausweichlichen, mitreißenden Schlacht eine überraschend kühle, militärisch-strategische Gewandtheit und spuckt der Ausweglosigkeit der Umstände frech ins Gesicht. Er würde lieber brennen, als sich einem Rivalen zu unterwerfen. Aus seiner Sicht begehrt der Prinz der Pfeile, was rechtmäßig ihm zusteht: den Thron des Imperators. Er will diesen Titel, also hat er ein Anrecht darauf, basta. Diese Einstellung illustriert Jorgs verdorbenen Charakter haargenau und unmissverständlich. Wer noch Hoffnung für ihn hegte, wird schonungslos desillusioniert. Sein schwarzes Herz verfolgt ihn auch auf seiner Reise, immer wieder wird er mit seinen Sünden konfrontiert, weil die wahren Puppenspieler des Krieges der Hundert glauben, ihn so kontrollieren zu können. Ich fand es beeindruckend, wie ausgeklügelt Mark Lawrence permanent eine unterschwellige Spannung aufrechterhält, indem er die verborgenen Akteure seines brutalen Universums langsam und widerwillig identifiziert. Dadurch bleibt stets ein Gefühl der Neugier bestehen. Manchmal war diese Neugier das einzige, das mich zum Weiterlesen bewog, denn ich kann nicht leugnen, dass „King of Thorns“ hin und wieder reichlich zäh ist. Die Lektüre war anstrengend, weil Mark Lawrence viele bedeutsame Details lediglich andeutet. Dadurch erfordert das Buch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Eine Sekunde nicht aufgepasst und schwupps – schon ging ein wichtiges Informationskrümelchen verloren.

 

„King of Thorns“ ist eine würdige Fortsetzung der Trilogie „The Broken Empire“ und steht dem Auftakt „Prince of Thorns“ in nichts nach. Noch immer bin ich vollkommen fasziniert vom Protagonisten Jorg, sodass es mir teilweise sogar schwerfällt, mich auf die Handlung zu konzentrieren, obwohl diese äußerst feinsinnig und intelligent konstruiert ist. All die Fäden, die Mark Lawrence mit gewissenhafter Autorität spinnt, verknüpfen sich erst ganz am Ende des Buches, ergeben dann aber ein überzeugendes Gewebe. Für mich wiegt es nicht allzu schwer, dass Lawrence zur Geheimniskrämerei neigt, weil er dadurch das eine oder andere Ass im Ärmel behält, das wunderbares Material für überraschende Wendungen bietet. Die Unberechenbarkeit von Autor, Handlung und Protagonist, die schiere Ahnungslosigkeit, die ich beim Lesen empfand, vermischen sich mit der unbequemen, düsteren, gewaltgeschwängerten Atmosphäre zu einer besonderen Lektüre, für die es vermutlich tatsächlich nur eine passende Beschreibung gibt: Grimdark.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/07/20/mark-lawrence-king-of-thorns
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